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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

Tonsur ließen sie erkennen -- nicht kleiner machten, weil die Größe mehr im
Gesicht als im Schädel lag. Von der Stirn, die in derselben Linie mit dem
Vorderkopf zurückflog, wanderte jedes Runzeln bis auf den hohen Scheitel, von
dem man es den steilen Hinterkopf hinabsinken zu sehen meinte bis zu dem starken
Halsansatz. Mund und Hand wetteiferten an Weichheit und Wärme, und wie die
Handbewegungen, die die Rede begleitete", rund waren, rollten die Worte rundlich
und voll von den Lippen. Wie eitel, mußte ich denken, sind alle diese schönen
Pläne, wie luftig ist die Größe dieser Ideen! Fürchtet nichts für eure Ruhe,
Franzosen, von diesem Reformer, und hofft noch weniger; das ist kein Mann des
Willens und der Tat, keine befehlende Natur, nur eine grübelnde, sich bespiegelnde
und wohl auch eine genießende.

Es dauerte uicht lange, daß die Rede auf ein Lieblingsthema der Franzosen,
die Spionage, kam. Es lag ja hier im Grenzlande noch näher als anderswo.

Der Erfolg des Krieges zeigt, daß Ihre Führer ausgezeichnet unterrichtet
waren. Sie wissen besser Bescheid in Frankreich als die französischen Generale.
Das macht man nicht bloß mit Karten und Büchern. Sie müssen ausgezeichnete
Kundschafter haben. Das weiß man ja, sie sind überall. Und Sie wissen das
sicherlich besser als ich?

Ich habe einen einzigen Kundschafter gesehen, das war ein Reiter in fran¬
zösischem Jagdkostüm, der auf blutiggesporntem Renner nach Bar le Duc am
26. August die erste Nachricht von dem Abmarsch Mac Masons nach Sedan
brachte, nachdem er mitten durch ihre Kolonnen durchgeritten war. Es war ein
preußischer Offizier, der wer weiß wie die wichtige Nachricht erhalten hatte. Sie
werden ihn doch wohl nicht Spion nennen?

Zur Hälfte Wohl. Die Maskerade fehlt ja nicht. Doch habe ich allerdings
"ndre Leute im Sinn. Nennen wir sie einmal Zurückgekehrte. Wir haben überall
un Jura vor dem Kriege Deutsche und Schweizer gehabt, Uhrmacher und andre,
katholische Deutsche aus dem Schwarzwald und protestantische Schweizer aus
der Gegend von La Chaux de Fonds. Die Deutschen, die uns lieber waren, weil
wir sie wegen ihrer Religion und ihres Charakters besser verstanden, sind alle, fast
alle gegangen. Es war keines Bleibens, auch nicht für die Ruhigsten; auch konnten
und wollten sie nicht bleiben. Nun will man da und dort einen wieder gesehen
haben. Man verwechselt wohl Schmuggler oder Wilddiebe damit, an denen es im
Tnra nie gefehlt hat. Grenzland und Waldlnnd, gefährliches Land!

Eine einzige Familie ist hier geblieben, fuhr er nach einer Pause fort. Wer
^eiß, ob auch diese es vermocht hätte, wenn ich nicht dazu beigetragen hätte, aus
diesem Tal einen Winkel zu machen, der in den Kriegsstürmen unbewegt, still wie
^n Bergsee des Jura blieb. Und ich habe sie sozusagen unter meinen Schutz ge¬
nommen. Er sprach leiser, als lasse er Erinnerungen vor seiner Seele vorbeiziehn.
schien zuerst eine schwere Verantwortung zu sein, die mich nicht wenig drückte.
Zum Glück ist alles gut vorbeigegangen. Er wandte sich mir wieder zu. Unsre
^ente, soweit sie Feineres arbeiten, sind durch die Mechanik für die Kunst ver¬
dorben. Wer die Woche lang Rädchen gefeilt oder Kettchen zusammengefügt hat,
hat nicht mehr die Innigkeit, die die Kunst der Kirche braucht. Wer weiß, vielleicht
^ es auch Sache des Charakters. Die germanische Seele ist vielleicht inniger an¬
gelegt oder hat eine dauerhaftere Fähigkeit, sich zu versenken. Doch genug. Der
-"carte kam aus seiner kleinen Malschule im Schwarzwalde hierher im Glauben,
mau brauche hier ebensolche Schildermaler wie dort. Aber unsre Uhrenfabrikanten
Und darauf gar nicht aus, so wenig wie sie auf Kuckucksuhren oder andre Spielereien
'erfallen, an denen die Schweizer und die Deutschen ihre Freude haben. Der
französische Bauer liebt ein hellglänzendes Uhrblatt ans geschlagnem Messingblech.
^°>eph brachte nun einige Uhrschilder, die er gemalt hatte, einem Fabrikanten in
^- Hippolyte, bei dem sah ich sie. Es waren Darstellungen aus der Heiligen Ge-
Ichlchte, konventionell, aber mit gläubigem Herzen gemacht. Ich fragte gar nicht


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

Tonsur ließen sie erkennen — nicht kleiner machten, weil die Größe mehr im
Gesicht als im Schädel lag. Von der Stirn, die in derselben Linie mit dem
Vorderkopf zurückflog, wanderte jedes Runzeln bis auf den hohen Scheitel, von
dem man es den steilen Hinterkopf hinabsinken zu sehen meinte bis zu dem starken
Halsansatz. Mund und Hand wetteiferten an Weichheit und Wärme, und wie die
Handbewegungen, die die Rede begleitete», rund waren, rollten die Worte rundlich
und voll von den Lippen. Wie eitel, mußte ich denken, sind alle diese schönen
Pläne, wie luftig ist die Größe dieser Ideen! Fürchtet nichts für eure Ruhe,
Franzosen, von diesem Reformer, und hofft noch weniger; das ist kein Mann des
Willens und der Tat, keine befehlende Natur, nur eine grübelnde, sich bespiegelnde
und wohl auch eine genießende.

Es dauerte uicht lange, daß die Rede auf ein Lieblingsthema der Franzosen,
die Spionage, kam. Es lag ja hier im Grenzlande noch näher als anderswo.

Der Erfolg des Krieges zeigt, daß Ihre Führer ausgezeichnet unterrichtet
waren. Sie wissen besser Bescheid in Frankreich als die französischen Generale.
Das macht man nicht bloß mit Karten und Büchern. Sie müssen ausgezeichnete
Kundschafter haben. Das weiß man ja, sie sind überall. Und Sie wissen das
sicherlich besser als ich?

Ich habe einen einzigen Kundschafter gesehen, das war ein Reiter in fran¬
zösischem Jagdkostüm, der auf blutiggesporntem Renner nach Bar le Duc am
26. August die erste Nachricht von dem Abmarsch Mac Masons nach Sedan
brachte, nachdem er mitten durch ihre Kolonnen durchgeritten war. Es war ein
preußischer Offizier, der wer weiß wie die wichtige Nachricht erhalten hatte. Sie
werden ihn doch wohl nicht Spion nennen?

Zur Hälfte Wohl. Die Maskerade fehlt ja nicht. Doch habe ich allerdings
"ndre Leute im Sinn. Nennen wir sie einmal Zurückgekehrte. Wir haben überall
un Jura vor dem Kriege Deutsche und Schweizer gehabt, Uhrmacher und andre,
katholische Deutsche aus dem Schwarzwald und protestantische Schweizer aus
der Gegend von La Chaux de Fonds. Die Deutschen, die uns lieber waren, weil
wir sie wegen ihrer Religion und ihres Charakters besser verstanden, sind alle, fast
alle gegangen. Es war keines Bleibens, auch nicht für die Ruhigsten; auch konnten
und wollten sie nicht bleiben. Nun will man da und dort einen wieder gesehen
haben. Man verwechselt wohl Schmuggler oder Wilddiebe damit, an denen es im
Tnra nie gefehlt hat. Grenzland und Waldlnnd, gefährliches Land!

Eine einzige Familie ist hier geblieben, fuhr er nach einer Pause fort. Wer
^eiß, ob auch diese es vermocht hätte, wenn ich nicht dazu beigetragen hätte, aus
diesem Tal einen Winkel zu machen, der in den Kriegsstürmen unbewegt, still wie
^n Bergsee des Jura blieb. Und ich habe sie sozusagen unter meinen Schutz ge¬
nommen. Er sprach leiser, als lasse er Erinnerungen vor seiner Seele vorbeiziehn.
schien zuerst eine schwere Verantwortung zu sein, die mich nicht wenig drückte.
Zum Glück ist alles gut vorbeigegangen. Er wandte sich mir wieder zu. Unsre
^ente, soweit sie Feineres arbeiten, sind durch die Mechanik für die Kunst ver¬
dorben. Wer die Woche lang Rädchen gefeilt oder Kettchen zusammengefügt hat,
hat nicht mehr die Innigkeit, die die Kunst der Kirche braucht. Wer weiß, vielleicht
^ es auch Sache des Charakters. Die germanische Seele ist vielleicht inniger an¬
gelegt oder hat eine dauerhaftere Fähigkeit, sich zu versenken. Doch genug. Der
-"carte kam aus seiner kleinen Malschule im Schwarzwalde hierher im Glauben,
mau brauche hier ebensolche Schildermaler wie dort. Aber unsre Uhrenfabrikanten
Und darauf gar nicht aus, so wenig wie sie auf Kuckucksuhren oder andre Spielereien
'erfallen, an denen die Schweizer und die Deutschen ihre Freude haben. Der
französische Bauer liebt ein hellglänzendes Uhrblatt ans geschlagnem Messingblech.
^°>eph brachte nun einige Uhrschilder, die er gemalt hatte, einem Fabrikanten in
^- Hippolyte, bei dem sah ich sie. Es waren Darstellungen aus der Heiligen Ge-
Ichlchte, konventionell, aber mit gläubigem Herzen gemacht. Ich fragte gar nicht


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[0347] Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege Tonsur ließen sie erkennen — nicht kleiner machten, weil die Größe mehr im Gesicht als im Schädel lag. Von der Stirn, die in derselben Linie mit dem Vorderkopf zurückflog, wanderte jedes Runzeln bis auf den hohen Scheitel, von dem man es den steilen Hinterkopf hinabsinken zu sehen meinte bis zu dem starken Halsansatz. Mund und Hand wetteiferten an Weichheit und Wärme, und wie die Handbewegungen, die die Rede begleitete», rund waren, rollten die Worte rundlich und voll von den Lippen. Wie eitel, mußte ich denken, sind alle diese schönen Pläne, wie luftig ist die Größe dieser Ideen! Fürchtet nichts für eure Ruhe, Franzosen, von diesem Reformer, und hofft noch weniger; das ist kein Mann des Willens und der Tat, keine befehlende Natur, nur eine grübelnde, sich bespiegelnde und wohl auch eine genießende. Es dauerte uicht lange, daß die Rede auf ein Lieblingsthema der Franzosen, die Spionage, kam. Es lag ja hier im Grenzlande noch näher als anderswo. Der Erfolg des Krieges zeigt, daß Ihre Führer ausgezeichnet unterrichtet waren. Sie wissen besser Bescheid in Frankreich als die französischen Generale. Das macht man nicht bloß mit Karten und Büchern. Sie müssen ausgezeichnete Kundschafter haben. Das weiß man ja, sie sind überall. Und Sie wissen das sicherlich besser als ich? Ich habe einen einzigen Kundschafter gesehen, das war ein Reiter in fran¬ zösischem Jagdkostüm, der auf blutiggesporntem Renner nach Bar le Duc am 26. August die erste Nachricht von dem Abmarsch Mac Masons nach Sedan brachte, nachdem er mitten durch ihre Kolonnen durchgeritten war. Es war ein preußischer Offizier, der wer weiß wie die wichtige Nachricht erhalten hatte. Sie werden ihn doch wohl nicht Spion nennen? Zur Hälfte Wohl. Die Maskerade fehlt ja nicht. Doch habe ich allerdings "ndre Leute im Sinn. Nennen wir sie einmal Zurückgekehrte. Wir haben überall un Jura vor dem Kriege Deutsche und Schweizer gehabt, Uhrmacher und andre, katholische Deutsche aus dem Schwarzwald und protestantische Schweizer aus der Gegend von La Chaux de Fonds. Die Deutschen, die uns lieber waren, weil wir sie wegen ihrer Religion und ihres Charakters besser verstanden, sind alle, fast alle gegangen. Es war keines Bleibens, auch nicht für die Ruhigsten; auch konnten und wollten sie nicht bleiben. Nun will man da und dort einen wieder gesehen haben. Man verwechselt wohl Schmuggler oder Wilddiebe damit, an denen es im Tnra nie gefehlt hat. Grenzland und Waldlnnd, gefährliches Land! Eine einzige Familie ist hier geblieben, fuhr er nach einer Pause fort. Wer ^eiß, ob auch diese es vermocht hätte, wenn ich nicht dazu beigetragen hätte, aus diesem Tal einen Winkel zu machen, der in den Kriegsstürmen unbewegt, still wie ^n Bergsee des Jura blieb. Und ich habe sie sozusagen unter meinen Schutz ge¬ nommen. Er sprach leiser, als lasse er Erinnerungen vor seiner Seele vorbeiziehn. schien zuerst eine schwere Verantwortung zu sein, die mich nicht wenig drückte. Zum Glück ist alles gut vorbeigegangen. Er wandte sich mir wieder zu. Unsre ^ente, soweit sie Feineres arbeiten, sind durch die Mechanik für die Kunst ver¬ dorben. Wer die Woche lang Rädchen gefeilt oder Kettchen zusammengefügt hat, hat nicht mehr die Innigkeit, die die Kunst der Kirche braucht. Wer weiß, vielleicht ^ es auch Sache des Charakters. Die germanische Seele ist vielleicht inniger an¬ gelegt oder hat eine dauerhaftere Fähigkeit, sich zu versenken. Doch genug. Der -"carte kam aus seiner kleinen Malschule im Schwarzwalde hierher im Glauben, mau brauche hier ebensolche Schildermaler wie dort. Aber unsre Uhrenfabrikanten Und darauf gar nicht aus, so wenig wie sie auf Kuckucksuhren oder andre Spielereien 'erfallen, an denen die Schweizer und die Deutschen ihre Freude haben. Der französische Bauer liebt ein hellglänzendes Uhrblatt ans geschlagnem Messingblech. ^°>eph brachte nun einige Uhrschilder, die er gemalt hatte, einem Fabrikanten in ^- Hippolyte, bei dem sah ich sie. Es waren Darstellungen aus der Heiligen Ge- Ichlchte, konventionell, aber mit gläubigem Herzen gemacht. Ich fragte gar nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/347>, abgerufen am 22.12.2024.