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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

Doch darüber beklagte sich Fiutje nicht. Die körperlichen Schmerzen der Arbeit
übertäubten wohltätig das innere Weh.

Des Abends aber wurde das Volkshaus lebendig, da mußte Fiutje ihre Arbeit
einstellen. Die langen Gänge, die Treppen, die Säle füllten sich mit sozialistischen
Vereinsmitgliedern, mit redegewandten Agitatoren, mit revolutionär gesinnten Ar¬
beitern, mit unzufrieduen Faulenzern, versteckten Verbrechern, ehrlich Hungernden.
Unter all dem Volke konnte auch Ovale sein. Denn Ovale war ja unter die
Sozialisten gegangen, wie das Zitronenwijfke ihr gesagt hatte. Sie hatte den
Portier nach ihm gefragt. Der hatte die Schultern gezuckt. Mag wohl sein! Wie
soll ich unter den Tausenden einen Einzelnen herausmerken?

Aber Fintje glaubte, ihr könne es nicht schwer fallen, die schmächtige, ärm¬
liche Erscheinung unter den Tausenden herauszufinden. Sie drängte sich verstohlen
in den großen Festsaal. Sie schlich hinter den vielen erregten Menschen die eiserne
Wendeltreppe auf die große Plattform des Daches hinauf. Da standen, an die
eiserne Brüstung gelehnt, die Unzufriednen, die hitzigen Weltverbesserer und schauten
auf das große mondüberstrahlte Brüssel hinab. Van der Velde hatte gesprochen,
er hatte ihnen klar auseinandergesetzt, welche Reformen für ihre Wohlfahrt nötig
wären. Van der Velde war ihr Freund, er wußte, was ihnen fehlte, und was
ihnen not tat. Cr sprach und sprach. Worte aber helfen wenig. Zu laugsam geht
es vorwärts mit bloßen Worten als Waffen. Ihre Weiber warteten, und ihre
Kinder streckten hungrig die Hände aus. Hatten sie nicht sehnige Fäuste, waren
das nicht mächtigere Waffen als Worte? Hatten sie nicht ihren großen, ehrlichen
Zorn? Da unten, zu Füßen des Volkshauses krochen die armseligen, altersschwachen
Häuser umeinander wie eine bedrängte führerlose Herde. Von hier oben konnten
sie in all die krummen, engen Gassen und Gänge und Höfe sehen. Das war ihre
Heimat. Sie wußten, was sich da schaudernd regte an heimlichem Elend und ge¬
zwungnen Verbrechen. Weil es ihnen am nötigsten fehlte, an Raum und Luft
und an der großen Hauptsache: am Gelde! Da draußen aber dehnte sich das
stolze weite Brüssel aus, das Brüssel der Reiche" und Glücklichen. Warum sollten
die einen darben und die andern im Überfluß schwelgen? Handelten sie nicht im
Namen der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit, wenn sie in diese stolzen Viertel
stürmten und sich mit ihren Fäusten die Welt zurechtrückten, die Reichen ärmer
und die Armen reicher machten? Wer wollte es ihnen wehren, in die schlafende
Stadt einzufallen und ihre Arbeit zu beginnen? Wer? Lag es nicht zu ihren
Füßen groß, still, hilflos, das stolze Brüssel?

Die Männer, die auf solche Weise Ausschau hielten vom Dache des Volks¬
hauses, sahen einander fragend in die Augen und wieder hinab auf die Stadt
und ergriffen schon mit heißhungriger Blicken Besitz von dem lichtbesteruten Städte¬
meer. Doch die gierigen Blicke prallten ab an einer dunkeln Wand, die sich
groß nud undurchdringlich vor ihnen auftürmte und die freie Aussicht hemmte:
die altersgraue Eglise de la Chapelle. Sie wankte und wich nicht, die alte Kirche;
in behäbiger Hartnäckigkeit schaute sie die erregten Menschen an. Die wandten
sich ab und sahen nach Osten, aber auch hier wurden ihre Blicke zurückgescheucht
von einem andern nahen, dräuenden, übermächtigen Hindernis: dem Justizpalast.
Wie furchtlose Riesen ragten diese beiden großen Wächter der Stadt aus dem
stillen, weiten, schlafenden Häusermeer auf, die alte Kirche und der Justizpalast.

Unbeachtet huschte Fintje in dem aufgeregten Menschenhaufen oben auf den:
Dache des Volkshauses umher, aber Ovale entdeckten ihre suchenden Augen nicht
unter diesen laute", tatendurstigen Jüngern Van der Veldes.


18

Nun stieß sie das Vvlkshcms, das allbemutternde, doch wieder aus. Sie hatte
keinen ruhigen Augenblick mehr und wußte sich keinen Zufluchtsort in dem großen
Hause. Da war kein Winkel, wohin er ihr nicht nachgeschlichen wäre. Prüde Ein-


Im alten Brüssel

Doch darüber beklagte sich Fiutje nicht. Die körperlichen Schmerzen der Arbeit
übertäubten wohltätig das innere Weh.

Des Abends aber wurde das Volkshaus lebendig, da mußte Fiutje ihre Arbeit
einstellen. Die langen Gänge, die Treppen, die Säle füllten sich mit sozialistischen
Vereinsmitgliedern, mit redegewandten Agitatoren, mit revolutionär gesinnten Ar¬
beitern, mit unzufrieduen Faulenzern, versteckten Verbrechern, ehrlich Hungernden.
Unter all dem Volke konnte auch Ovale sein. Denn Ovale war ja unter die
Sozialisten gegangen, wie das Zitronenwijfke ihr gesagt hatte. Sie hatte den
Portier nach ihm gefragt. Der hatte die Schultern gezuckt. Mag wohl sein! Wie
soll ich unter den Tausenden einen Einzelnen herausmerken?

Aber Fintje glaubte, ihr könne es nicht schwer fallen, die schmächtige, ärm¬
liche Erscheinung unter den Tausenden herauszufinden. Sie drängte sich verstohlen
in den großen Festsaal. Sie schlich hinter den vielen erregten Menschen die eiserne
Wendeltreppe auf die große Plattform des Daches hinauf. Da standen, an die
eiserne Brüstung gelehnt, die Unzufriednen, die hitzigen Weltverbesserer und schauten
auf das große mondüberstrahlte Brüssel hinab. Van der Velde hatte gesprochen,
er hatte ihnen klar auseinandergesetzt, welche Reformen für ihre Wohlfahrt nötig
wären. Van der Velde war ihr Freund, er wußte, was ihnen fehlte, und was
ihnen not tat. Cr sprach und sprach. Worte aber helfen wenig. Zu laugsam geht
es vorwärts mit bloßen Worten als Waffen. Ihre Weiber warteten, und ihre
Kinder streckten hungrig die Hände aus. Hatten sie nicht sehnige Fäuste, waren
das nicht mächtigere Waffen als Worte? Hatten sie nicht ihren großen, ehrlichen
Zorn? Da unten, zu Füßen des Volkshauses krochen die armseligen, altersschwachen
Häuser umeinander wie eine bedrängte führerlose Herde. Von hier oben konnten
sie in all die krummen, engen Gassen und Gänge und Höfe sehen. Das war ihre
Heimat. Sie wußten, was sich da schaudernd regte an heimlichem Elend und ge¬
zwungnen Verbrechen. Weil es ihnen am nötigsten fehlte, an Raum und Luft
und an der großen Hauptsache: am Gelde! Da draußen aber dehnte sich das
stolze weite Brüssel aus, das Brüssel der Reiche» und Glücklichen. Warum sollten
die einen darben und die andern im Überfluß schwelgen? Handelten sie nicht im
Namen der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit, wenn sie in diese stolzen Viertel
stürmten und sich mit ihren Fäusten die Welt zurechtrückten, die Reichen ärmer
und die Armen reicher machten? Wer wollte es ihnen wehren, in die schlafende
Stadt einzufallen und ihre Arbeit zu beginnen? Wer? Lag es nicht zu ihren
Füßen groß, still, hilflos, das stolze Brüssel?

Die Männer, die auf solche Weise Ausschau hielten vom Dache des Volks¬
hauses, sahen einander fragend in die Augen und wieder hinab auf die Stadt
und ergriffen schon mit heißhungriger Blicken Besitz von dem lichtbesteruten Städte¬
meer. Doch die gierigen Blicke prallten ab an einer dunkeln Wand, die sich
groß nud undurchdringlich vor ihnen auftürmte und die freie Aussicht hemmte:
die altersgraue Eglise de la Chapelle. Sie wankte und wich nicht, die alte Kirche;
in behäbiger Hartnäckigkeit schaute sie die erregten Menschen an. Die wandten
sich ab und sahen nach Osten, aber auch hier wurden ihre Blicke zurückgescheucht
von einem andern nahen, dräuenden, übermächtigen Hindernis: dem Justizpalast.
Wie furchtlose Riesen ragten diese beiden großen Wächter der Stadt aus dem
stillen, weiten, schlafenden Häusermeer auf, die alte Kirche und der Justizpalast.

Unbeachtet huschte Fintje in dem aufgeregten Menschenhaufen oben auf den:
Dache des Volkshauses umher, aber Ovale entdeckten ihre suchenden Augen nicht
unter diesen laute«, tatendurstigen Jüngern Van der Veldes.


18

Nun stieß sie das Vvlkshcms, das allbemutternde, doch wieder aus. Sie hatte
keinen ruhigen Augenblick mehr und wußte sich keinen Zufluchtsort in dem großen
Hause. Da war kein Winkel, wohin er ihr nicht nachgeschlichen wäre. Prüde Ein-


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[0409] Im alten Brüssel Doch darüber beklagte sich Fiutje nicht. Die körperlichen Schmerzen der Arbeit übertäubten wohltätig das innere Weh. Des Abends aber wurde das Volkshaus lebendig, da mußte Fiutje ihre Arbeit einstellen. Die langen Gänge, die Treppen, die Säle füllten sich mit sozialistischen Vereinsmitgliedern, mit redegewandten Agitatoren, mit revolutionär gesinnten Ar¬ beitern, mit unzufrieduen Faulenzern, versteckten Verbrechern, ehrlich Hungernden. Unter all dem Volke konnte auch Ovale sein. Denn Ovale war ja unter die Sozialisten gegangen, wie das Zitronenwijfke ihr gesagt hatte. Sie hatte den Portier nach ihm gefragt. Der hatte die Schultern gezuckt. Mag wohl sein! Wie soll ich unter den Tausenden einen Einzelnen herausmerken? Aber Fintje glaubte, ihr könne es nicht schwer fallen, die schmächtige, ärm¬ liche Erscheinung unter den Tausenden herauszufinden. Sie drängte sich verstohlen in den großen Festsaal. Sie schlich hinter den vielen erregten Menschen die eiserne Wendeltreppe auf die große Plattform des Daches hinauf. Da standen, an die eiserne Brüstung gelehnt, die Unzufriednen, die hitzigen Weltverbesserer und schauten auf das große mondüberstrahlte Brüssel hinab. Van der Velde hatte gesprochen, er hatte ihnen klar auseinandergesetzt, welche Reformen für ihre Wohlfahrt nötig wären. Van der Velde war ihr Freund, er wußte, was ihnen fehlte, und was ihnen not tat. Cr sprach und sprach. Worte aber helfen wenig. Zu laugsam geht es vorwärts mit bloßen Worten als Waffen. Ihre Weiber warteten, und ihre Kinder streckten hungrig die Hände aus. Hatten sie nicht sehnige Fäuste, waren das nicht mächtigere Waffen als Worte? Hatten sie nicht ihren großen, ehrlichen Zorn? Da unten, zu Füßen des Volkshauses krochen die armseligen, altersschwachen Häuser umeinander wie eine bedrängte führerlose Herde. Von hier oben konnten sie in all die krummen, engen Gassen und Gänge und Höfe sehen. Das war ihre Heimat. Sie wußten, was sich da schaudernd regte an heimlichem Elend und ge¬ zwungnen Verbrechen. Weil es ihnen am nötigsten fehlte, an Raum und Luft und an der großen Hauptsache: am Gelde! Da draußen aber dehnte sich das stolze weite Brüssel aus, das Brüssel der Reiche» und Glücklichen. Warum sollten die einen darben und die andern im Überfluß schwelgen? Handelten sie nicht im Namen der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit, wenn sie in diese stolzen Viertel stürmten und sich mit ihren Fäusten die Welt zurechtrückten, die Reichen ärmer und die Armen reicher machten? Wer wollte es ihnen wehren, in die schlafende Stadt einzufallen und ihre Arbeit zu beginnen? Wer? Lag es nicht zu ihren Füßen groß, still, hilflos, das stolze Brüssel? Die Männer, die auf solche Weise Ausschau hielten vom Dache des Volks¬ hauses, sahen einander fragend in die Augen und wieder hinab auf die Stadt und ergriffen schon mit heißhungriger Blicken Besitz von dem lichtbesteruten Städte¬ meer. Doch die gierigen Blicke prallten ab an einer dunkeln Wand, die sich groß nud undurchdringlich vor ihnen auftürmte und die freie Aussicht hemmte: die altersgraue Eglise de la Chapelle. Sie wankte und wich nicht, die alte Kirche; in behäbiger Hartnäckigkeit schaute sie die erregten Menschen an. Die wandten sich ab und sahen nach Osten, aber auch hier wurden ihre Blicke zurückgescheucht von einem andern nahen, dräuenden, übermächtigen Hindernis: dem Justizpalast. Wie furchtlose Riesen ragten diese beiden großen Wächter der Stadt aus dem stillen, weiten, schlafenden Häusermeer auf, die alte Kirche und der Justizpalast. Unbeachtet huschte Fintje in dem aufgeregten Menschenhaufen oben auf den: Dache des Volkshauses umher, aber Ovale entdeckten ihre suchenden Augen nicht unter diesen laute«, tatendurstigen Jüngern Van der Veldes. 18 Nun stieß sie das Vvlkshcms, das allbemutternde, doch wieder aus. Sie hatte keinen ruhigen Augenblick mehr und wußte sich keinen Zufluchtsort in dem großen Hause. Da war kein Winkel, wohin er ihr nicht nachgeschlichen wäre. Prüde Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/409>, abgerufen am 03.07.2024.