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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Minnesangs Frühling in Frankreich

Bei Moustier-Ventadour im Departement Corrcze liegen auf einem mäßig
bewaldeten Hügel die Ruinen einer alten Burg. Dort herrschten einst die Viz-
grafen von Ventadour, und hier verlebte Bernhard von Ventadour, der Sohn
eines armen Schloßknechts, der den Backofen heizen mußte, seine Jugend.
Seine Lieder bezeichnen den Höhepunkt der provenzalischen Dichtung. Was
Zartheit des Ausdrucks, Innigkeit und Wahrheit des Gefühls, Tiefe der
Empfindung betrifft, so gebührt ihm der erste Platz im Minnesangsfrühling.
Er feierte in seiner Jugend die Gemahlin seines Gönners, des Vizgrafen von
Ventadour, die seinen Werbungen so sehr Gehör schenkte, daß Bernhard bald
genötigt wurde, das Schloß zu verlassen. Er ging zu Eleonore von Poitou,
der Enkelin des ältesten Troubadours, die die verführerische Schönheit, den
Geist und den Leichtsinn ihres Ahnen geerbt hatte.

Aus dem reichen Strauße der Lieder Bernhards mögen (nach Diez) einige
kleine Blüten folgen:

Die Liebe beherrscht sein ganzes Sinnen:

Zarte Sehnsucht atmen folgende Verse:

Oft wohl mit der Augen Tau
Schreib ich Grüße, ohne Ruh,
Die ich ihr, der holden Frau
Und der schönen sende zu;
Denk an ihren zarten Gram
Neulich, als ich Abschied nahm,
Wie sie barg ihr Antlitz klar,
Keiner Antwort mächtig war.

Wie sich -- der alten Volksdichtung gleich -- in den Liedern Bern¬
hards neben den frischen Naturbildern im Eingange naive Sinnlichkeit mit
wahrer Empfindung paart, davon ein Beispiel -- in Prosa leider. Mir
scheint, als ob der Dichter auf bestimmte Vorgänge seines Liebeslebens hin¬
deute: "Wenn ich sehe, wie in den öden Landen das Laub von den Bäumen
füllt, wenn die Kälte kommt und die wonnige Zeit schwindet, dann scheint es
mir gut, daß mein Lied noch gehört werde. . . . Gott, der du die Welt
regierst, gib es ihr ins Herz, mich aufzunehmen, der ich nun arm bin an
jedem Glück. Ich fürchte die Schone, die ich erzürnt habe. Zu ihr begebe
ich mich um Gnade flehend, und sie, wenn es ihr gefällt, nimmt mich oder
gibt mich weg wie ihren Sklaven. O übel wird sie tun, wenn sie mir nicht
befiehlt, dorthin zu kommen, wo sie ruht, damit ich sie entkleide, damit ich


Minnesangs Frühling in Frankreich

Bei Moustier-Ventadour im Departement Corrcze liegen auf einem mäßig
bewaldeten Hügel die Ruinen einer alten Burg. Dort herrschten einst die Viz-
grafen von Ventadour, und hier verlebte Bernhard von Ventadour, der Sohn
eines armen Schloßknechts, der den Backofen heizen mußte, seine Jugend.
Seine Lieder bezeichnen den Höhepunkt der provenzalischen Dichtung. Was
Zartheit des Ausdrucks, Innigkeit und Wahrheit des Gefühls, Tiefe der
Empfindung betrifft, so gebührt ihm der erste Platz im Minnesangsfrühling.
Er feierte in seiner Jugend die Gemahlin seines Gönners, des Vizgrafen von
Ventadour, die seinen Werbungen so sehr Gehör schenkte, daß Bernhard bald
genötigt wurde, das Schloß zu verlassen. Er ging zu Eleonore von Poitou,
der Enkelin des ältesten Troubadours, die die verführerische Schönheit, den
Geist und den Leichtsinn ihres Ahnen geerbt hatte.

Aus dem reichen Strauße der Lieder Bernhards mögen (nach Diez) einige
kleine Blüten folgen:

Die Liebe beherrscht sein ganzes Sinnen:

Zarte Sehnsucht atmen folgende Verse:

Oft wohl mit der Augen Tau
Schreib ich Grüße, ohne Ruh,
Die ich ihr, der holden Frau
Und der schönen sende zu;
Denk an ihren zarten Gram
Neulich, als ich Abschied nahm,
Wie sie barg ihr Antlitz klar,
Keiner Antwort mächtig war.

Wie sich — der alten Volksdichtung gleich — in den Liedern Bern¬
hards neben den frischen Naturbildern im Eingange naive Sinnlichkeit mit
wahrer Empfindung paart, davon ein Beispiel — in Prosa leider. Mir
scheint, als ob der Dichter auf bestimmte Vorgänge seines Liebeslebens hin¬
deute: „Wenn ich sehe, wie in den öden Landen das Laub von den Bäumen
füllt, wenn die Kälte kommt und die wonnige Zeit schwindet, dann scheint es
mir gut, daß mein Lied noch gehört werde. . . . Gott, der du die Welt
regierst, gib es ihr ins Herz, mich aufzunehmen, der ich nun arm bin an
jedem Glück. Ich fürchte die Schone, die ich erzürnt habe. Zu ihr begebe
ich mich um Gnade flehend, und sie, wenn es ihr gefällt, nimmt mich oder
gibt mich weg wie ihren Sklaven. O übel wird sie tun, wenn sie mir nicht
befiehlt, dorthin zu kommen, wo sie ruht, damit ich sie entkleide, damit ich


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[0215] Minnesangs Frühling in Frankreich Bei Moustier-Ventadour im Departement Corrcze liegen auf einem mäßig bewaldeten Hügel die Ruinen einer alten Burg. Dort herrschten einst die Viz- grafen von Ventadour, und hier verlebte Bernhard von Ventadour, der Sohn eines armen Schloßknechts, der den Backofen heizen mußte, seine Jugend. Seine Lieder bezeichnen den Höhepunkt der provenzalischen Dichtung. Was Zartheit des Ausdrucks, Innigkeit und Wahrheit des Gefühls, Tiefe der Empfindung betrifft, so gebührt ihm der erste Platz im Minnesangsfrühling. Er feierte in seiner Jugend die Gemahlin seines Gönners, des Vizgrafen von Ventadour, die seinen Werbungen so sehr Gehör schenkte, daß Bernhard bald genötigt wurde, das Schloß zu verlassen. Er ging zu Eleonore von Poitou, der Enkelin des ältesten Troubadours, die die verführerische Schönheit, den Geist und den Leichtsinn ihres Ahnen geerbt hatte. Aus dem reichen Strauße der Lieder Bernhards mögen (nach Diez) einige kleine Blüten folgen: Die Liebe beherrscht sein ganzes Sinnen: Zarte Sehnsucht atmen folgende Verse: Oft wohl mit der Augen Tau Schreib ich Grüße, ohne Ruh, Die ich ihr, der holden Frau Und der schönen sende zu; Denk an ihren zarten Gram Neulich, als ich Abschied nahm, Wie sie barg ihr Antlitz klar, Keiner Antwort mächtig war. Wie sich — der alten Volksdichtung gleich — in den Liedern Bern¬ hards neben den frischen Naturbildern im Eingange naive Sinnlichkeit mit wahrer Empfindung paart, davon ein Beispiel — in Prosa leider. Mir scheint, als ob der Dichter auf bestimmte Vorgänge seines Liebeslebens hin¬ deute: „Wenn ich sehe, wie in den öden Landen das Laub von den Bäumen füllt, wenn die Kälte kommt und die wonnige Zeit schwindet, dann scheint es mir gut, daß mein Lied noch gehört werde. . . . Gott, der du die Welt regierst, gib es ihr ins Herz, mich aufzunehmen, der ich nun arm bin an jedem Glück. Ich fürchte die Schone, die ich erzürnt habe. Zu ihr begebe ich mich um Gnade flehend, und sie, wenn es ihr gefällt, nimmt mich oder gibt mich weg wie ihren Sklaven. O übel wird sie tun, wenn sie mir nicht befiehlt, dorthin zu kommen, wo sie ruht, damit ich sie entkleide, damit ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/215>, abgerufen am 23.07.2024.