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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts

glänzendsten Sterne, wie Reynolds und Turner, nur für das Auge eines Eng¬
länders. Was Schmid über die englische Kunst sagt, möchten wir allem
voranstellen. Der Maßstab war hier nicht so leicht zu gewinnen wie für die
andern Kunstprovinzen, und gegenüber der herrschenden Überschätzung muß uns
seine kritisch abwägende Darstellung besonders wertvoll sein. Man solle sich
davor hüten, sagt er, die Betonung der englischen Eigenart zu übertreiben
und zum Beispiel Hogarth wegen seines Griffs in das Alltagsleben als einen
Vorläufer des modernen Realismus anzusehen; die künstlerischen Absichten
stehn bei ihm jedenfalls in allerletzter Linie. Auch bei Reynolds fühle man
durch, daß die Simplizität nicht echt sei, wie bei Ludwig Richter, sondern ge¬
macht und künstlerisch gesucht. Gainsborongh wird mit Recht im Bildnis und
in der Landschaft gleich hochgestellt. Und im ganzen habe die englische Malerei
am Ende des achtzehnten Jahrhunderts den germanischen Geist ans der antik¬
romanischen Hochflut errettet.

Die farbenprächtige Historienmalerei der Belgier Wappers, de Kehser,
de Biefre und Gallait, die sich gleich nach der Julirevolution zu schneller
Blüte entwickelte, und die namentlich in Deutschland einen mächtigen Eindruck
machte -- die Altern von uns haben ja noch Gallaits Egmontbilder als etwas
Neues erlebt und mit Ernst bewundert --, erscheint uns heute schon als eine
weit zurückliegende und wenig belangreiche Episode. Sie sollte national sein,
ein Ausdruck der durch die Revolution gewonnenen Selbständigkeit des von
Holland abgetrennten Staates, und sie war es den Gegenständen nach, indem
sie außer den jüngsten Ereignissen auch noch die längst vergangnen Dinge der
spanischen Zeit schilderte. Nur hatten sich leider damals in Wirklichkeit die
Belgier der Fremdherrschaft gefügt und sich sogar darunter sehr wohl gefühlt;
man denke nur an das Zeitalter des Rubens. Eigentlich hätten also die
Holländer, die das spanische Joch siegreich abgeschüttelt hatten, solche Bilder
malen müssen. Die belgischen Maler ließen sich durch die Ironie dieser Tat¬
sachen nicht beirren. Sie griffen auch übrigens in die Vergangenheit ihres
Landes zurück, in den Stoffen sowohl wie im Ausdruck, indem sie, beinahe
antiquarisch, bestimmten ältern Meistern nachgingen, von Memling bis Rubens.
Ihren Stil aber und ihre Farben hatte doch diese ganze Kunst, soweit sie
überhaupt etwas bedeutete, vielmehr von den Franzosen, von Delacroix und
Delaroche, und sogar noch von dem alten David, der zuletzt als Verbannter
in Brüssel gelebt hatte. So war sie denn doch nicht mehr als eine schnell ab¬
blühende Treibhauskunst, die nur noch die eine Folge hatte, daß sich in
Antwerpen unter dem weitern Einfluß der Franzosen eine tüchtige Maltechnik
erhielt, um deren willen noch jahrzehntelang zahlreiche deutsche Künstler nach
Belgien gegangen sind. Aber die einst bewunderten Hauptbilder jener Zeit in
der Berliner Nationalgalerie (sie gehören zu der Sammlung des Konsuls
Wagner) lassen uns heute völlig kühl. Der bedeutendste unter allen diesen
Künstlern ist Antonie Wirtz, der erst 1865 starb, und der in Brüssel ein
ganzes Museum seiner Werke hinterlassen hat. Seine Originalität zwingt uns
zur Anerkennung, aber eine dauernde Wirkung konnte von diesem exzentrischen
Geiste nicht ausgehn.


Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts

glänzendsten Sterne, wie Reynolds und Turner, nur für das Auge eines Eng¬
länders. Was Schmid über die englische Kunst sagt, möchten wir allem
voranstellen. Der Maßstab war hier nicht so leicht zu gewinnen wie für die
andern Kunstprovinzen, und gegenüber der herrschenden Überschätzung muß uns
seine kritisch abwägende Darstellung besonders wertvoll sein. Man solle sich
davor hüten, sagt er, die Betonung der englischen Eigenart zu übertreiben
und zum Beispiel Hogarth wegen seines Griffs in das Alltagsleben als einen
Vorläufer des modernen Realismus anzusehen; die künstlerischen Absichten
stehn bei ihm jedenfalls in allerletzter Linie. Auch bei Reynolds fühle man
durch, daß die Simplizität nicht echt sei, wie bei Ludwig Richter, sondern ge¬
macht und künstlerisch gesucht. Gainsborongh wird mit Recht im Bildnis und
in der Landschaft gleich hochgestellt. Und im ganzen habe die englische Malerei
am Ende des achtzehnten Jahrhunderts den germanischen Geist ans der antik¬
romanischen Hochflut errettet.

Die farbenprächtige Historienmalerei der Belgier Wappers, de Kehser,
de Biefre und Gallait, die sich gleich nach der Julirevolution zu schneller
Blüte entwickelte, und die namentlich in Deutschland einen mächtigen Eindruck
machte — die Altern von uns haben ja noch Gallaits Egmontbilder als etwas
Neues erlebt und mit Ernst bewundert —, erscheint uns heute schon als eine
weit zurückliegende und wenig belangreiche Episode. Sie sollte national sein,
ein Ausdruck der durch die Revolution gewonnenen Selbständigkeit des von
Holland abgetrennten Staates, und sie war es den Gegenständen nach, indem
sie außer den jüngsten Ereignissen auch noch die längst vergangnen Dinge der
spanischen Zeit schilderte. Nur hatten sich leider damals in Wirklichkeit die
Belgier der Fremdherrschaft gefügt und sich sogar darunter sehr wohl gefühlt;
man denke nur an das Zeitalter des Rubens. Eigentlich hätten also die
Holländer, die das spanische Joch siegreich abgeschüttelt hatten, solche Bilder
malen müssen. Die belgischen Maler ließen sich durch die Ironie dieser Tat¬
sachen nicht beirren. Sie griffen auch übrigens in die Vergangenheit ihres
Landes zurück, in den Stoffen sowohl wie im Ausdruck, indem sie, beinahe
antiquarisch, bestimmten ältern Meistern nachgingen, von Memling bis Rubens.
Ihren Stil aber und ihre Farben hatte doch diese ganze Kunst, soweit sie
überhaupt etwas bedeutete, vielmehr von den Franzosen, von Delacroix und
Delaroche, und sogar noch von dem alten David, der zuletzt als Verbannter
in Brüssel gelebt hatte. So war sie denn doch nicht mehr als eine schnell ab¬
blühende Treibhauskunst, die nur noch die eine Folge hatte, daß sich in
Antwerpen unter dem weitern Einfluß der Franzosen eine tüchtige Maltechnik
erhielt, um deren willen noch jahrzehntelang zahlreiche deutsche Künstler nach
Belgien gegangen sind. Aber die einst bewunderten Hauptbilder jener Zeit in
der Berliner Nationalgalerie (sie gehören zu der Sammlung des Konsuls
Wagner) lassen uns heute völlig kühl. Der bedeutendste unter allen diesen
Künstlern ist Antonie Wirtz, der erst 1865 starb, und der in Brüssel ein
ganzes Museum seiner Werke hinterlassen hat. Seine Originalität zwingt uns
zur Anerkennung, aber eine dauernde Wirkung konnte von diesem exzentrischen
Geiste nicht ausgehn.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/40>, abgerufen am 23.07.2024.