Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Wie liest man die Bilanz einer Lebensversichcnmgsanstalt? billige Berechnungen gemacht werden können. Namentlich ist das der Fall bei Wer sich selbst ein Urteil bilden will, ob und inwiefern solche Kosten¬ Betrachten wir also einmal den Rechenschaftsbericht einer Anstalt, den sie Aber solche Erscheinungen können nur Symptome sein. Ein abschließendes Wie liest man die Bilanz einer Lebensversichcnmgsanstalt? billige Berechnungen gemacht werden können. Namentlich ist das der Fall bei Wer sich selbst ein Urteil bilden will, ob und inwiefern solche Kosten¬ Betrachten wir also einmal den Rechenschaftsbericht einer Anstalt, den sie Aber solche Erscheinungen können nur Symptome sein. Ein abschließendes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87853"/> <fw type="header" place="top"> Wie liest man die Bilanz einer Lebensversichcnmgsanstalt?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1594" prev="#ID_1593"> billige Berechnungen gemacht werden können. Namentlich ist das der Fall bei<lb/> dem „System der steigenden Dividende."</p><lb/> <p xml:id="ID_1595"> Wer sich selbst ein Urteil bilden will, ob und inwiefern solche Kosten¬<lb/> berechnungen mit der finanziellen Lage einer Anstalt übereinstimmen, und wer<lb/> die häufig vorgelegten tendenziösen Vergleiche der Gesellschaften untereinander<lb/> (bei denen natürlich die Autorin dieser Vergleiche immer am besten abschneidet)<lb/> auf ihren wahren Wert zurückführen will, der muß sich mit der Art der<lb/> Rechnungslegung der Lebensversicherungsanstalten wenigstens in großen Zügen<lb/> bekannt machen. Diese kleine Mühe verlohnt sich um so mehr, als ihm die<lb/> Kenntnis sehr beträchtliche unnütze Ausgaben ersparen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1596"> Betrachten wir also einmal den Rechenschaftsbericht einer Anstalt, den sie<lb/> über die Bewegung ihres Versichernngsbestcmdes und über den Ausfall der<lb/> Jahresrechnung und der Bilanz veröffentlicht hat. Da interessiert uns zunächst<lb/> ein Blick auf den Fortgang der Geschäfte. Hat die Anstalt eine genügende<lb/> Zahl Versicherter, oder kann durch unvorhergesehene Zufälle Schaden erwachsen?<lb/> Ist sie in einer befriedigenden Entwicklung begriffen, nimmt ihr Bestand zu<lb/> oder ab? Ist die Zahl der vorzeitig aufgelösten Versicherungen nicht übermäßig<lb/> groß? Das sind Fragen, deren Beantwortung ziemlich zuverläßlich einen wenn<lb/> anch nur vorläufigen Schluß auf die Art des Geschäftsbetriebs erlauben. Ein<lb/> gewisser Umfang ist für die Sicherheit einer Lebensversicherungsnnstalt uner¬<lb/> läßlich; denn nur durch den Ausgleich der Ereignisse ist die Versicherung mög¬<lb/> lich. Eine gesunde Entwicklung und Zunahme des Bestandes muß auch ge¬<lb/> fordert werden. Gesellschaften mit zurückgehenden Bestände sind — wenigstens<lb/> heute noch — in Deutschland selten; sie sind der Gefahr hoher Sterblichkeit<lb/> ausgesetzt und beweisen durch den mangelnden Zugang, daß sie entweder im<lb/> Konkurrenzkampfe nicht standhalten, oder daß ihre Leitung vernachlässigt wird.<lb/> Als übermäßig hohe Ziffern vorzeitiger Auflösungen sind solche anzusehen, die<lb/> über mehr als zwei bis drei Prozent des Versicherungsbestandes Hinausgehn.<lb/> Große Verfallzahlen deuten an, daß die Methode der Anwerbung nicht solide<lb/> und vorsichtig genug ist, und daß die Anstalten es nicht versteh«, die Ver¬<lb/> sicherten, die mit ihr unzufrieden sind und ihre Verbindung mit ihr unter<lb/> Verlust lösen, zum Bleiben zu veranlassen; daß mit andern Worten ein großer<lb/> Teil ihrer Versicherten seine Wahl nachträglich bereut.</p><lb/> <p xml:id="ID_1597" next="#ID_1598"> Aber solche Erscheinungen können nur Symptome sein. Ein abschließendes<lb/> Urteil über die Qualität einer Gesellschaft kann nur aus der Betrachtung ihrer<lb/> Finanzlage folgen. Hierbei muß man als hauptsächlichen Grundsatz festhalten,<lb/> daß die einzelne Zahl — sei es die absolute Höhe des Vermögens, der Ein¬<lb/> nahmen, des Überschusses usw. — nichts bedeutet. Sie gewinnt erst Bedeutung<lb/> M Zusammenhang und durch den Vergleich mit andern Zahlen. Das muß<lb/> mau namentlich gegenüber den Anpreisungen amerikanischer Lebensversichernngs-<lb/> institute immer bedenken. Die Zahlen des Versicherungsbestandes und des><lb/> Vermögens einiger Newyorker Gesellschaften sind, absolut genommen, immens<lb/> hoch; sie übertreffen die Zahlen auch der größten europäischen Anstalten und<lb/> werden deshalb mit Vorliebe von den Amerikanern als Beweise ihres „Reich¬<lb/> tums" hingestellt. In Wirklichkeit sagt natürlich die bloße Zahl des Ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0375]
Wie liest man die Bilanz einer Lebensversichcnmgsanstalt?
billige Berechnungen gemacht werden können. Namentlich ist das der Fall bei
dem „System der steigenden Dividende."
Wer sich selbst ein Urteil bilden will, ob und inwiefern solche Kosten¬
berechnungen mit der finanziellen Lage einer Anstalt übereinstimmen, und wer
die häufig vorgelegten tendenziösen Vergleiche der Gesellschaften untereinander
(bei denen natürlich die Autorin dieser Vergleiche immer am besten abschneidet)
auf ihren wahren Wert zurückführen will, der muß sich mit der Art der
Rechnungslegung der Lebensversicherungsanstalten wenigstens in großen Zügen
bekannt machen. Diese kleine Mühe verlohnt sich um so mehr, als ihm die
Kenntnis sehr beträchtliche unnütze Ausgaben ersparen kann.
Betrachten wir also einmal den Rechenschaftsbericht einer Anstalt, den sie
über die Bewegung ihres Versichernngsbestcmdes und über den Ausfall der
Jahresrechnung und der Bilanz veröffentlicht hat. Da interessiert uns zunächst
ein Blick auf den Fortgang der Geschäfte. Hat die Anstalt eine genügende
Zahl Versicherter, oder kann durch unvorhergesehene Zufälle Schaden erwachsen?
Ist sie in einer befriedigenden Entwicklung begriffen, nimmt ihr Bestand zu
oder ab? Ist die Zahl der vorzeitig aufgelösten Versicherungen nicht übermäßig
groß? Das sind Fragen, deren Beantwortung ziemlich zuverläßlich einen wenn
anch nur vorläufigen Schluß auf die Art des Geschäftsbetriebs erlauben. Ein
gewisser Umfang ist für die Sicherheit einer Lebensversicherungsnnstalt uner¬
läßlich; denn nur durch den Ausgleich der Ereignisse ist die Versicherung mög¬
lich. Eine gesunde Entwicklung und Zunahme des Bestandes muß auch ge¬
fordert werden. Gesellschaften mit zurückgehenden Bestände sind — wenigstens
heute noch — in Deutschland selten; sie sind der Gefahr hoher Sterblichkeit
ausgesetzt und beweisen durch den mangelnden Zugang, daß sie entweder im
Konkurrenzkampfe nicht standhalten, oder daß ihre Leitung vernachlässigt wird.
Als übermäßig hohe Ziffern vorzeitiger Auflösungen sind solche anzusehen, die
über mehr als zwei bis drei Prozent des Versicherungsbestandes Hinausgehn.
Große Verfallzahlen deuten an, daß die Methode der Anwerbung nicht solide
und vorsichtig genug ist, und daß die Anstalten es nicht versteh«, die Ver¬
sicherten, die mit ihr unzufrieden sind und ihre Verbindung mit ihr unter
Verlust lösen, zum Bleiben zu veranlassen; daß mit andern Worten ein großer
Teil ihrer Versicherten seine Wahl nachträglich bereut.
Aber solche Erscheinungen können nur Symptome sein. Ein abschließendes
Urteil über die Qualität einer Gesellschaft kann nur aus der Betrachtung ihrer
Finanzlage folgen. Hierbei muß man als hauptsächlichen Grundsatz festhalten,
daß die einzelne Zahl — sei es die absolute Höhe des Vermögens, der Ein¬
nahmen, des Überschusses usw. — nichts bedeutet. Sie gewinnt erst Bedeutung
M Zusammenhang und durch den Vergleich mit andern Zahlen. Das muß
mau namentlich gegenüber den Anpreisungen amerikanischer Lebensversichernngs-
institute immer bedenken. Die Zahlen des Versicherungsbestandes und des>
Vermögens einiger Newyorker Gesellschaften sind, absolut genommen, immens
hoch; sie übertreffen die Zahlen auch der größten europäischen Anstalten und
werden deshalb mit Vorliebe von den Amerikanern als Beweise ihres „Reich¬
tums" hingestellt. In Wirklichkeit sagt natürlich die bloße Zahl des Ver-
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