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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Deutschösterreichische Parteien

durchaus nicht nötig gehabt haben, unaufhörlich Geld zu borgen und uner¬
hörte Wucherzinsen dafür zu bezahlen. Hand in Hand mit dieser Schulden-
macherei ging ein allgemeines Bestechungswesen, das einen größern Umfang
angenommen hatte, als heute aus Rußland erzählt wird. Unstreitig waren
alle die Betrügereien und Verpfändungen, der Verkauf von Regalien und
Eisenbahnen sowie manche Börsenschwindeleien, bei denen allen weder der
Staat noch das Volk jemals einen Vorteil hatten, nicht nötig gewesen, wenn
man von Anfang an ehrlicher gewirtschaftet Hütte. Aber man konnte niemals
mehr aus den Schulden herauskommen, weil betrügerische Beamte, hohe Offi¬
ziere und sogar Minister die Lieferungen für den Staat immer wieder Leuten
anvertrauten, von denen sie sich bestechen ließen, und die viel weniger und das
wenige schlechter lieferten, als wofür sie bezahlt wurden. Natürlich wollte es
unter solchen Zuständen im Staate nirgends klappen, namentlich versagte in
allen großen Feldzügen die kostspielige Armee, obgleich Offiziere und Soldaten
mit aller Tapferkeit kämpften und eigentlich auch nicht gerade schlechter geführt
wurden, als es zum Beispiel bei den Heeren des dritten Napoleon üblich war.
Hinterher war dann das Geschrei über Verräter, Feiglinge und Betrüger
immer groß, wo aber der eigentliche Fehler steckte, das haben die großen
Prozesse wegen der schlechten Armeeverwaltung nach dem unglücklichen Kriege
von 1859 wenigstens zum Teil enthüllt. Der Selbstmord der zunächst Be¬
teiligten zog einen Schleier über die wahren Vorgänge, und man wagte ihn
nicht weiter zu lüften, weil gar zu viele dabei mitschuldig waren. Daß aber
das Konkordat hierfür keineswegs verantwortlich war, und daß Geistliche an
den Betrügereien und Bestechungen so gut wie gar nicht beteiligt sein konnten,
mußte jedem Unbefangnen klar sein. Aber Unbefangne konnten gewisse Leute
uicht brauchen, und darum entstand jedesmal, nachdem dem Staat ein neues
schweres Mißgeschick widerfahren war, eine Hetze gegen das Konkordat und
die Verdummung des Volks durch die Geistlichkeit, die an allem schuld sein
sollten. Die periodische Presse, die in Österreich am meisten auf das Volk
einwirkt, war in den zweifelhaftesten Händen. Das Ministerium Schmerling
hatte in einem Umlaufschreiben die Presse als eine Macht bezeichnet, die
hauptsachlich an der Verwirklichung des von ihm aufgestellten Ideals höherer
Bildung für Österreich mitzuwirken berufen sei. Es hätte nun auch etwas
tun sollen, diese Presse zu verbessern, aber weder von ihm noch von seinen
Nachfolgern geschah das geringste. Die politisch gänzlich unreife Masse wurde
immer anderweitig beschäftigt, damit sie nicht über den eigentlichen wunden
Punkt nachdenken sollte, und die Zeitungen lobten wieder, die sie gelobt hatten,
und dienten denen, von denen sie Vorteile hatten oder erwarteten.

Die österreichischen Blätter wurden meist von jüdischen Schriftstellern
redigiert, denen von Hause aus keine besondre Zuneigung zu der christlichen
Religion und der katholischen Kirche eigen sein konnte. Sie paßten darum
wohl sehr gut zu der allgemeinen kirchenfeindlichen Stimmung der gebildeten
Kreise, konnten sich aber leider nicht versagen, ihren Spöttereien und An¬
griffen eine unberechtigte Schärfe und den Haß Andersgläubiger einzufügen.
Namentlich empörten sich die kirchlich Gesinnten über die ganz und gar maß-


Deutschösterreichische Parteien

durchaus nicht nötig gehabt haben, unaufhörlich Geld zu borgen und uner¬
hörte Wucherzinsen dafür zu bezahlen. Hand in Hand mit dieser Schulden-
macherei ging ein allgemeines Bestechungswesen, das einen größern Umfang
angenommen hatte, als heute aus Rußland erzählt wird. Unstreitig waren
alle die Betrügereien und Verpfändungen, der Verkauf von Regalien und
Eisenbahnen sowie manche Börsenschwindeleien, bei denen allen weder der
Staat noch das Volk jemals einen Vorteil hatten, nicht nötig gewesen, wenn
man von Anfang an ehrlicher gewirtschaftet Hütte. Aber man konnte niemals
mehr aus den Schulden herauskommen, weil betrügerische Beamte, hohe Offi¬
ziere und sogar Minister die Lieferungen für den Staat immer wieder Leuten
anvertrauten, von denen sie sich bestechen ließen, und die viel weniger und das
wenige schlechter lieferten, als wofür sie bezahlt wurden. Natürlich wollte es
unter solchen Zuständen im Staate nirgends klappen, namentlich versagte in
allen großen Feldzügen die kostspielige Armee, obgleich Offiziere und Soldaten
mit aller Tapferkeit kämpften und eigentlich auch nicht gerade schlechter geführt
wurden, als es zum Beispiel bei den Heeren des dritten Napoleon üblich war.
Hinterher war dann das Geschrei über Verräter, Feiglinge und Betrüger
immer groß, wo aber der eigentliche Fehler steckte, das haben die großen
Prozesse wegen der schlechten Armeeverwaltung nach dem unglücklichen Kriege
von 1859 wenigstens zum Teil enthüllt. Der Selbstmord der zunächst Be¬
teiligten zog einen Schleier über die wahren Vorgänge, und man wagte ihn
nicht weiter zu lüften, weil gar zu viele dabei mitschuldig waren. Daß aber
das Konkordat hierfür keineswegs verantwortlich war, und daß Geistliche an
den Betrügereien und Bestechungen so gut wie gar nicht beteiligt sein konnten,
mußte jedem Unbefangnen klar sein. Aber Unbefangne konnten gewisse Leute
uicht brauchen, und darum entstand jedesmal, nachdem dem Staat ein neues
schweres Mißgeschick widerfahren war, eine Hetze gegen das Konkordat und
die Verdummung des Volks durch die Geistlichkeit, die an allem schuld sein
sollten. Die periodische Presse, die in Österreich am meisten auf das Volk
einwirkt, war in den zweifelhaftesten Händen. Das Ministerium Schmerling
hatte in einem Umlaufschreiben die Presse als eine Macht bezeichnet, die
hauptsachlich an der Verwirklichung des von ihm aufgestellten Ideals höherer
Bildung für Österreich mitzuwirken berufen sei. Es hätte nun auch etwas
tun sollen, diese Presse zu verbessern, aber weder von ihm noch von seinen
Nachfolgern geschah das geringste. Die politisch gänzlich unreife Masse wurde
immer anderweitig beschäftigt, damit sie nicht über den eigentlichen wunden
Punkt nachdenken sollte, und die Zeitungen lobten wieder, die sie gelobt hatten,
und dienten denen, von denen sie Vorteile hatten oder erwarteten.

Die österreichischen Blätter wurden meist von jüdischen Schriftstellern
redigiert, denen von Hause aus keine besondre Zuneigung zu der christlichen
Religion und der katholischen Kirche eigen sein konnte. Sie paßten darum
wohl sehr gut zu der allgemeinen kirchenfeindlichen Stimmung der gebildeten
Kreise, konnten sich aber leider nicht versagen, ihren Spöttereien und An¬
griffen eine unberechtigte Schärfe und den Haß Andersgläubiger einzufügen.
Namentlich empörten sich die kirchlich Gesinnten über die ganz und gar maß-


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[0254] Deutschösterreichische Parteien durchaus nicht nötig gehabt haben, unaufhörlich Geld zu borgen und uner¬ hörte Wucherzinsen dafür zu bezahlen. Hand in Hand mit dieser Schulden- macherei ging ein allgemeines Bestechungswesen, das einen größern Umfang angenommen hatte, als heute aus Rußland erzählt wird. Unstreitig waren alle die Betrügereien und Verpfändungen, der Verkauf von Regalien und Eisenbahnen sowie manche Börsenschwindeleien, bei denen allen weder der Staat noch das Volk jemals einen Vorteil hatten, nicht nötig gewesen, wenn man von Anfang an ehrlicher gewirtschaftet Hütte. Aber man konnte niemals mehr aus den Schulden herauskommen, weil betrügerische Beamte, hohe Offi¬ ziere und sogar Minister die Lieferungen für den Staat immer wieder Leuten anvertrauten, von denen sie sich bestechen ließen, und die viel weniger und das wenige schlechter lieferten, als wofür sie bezahlt wurden. Natürlich wollte es unter solchen Zuständen im Staate nirgends klappen, namentlich versagte in allen großen Feldzügen die kostspielige Armee, obgleich Offiziere und Soldaten mit aller Tapferkeit kämpften und eigentlich auch nicht gerade schlechter geführt wurden, als es zum Beispiel bei den Heeren des dritten Napoleon üblich war. Hinterher war dann das Geschrei über Verräter, Feiglinge und Betrüger immer groß, wo aber der eigentliche Fehler steckte, das haben die großen Prozesse wegen der schlechten Armeeverwaltung nach dem unglücklichen Kriege von 1859 wenigstens zum Teil enthüllt. Der Selbstmord der zunächst Be¬ teiligten zog einen Schleier über die wahren Vorgänge, und man wagte ihn nicht weiter zu lüften, weil gar zu viele dabei mitschuldig waren. Daß aber das Konkordat hierfür keineswegs verantwortlich war, und daß Geistliche an den Betrügereien und Bestechungen so gut wie gar nicht beteiligt sein konnten, mußte jedem Unbefangnen klar sein. Aber Unbefangne konnten gewisse Leute uicht brauchen, und darum entstand jedesmal, nachdem dem Staat ein neues schweres Mißgeschick widerfahren war, eine Hetze gegen das Konkordat und die Verdummung des Volks durch die Geistlichkeit, die an allem schuld sein sollten. Die periodische Presse, die in Österreich am meisten auf das Volk einwirkt, war in den zweifelhaftesten Händen. Das Ministerium Schmerling hatte in einem Umlaufschreiben die Presse als eine Macht bezeichnet, die hauptsachlich an der Verwirklichung des von ihm aufgestellten Ideals höherer Bildung für Österreich mitzuwirken berufen sei. Es hätte nun auch etwas tun sollen, diese Presse zu verbessern, aber weder von ihm noch von seinen Nachfolgern geschah das geringste. Die politisch gänzlich unreife Masse wurde immer anderweitig beschäftigt, damit sie nicht über den eigentlichen wunden Punkt nachdenken sollte, und die Zeitungen lobten wieder, die sie gelobt hatten, und dienten denen, von denen sie Vorteile hatten oder erwarteten. Die österreichischen Blätter wurden meist von jüdischen Schriftstellern redigiert, denen von Hause aus keine besondre Zuneigung zu der christlichen Religion und der katholischen Kirche eigen sein konnte. Sie paßten darum wohl sehr gut zu der allgemeinen kirchenfeindlichen Stimmung der gebildeten Kreise, konnten sich aber leider nicht versagen, ihren Spöttereien und An¬ griffen eine unberechtigte Schärfe und den Haß Andersgläubiger einzufügen. Namentlich empörten sich die kirchlich Gesinnten über die ganz und gar maß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/254>, abgerufen am 23.07.2024.