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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Minnesangs Frühling in Frankreich

zalischen Minnedichtung nehmen sie noch größern Anteil. Der Minnesang des
Südens ist im wesentlichen ihr Werk. Manche Umstände, auf die ich hier im
einzelnen nicht eingehn kann, förderten ihren Einfluß. Besonders muß her¬
vorgehoben werden, daß sich das Leben der verheirateten Damen in Süd¬
frankreich seit alters in wesentlich freiern Formen abspielte als im Norden.
Bezeichnend ist, daß im ältesten Volksepos, das im Norden geschaffen, im
Norden gepflegt wurde, der Frauen kaum gedacht wird. In der Provence
sollten ihre Ansichten in Fragen des höfischen Auslandes, in Liebesangelegen¬
heiten, bei Entscheidungen in Sachen der Dichtkunst bald die Geltung eines
Dogmas erhalten.

Für die Ritter der Provence, die -- anders als die Barone des Nordens --
dem rauhen Dienst der Waffen in den Jahren ruhigen Friedens fast entfremdet
waren, stand die Liebe, die Frauenverehrung, im Mittelpunkte des Denkens.
Die eigne Frau freilich hat, soviel ich weiß, nur ein Troubadour verherrlicht,
obschon die meisten verheiratet waren. Man feierte andre, fast ausnahmlos
verheiratete Frauen. Ganz unbedenklich war das nicht. In der Frühlings¬
zeit des Minnesanges war das wahre Gefühl noch nicht unter der Beobachtung
der äußern Formen der Courtoisie ertötet, und platonischer Liebe neigte ja das
Mittelalter im allgemeinen nicht zu. Mancher Ehemann ist damals getäuscht
worden. In leicht begreiflicher Eitelkeit liebten es die Frauen, daß ihr Lob
erklang, und oft mögen sie preisender Lieder wohl wert gewesen sein. Wir
gehn wohl nicht fehl, wenn wir glauben, daß diese Damen schön, doch leicht¬
fertigen Sinnes, voller Grazie und Anmut in Worten und Gebärden waren;
es sind ja die Eigenschaften, die man bei vielen unsrer Nachbarinnen jenseits
des Rheins auch heute noch antrifft.

Der älteste Troubadour, von dem wir wissen, war Herzog Wilhelm der
Neunte von Aquitanien, Graf von Poitou. Er war ein Kavalier mit allen
Vorzügen und Schwächen eines solchen.

So zog er als ehrenwerter Ritter ins Heilige Land als Buße für manche
tolle Liebelei. "Er zeichnete sich aus vor allen Fürsten der Welt durch seine
Tapferkeit im Waffendienste," so schreibt ein Chronist, und überall, wo alte
Bücher von ihm erzählen, erscheint er als ein Mann, "den Gott durch Körper-
schönheit und Geistesgröße in gleicher Weise ausgezeichnet hatte." Den Frauen
war er treu ergeben, das beweisen die vielen Liebschaften, von denen seine
Lieder künden. Ja auch dem dauernden Zwange der ehelichen Verbindung
war er nicht abhold. Drei, vielleicht gar vier Frauen hat er nacheinander
zum Altar geführt. Er ist recht eigentlich der erste Minnesänger Frankreichs.
Nicht mehr in der lateinischen Sprache der Kleriker, nicht mehr in den unge¬
fügen Assonanzen der ältesten Volkspoesie, schlicht und wahr in Form und
Empfindung und darum den Zusammenhang mit dem Volkslieds deutlich zeigend,


Grenzboten I 1905 28
Minnesangs Frühling in Frankreich

zalischen Minnedichtung nehmen sie noch größern Anteil. Der Minnesang des
Südens ist im wesentlichen ihr Werk. Manche Umstände, auf die ich hier im
einzelnen nicht eingehn kann, förderten ihren Einfluß. Besonders muß her¬
vorgehoben werden, daß sich das Leben der verheirateten Damen in Süd¬
frankreich seit alters in wesentlich freiern Formen abspielte als im Norden.
Bezeichnend ist, daß im ältesten Volksepos, das im Norden geschaffen, im
Norden gepflegt wurde, der Frauen kaum gedacht wird. In der Provence
sollten ihre Ansichten in Fragen des höfischen Auslandes, in Liebesangelegen¬
heiten, bei Entscheidungen in Sachen der Dichtkunst bald die Geltung eines
Dogmas erhalten.

Für die Ritter der Provence, die — anders als die Barone des Nordens —
dem rauhen Dienst der Waffen in den Jahren ruhigen Friedens fast entfremdet
waren, stand die Liebe, die Frauenverehrung, im Mittelpunkte des Denkens.
Die eigne Frau freilich hat, soviel ich weiß, nur ein Troubadour verherrlicht,
obschon die meisten verheiratet waren. Man feierte andre, fast ausnahmlos
verheiratete Frauen. Ganz unbedenklich war das nicht. In der Frühlings¬
zeit des Minnesanges war das wahre Gefühl noch nicht unter der Beobachtung
der äußern Formen der Courtoisie ertötet, und platonischer Liebe neigte ja das
Mittelalter im allgemeinen nicht zu. Mancher Ehemann ist damals getäuscht
worden. In leicht begreiflicher Eitelkeit liebten es die Frauen, daß ihr Lob
erklang, und oft mögen sie preisender Lieder wohl wert gewesen sein. Wir
gehn wohl nicht fehl, wenn wir glauben, daß diese Damen schön, doch leicht¬
fertigen Sinnes, voller Grazie und Anmut in Worten und Gebärden waren;
es sind ja die Eigenschaften, die man bei vielen unsrer Nachbarinnen jenseits
des Rheins auch heute noch antrifft.

Der älteste Troubadour, von dem wir wissen, war Herzog Wilhelm der
Neunte von Aquitanien, Graf von Poitou. Er war ein Kavalier mit allen
Vorzügen und Schwächen eines solchen.

So zog er als ehrenwerter Ritter ins Heilige Land als Buße für manche
tolle Liebelei. „Er zeichnete sich aus vor allen Fürsten der Welt durch seine
Tapferkeit im Waffendienste," so schreibt ein Chronist, und überall, wo alte
Bücher von ihm erzählen, erscheint er als ein Mann, „den Gott durch Körper-
schönheit und Geistesgröße in gleicher Weise ausgezeichnet hatte." Den Frauen
war er treu ergeben, das beweisen die vielen Liebschaften, von denen seine
Lieder künden. Ja auch dem dauernden Zwange der ehelichen Verbindung
war er nicht abhold. Drei, vielleicht gar vier Frauen hat er nacheinander
zum Altar geführt. Er ist recht eigentlich der erste Minnesänger Frankreichs.
Nicht mehr in der lateinischen Sprache der Kleriker, nicht mehr in den unge¬
fügen Assonanzen der ältesten Volkspoesie, schlicht und wahr in Form und
Empfindung und darum den Zusammenhang mit dem Volkslieds deutlich zeigend,


Grenzboten I 1905 28
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[0213] Minnesangs Frühling in Frankreich zalischen Minnedichtung nehmen sie noch größern Anteil. Der Minnesang des Südens ist im wesentlichen ihr Werk. Manche Umstände, auf die ich hier im einzelnen nicht eingehn kann, förderten ihren Einfluß. Besonders muß her¬ vorgehoben werden, daß sich das Leben der verheirateten Damen in Süd¬ frankreich seit alters in wesentlich freiern Formen abspielte als im Norden. Bezeichnend ist, daß im ältesten Volksepos, das im Norden geschaffen, im Norden gepflegt wurde, der Frauen kaum gedacht wird. In der Provence sollten ihre Ansichten in Fragen des höfischen Auslandes, in Liebesangelegen¬ heiten, bei Entscheidungen in Sachen der Dichtkunst bald die Geltung eines Dogmas erhalten. Für die Ritter der Provence, die — anders als die Barone des Nordens — dem rauhen Dienst der Waffen in den Jahren ruhigen Friedens fast entfremdet waren, stand die Liebe, die Frauenverehrung, im Mittelpunkte des Denkens. Die eigne Frau freilich hat, soviel ich weiß, nur ein Troubadour verherrlicht, obschon die meisten verheiratet waren. Man feierte andre, fast ausnahmlos verheiratete Frauen. Ganz unbedenklich war das nicht. In der Frühlings¬ zeit des Minnesanges war das wahre Gefühl noch nicht unter der Beobachtung der äußern Formen der Courtoisie ertötet, und platonischer Liebe neigte ja das Mittelalter im allgemeinen nicht zu. Mancher Ehemann ist damals getäuscht worden. In leicht begreiflicher Eitelkeit liebten es die Frauen, daß ihr Lob erklang, und oft mögen sie preisender Lieder wohl wert gewesen sein. Wir gehn wohl nicht fehl, wenn wir glauben, daß diese Damen schön, doch leicht¬ fertigen Sinnes, voller Grazie und Anmut in Worten und Gebärden waren; es sind ja die Eigenschaften, die man bei vielen unsrer Nachbarinnen jenseits des Rheins auch heute noch antrifft. Der älteste Troubadour, von dem wir wissen, war Herzog Wilhelm der Neunte von Aquitanien, Graf von Poitou. Er war ein Kavalier mit allen Vorzügen und Schwächen eines solchen. So zog er als ehrenwerter Ritter ins Heilige Land als Buße für manche tolle Liebelei. „Er zeichnete sich aus vor allen Fürsten der Welt durch seine Tapferkeit im Waffendienste," so schreibt ein Chronist, und überall, wo alte Bücher von ihm erzählen, erscheint er als ein Mann, „den Gott durch Körper- schönheit und Geistesgröße in gleicher Weise ausgezeichnet hatte." Den Frauen war er treu ergeben, das beweisen die vielen Liebschaften, von denen seine Lieder künden. Ja auch dem dauernden Zwange der ehelichen Verbindung war er nicht abhold. Drei, vielleicht gar vier Frauen hat er nacheinander zum Altar geführt. Er ist recht eigentlich der erste Minnesänger Frankreichs. Nicht mehr in der lateinischen Sprache der Kleriker, nicht mehr in den unge¬ fügen Assonanzen der ältesten Volkspoesie, schlicht und wahr in Form und Empfindung und darum den Zusammenhang mit dem Volkslieds deutlich zeigend, Grenzboten I 1905 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/213>, abgerufen am 23.07.2024.