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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

nach dem Stil und der Vollendung, mich fesselte so das Gefühl, das den heiligen
Gestalten Leben und Sprache verlieh in einer Zeit, wo sie sogar in den Seelen
vieler Frommer nur ein Scheinleben führen, daß ich sie für ein Billiges kaufte.
Und auch das wagte der junge Schildermaler kaum zu fordern. Es stellte sich
heraus, daß er auch schon in Holz gebildhauert hatte. Mein Vorgänger, der alte
Pfarrer, übertrug ihm auf mein Bitten die Wiederherstellung der vermoderten
Kreuzwegbilder, die am Wege zu der Kapelle Trinitö stehn. Und als diese Arbeit
zu aller, auch der Bauern Zufriedenheit gelang, ließ sich Joseph hier nieder und
warf sich auf die Holzschnitzerei. Werkzeug und das Holz der Arven und Ahorne
ließ er sich zuerst aus seiner Heimat kommen, später kaufte ich ihm das nötige
Holz bei uns im Lande, wir fanden vortreffliche Lärchen und Ahorne hier. Die
Künstlerseele lag in seinen ersten Versuchen zwar nicht so, wie Sie sie in den
Werken bewunderten, die Sie in meinem Atelier gesehen haben, aber doch schon so
sprechend, daß meine Amtsbruder seine Werke erwarben, wie sie nur zu haben
waren. Joseph ist kein Geldmacher; daß er seine Sachen zu so billigem Preise
abließ, hat ihm noch mehr Abnehmer verschafft. Das war vor drei Jahren.
Seitdem ist er als Künstler immer freier und feiner geworden, als Mensch aber
blieb er derselbe. Er will nicht mehr sein als ein Bauer, der statt des Pflugs
das Schnitzmesser führt. Sie sehen ja, wie einfach er ist. Er hat eine Tochter
ans dem Tale geheiratet und hat keine Lust, weiterzuziehn. Als es letzten Sommer
beim Ausbruch des Kriegslärms hieß: Fort mit den Deutschen, hat sich gegen ihn
keine Stimme erhoben, und trotzdem daß er sich nicht dazu herbeilassen wollte, sich
naturalisieren zu lassen, beschloß die Gemeinde, ihn auf ihre Verantwortung unge¬
stört hier zu lassen. Wir sind ja zum Glück weit von Vesoul und von Behar?on,
wo die Schreier sitzen, niemand hat ihn verdächtigt, niemand ihn belästigt, und er
spricht kein Wort vom Kriege.

Nur eins habe ich für ihn befürchtet: daß das vergiftende Wort Spionage
mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden möchte. Wie leicht könnte das
geschehen! Er hat die Furchtlosigkeit des Arglosen. Ich habe ihn gewarnt, mit
versprengten Deutschen oder Schweizern, die es unter den Schmugglern gibt, zu
sprechen. Aber die Leute kennen ihn. Man sieht da in seltsame Verhältnisse.
Neulich hat ihn ein Deutscher besucht, der in Düte bei einem großen Metzger dient
und auf seinen Viehkäufen landauf landab wandert. Denken Sie, dieser Mann ist
noch während des Kriegs zu dem Meister zurückgekehrt, bei dem er vorher tu
Diensten gestanden hatte. Eine rührende Anhänglichkeit, nicht wahr?

Zum Glück wartete der Geistliche meine Antwort nicht ab. Hätte er nicht so
lebhaft von den Arbeiten des Bildschnitzers gesprochen, so würde er irgend etwas
von Überraschung, vielleicht ein Erschrecken auf meinem Gesicht gelesen haben. Im
vierzehnten Armeekorps erzählte man sich Wunderdinge von einem Soldaten eines
badischen Regiments, der in der Verkleidung eines viehkaufenden Metzgers halb
Frankreich während des Kriegs durchstreifte und aller paar Tage mit Nachrichten
ins Hauptquartier kam, unter denen angeblich die so wichtige erste über den
Transport der Bourbalischen Armeekorps nach Osten war. Mehr als einmal
beargwöhnt und verhaftet, hatte er sich immer wieder freizumachen gewußt; er
sollte auch bei Belfort wieder Dienste geleistet haben. Ich hatte den kühnen Kund¬
schafter in der blauen Bluse mit dem großen Hund zur Seite mehr als einmal
gesehen, würde ihn sicherlich wiedererkannt haben. Ohne mir Rechenschaft geben
zu können warum, berührte mich der Gedanke peinlich, daß er in diesem stillen
Dörfchen auftauchen könnte. War das schon ein Schatten, den der von viele"
nahegeglaubte Friede vorauswarf?

Ich kannte meinen holzschnitzenden Landsmann nicht, aber es regte sich ein
Gefühl für ihn in meinem Innern, dessen Keim Wohl die Befürchtung war, daß es
für den fremden Mann nicht heilsam sein könne, sein Geschick zu eng mit deu un¬
klare" Plänen des Geistlichen zu verknüpfen. Sind Phantasten jemals zuverlässig?


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

nach dem Stil und der Vollendung, mich fesselte so das Gefühl, das den heiligen
Gestalten Leben und Sprache verlieh in einer Zeit, wo sie sogar in den Seelen
vieler Frommer nur ein Scheinleben führen, daß ich sie für ein Billiges kaufte.
Und auch das wagte der junge Schildermaler kaum zu fordern. Es stellte sich
heraus, daß er auch schon in Holz gebildhauert hatte. Mein Vorgänger, der alte
Pfarrer, übertrug ihm auf mein Bitten die Wiederherstellung der vermoderten
Kreuzwegbilder, die am Wege zu der Kapelle Trinitö stehn. Und als diese Arbeit
zu aller, auch der Bauern Zufriedenheit gelang, ließ sich Joseph hier nieder und
warf sich auf die Holzschnitzerei. Werkzeug und das Holz der Arven und Ahorne
ließ er sich zuerst aus seiner Heimat kommen, später kaufte ich ihm das nötige
Holz bei uns im Lande, wir fanden vortreffliche Lärchen und Ahorne hier. Die
Künstlerseele lag in seinen ersten Versuchen zwar nicht so, wie Sie sie in den
Werken bewunderten, die Sie in meinem Atelier gesehen haben, aber doch schon so
sprechend, daß meine Amtsbruder seine Werke erwarben, wie sie nur zu haben
waren. Joseph ist kein Geldmacher; daß er seine Sachen zu so billigem Preise
abließ, hat ihm noch mehr Abnehmer verschafft. Das war vor drei Jahren.
Seitdem ist er als Künstler immer freier und feiner geworden, als Mensch aber
blieb er derselbe. Er will nicht mehr sein als ein Bauer, der statt des Pflugs
das Schnitzmesser führt. Sie sehen ja, wie einfach er ist. Er hat eine Tochter
ans dem Tale geheiratet und hat keine Lust, weiterzuziehn. Als es letzten Sommer
beim Ausbruch des Kriegslärms hieß: Fort mit den Deutschen, hat sich gegen ihn
keine Stimme erhoben, und trotzdem daß er sich nicht dazu herbeilassen wollte, sich
naturalisieren zu lassen, beschloß die Gemeinde, ihn auf ihre Verantwortung unge¬
stört hier zu lassen. Wir sind ja zum Glück weit von Vesoul und von Behar?on,
wo die Schreier sitzen, niemand hat ihn verdächtigt, niemand ihn belästigt, und er
spricht kein Wort vom Kriege.

Nur eins habe ich für ihn befürchtet: daß das vergiftende Wort Spionage
mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden möchte. Wie leicht könnte das
geschehen! Er hat die Furchtlosigkeit des Arglosen. Ich habe ihn gewarnt, mit
versprengten Deutschen oder Schweizern, die es unter den Schmugglern gibt, zu
sprechen. Aber die Leute kennen ihn. Man sieht da in seltsame Verhältnisse.
Neulich hat ihn ein Deutscher besucht, der in Düte bei einem großen Metzger dient
und auf seinen Viehkäufen landauf landab wandert. Denken Sie, dieser Mann ist
noch während des Kriegs zu dem Meister zurückgekehrt, bei dem er vorher tu
Diensten gestanden hatte. Eine rührende Anhänglichkeit, nicht wahr?

Zum Glück wartete der Geistliche meine Antwort nicht ab. Hätte er nicht so
lebhaft von den Arbeiten des Bildschnitzers gesprochen, so würde er irgend etwas
von Überraschung, vielleicht ein Erschrecken auf meinem Gesicht gelesen haben. Im
vierzehnten Armeekorps erzählte man sich Wunderdinge von einem Soldaten eines
badischen Regiments, der in der Verkleidung eines viehkaufenden Metzgers halb
Frankreich während des Kriegs durchstreifte und aller paar Tage mit Nachrichten
ins Hauptquartier kam, unter denen angeblich die so wichtige erste über den
Transport der Bourbalischen Armeekorps nach Osten war. Mehr als einmal
beargwöhnt und verhaftet, hatte er sich immer wieder freizumachen gewußt; er
sollte auch bei Belfort wieder Dienste geleistet haben. Ich hatte den kühnen Kund¬
schafter in der blauen Bluse mit dem großen Hund zur Seite mehr als einmal
gesehen, würde ihn sicherlich wiedererkannt haben. Ohne mir Rechenschaft geben
zu können warum, berührte mich der Gedanke peinlich, daß er in diesem stillen
Dörfchen auftauchen könnte. War das schon ein Schatten, den der von viele»
nahegeglaubte Friede vorauswarf?

Ich kannte meinen holzschnitzenden Landsmann nicht, aber es regte sich ein
Gefühl für ihn in meinem Innern, dessen Keim Wohl die Befürchtung war, daß es
für den fremden Mann nicht heilsam sein könne, sein Geschick zu eng mit deu un¬
klare» Plänen des Geistlichen zu verknüpfen. Sind Phantasten jemals zuverlässig?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/348>, abgerufen am 22.12.2024.