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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Berards Homerwerk

schwuren Geltung und Kraft zu verleihen, und ohne Eidschwur sei, wie in
Honiers Zeit, so auch noch weit später kein Geschäft abgemacht worden. Jeder
muß bei dem Gott oder Heiligen schwören, den er verehrt. Berard erzählt, wie
ein Türke italienische Korsaren vor einem Bilde der heiligen Jungfrau und
einem Bilde des heiligen Franziskus schwören läßt. Heißt nun bei Homer
einen Eid leisten norlckg, remnöin (in der homerischen Sprache winnöin, zum
Beispiel borkig, xisrg, dörren), so wird dieser aus dem griechischen Schwurritus
nicht zu erklärende Ausdruck verständlich, wenn wir 1. Mose 15, 10 lesen, wie
Abraham den Bund mit Jehova schließt, indem er jedes Opfertier in zwei
Hälften zerschneidet und die Hälften rechts und links von sich legt. Die Griechen
haben eben, wenn sie Semiten schwören ließen, diese den eignen Ritus beobachten
lassen, und so ist zwar nicht der Ritus selbst angenommen worden, aber die
Redensart in den griechischen Sprachgebrauch übergegangen. (Eben lesen wir
in einem Artikel der Frankfurter Zeitung über die Entfernung der Kruzifixe
aus den französischen Gerichtssälen folgende Anekdote aus Gregor von Tours.
König Chilperich brach alle eidlich beschworner Verträge. Als nun wieder
einmal ein Vertrag geschlossen werden sollte, forderten die Gegner, daß er auf
einen Schrein schwöre, in dem Reliquien der von ihm besonders verehrten
Heiligen Amantius, Wimwalok und Concogcir lagen. Der König schwur und
brach dann ganz flott auch diesen Vertrag. Als man ihn zur Rede stellte,
antwortete er, er habe seine Heiligen nicht beleidigt, denn er habe vor der
Feierlichkeit deren Gebeine aus dem Schrein herausgenommen.)

Von den Seefahrersitten, die zur Erklärung vieler Stellen der homerischen
Gedichte, besonders aber der Odyssee von Berard herangezogen werden, wollen
wir nur noch zwei erwähnen. Im 15. Gesänge, von Vers 402 ab, erzählt der
göttliche Sauhirt dem als Bettler verkleideten Könige seine Lebensgeschichte.
Sein Vater war Beherrscher der Insel Syra -- Berard widmet ihr eine sehr
lange Abhandlung --, und dorthin kamen "Föniker, der Seefahrt kundige
Männer, Gaudieb', allerlei Tand mitbringend im dunkelen Meerschiff." Diese
verlockten eine Dienerin des Herrschers, und die nahm den Knaben Eumäus
mit. Diese Gaudiebe nun verweilten ein ganzes Jahr auf der Insel. Das
entspricht, wie Berard zeigt, durchaus den ältern Hündlergewohnheiten. Am
Landungsplatze richteten diese kaufmännischen Piraten ein Lager und einen
Markt ein, und einzelne von ihnen gingen in der Umgegend hausieren. Es
dauerte lange, ehe sie ihren ganzen Kram, zum Verdrusse der Männer, den
Weibern aufgeschwatzt hatten, und ebenso langsam ging es mit der Beschaffung
der Rückladung, die in Ol, Wein, Früchten und Getreide, manchmal auch Holz
bestehend, in kleinen Mengen nach und nach von den entlegnen Orten der
Insel und von den Nachbarinselchen zusammengebracht wurde. Verging der
Sommer darüber, so mußte man an dem Stapelplatz" überwintern, denn in der
stürmischen Jahreszeit wurde auch noch viel später kaum eine Seefahrt gewagt,
wie jeder Bibellcser aus des Paulus Seereise, Apostelgeschichte 27. Vers 10
und 21 weiß. Selbstverständlich entspannen sich bei so langem Aufenthalt des
fremden Volkes mehr oder weniger zarte Verhältnisse. Mancher Bursche blieb
bei seinem Schatze zurück, wenn die Genossen weiterführen, mancher andre ent-


Berards Homerwerk

schwuren Geltung und Kraft zu verleihen, und ohne Eidschwur sei, wie in
Honiers Zeit, so auch noch weit später kein Geschäft abgemacht worden. Jeder
muß bei dem Gott oder Heiligen schwören, den er verehrt. Berard erzählt, wie
ein Türke italienische Korsaren vor einem Bilde der heiligen Jungfrau und
einem Bilde des heiligen Franziskus schwören läßt. Heißt nun bei Homer
einen Eid leisten norlckg, remnöin (in der homerischen Sprache winnöin, zum
Beispiel borkig, xisrg, dörren), so wird dieser aus dem griechischen Schwurritus
nicht zu erklärende Ausdruck verständlich, wenn wir 1. Mose 15, 10 lesen, wie
Abraham den Bund mit Jehova schließt, indem er jedes Opfertier in zwei
Hälften zerschneidet und die Hälften rechts und links von sich legt. Die Griechen
haben eben, wenn sie Semiten schwören ließen, diese den eignen Ritus beobachten
lassen, und so ist zwar nicht der Ritus selbst angenommen worden, aber die
Redensart in den griechischen Sprachgebrauch übergegangen. (Eben lesen wir
in einem Artikel der Frankfurter Zeitung über die Entfernung der Kruzifixe
aus den französischen Gerichtssälen folgende Anekdote aus Gregor von Tours.
König Chilperich brach alle eidlich beschworner Verträge. Als nun wieder
einmal ein Vertrag geschlossen werden sollte, forderten die Gegner, daß er auf
einen Schrein schwöre, in dem Reliquien der von ihm besonders verehrten
Heiligen Amantius, Wimwalok und Concogcir lagen. Der König schwur und
brach dann ganz flott auch diesen Vertrag. Als man ihn zur Rede stellte,
antwortete er, er habe seine Heiligen nicht beleidigt, denn er habe vor der
Feierlichkeit deren Gebeine aus dem Schrein herausgenommen.)

Von den Seefahrersitten, die zur Erklärung vieler Stellen der homerischen
Gedichte, besonders aber der Odyssee von Berard herangezogen werden, wollen
wir nur noch zwei erwähnen. Im 15. Gesänge, von Vers 402 ab, erzählt der
göttliche Sauhirt dem als Bettler verkleideten Könige seine Lebensgeschichte.
Sein Vater war Beherrscher der Insel Syra — Berard widmet ihr eine sehr
lange Abhandlung —, und dorthin kamen „Föniker, der Seefahrt kundige
Männer, Gaudieb', allerlei Tand mitbringend im dunkelen Meerschiff." Diese
verlockten eine Dienerin des Herrschers, und die nahm den Knaben Eumäus
mit. Diese Gaudiebe nun verweilten ein ganzes Jahr auf der Insel. Das
entspricht, wie Berard zeigt, durchaus den ältern Hündlergewohnheiten. Am
Landungsplatze richteten diese kaufmännischen Piraten ein Lager und einen
Markt ein, und einzelne von ihnen gingen in der Umgegend hausieren. Es
dauerte lange, ehe sie ihren ganzen Kram, zum Verdrusse der Männer, den
Weibern aufgeschwatzt hatten, und ebenso langsam ging es mit der Beschaffung
der Rückladung, die in Ol, Wein, Früchten und Getreide, manchmal auch Holz
bestehend, in kleinen Mengen nach und nach von den entlegnen Orten der
Insel und von den Nachbarinselchen zusammengebracht wurde. Verging der
Sommer darüber, so mußte man an dem Stapelplatz« überwintern, denn in der
stürmischen Jahreszeit wurde auch noch viel später kaum eine Seefahrt gewagt,
wie jeder Bibellcser aus des Paulus Seereise, Apostelgeschichte 27. Vers 10
und 21 weiß. Selbstverständlich entspannen sich bei so langem Aufenthalt des
fremden Volkes mehr oder weniger zarte Verhältnisse. Mancher Bursche blieb
bei seinem Schatze zurück, wenn die Genossen weiterführen, mancher andre ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/32>, abgerufen am 22.12.2024.