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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts

nicht ihn, sondern Ernst Curtius aus Berlin als Festredner ein. In der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts hat die deutsche Künstlerschaft wohl nur noch
selten Anlaß gehabt, durch öffentlich abgegebne Urteile von so gewichtiger Seite
verstimmt zu werden. Das Kunstfeuilleton, das jetzt zum Bestände fast jeder
Zeitung gehört, hat es seinem Zwecke nach auf eine ernsthafte Kritik der Gegen¬
wartskunst auch dann nicht abgesehen, wenn der sich solcher Aufgabe widmende
Schriftsteller das Augenmaß und die Weite des Blicks dafür mitbringen sollte.
Auch wenn der einzelne Künstler die Ehre erfährt, in einem besondern Buche
behandelt zu werden, vom kostbaren Prachtwerke bis herab zu der reichlich
illustrierten Dreimarkmonographie, so ist dabei seine Anerkennung die Voraus¬
setzung. Er soll ja dem Publikum nahe gebracht werden. Wo daran noch
etwas fehlt, da greifen unsre Kunsterzieher ein. Sie wollen auf das Publikum
einwirken, nicht auf die Kunst, die zu kritisieren ihnen vermessen scheint.
Insofern sind sie die Gegenfüßler der Kunsthistoriker. Der uralte Satz der
Geschichtschreiber, daß die Vergangenheit die Gegenwart verstehn lehrt, der
den Historiker zum Politiker werden läßt, gilt auch für den Kunsthistoriker,
wenn er von seinem Arbeitsgebiet her den Blick auf die Kunst der Gegenwart
hinüber wendet. Er kann gar nicht anders, seine Forschung gibt ihm die
sichersten Maßstäbe in die Hand, mit denen gemessen zu werden sich die
Künstler seiner Zeit schon gefallen lassen müssen, wenn sie überhaupt etwas von
ihm hören wollen. Haben sie freilich nicht denselben Respekt vor den großen
Meistern von ehemals wie er, so ist es besser, die beiden bleiben voneinander
geschieden: denn die Kunstgeschichte hat besseres zu tun, als für jede neue
Richtung Reklame zu machen.

Max Schunds Werk setzt das vierhändige Handbuch Springers fort, es
hat dasselbe Format, und es entspricht ihm in der Art der Illustration und
der Stoffgruppierung, es ist aber auch von derselben echt historischen Auf¬
fassung der Dinge geleitet und getragen, und die Darstellung ist bei der
größern Ausführlichkeit noch lebendiger geworden, unterhaltender, noch mehr
zum Lesen geeignet. Das Ganze ist auf drei Bünde berechnet; der erste reicht
bis 185V. Die ganze Periode, deren Ursprünge noch über die große fran¬
zösische Revolution zurück zu verfolgen sind, liegt nun schon hinter uns wie
ein abgelaufner Prozeß, dessen geographische und chronologische Abschnitte in
Schmids klarem Aufbau leicht übersehen werden können. Am imponierendsten
ist das Bild der französischen Kunst, weil es am einheitlichsten ist. Als vor
vierzig Jahren Julius Meyer seine Geschichte der französischen Malerei be¬
gann, hatte ihn zu dieser Aufgabe gerade der Umstand bewogen und gereizt,
daß hier ganz allein innerhalb der neuern Zeit eine fortwährende Entwicklung
der Kunst im Zusammenhang mit dem Volkscharakter und der Geschichte des
Staats nachgewiesen werden konnte. Die Kunst drückte aus, was die Menschen
erfüllte und bewegte, und was zum Teil wenigstens gewissermaßen die Staats¬
leitung vorschrieb. Der antike Einfluß, der in Deutschland immer als ein
fremder Zusatz, eine Art Abkühlung der eignen Körperwärme empfunden
wurde, war in Frankreich niemals unterbrochen worden, hier setzte er den
verwandten Volksgeist in natürliche Flammen, wenn diese uns auch oft nur


Line Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts

nicht ihn, sondern Ernst Curtius aus Berlin als Festredner ein. In der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts hat die deutsche Künstlerschaft wohl nur noch
selten Anlaß gehabt, durch öffentlich abgegebne Urteile von so gewichtiger Seite
verstimmt zu werden. Das Kunstfeuilleton, das jetzt zum Bestände fast jeder
Zeitung gehört, hat es seinem Zwecke nach auf eine ernsthafte Kritik der Gegen¬
wartskunst auch dann nicht abgesehen, wenn der sich solcher Aufgabe widmende
Schriftsteller das Augenmaß und die Weite des Blicks dafür mitbringen sollte.
Auch wenn der einzelne Künstler die Ehre erfährt, in einem besondern Buche
behandelt zu werden, vom kostbaren Prachtwerke bis herab zu der reichlich
illustrierten Dreimarkmonographie, so ist dabei seine Anerkennung die Voraus¬
setzung. Er soll ja dem Publikum nahe gebracht werden. Wo daran noch
etwas fehlt, da greifen unsre Kunsterzieher ein. Sie wollen auf das Publikum
einwirken, nicht auf die Kunst, die zu kritisieren ihnen vermessen scheint.
Insofern sind sie die Gegenfüßler der Kunsthistoriker. Der uralte Satz der
Geschichtschreiber, daß die Vergangenheit die Gegenwart verstehn lehrt, der
den Historiker zum Politiker werden läßt, gilt auch für den Kunsthistoriker,
wenn er von seinem Arbeitsgebiet her den Blick auf die Kunst der Gegenwart
hinüber wendet. Er kann gar nicht anders, seine Forschung gibt ihm die
sichersten Maßstäbe in die Hand, mit denen gemessen zu werden sich die
Künstler seiner Zeit schon gefallen lassen müssen, wenn sie überhaupt etwas von
ihm hören wollen. Haben sie freilich nicht denselben Respekt vor den großen
Meistern von ehemals wie er, so ist es besser, die beiden bleiben voneinander
geschieden: denn die Kunstgeschichte hat besseres zu tun, als für jede neue
Richtung Reklame zu machen.

Max Schunds Werk setzt das vierhändige Handbuch Springers fort, es
hat dasselbe Format, und es entspricht ihm in der Art der Illustration und
der Stoffgruppierung, es ist aber auch von derselben echt historischen Auf¬
fassung der Dinge geleitet und getragen, und die Darstellung ist bei der
größern Ausführlichkeit noch lebendiger geworden, unterhaltender, noch mehr
zum Lesen geeignet. Das Ganze ist auf drei Bünde berechnet; der erste reicht
bis 185V. Die ganze Periode, deren Ursprünge noch über die große fran¬
zösische Revolution zurück zu verfolgen sind, liegt nun schon hinter uns wie
ein abgelaufner Prozeß, dessen geographische und chronologische Abschnitte in
Schmids klarem Aufbau leicht übersehen werden können. Am imponierendsten
ist das Bild der französischen Kunst, weil es am einheitlichsten ist. Als vor
vierzig Jahren Julius Meyer seine Geschichte der französischen Malerei be¬
gann, hatte ihn zu dieser Aufgabe gerade der Umstand bewogen und gereizt,
daß hier ganz allein innerhalb der neuern Zeit eine fortwährende Entwicklung
der Kunst im Zusammenhang mit dem Volkscharakter und der Geschichte des
Staats nachgewiesen werden konnte. Die Kunst drückte aus, was die Menschen
erfüllte und bewegte, und was zum Teil wenigstens gewissermaßen die Staats¬
leitung vorschrieb. Der antike Einfluß, der in Deutschland immer als ein
fremder Zusatz, eine Art Abkühlung der eignen Körperwärme empfunden
wurde, war in Frankreich niemals unterbrochen worden, hier setzte er den
verwandten Volksgeist in natürliche Flammen, wenn diese uns auch oft nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/38>, abgerufen am 22.12.2024.