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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

längs des Straßendamms bis in die Nähe des Dorfes zurückgehn, wo die Kom¬
pagnie kmitonierte, um von dort aus den Weg zu einer andern Feldwache zu ge¬
winnen; quer über die Wiesen zu gehn, dafür war es noch zu hell. Vom Brücken¬
bogen her tönten die Laute des Kartenspiels: kurz herausgestoßne Worte, das Aus¬
klopfen der Karten auf dem Tornisterrücken, ein Lachen wie unterdrückter Fluch,
die Pause des Mischens und immer dieselbe Musik in einförmiger Wiederholung.
Ich hatte keine Lust, mich da hineinzumengen, sie wollten ihr Spiel fertig machen,
so lange es hell war, ein Gespräch wäre jetzt kaum willkommen gewesen, auch ich
hatte jetzt kein Verlangen mehr danach. Die Gedanken, die das Kommen des
Hauptmanns unterbrochen hatte, wollten sich weiterspinnen. Der Blick in meine
"Umwelt" rief sie gleich wieder hervor. Der Nachmittag ging zu Ende, der
Abend sandte seine ersten Schatten, ich musterte gründlich den ganzen engen
Horizont und sah keine Spur von Bewegung, von Veränderung. Ich dachte an
einen Lehrsatz, auf den der treffliche Sergeant Vater im theoretischen Unterricht
besondres Gewicht gelegt hatte: Daß ein Dorf vom Feinde besetzt sei, erkennt der
Patrouillenführer daran, daß Hunde darin lebhafter sind als gewöhnlich. Nun,
unsre Leute wußten sich zu decken; nicht einmal ein Hundegebell tönte aus Les
Versoix herüber. Bewegung war überhaupt nur am Himmel. Dort öffneten sich
dann und wann zwischen den Wolken blaue Fenster, und ganz unten am Horizont
schien ein gelblicher Lichtstreif zu sagen: Die Möglichkeit eines Abendsonnenstrahls
soll nicht ganz in Abrede gestellt werden. Aber die Wolken, die ein rauher Nord¬
west launisch durcheinander schob, beeilten sich, die Fenster gleich wieder zuzuhängen,
und was der gelbe Lichtstretf meinte, ließ mich ganz kalt; nicht weil er im Ton
etwas Schwefliges hatte, das an und für sich kein Vertrauen erweckte, sondern
weil ich so weit gar nicht denken wollte. Es war ein trüber, frostiger Tag, und
damit genug. Der Eindruck, den er über dieser kahlen, fahlen Landschaft machte,
war so einheitlich, daß man nichts darüber hinauszudenken hatte: man war mit
grau und braun, trüb und kahl ganz gesättigt, wenn anch nicht eben zufrieden.
Wer nicht ganze Tage von früh bis spät in einer solchen Landschaft aushalten,
wesentlich auf demselben Punkt stehend immer denselben Gesichtskreis mustern muß,
hat keine Ahnung, wie leer es in der Welt aussehen kann. Er erfährt dann erst,
daß es Eindrücke gibt, die noch viel leerer sind als einfache Stille. Im bürger¬
lichen Leben wird er dann lyrisch angehaucht und sehnt sich nach der Einsamkeit
des Waldes oder der Einförmigkeit eines weiten Wasserspiegels, die ihm voll tönen
im Vergleich mit dieser schrillen Öde. Der Soldat überlegt, was Wohl in dieser
Landschaft Kriegerisches passieren könnte, und was dann zu tun wäre. An Ab¬
marsch ist nicht zu denken, wenn er nicht etwa noch in der Nacht allen, auch dem
Hauptmann, unerwartet plötzlich besohle" wird. Zu einem Borgehn scheint man
sich ebensowenig zu entschließen. Wir müssen aber mehr erfahren, der Hauptmann
wünscht es.

Der Leser erlaube, daß ich ihm an dieser Stelle den Hauptmann vorstelle,
der die erste Person in dieser kleinen Welt der Feldwache vor Les Versoix und
bis auf deu heutigen Tag eine der ersten Personen im ganzen Bereich meiner
Erinnerung ist.

Von Liebe, Freundschaft, Verehrung und dergleichen ist zwar bei uns nicht
die Rede. Solche Worte nimmt der Soldat bis zum Feldwebel aufwärts und
einschließlich gar nicht in den Mund. Er gehorcht; und daß er nun diesem Vor¬
gesetzten so gern gehorcht, darin liegt die Poesie seines Verhältnisses zu dem Vor¬
gesetzten. Was er ihm schuldet, ist im Reglement genau bestimmt, er ist aber
jederzeit bereit, weit mehr zu geben, freiwillig, als Dienstmann. Der Musketier
ist seinem Vorgesetzten dankbar, der es ihm möglich macht, die tägliche, unab¬
änderliche Gewohnheit des Gehorchens, die so notwendig wie das Atmen ist, als
eine Freude zu empfinden. So war es bei den Nibelungen, und so ist es bei den
Musketieren der zweiten Kompagnie. Was nun auch diesem Gefühl zugrunde


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

längs des Straßendamms bis in die Nähe des Dorfes zurückgehn, wo die Kom¬
pagnie kmitonierte, um von dort aus den Weg zu einer andern Feldwache zu ge¬
winnen; quer über die Wiesen zu gehn, dafür war es noch zu hell. Vom Brücken¬
bogen her tönten die Laute des Kartenspiels: kurz herausgestoßne Worte, das Aus¬
klopfen der Karten auf dem Tornisterrücken, ein Lachen wie unterdrückter Fluch,
die Pause des Mischens und immer dieselbe Musik in einförmiger Wiederholung.
Ich hatte keine Lust, mich da hineinzumengen, sie wollten ihr Spiel fertig machen,
so lange es hell war, ein Gespräch wäre jetzt kaum willkommen gewesen, auch ich
hatte jetzt kein Verlangen mehr danach. Die Gedanken, die das Kommen des
Hauptmanns unterbrochen hatte, wollten sich weiterspinnen. Der Blick in meine
„Umwelt" rief sie gleich wieder hervor. Der Nachmittag ging zu Ende, der
Abend sandte seine ersten Schatten, ich musterte gründlich den ganzen engen
Horizont und sah keine Spur von Bewegung, von Veränderung. Ich dachte an
einen Lehrsatz, auf den der treffliche Sergeant Vater im theoretischen Unterricht
besondres Gewicht gelegt hatte: Daß ein Dorf vom Feinde besetzt sei, erkennt der
Patrouillenführer daran, daß Hunde darin lebhafter sind als gewöhnlich. Nun,
unsre Leute wußten sich zu decken; nicht einmal ein Hundegebell tönte aus Les
Versoix herüber. Bewegung war überhaupt nur am Himmel. Dort öffneten sich
dann und wann zwischen den Wolken blaue Fenster, und ganz unten am Horizont
schien ein gelblicher Lichtstreif zu sagen: Die Möglichkeit eines Abendsonnenstrahls
soll nicht ganz in Abrede gestellt werden. Aber die Wolken, die ein rauher Nord¬
west launisch durcheinander schob, beeilten sich, die Fenster gleich wieder zuzuhängen,
und was der gelbe Lichtstretf meinte, ließ mich ganz kalt; nicht weil er im Ton
etwas Schwefliges hatte, das an und für sich kein Vertrauen erweckte, sondern
weil ich so weit gar nicht denken wollte. Es war ein trüber, frostiger Tag, und
damit genug. Der Eindruck, den er über dieser kahlen, fahlen Landschaft machte,
war so einheitlich, daß man nichts darüber hinauszudenken hatte: man war mit
grau und braun, trüb und kahl ganz gesättigt, wenn anch nicht eben zufrieden.
Wer nicht ganze Tage von früh bis spät in einer solchen Landschaft aushalten,
wesentlich auf demselben Punkt stehend immer denselben Gesichtskreis mustern muß,
hat keine Ahnung, wie leer es in der Welt aussehen kann. Er erfährt dann erst,
daß es Eindrücke gibt, die noch viel leerer sind als einfache Stille. Im bürger¬
lichen Leben wird er dann lyrisch angehaucht und sehnt sich nach der Einsamkeit
des Waldes oder der Einförmigkeit eines weiten Wasserspiegels, die ihm voll tönen
im Vergleich mit dieser schrillen Öde. Der Soldat überlegt, was Wohl in dieser
Landschaft Kriegerisches passieren könnte, und was dann zu tun wäre. An Ab¬
marsch ist nicht zu denken, wenn er nicht etwa noch in der Nacht allen, auch dem
Hauptmann, unerwartet plötzlich besohle» wird. Zu einem Borgehn scheint man
sich ebensowenig zu entschließen. Wir müssen aber mehr erfahren, der Hauptmann
wünscht es.

Der Leser erlaube, daß ich ihm an dieser Stelle den Hauptmann vorstelle,
der die erste Person in dieser kleinen Welt der Feldwache vor Les Versoix und
bis auf deu heutigen Tag eine der ersten Personen im ganzen Bereich meiner
Erinnerung ist.

Von Liebe, Freundschaft, Verehrung und dergleichen ist zwar bei uns nicht
die Rede. Solche Worte nimmt der Soldat bis zum Feldwebel aufwärts und
einschließlich gar nicht in den Mund. Er gehorcht; und daß er nun diesem Vor¬
gesetzten so gern gehorcht, darin liegt die Poesie seines Verhältnisses zu dem Vor¬
gesetzten. Was er ihm schuldet, ist im Reglement genau bestimmt, er ist aber
jederzeit bereit, weit mehr zu geben, freiwillig, als Dienstmann. Der Musketier
ist seinem Vorgesetzten dankbar, der es ihm möglich macht, die tägliche, unab¬
änderliche Gewohnheit des Gehorchens, die so notwendig wie das Atmen ist, als
eine Freude zu empfinden. So war es bei den Nibelungen, und so ist es bei den
Musketieren der zweiten Kompagnie. Was nun auch diesem Gefühl zugrunde


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[0231] Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege längs des Straßendamms bis in die Nähe des Dorfes zurückgehn, wo die Kom¬ pagnie kmitonierte, um von dort aus den Weg zu einer andern Feldwache zu ge¬ winnen; quer über die Wiesen zu gehn, dafür war es noch zu hell. Vom Brücken¬ bogen her tönten die Laute des Kartenspiels: kurz herausgestoßne Worte, das Aus¬ klopfen der Karten auf dem Tornisterrücken, ein Lachen wie unterdrückter Fluch, die Pause des Mischens und immer dieselbe Musik in einförmiger Wiederholung. Ich hatte keine Lust, mich da hineinzumengen, sie wollten ihr Spiel fertig machen, so lange es hell war, ein Gespräch wäre jetzt kaum willkommen gewesen, auch ich hatte jetzt kein Verlangen mehr danach. Die Gedanken, die das Kommen des Hauptmanns unterbrochen hatte, wollten sich weiterspinnen. Der Blick in meine „Umwelt" rief sie gleich wieder hervor. Der Nachmittag ging zu Ende, der Abend sandte seine ersten Schatten, ich musterte gründlich den ganzen engen Horizont und sah keine Spur von Bewegung, von Veränderung. Ich dachte an einen Lehrsatz, auf den der treffliche Sergeant Vater im theoretischen Unterricht besondres Gewicht gelegt hatte: Daß ein Dorf vom Feinde besetzt sei, erkennt der Patrouillenführer daran, daß Hunde darin lebhafter sind als gewöhnlich. Nun, unsre Leute wußten sich zu decken; nicht einmal ein Hundegebell tönte aus Les Versoix herüber. Bewegung war überhaupt nur am Himmel. Dort öffneten sich dann und wann zwischen den Wolken blaue Fenster, und ganz unten am Horizont schien ein gelblicher Lichtstreif zu sagen: Die Möglichkeit eines Abendsonnenstrahls soll nicht ganz in Abrede gestellt werden. Aber die Wolken, die ein rauher Nord¬ west launisch durcheinander schob, beeilten sich, die Fenster gleich wieder zuzuhängen, und was der gelbe Lichtstretf meinte, ließ mich ganz kalt; nicht weil er im Ton etwas Schwefliges hatte, das an und für sich kein Vertrauen erweckte, sondern weil ich so weit gar nicht denken wollte. Es war ein trüber, frostiger Tag, und damit genug. Der Eindruck, den er über dieser kahlen, fahlen Landschaft machte, war so einheitlich, daß man nichts darüber hinauszudenken hatte: man war mit grau und braun, trüb und kahl ganz gesättigt, wenn anch nicht eben zufrieden. Wer nicht ganze Tage von früh bis spät in einer solchen Landschaft aushalten, wesentlich auf demselben Punkt stehend immer denselben Gesichtskreis mustern muß, hat keine Ahnung, wie leer es in der Welt aussehen kann. Er erfährt dann erst, daß es Eindrücke gibt, die noch viel leerer sind als einfache Stille. Im bürger¬ lichen Leben wird er dann lyrisch angehaucht und sehnt sich nach der Einsamkeit des Waldes oder der Einförmigkeit eines weiten Wasserspiegels, die ihm voll tönen im Vergleich mit dieser schrillen Öde. Der Soldat überlegt, was Wohl in dieser Landschaft Kriegerisches passieren könnte, und was dann zu tun wäre. An Ab¬ marsch ist nicht zu denken, wenn er nicht etwa noch in der Nacht allen, auch dem Hauptmann, unerwartet plötzlich besohle» wird. Zu einem Borgehn scheint man sich ebensowenig zu entschließen. Wir müssen aber mehr erfahren, der Hauptmann wünscht es. Der Leser erlaube, daß ich ihm an dieser Stelle den Hauptmann vorstelle, der die erste Person in dieser kleinen Welt der Feldwache vor Les Versoix und bis auf deu heutigen Tag eine der ersten Personen im ganzen Bereich meiner Erinnerung ist. Von Liebe, Freundschaft, Verehrung und dergleichen ist zwar bei uns nicht die Rede. Solche Worte nimmt der Soldat bis zum Feldwebel aufwärts und einschließlich gar nicht in den Mund. Er gehorcht; und daß er nun diesem Vor¬ gesetzten so gern gehorcht, darin liegt die Poesie seines Verhältnisses zu dem Vor¬ gesetzten. Was er ihm schuldet, ist im Reglement genau bestimmt, er ist aber jederzeit bereit, weit mehr zu geben, freiwillig, als Dienstmann. Der Musketier ist seinem Vorgesetzten dankbar, der es ihm möglich macht, die tägliche, unab¬ änderliche Gewohnheit des Gehorchens, die so notwendig wie das Atmen ist, als eine Freude zu empfinden. So war es bei den Nibelungen, und so ist es bei den Musketieren der zweiten Kompagnie. Was nun auch diesem Gefühl zugrunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/231>, abgerufen am 23.07.2024.