Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Deutschösterreichische Parteien wendig gewordnen Auflösung des Abgeordnetenhauses und trugen keine Be¬ Seit jenen Tagen hat sich nichts in der Lage der deutschen Parteien in Deutschösterreichische Parteien wendig gewordnen Auflösung des Abgeordnetenhauses und trugen keine Be¬ Seit jenen Tagen hat sich nichts in der Lage der deutschen Parteien in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87801"/> <fw type="header" place="top"> Deutschösterreichische Parteien</fw><lb/> <p xml:id="ID_1365" prev="#ID_1364"> wendig gewordnen Auflösung des Abgeordnetenhauses und trugen keine Be¬<lb/> denken, die Fackel der konfessionellen Zwietracht unter das deutsche Volk zu<lb/> schleudern. Die liberale Presse hob schützend ihre Hände über die radikale<lb/> Partei, die so entschieden und rücksichtslos das früher von ihr betriebne Ge¬<lb/> schäft aufnahm, auch hatten sich ja die Schönerericmer bei dem Kampf um<lb/> Wien gegen die Christlichsozialen schon bewährt, und man konnte solche Leute<lb/> brauchen. Abgesehen von allen Erwägungen sittlichen Ernstes kann auch das<lb/> Politische Ergebnis der „Los-von-Rom"-Bewegung nicht zugunsten der deutschen<lb/> Sache ausfallen. Gelänge es auch, viele tausend Katholiken von Rom zu<lb/> lösen, so würde das doch nimmermehr den Schaden aufwiegen, den eine Ver¬<lb/> schärfung der konfessionellen Gegensätze und eine tiefe Spaltung des deutschen<lb/> Volksstamms in Österreich angerichtet hat. Bisher haben wenigstens noch die<lb/> Deutschklerikalen, belehrt durch die Ereignisse, im Parlament ihre neutrale<lb/> Stellung bewahrt und alles Liebeswerben der ehemaligen slawischen Bundes¬<lb/> genossen zurückgewiesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1366" next="#ID_1367"> Seit jenen Tagen hat sich nichts in der Lage der deutschen Parteien in<lb/> Österreich geändert. Die „Gemeinbürgschaft" hat nichts zutage gefordert als<lb/> das schon vergessene Pfingstprogramm, das wenigstens eine gemeinsame Kund¬<lb/> gebung der vier größten deutschen Parteien: der deutschen Volkspartei, des<lb/> verfassungstreuen Großgrundbesitzes, der deutschen Fortschrittspartei und der<lb/> Christlichsozialen war, wenn es auch einen rein defensiven Inhalt hatte und<lb/> leider keine Nachfolge gefunden hat. Die Obmünnerkonferenz der vier Par¬<lb/> teien, die als Einigungsorgan dienen sollte, hat zeitweilig bestanden und ist<lb/> dann wieder aus Wahlrücksichten, wenn auch „prinzipielle" Gründe vorgeschützt<lb/> wurden, aufgelöst worden. Inzwischen haben die Parteien gewetteifert, ein¬<lb/> ander bei den Wahlen Mandate abzujagen, ohne daß der entschiedne Erfolg<lb/> einer Richtung hervorgetreten wäre. Es ist bei der alten Zerfahrenheit und<lb/> Schwäche geblieben. Seit länger als einem Jahre besteht die Obmünner¬<lb/> konferenz wieder, hat aber keine positive Leistung hervorgebracht. In keiner<lb/> der großen Fragen der Zeit, weder zur Heeresfrage noch zum Ausgleich mit<lb/> Ungarn und zu den Handelsverträgen, hat man Stellung zu nehmen den Mut<lb/> gehabt. Man fürchtet, Mandate zu verlieren, namentlich an die Radikalen,<lb/> und verläßt sich darauf, daß die Regierung mit Hilfe des Paragraphen 14<lb/> schon die Verantwortung für alles übernehmen werde. Auch dem Ministerium<lb/> gegenüber wagt man aus Angst vor den Radikalen nicht Stellung zu nehmen,<lb/> obgleich die vier in Frage kommenden deutschen Parteien gar nicht bezweifelten,<lb/> daß das nächste Ministerium in keinem Falle deutschfreundlicher sein konnte.<lb/> Man benutzte verhältnismäßig geringfügige Dinge, wie die slawischen Parallel¬<lb/> klassen in Schlesien und die italienische juristische Fakultät in Innsbruck, die<lb/> bei einigem guten Willen von allen Seiten im Hcmdumdrehn gelöst werden<lb/> könnten, eine kühl zurückhaltende Stellung gegenüber dem Ministerium bei¬<lb/> zubehalten und — den großen Fragen ausweichen zu können. Die Aus¬<lb/> einandersetzung zwischen Deutschen und Tschechen hat nicht nur keine Förderung<lb/> erfahren, sondern scheint gänzlich verfahren zu sein. Infolge der Obstruktion<lb/> stockt seit Jahren die Tätigkeit des Parlaments, und man muß die Langmut</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0323]
Deutschösterreichische Parteien
wendig gewordnen Auflösung des Abgeordnetenhauses und trugen keine Be¬
denken, die Fackel der konfessionellen Zwietracht unter das deutsche Volk zu
schleudern. Die liberale Presse hob schützend ihre Hände über die radikale
Partei, die so entschieden und rücksichtslos das früher von ihr betriebne Ge¬
schäft aufnahm, auch hatten sich ja die Schönerericmer bei dem Kampf um
Wien gegen die Christlichsozialen schon bewährt, und man konnte solche Leute
brauchen. Abgesehen von allen Erwägungen sittlichen Ernstes kann auch das
Politische Ergebnis der „Los-von-Rom"-Bewegung nicht zugunsten der deutschen
Sache ausfallen. Gelänge es auch, viele tausend Katholiken von Rom zu
lösen, so würde das doch nimmermehr den Schaden aufwiegen, den eine Ver¬
schärfung der konfessionellen Gegensätze und eine tiefe Spaltung des deutschen
Volksstamms in Österreich angerichtet hat. Bisher haben wenigstens noch die
Deutschklerikalen, belehrt durch die Ereignisse, im Parlament ihre neutrale
Stellung bewahrt und alles Liebeswerben der ehemaligen slawischen Bundes¬
genossen zurückgewiesen.
Seit jenen Tagen hat sich nichts in der Lage der deutschen Parteien in
Österreich geändert. Die „Gemeinbürgschaft" hat nichts zutage gefordert als
das schon vergessene Pfingstprogramm, das wenigstens eine gemeinsame Kund¬
gebung der vier größten deutschen Parteien: der deutschen Volkspartei, des
verfassungstreuen Großgrundbesitzes, der deutschen Fortschrittspartei und der
Christlichsozialen war, wenn es auch einen rein defensiven Inhalt hatte und
leider keine Nachfolge gefunden hat. Die Obmünnerkonferenz der vier Par¬
teien, die als Einigungsorgan dienen sollte, hat zeitweilig bestanden und ist
dann wieder aus Wahlrücksichten, wenn auch „prinzipielle" Gründe vorgeschützt
wurden, aufgelöst worden. Inzwischen haben die Parteien gewetteifert, ein¬
ander bei den Wahlen Mandate abzujagen, ohne daß der entschiedne Erfolg
einer Richtung hervorgetreten wäre. Es ist bei der alten Zerfahrenheit und
Schwäche geblieben. Seit länger als einem Jahre besteht die Obmünner¬
konferenz wieder, hat aber keine positive Leistung hervorgebracht. In keiner
der großen Fragen der Zeit, weder zur Heeresfrage noch zum Ausgleich mit
Ungarn und zu den Handelsverträgen, hat man Stellung zu nehmen den Mut
gehabt. Man fürchtet, Mandate zu verlieren, namentlich an die Radikalen,
und verläßt sich darauf, daß die Regierung mit Hilfe des Paragraphen 14
schon die Verantwortung für alles übernehmen werde. Auch dem Ministerium
gegenüber wagt man aus Angst vor den Radikalen nicht Stellung zu nehmen,
obgleich die vier in Frage kommenden deutschen Parteien gar nicht bezweifelten,
daß das nächste Ministerium in keinem Falle deutschfreundlicher sein konnte.
Man benutzte verhältnismäßig geringfügige Dinge, wie die slawischen Parallel¬
klassen in Schlesien und die italienische juristische Fakultät in Innsbruck, die
bei einigem guten Willen von allen Seiten im Hcmdumdrehn gelöst werden
könnten, eine kühl zurückhaltende Stellung gegenüber dem Ministerium bei¬
zubehalten und — den großen Fragen ausweichen zu können. Die Aus¬
einandersetzung zwischen Deutschen und Tschechen hat nicht nur keine Förderung
erfahren, sondern scheint gänzlich verfahren zu sein. Infolge der Obstruktion
stockt seit Jahren die Tätigkeit des Parlaments, und man muß die Langmut
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