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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Kredit

Während die Ehemänner, Väter und Brüder entweder keinen Kredit, oder
wenn sie Kaufleute sind, solchen nur in gewissen Grenzen in Anspruch nehmen,
bezahlen die weiblichen Familienmitglieder ihre Haushaltungs- und Kleider¬
schulden oft in Jahr und Tag nicht. In den meisten Fällen geschieht diese
Ausnutzung des Kredits ohne Wissen und Willen der Männer. Es ist dies
auf eine gewisse Nachlässigkeit in der Lebensführung zurückzuführen, die unter
dem weiblichen Geschlecht häufig anzutreffen ist. Sogar fürstliche Haushal¬
tungen kranken an diesem Übelstande, unter dem ganze Geschäftszweige, namentlich
die Konfektions-, Manufakturwarcn- und Delikatessengeschäfte zu leiden haben.

Auch der Staat bedient sich des Kredits, wenn er größere Unternehmungen
ausführen will. Er nimmt ihn nicht nur in außerordentlichen Füllen, wie bei
Kriegen, in Anspruch, sondern hat sich auch daran gewöhnt, laufende Aus¬
gaben durch Anleihen zu decken. Dem Kaufmann sind Staatsschulden sehr
erwünscht, sie bieten ihm Gelegenheit, seine Überschüsse, die er in seinem Ge¬
schäft nicht verwenden kann, in Staatspapieren anzulegen, die er bei Bedarf
leicht flüssig machen oder beleihen kann. Auch dem Rentner bringt das An¬
leihewesen viele Vorteile; wenn auch die Verzinsung der Staatspapiere ver¬
hältnismüßig gering ist, so sind sie doch eine sichere Kapitalanlage. Für die
Allgemeinheit bedeutet die Kreditwirtschaft des Staates die Vermehrung der
Steuern, die größer ist, als wenn laufende Staatsausgaben durch Erhöhung
der Abgaben gedeckt werden, da ja außer der Amortisation auch die Verzinsung
der Anleihen aufgebracht werden muß. Für Kaufleute und Rentner gibt es
auch andre Gelegenheiten, ihr Kapital gewinnbringend und sicher anzulegen:
solide Hypothekenbanken und Versicherungsgesellschaften, die mit den ihnen an¬
vertrauten Geldern Grundeigentum beleihen, sind in der Benutzung ebenso
bequem und sicher wie die Staatspapiere.

Das Anleihcwesen des Staates, der in seiner Wirtschaftsweise ein Muster
für alle seine Bürger sein sollte, hat dazu geführt, daß die Behörden nicht
nur den Kredit ihrer Lieferanten so weit wie möglich ausnutzen, sondern daß
auch öffentliche Bauten zunächst provisorisch ausgeführt werden, weil sie billiger
herzustellen sind als dauerhafte Anlagen, und der Staat so viel Zinsen erspart,
daß die Ersparung die Kosten für eine spätere dauerhafte Ausführung deckt.
Daß auf diese Weise dieselbe Arbeit zweimal getan werden muß und infolge¬
dessen mehr Geld kostet, als wenn sie nur einmal für eine lange Dauer aus¬
geführt wird, zieht man dabei nicht in Betracht, da ein solcher Staat nur
dem augenblicklichen Bedürfnisse gerecht werden will wie der Kaufmann, dessen
Geschäft nicht genügend fundiert ist.




Kredit

Während die Ehemänner, Väter und Brüder entweder keinen Kredit, oder
wenn sie Kaufleute sind, solchen nur in gewissen Grenzen in Anspruch nehmen,
bezahlen die weiblichen Familienmitglieder ihre Haushaltungs- und Kleider¬
schulden oft in Jahr und Tag nicht. In den meisten Fällen geschieht diese
Ausnutzung des Kredits ohne Wissen und Willen der Männer. Es ist dies
auf eine gewisse Nachlässigkeit in der Lebensführung zurückzuführen, die unter
dem weiblichen Geschlecht häufig anzutreffen ist. Sogar fürstliche Haushal¬
tungen kranken an diesem Übelstande, unter dem ganze Geschäftszweige, namentlich
die Konfektions-, Manufakturwarcn- und Delikatessengeschäfte zu leiden haben.

Auch der Staat bedient sich des Kredits, wenn er größere Unternehmungen
ausführen will. Er nimmt ihn nicht nur in außerordentlichen Füllen, wie bei
Kriegen, in Anspruch, sondern hat sich auch daran gewöhnt, laufende Aus¬
gaben durch Anleihen zu decken. Dem Kaufmann sind Staatsschulden sehr
erwünscht, sie bieten ihm Gelegenheit, seine Überschüsse, die er in seinem Ge¬
schäft nicht verwenden kann, in Staatspapieren anzulegen, die er bei Bedarf
leicht flüssig machen oder beleihen kann. Auch dem Rentner bringt das An¬
leihewesen viele Vorteile; wenn auch die Verzinsung der Staatspapiere ver¬
hältnismüßig gering ist, so sind sie doch eine sichere Kapitalanlage. Für die
Allgemeinheit bedeutet die Kreditwirtschaft des Staates die Vermehrung der
Steuern, die größer ist, als wenn laufende Staatsausgaben durch Erhöhung
der Abgaben gedeckt werden, da ja außer der Amortisation auch die Verzinsung
der Anleihen aufgebracht werden muß. Für Kaufleute und Rentner gibt es
auch andre Gelegenheiten, ihr Kapital gewinnbringend und sicher anzulegen:
solide Hypothekenbanken und Versicherungsgesellschaften, die mit den ihnen an¬
vertrauten Geldern Grundeigentum beleihen, sind in der Benutzung ebenso
bequem und sicher wie die Staatspapiere.

Das Anleihcwesen des Staates, der in seiner Wirtschaftsweise ein Muster
für alle seine Bürger sein sollte, hat dazu geführt, daß die Behörden nicht
nur den Kredit ihrer Lieferanten so weit wie möglich ausnutzen, sondern daß
auch öffentliche Bauten zunächst provisorisch ausgeführt werden, weil sie billiger
herzustellen sind als dauerhafte Anlagen, und der Staat so viel Zinsen erspart,
daß die Ersparung die Kosten für eine spätere dauerhafte Ausführung deckt.
Daß auf diese Weise dieselbe Arbeit zweimal getan werden muß und infolge¬
dessen mehr Geld kostet, als wenn sie nur einmal für eine lange Dauer aus¬
geführt wird, zieht man dabei nicht in Betracht, da ein solcher Staat nur
dem augenblicklichen Bedürfnisse gerecht werden will wie der Kaufmann, dessen
Geschäft nicht genügend fundiert ist.




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[0280] Kredit Während die Ehemänner, Väter und Brüder entweder keinen Kredit, oder wenn sie Kaufleute sind, solchen nur in gewissen Grenzen in Anspruch nehmen, bezahlen die weiblichen Familienmitglieder ihre Haushaltungs- und Kleider¬ schulden oft in Jahr und Tag nicht. In den meisten Fällen geschieht diese Ausnutzung des Kredits ohne Wissen und Willen der Männer. Es ist dies auf eine gewisse Nachlässigkeit in der Lebensführung zurückzuführen, die unter dem weiblichen Geschlecht häufig anzutreffen ist. Sogar fürstliche Haushal¬ tungen kranken an diesem Übelstande, unter dem ganze Geschäftszweige, namentlich die Konfektions-, Manufakturwarcn- und Delikatessengeschäfte zu leiden haben. Auch der Staat bedient sich des Kredits, wenn er größere Unternehmungen ausführen will. Er nimmt ihn nicht nur in außerordentlichen Füllen, wie bei Kriegen, in Anspruch, sondern hat sich auch daran gewöhnt, laufende Aus¬ gaben durch Anleihen zu decken. Dem Kaufmann sind Staatsschulden sehr erwünscht, sie bieten ihm Gelegenheit, seine Überschüsse, die er in seinem Ge¬ schäft nicht verwenden kann, in Staatspapieren anzulegen, die er bei Bedarf leicht flüssig machen oder beleihen kann. Auch dem Rentner bringt das An¬ leihewesen viele Vorteile; wenn auch die Verzinsung der Staatspapiere ver¬ hältnismüßig gering ist, so sind sie doch eine sichere Kapitalanlage. Für die Allgemeinheit bedeutet die Kreditwirtschaft des Staates die Vermehrung der Steuern, die größer ist, als wenn laufende Staatsausgaben durch Erhöhung der Abgaben gedeckt werden, da ja außer der Amortisation auch die Verzinsung der Anleihen aufgebracht werden muß. Für Kaufleute und Rentner gibt es auch andre Gelegenheiten, ihr Kapital gewinnbringend und sicher anzulegen: solide Hypothekenbanken und Versicherungsgesellschaften, die mit den ihnen an¬ vertrauten Geldern Grundeigentum beleihen, sind in der Benutzung ebenso bequem und sicher wie die Staatspapiere. Das Anleihcwesen des Staates, der in seiner Wirtschaftsweise ein Muster für alle seine Bürger sein sollte, hat dazu geführt, daß die Behörden nicht nur den Kredit ihrer Lieferanten so weit wie möglich ausnutzen, sondern daß auch öffentliche Bauten zunächst provisorisch ausgeführt werden, weil sie billiger herzustellen sind als dauerhafte Anlagen, und der Staat so viel Zinsen erspart, daß die Ersparung die Kosten für eine spätere dauerhafte Ausführung deckt. Daß auf diese Weise dieselbe Arbeit zweimal getan werden muß und infolge¬ dessen mehr Geld kostet, als wenn sie nur einmal für eine lange Dauer aus¬ geführt wird, zieht man dabei nicht in Betracht, da ein solcher Staat nur dem augenblicklichen Bedürfnisse gerecht werden will wie der Kaufmann, dessen Geschäft nicht genügend fundiert ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/280>, abgerufen am 22.12.2024.