Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches die Verwaltung der öffentlichen Schuld ein weiteres Viertel und darüber verbraucht. Aber allmählich haben sich die Verhältnisse in Europa stark verschoben. Das Maßgebliches und Unmaßgebliches die Verwaltung der öffentlichen Schuld ein weiteres Viertel und darüber verbraucht. Aber allmählich haben sich die Verhältnisse in Europa stark verschoben. Das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87841"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1566" prev="#ID_1565"> die Verwaltung der öffentlichen Schuld ein weiteres Viertel und darüber verbraucht.<lb/> Für den Kriegsfall sind neun Infanteriedivisionen und eine Kavalleriedivision,<lb/> 190000 Mann mit 1080 Geschützen vorgesehen. Bei einer Bevölkerung, die<lb/> der von Mecklenburg-Schwerin gleichkommt, unterhält Bulgarien eine Friedens¬<lb/> stärke, die der des Königreichs Sachsen entspricht, an Offizieren fast das Doppelte.<lb/> In dieser einen Tatsache liegen die Ziele der bulgarischen Politik ausgesprochen.<lb/> Im Jahre 1892 hat bekanntlich Fürst Ferdinand den Fürsten Bismarck in München<lb/> aufgesucht und seinen Rat wegen seiner schwierigen politischen Lage erbeten. Der<lb/> alte Kanzler hat ihm unter anderm gesagt: soxs? xss allumotto! Legen Sie<lb/> kein Feuer an! Lange Zeit schien es, als handle Fürst Ferdinand diesem weisen<lb/> Rate direkt zuwider, aber in der schwierigen Lage, in der Bulgarien war, ein¬<lb/> geklemmt zwischen der Türkei, Rußland, Österreich, Serbien und Rumänien, bei<lb/> den stark pulsierenden Strömungen innerhalb des eignen Volkes sowie der unruhe¬<lb/> vollen Bewegung aller andern Nationalitäten ans dem Balkan, hat Fürst Ferdinand<lb/> seine Stellung schließlich zu behaupten verstanden und sich in den Augen der<lb/> europäischen Diplomatie als ein Mann bewiesen, ans den man sich verlassen kann,<lb/> weil er eine besonnene Politik verfolgt. Bekanntlich hat CriSpi seinerzeit Österreich<lb/> gegenüber die volle Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Balkanvölker ver¬<lb/> langt. Nicht den Türke» und nicht den Russen, auch uicht de» Österreichern<lb/> sollte der Balkan gehören, sondern den Balkanvölkern — eine Auffassung, der<lb/> sich auch Deutschland angeschlossen hat, wenn auch mit dem stillen Zusatz, daß<lb/> es ihre Sache sei, sich zu behaupten. Deutschland würde sicherlich dem Vor¬<lb/> dringen irgend einer andern Macht auf dem Balkan keine Schwierigkeiten in den<lb/> Weg gelegt haben. Das Wort „von den Knochen des pommerschen Musketiers"<lb/> ist unvergessen geblieben. Bismarck hatte die Ansicht, daß befreite Völker nicht<lb/> dankbar, sondern anspruchsvoll seien, er hätte Deutschland um wenigsten eine solche<lb/> Befreierrolle auferlegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1567" next="#ID_1568"> Aber allmählich haben sich die Verhältnisse in Europa stark verschoben. Das<lb/> heutige Bulgarien ist weder das von 1885 noch das von 1892. So wenig ge¬<lb/> winnend die Persönlichkeit Ferdinands auch sein mag — in der Politik hat er sich<lb/> durchgesetzt. Seit der vorjährigen Begegnung des Kaisers mit ihm in Koburg<lb/> Fürst Ferdinand hatte sich die Gelegenheit zu einer solchen nicht entgehn lassen —<lb/> weht auch in Deutschland ein freundlicherer Wind für ihn. Der Reichskanzler, ein<lb/> genauer Kenner der Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel, hat diese günstigere Be¬<lb/> urteilung vielleicht schon mit ins Amt gebracht und ihr langsam vorgearbeitet.<lb/> So trifft Fürst Ferdinand für seine Wünsche in Berlin keinen ganz unfruchtbaren<lb/> Boden mehr an, sofern sie nicht kriegerischer Natur sind. Deutschland wird dem<lb/> Sultan gegenüber immer loyal bleiben. Aber daneben hat es doch auch in den<lb/> Balkanstaaten Interessen, die es, auch wenn sie nur wirtschaftlicher Natur, aber<lb/> gerade eben das sind, nicht gut zugunsten andrer preisgeben kann. Von bulga¬<lb/> rischer Seite ist uns das in jüngster Zeit etwas zu deutlich zu Gemüte geführt<lb/> worden. Zum Beispiel stellten Briefe in der Berliner Täglichen Rundschau Bul¬<lb/> garien dabei zu sehr als den gebenden Teil hin. Das war überflüssig. Will<lb/> Bulgarien in Deutschland etwas erreichen, was doch nur darin bestehn kann, daß<lb/> man es als einen Bürgen friedlicher und loyaler Politik gut behandelt, fo darf es<lb/> nicht als Gernegroß auftreten. Dafür hat man in Deutschland kein Verständnis,<lb/> und dergleichen wirkt abstoßend. Die deutsche Diplomatie wird ja weniger davon<lb/> berührt als die öffentliche Meinung. Selbstverständlich denkt in Berlin Wohl<lb/> niemand daran, dem Fürsten solche Geschmacklosigkeiten zuzumuten, aber vielleicht<lb/> erinnert er bei der Verabschiedung in Sofia daran, daß blinder Eifer sowohl im<lb/> deutschen wie im französischen Sprichwort getadelt wird. Kehrt Fürst Ferdinand<lb/> durch eine gute Aufnahme geehrt in sein Land zurück, so mögen die Bulgaren auf<lb/> Grund eines angemessenen Handelsvertrags ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu<lb/> Deutschland pflegen. Je umfangreicher diese werden, um so nützlicher werden sie<lb/> sich auch in der Politik erweisen. Demgegenüber fällt es auf, daß Bulgarien seine</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0363]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
die Verwaltung der öffentlichen Schuld ein weiteres Viertel und darüber verbraucht.
Für den Kriegsfall sind neun Infanteriedivisionen und eine Kavalleriedivision,
190000 Mann mit 1080 Geschützen vorgesehen. Bei einer Bevölkerung, die
der von Mecklenburg-Schwerin gleichkommt, unterhält Bulgarien eine Friedens¬
stärke, die der des Königreichs Sachsen entspricht, an Offizieren fast das Doppelte.
In dieser einen Tatsache liegen die Ziele der bulgarischen Politik ausgesprochen.
Im Jahre 1892 hat bekanntlich Fürst Ferdinand den Fürsten Bismarck in München
aufgesucht und seinen Rat wegen seiner schwierigen politischen Lage erbeten. Der
alte Kanzler hat ihm unter anderm gesagt: soxs? xss allumotto! Legen Sie
kein Feuer an! Lange Zeit schien es, als handle Fürst Ferdinand diesem weisen
Rate direkt zuwider, aber in der schwierigen Lage, in der Bulgarien war, ein¬
geklemmt zwischen der Türkei, Rußland, Österreich, Serbien und Rumänien, bei
den stark pulsierenden Strömungen innerhalb des eignen Volkes sowie der unruhe¬
vollen Bewegung aller andern Nationalitäten ans dem Balkan, hat Fürst Ferdinand
seine Stellung schließlich zu behaupten verstanden und sich in den Augen der
europäischen Diplomatie als ein Mann bewiesen, ans den man sich verlassen kann,
weil er eine besonnene Politik verfolgt. Bekanntlich hat CriSpi seinerzeit Österreich
gegenüber die volle Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Balkanvölker ver¬
langt. Nicht den Türke» und nicht den Russen, auch uicht de» Österreichern
sollte der Balkan gehören, sondern den Balkanvölkern — eine Auffassung, der
sich auch Deutschland angeschlossen hat, wenn auch mit dem stillen Zusatz, daß
es ihre Sache sei, sich zu behaupten. Deutschland würde sicherlich dem Vor¬
dringen irgend einer andern Macht auf dem Balkan keine Schwierigkeiten in den
Weg gelegt haben. Das Wort „von den Knochen des pommerschen Musketiers"
ist unvergessen geblieben. Bismarck hatte die Ansicht, daß befreite Völker nicht
dankbar, sondern anspruchsvoll seien, er hätte Deutschland um wenigsten eine solche
Befreierrolle auferlegt.
Aber allmählich haben sich die Verhältnisse in Europa stark verschoben. Das
heutige Bulgarien ist weder das von 1885 noch das von 1892. So wenig ge¬
winnend die Persönlichkeit Ferdinands auch sein mag — in der Politik hat er sich
durchgesetzt. Seit der vorjährigen Begegnung des Kaisers mit ihm in Koburg
Fürst Ferdinand hatte sich die Gelegenheit zu einer solchen nicht entgehn lassen —
weht auch in Deutschland ein freundlicherer Wind für ihn. Der Reichskanzler, ein
genauer Kenner der Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel, hat diese günstigere Be¬
urteilung vielleicht schon mit ins Amt gebracht und ihr langsam vorgearbeitet.
So trifft Fürst Ferdinand für seine Wünsche in Berlin keinen ganz unfruchtbaren
Boden mehr an, sofern sie nicht kriegerischer Natur sind. Deutschland wird dem
Sultan gegenüber immer loyal bleiben. Aber daneben hat es doch auch in den
Balkanstaaten Interessen, die es, auch wenn sie nur wirtschaftlicher Natur, aber
gerade eben das sind, nicht gut zugunsten andrer preisgeben kann. Von bulga¬
rischer Seite ist uns das in jüngster Zeit etwas zu deutlich zu Gemüte geführt
worden. Zum Beispiel stellten Briefe in der Berliner Täglichen Rundschau Bul¬
garien dabei zu sehr als den gebenden Teil hin. Das war überflüssig. Will
Bulgarien in Deutschland etwas erreichen, was doch nur darin bestehn kann, daß
man es als einen Bürgen friedlicher und loyaler Politik gut behandelt, fo darf es
nicht als Gernegroß auftreten. Dafür hat man in Deutschland kein Verständnis,
und dergleichen wirkt abstoßend. Die deutsche Diplomatie wird ja weniger davon
berührt als die öffentliche Meinung. Selbstverständlich denkt in Berlin Wohl
niemand daran, dem Fürsten solche Geschmacklosigkeiten zuzumuten, aber vielleicht
erinnert er bei der Verabschiedung in Sofia daran, daß blinder Eifer sowohl im
deutschen wie im französischen Sprichwort getadelt wird. Kehrt Fürst Ferdinand
durch eine gute Aufnahme geehrt in sein Land zurück, so mögen die Bulgaren auf
Grund eines angemessenen Handelsvertrags ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu
Deutschland pflegen. Je umfangreicher diese werden, um so nützlicher werden sie
sich auch in der Politik erweisen. Demgegenüber fällt es auf, daß Bulgarien seine
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |