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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

pfindsamkeit aber stand ihr schlecht an. Er glaubte ja, ihr eine große Ehre an-
zutun mit seinen hartnäckigen Werbungen, der geachtete Portier. Mußte sie nicht
dankbar sein, noch einem Menschen zu begegnen, der sie nicht rücksichtslos nur zu
kurzem Genuß an sich reißen wollte, sondern versprach, sie zeitlebens wie sein an¬
getrautes Weib hochhalten zu wollen, wenn ihm auch seine Überzeugungen nicht
erlaubten, nach dem Brauch veralteter Gesetzesformeln und kirchlichen Hokuspokus
die Trauung zu vollzieh"?

Mein Wort bindet mich fester als das Gesetz, fester als das Gebot eines
eingebildeten Gottes, sagte der Portier. Er war ein gebildeter, in seinen aufge¬
klärten Ansichten vorgeschrittner Mann.

Fmtje aber nahm ihr kleines Buch, steckte es in die Tasche ihres ausgewachsnen
Röckchens und ging wieder hinaus -- auf die Straße.

Kein Orangenkorb hing ihr mehr am Arm, dennoch klang es ihr jetzt wieder
in den Ohren, das alte, früher so oft gehörte, drängende, grausame: Weiter, Kleine,
weiter! Sie aber sehnte sich müde nach einer Rast.

Es war wohl das Fest irgendeines Heiligen heute; die alte Kirche hielt
Gottesdienst. Ihre Türen standen gastlich offen für jeden, Reiche und Arme, Be¬
sitzende wie Heimatlose.

So eine Kirche ist wie eine gütige, zur Verzeihung immer bereite, gnadenreiche
Mutter, dachte Fintje, die selbst mutterlos hatte aufwachsen müssen. Und zaghaft
schlich sie zu der Kirchtür hinein.

Von der Feierlichkeit des schwach erleuchteten Raumes ergriffen blieb sie erst
eine Weile an die Mauer gelehnt stehn, bis sie sich getraute, weiter vorzudringen
und auf einem der vielen Betstuhle niederzuknien. Sie legte das Kinn auf die
gefalteten Hände, doch sie betete nicht wie die andern, in den endlosen Stuhlreihen
spärlich verstreuten Andächtigen. Wie hätte sie es auch anstellen sollen? Sie hatte
doch keinen Rosenkranz!

Ihre schwarzen Augen schielten unter der rotgoldnen Haarmähne vor, neu¬
gierig und scheu zugleich, in alle Winkel und Tiefen der Kirche.

Diese bunte, geheimnisvolle Welt mutete sie fremd an nach der schmucklosen
Nacktheit des Volkshauses.

Hinter ihr sangen aus geheimnisvoller Höhe Knabenstimmen in das weihrciuch-
dnrchzogne Kirchenschiff herunter. Und vor ihr am kerzeuumstrahlten Hochaltar
machten sich die Priester in ihren bunten Gewändern lautlos zu schaffen. Was sie
da so emsig betrieben, wurde Fintje trotz scharfem Hinlauern nicht klar, aber sicher
war es etwas überaus Heiliges, Wichtiges.

Neben ihr kniete ein gebücktes altes Mütterchen, die welken Hände, die den
Rosenkranz hielten, zitterten wie die gebetemurmelnden Lippen, ihr verschrumpeltes
Gesicht drückte grenzenlose Ehrfurcht aus.

Sie sieht aus, als erwarte sie im nächsten Augenblick von der heiligen Jung¬
frau selbst in den Himmel hinaufgerückt zu werden, sagte sich Fintje, und sie'senkte
nun selbst beschämt die neugierigen Augen.

O, wohl mag dem Mütterlein ehrfürchtig zumute sein! Knien sie nicht in
des geheimnisvollen Gottes eigner Nähe? In den bläulichen Weihrauchwolken
schwebt er um sie, in den feierlichen gelbe" Kerzenflammen atmet er, in den goldnen
Gefäßen, mit denen die Priester hantieren, ist er. Und nun das silberne Glocken¬
zeichen, bei dessen Klang alle Beter ihre gesenkten Köpfe noch tiefer neigen. Ja
dieses feine Klingeln, das ist das Wichtigste von allem, das zeigt Gottes unmittel¬
bare Nähe am deutlichsten an. Und da getraut sie sich, Fintje, ruhig knien zu
bleiben, so dicht bei Gott?

Dunkel und verworren waren Fintjes religiöse Begriffe, niemand hatte sich
die Mühe gegeben, sie näher in die christlich-katholische Lehre einzuweihen. Sie
wußte nur, daß der sogenannte liebe Gott in seinem strahlend Weißen Himmel über
den Wolken wohnte, zusammen mit der heiligen Jungfrau und dem kleinen Jesus-


Im alten Brüssel

pfindsamkeit aber stand ihr schlecht an. Er glaubte ja, ihr eine große Ehre an-
zutun mit seinen hartnäckigen Werbungen, der geachtete Portier. Mußte sie nicht
dankbar sein, noch einem Menschen zu begegnen, der sie nicht rücksichtslos nur zu
kurzem Genuß an sich reißen wollte, sondern versprach, sie zeitlebens wie sein an¬
getrautes Weib hochhalten zu wollen, wenn ihm auch seine Überzeugungen nicht
erlaubten, nach dem Brauch veralteter Gesetzesformeln und kirchlichen Hokuspokus
die Trauung zu vollzieh»?

Mein Wort bindet mich fester als das Gesetz, fester als das Gebot eines
eingebildeten Gottes, sagte der Portier. Er war ein gebildeter, in seinen aufge¬
klärten Ansichten vorgeschrittner Mann.

Fmtje aber nahm ihr kleines Buch, steckte es in die Tasche ihres ausgewachsnen
Röckchens und ging wieder hinaus — auf die Straße.

Kein Orangenkorb hing ihr mehr am Arm, dennoch klang es ihr jetzt wieder
in den Ohren, das alte, früher so oft gehörte, drängende, grausame: Weiter, Kleine,
weiter! Sie aber sehnte sich müde nach einer Rast.

Es war wohl das Fest irgendeines Heiligen heute; die alte Kirche hielt
Gottesdienst. Ihre Türen standen gastlich offen für jeden, Reiche und Arme, Be¬
sitzende wie Heimatlose.

So eine Kirche ist wie eine gütige, zur Verzeihung immer bereite, gnadenreiche
Mutter, dachte Fintje, die selbst mutterlos hatte aufwachsen müssen. Und zaghaft
schlich sie zu der Kirchtür hinein.

Von der Feierlichkeit des schwach erleuchteten Raumes ergriffen blieb sie erst
eine Weile an die Mauer gelehnt stehn, bis sie sich getraute, weiter vorzudringen
und auf einem der vielen Betstuhle niederzuknien. Sie legte das Kinn auf die
gefalteten Hände, doch sie betete nicht wie die andern, in den endlosen Stuhlreihen
spärlich verstreuten Andächtigen. Wie hätte sie es auch anstellen sollen? Sie hatte
doch keinen Rosenkranz!

Ihre schwarzen Augen schielten unter der rotgoldnen Haarmähne vor, neu¬
gierig und scheu zugleich, in alle Winkel und Tiefen der Kirche.

Diese bunte, geheimnisvolle Welt mutete sie fremd an nach der schmucklosen
Nacktheit des Volkshauses.

Hinter ihr sangen aus geheimnisvoller Höhe Knabenstimmen in das weihrciuch-
dnrchzogne Kirchenschiff herunter. Und vor ihr am kerzeuumstrahlten Hochaltar
machten sich die Priester in ihren bunten Gewändern lautlos zu schaffen. Was sie
da so emsig betrieben, wurde Fintje trotz scharfem Hinlauern nicht klar, aber sicher
war es etwas überaus Heiliges, Wichtiges.

Neben ihr kniete ein gebücktes altes Mütterchen, die welken Hände, die den
Rosenkranz hielten, zitterten wie die gebetemurmelnden Lippen, ihr verschrumpeltes
Gesicht drückte grenzenlose Ehrfurcht aus.

Sie sieht aus, als erwarte sie im nächsten Augenblick von der heiligen Jung¬
frau selbst in den Himmel hinaufgerückt zu werden, sagte sich Fintje, und sie'senkte
nun selbst beschämt die neugierigen Augen.

O, wohl mag dem Mütterlein ehrfürchtig zumute sein! Knien sie nicht in
des geheimnisvollen Gottes eigner Nähe? In den bläulichen Weihrauchwolken
schwebt er um sie, in den feierlichen gelbe» Kerzenflammen atmet er, in den goldnen
Gefäßen, mit denen die Priester hantieren, ist er. Und nun das silberne Glocken¬
zeichen, bei dessen Klang alle Beter ihre gesenkten Köpfe noch tiefer neigen. Ja
dieses feine Klingeln, das ist das Wichtigste von allem, das zeigt Gottes unmittel¬
bare Nähe am deutlichsten an. Und da getraut sie sich, Fintje, ruhig knien zu
bleiben, so dicht bei Gott?

Dunkel und verworren waren Fintjes religiöse Begriffe, niemand hatte sich
die Mühe gegeben, sie näher in die christlich-katholische Lehre einzuweihen. Sie
wußte nur, daß der sogenannte liebe Gott in seinem strahlend Weißen Himmel über
den Wolken wohnte, zusammen mit der heiligen Jungfrau und dem kleinen Jesus-


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[0410] Im alten Brüssel pfindsamkeit aber stand ihr schlecht an. Er glaubte ja, ihr eine große Ehre an- zutun mit seinen hartnäckigen Werbungen, der geachtete Portier. Mußte sie nicht dankbar sein, noch einem Menschen zu begegnen, der sie nicht rücksichtslos nur zu kurzem Genuß an sich reißen wollte, sondern versprach, sie zeitlebens wie sein an¬ getrautes Weib hochhalten zu wollen, wenn ihm auch seine Überzeugungen nicht erlaubten, nach dem Brauch veralteter Gesetzesformeln und kirchlichen Hokuspokus die Trauung zu vollzieh»? Mein Wort bindet mich fester als das Gesetz, fester als das Gebot eines eingebildeten Gottes, sagte der Portier. Er war ein gebildeter, in seinen aufge¬ klärten Ansichten vorgeschrittner Mann. Fmtje aber nahm ihr kleines Buch, steckte es in die Tasche ihres ausgewachsnen Röckchens und ging wieder hinaus — auf die Straße. Kein Orangenkorb hing ihr mehr am Arm, dennoch klang es ihr jetzt wieder in den Ohren, das alte, früher so oft gehörte, drängende, grausame: Weiter, Kleine, weiter! Sie aber sehnte sich müde nach einer Rast. Es war wohl das Fest irgendeines Heiligen heute; die alte Kirche hielt Gottesdienst. Ihre Türen standen gastlich offen für jeden, Reiche und Arme, Be¬ sitzende wie Heimatlose. So eine Kirche ist wie eine gütige, zur Verzeihung immer bereite, gnadenreiche Mutter, dachte Fintje, die selbst mutterlos hatte aufwachsen müssen. Und zaghaft schlich sie zu der Kirchtür hinein. Von der Feierlichkeit des schwach erleuchteten Raumes ergriffen blieb sie erst eine Weile an die Mauer gelehnt stehn, bis sie sich getraute, weiter vorzudringen und auf einem der vielen Betstuhle niederzuknien. Sie legte das Kinn auf die gefalteten Hände, doch sie betete nicht wie die andern, in den endlosen Stuhlreihen spärlich verstreuten Andächtigen. Wie hätte sie es auch anstellen sollen? Sie hatte doch keinen Rosenkranz! Ihre schwarzen Augen schielten unter der rotgoldnen Haarmähne vor, neu¬ gierig und scheu zugleich, in alle Winkel und Tiefen der Kirche. Diese bunte, geheimnisvolle Welt mutete sie fremd an nach der schmucklosen Nacktheit des Volkshauses. Hinter ihr sangen aus geheimnisvoller Höhe Knabenstimmen in das weihrciuch- dnrchzogne Kirchenschiff herunter. Und vor ihr am kerzeuumstrahlten Hochaltar machten sich die Priester in ihren bunten Gewändern lautlos zu schaffen. Was sie da so emsig betrieben, wurde Fintje trotz scharfem Hinlauern nicht klar, aber sicher war es etwas überaus Heiliges, Wichtiges. Neben ihr kniete ein gebücktes altes Mütterchen, die welken Hände, die den Rosenkranz hielten, zitterten wie die gebetemurmelnden Lippen, ihr verschrumpeltes Gesicht drückte grenzenlose Ehrfurcht aus. Sie sieht aus, als erwarte sie im nächsten Augenblick von der heiligen Jung¬ frau selbst in den Himmel hinaufgerückt zu werden, sagte sich Fintje, und sie'senkte nun selbst beschämt die neugierigen Augen. O, wohl mag dem Mütterlein ehrfürchtig zumute sein! Knien sie nicht in des geheimnisvollen Gottes eigner Nähe? In den bläulichen Weihrauchwolken schwebt er um sie, in den feierlichen gelbe» Kerzenflammen atmet er, in den goldnen Gefäßen, mit denen die Priester hantieren, ist er. Und nun das silberne Glocken¬ zeichen, bei dessen Klang alle Beter ihre gesenkten Köpfe noch tiefer neigen. Ja dieses feine Klingeln, das ist das Wichtigste von allem, das zeigt Gottes unmittel¬ bare Nähe am deutlichsten an. Und da getraut sie sich, Fintje, ruhig knien zu bleiben, so dicht bei Gott? Dunkel und verworren waren Fintjes religiöse Begriffe, niemand hatte sich die Mühe gegeben, sie näher in die christlich-katholische Lehre einzuweihen. Sie wußte nur, daß der sogenannte liebe Gott in seinem strahlend Weißen Himmel über den Wolken wohnte, zusammen mit der heiligen Jungfrau und dem kleinen Jesus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/410>, abgerufen am 23.07.2024.