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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder ans dem deutsch - französischen Kriege

liegen möge, es vergoldet sein eintöniges Leben. Früh, wenn im kalten Morgeu-
grau die Korporalschaften aus den Kantonnements zusammentreten, notdürftig
gefrühstückt, kaum fertig zugeknöpft und umgehängt haben, geht der Unteroffizier
prüfend vor und hinter der Front von einem zum andern, damit alles sitzt; der
Hauptmann soll nichts zu tadeln haben. Siehe, da tritt er aus seinem Quartier,
das in der Regel nicht besser als das seiner Musketiere ist. Sein Pferd neigt
ihm freundlich den Kopf zu, es wird gestreichelt und kosend geklopft, sein Dackel
umwedelt ihn, die ganze Kompagnie freut sich darüber, sie versteht ja, daß man
ihn gern hat. Die zwei Zugführer, Premierleutnant und Leutnant, treten heran
und melden. Ach, denkt jeder, der in der Front steht, wie ganz anders sind die!
Der Hauptmann überragt sie etwas, aber darin liegt es nicht, denn er ist selbst
nnr von Mittelgröße, und da folgen gleich am rechten Flügel drei Musketiere
hintereinander, die größer sind als er. Er überragt sie, doch überstrahlt er sie
mehr mit seinen hellen blauen Augen, die so unbekümmert, immer gleich ruhig
und kühl in die Welt hinausschauen. Noch niemand hat sie funkeln, aber auch
niemand sie trüb oder gar schläfrig gesehen. Die Gefahr hat gar keine Wirkung
auf sie, das wissen wir alle. Wir empfinden auch, daß in seiner Haltung etwas
ist, was alle andern nicht haben. Diese schlanke, elastische Gestalt hält sich so ab¬
sichtslos und ungezwungen gerade wie eine junge Schwarzwaldtanne. Man kann
es nicht recht aussprechen, aber man fühlt es, er ist nicht bloß Offizier, er ist
Ritter. Ja, das ist es, das fühlt sogar der gemeine Mann: so meine ich auf
Bildern Männer in stählernen Rüstungen, den mächtigen, bewimpelten Turnier¬
speer in der eisenbehandschuhten Faust, gesehen zu haben. Auch wissen wir alle,
daß dieses Ritterliche nicht bloß in seinem Äußern ist, und daß sein adlicher Name
seine adliche Natur nur besiegelt. Wir kennen ihn als den eisern strengen und
den eisern gerechten. Ich bestätige es ans frischester Erfahrung. Noch hente liegen
mir die vierundzwanzig Stunden Strafwache und Patrouilleugäuge in den Knochen,
die er über mich verhängte, als mich die Kompagnie von meinem Kommando zur
Ordonnanz beim Divisionsstabe nicht abgelöst hatte, und ich ruhig einen halben Tag
länger dort blieb, statt sofort die Kompagnie aufzusuchen, die, unbekannt wohin,
auf Vorposten marschiert war; und noch fühle ich es, wie mein Herz sich unter
dem kalten Blick zusammenzog, der mir ein wahrhaft vernichtender zu sein schien.
Das war die zweite Begegnung; die erste war ganz anders gewesen. Da hatte
er mir, als ich von einem Häusergefecht vor Metz mit durchschossenen und von
herausgeschleuderten Kieselsteinchen siebartig durchlöcherten Beinkleidern zurückkehrte,
eine halbe Flasche Wein mit den Worten gereicht: Da, Freiwilliger, flicken Sie
Ihre Hosen.

Mein Zugführer, ein junger Leutnant, hatte sentimentalerweise geglaubt, ich
hätte ihm das Leben gerettet, weil ich ihn hinter einen schützenden Alleebaum ge¬
tragen hatte, als ein Prellschuß aus einem Fenster von oben her ans seine Helm¬
kokarde ihn ohnmächtig gemacht hatte; und er schien dem Hauptmann diese Episode
in Farben ausgemalt zu haben, die sehr günstig für mich waren. Jener, ein
guter Knabe mit etwas zu dicken Backen, hatte es auch für eine Heldentat ge¬
halten, daß ich, als wir zurückgeht! mußten, mir noch eine wunderschöne halb ab¬
geschossene Teerose vom Blumenbrett des Fensters pflückte, hinter dem möglicher¬
weise noch Franzosen lauern konnten! Seitdem hatte mich der Hauptmann viele
Wochen gerade so ignoriert wie vorher. Dann kam der Blick von Eis und die
Strafe. Und drei Tage darauf die dritte Begegnung: die erste Einladung, mit
ihm und den Kompagnieoffizieren zu Abend zu essen. Kein Freiwilliger hatte
sich bisher dieser Ehre zu erfreuen gehabt, und ich war ganz besonders stolz, daß
mit uns der Vizefeldwebel zu Tische saß, der bis vor einigen Wochen unser guter
Kamerad gewesen war, bis das Portepee eine Kluft zwischen uns alten Freunden,
von der Universität her bekannten, riß. Es wurde den ganzen Abend nur von
gleichgiltigen Dingen gesprochen; aber ich bin niemals in so gehobner Stimmung


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liegen möge, es vergoldet sein eintöniges Leben. Früh, wenn im kalten Morgeu-
grau die Korporalschaften aus den Kantonnements zusammentreten, notdürftig
gefrühstückt, kaum fertig zugeknöpft und umgehängt haben, geht der Unteroffizier
prüfend vor und hinter der Front von einem zum andern, damit alles sitzt; der
Hauptmann soll nichts zu tadeln haben. Siehe, da tritt er aus seinem Quartier,
das in der Regel nicht besser als das seiner Musketiere ist. Sein Pferd neigt
ihm freundlich den Kopf zu, es wird gestreichelt und kosend geklopft, sein Dackel
umwedelt ihn, die ganze Kompagnie freut sich darüber, sie versteht ja, daß man
ihn gern hat. Die zwei Zugführer, Premierleutnant und Leutnant, treten heran
und melden. Ach, denkt jeder, der in der Front steht, wie ganz anders sind die!
Der Hauptmann überragt sie etwas, aber darin liegt es nicht, denn er ist selbst
nnr von Mittelgröße, und da folgen gleich am rechten Flügel drei Musketiere
hintereinander, die größer sind als er. Er überragt sie, doch überstrahlt er sie
mehr mit seinen hellen blauen Augen, die so unbekümmert, immer gleich ruhig
und kühl in die Welt hinausschauen. Noch niemand hat sie funkeln, aber auch
niemand sie trüb oder gar schläfrig gesehen. Die Gefahr hat gar keine Wirkung
auf sie, das wissen wir alle. Wir empfinden auch, daß in seiner Haltung etwas
ist, was alle andern nicht haben. Diese schlanke, elastische Gestalt hält sich so ab¬
sichtslos und ungezwungen gerade wie eine junge Schwarzwaldtanne. Man kann
es nicht recht aussprechen, aber man fühlt es, er ist nicht bloß Offizier, er ist
Ritter. Ja, das ist es, das fühlt sogar der gemeine Mann: so meine ich auf
Bildern Männer in stählernen Rüstungen, den mächtigen, bewimpelten Turnier¬
speer in der eisenbehandschuhten Faust, gesehen zu haben. Auch wissen wir alle,
daß dieses Ritterliche nicht bloß in seinem Äußern ist, und daß sein adlicher Name
seine adliche Natur nur besiegelt. Wir kennen ihn als den eisern strengen und
den eisern gerechten. Ich bestätige es ans frischester Erfahrung. Noch hente liegen
mir die vierundzwanzig Stunden Strafwache und Patrouilleugäuge in den Knochen,
die er über mich verhängte, als mich die Kompagnie von meinem Kommando zur
Ordonnanz beim Divisionsstabe nicht abgelöst hatte, und ich ruhig einen halben Tag
länger dort blieb, statt sofort die Kompagnie aufzusuchen, die, unbekannt wohin,
auf Vorposten marschiert war; und noch fühle ich es, wie mein Herz sich unter
dem kalten Blick zusammenzog, der mir ein wahrhaft vernichtender zu sein schien.
Das war die zweite Begegnung; die erste war ganz anders gewesen. Da hatte
er mir, als ich von einem Häusergefecht vor Metz mit durchschossenen und von
herausgeschleuderten Kieselsteinchen siebartig durchlöcherten Beinkleidern zurückkehrte,
eine halbe Flasche Wein mit den Worten gereicht: Da, Freiwilliger, flicken Sie
Ihre Hosen.

Mein Zugführer, ein junger Leutnant, hatte sentimentalerweise geglaubt, ich
hätte ihm das Leben gerettet, weil ich ihn hinter einen schützenden Alleebaum ge¬
tragen hatte, als ein Prellschuß aus einem Fenster von oben her ans seine Helm¬
kokarde ihn ohnmächtig gemacht hatte; und er schien dem Hauptmann diese Episode
in Farben ausgemalt zu haben, die sehr günstig für mich waren. Jener, ein
guter Knabe mit etwas zu dicken Backen, hatte es auch für eine Heldentat ge¬
halten, daß ich, als wir zurückgeht! mußten, mir noch eine wunderschöne halb ab¬
geschossene Teerose vom Blumenbrett des Fensters pflückte, hinter dem möglicher¬
weise noch Franzosen lauern konnten! Seitdem hatte mich der Hauptmann viele
Wochen gerade so ignoriert wie vorher. Dann kam der Blick von Eis und die
Strafe. Und drei Tage darauf die dritte Begegnung: die erste Einladung, mit
ihm und den Kompagnieoffizieren zu Abend zu essen. Kein Freiwilliger hatte
sich bisher dieser Ehre zu erfreuen gehabt, und ich war ganz besonders stolz, daß
mit uns der Vizefeldwebel zu Tische saß, der bis vor einigen Wochen unser guter
Kamerad gewesen war, bis das Portepee eine Kluft zwischen uns alten Freunden,
von der Universität her bekannten, riß. Es wurde den ganzen Abend nur von
gleichgiltigen Dingen gesprochen; aber ich bin niemals in so gehobner Stimmung


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[0232] Bilder ans dem deutsch - französischen Kriege liegen möge, es vergoldet sein eintöniges Leben. Früh, wenn im kalten Morgeu- grau die Korporalschaften aus den Kantonnements zusammentreten, notdürftig gefrühstückt, kaum fertig zugeknöpft und umgehängt haben, geht der Unteroffizier prüfend vor und hinter der Front von einem zum andern, damit alles sitzt; der Hauptmann soll nichts zu tadeln haben. Siehe, da tritt er aus seinem Quartier, das in der Regel nicht besser als das seiner Musketiere ist. Sein Pferd neigt ihm freundlich den Kopf zu, es wird gestreichelt und kosend geklopft, sein Dackel umwedelt ihn, die ganze Kompagnie freut sich darüber, sie versteht ja, daß man ihn gern hat. Die zwei Zugführer, Premierleutnant und Leutnant, treten heran und melden. Ach, denkt jeder, der in der Front steht, wie ganz anders sind die! Der Hauptmann überragt sie etwas, aber darin liegt es nicht, denn er ist selbst nnr von Mittelgröße, und da folgen gleich am rechten Flügel drei Musketiere hintereinander, die größer sind als er. Er überragt sie, doch überstrahlt er sie mehr mit seinen hellen blauen Augen, die so unbekümmert, immer gleich ruhig und kühl in die Welt hinausschauen. Noch niemand hat sie funkeln, aber auch niemand sie trüb oder gar schläfrig gesehen. Die Gefahr hat gar keine Wirkung auf sie, das wissen wir alle. Wir empfinden auch, daß in seiner Haltung etwas ist, was alle andern nicht haben. Diese schlanke, elastische Gestalt hält sich so ab¬ sichtslos und ungezwungen gerade wie eine junge Schwarzwaldtanne. Man kann es nicht recht aussprechen, aber man fühlt es, er ist nicht bloß Offizier, er ist Ritter. Ja, das ist es, das fühlt sogar der gemeine Mann: so meine ich auf Bildern Männer in stählernen Rüstungen, den mächtigen, bewimpelten Turnier¬ speer in der eisenbehandschuhten Faust, gesehen zu haben. Auch wissen wir alle, daß dieses Ritterliche nicht bloß in seinem Äußern ist, und daß sein adlicher Name seine adliche Natur nur besiegelt. Wir kennen ihn als den eisern strengen und den eisern gerechten. Ich bestätige es ans frischester Erfahrung. Noch hente liegen mir die vierundzwanzig Stunden Strafwache und Patrouilleugäuge in den Knochen, die er über mich verhängte, als mich die Kompagnie von meinem Kommando zur Ordonnanz beim Divisionsstabe nicht abgelöst hatte, und ich ruhig einen halben Tag länger dort blieb, statt sofort die Kompagnie aufzusuchen, die, unbekannt wohin, auf Vorposten marschiert war; und noch fühle ich es, wie mein Herz sich unter dem kalten Blick zusammenzog, der mir ein wahrhaft vernichtender zu sein schien. Das war die zweite Begegnung; die erste war ganz anders gewesen. Da hatte er mir, als ich von einem Häusergefecht vor Metz mit durchschossenen und von herausgeschleuderten Kieselsteinchen siebartig durchlöcherten Beinkleidern zurückkehrte, eine halbe Flasche Wein mit den Worten gereicht: Da, Freiwilliger, flicken Sie Ihre Hosen. Mein Zugführer, ein junger Leutnant, hatte sentimentalerweise geglaubt, ich hätte ihm das Leben gerettet, weil ich ihn hinter einen schützenden Alleebaum ge¬ tragen hatte, als ein Prellschuß aus einem Fenster von oben her ans seine Helm¬ kokarde ihn ohnmächtig gemacht hatte; und er schien dem Hauptmann diese Episode in Farben ausgemalt zu haben, die sehr günstig für mich waren. Jener, ein guter Knabe mit etwas zu dicken Backen, hatte es auch für eine Heldentat ge¬ halten, daß ich, als wir zurückgeht! mußten, mir noch eine wunderschöne halb ab¬ geschossene Teerose vom Blumenbrett des Fensters pflückte, hinter dem möglicher¬ weise noch Franzosen lauern konnten! Seitdem hatte mich der Hauptmann viele Wochen gerade so ignoriert wie vorher. Dann kam der Blick von Eis und die Strafe. Und drei Tage darauf die dritte Begegnung: die erste Einladung, mit ihm und den Kompagnieoffizieren zu Abend zu essen. Kein Freiwilliger hatte sich bisher dieser Ehre zu erfreuen gehabt, und ich war ganz besonders stolz, daß mit uns der Vizefeldwebel zu Tische saß, der bis vor einigen Wochen unser guter Kamerad gewesen war, bis das Portepee eine Kluft zwischen uns alten Freunden, von der Universität her bekannten, riß. Es wurde den ganzen Abend nur von gleichgiltigen Dingen gesprochen; aber ich bin niemals in so gehobner Stimmung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/232>, abgerufen am 23.07.2024.