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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Minnesangs Frühling in Frankreich

leuchteten Halle dem einsamen Burgherrn auch der feurigste Wein der Pro¬
vence nicht recht schmeckte. Da war der Spielmann ein gern gesehener Gast,
der mit neuen Liedern von Lenz und Liebe auch allerlei Kunde mitbrachte von
dem, was draußen in der Welt vorging. So konnte er gastfreundlicher Auf¬
nahme gewiß sein. Auf die Unterstützung der vornehmen Herren waren die
Spielleute ja angewiesen.

"Als Gott die Erde verteilte, so erzählt ein altfranzösisches Fablel, da
erhielten die Edeln den Grund und Boden, die Geistlichen die Zehnten und
Stiftungen, und die Bauern wurden verpflichtet, für beide zu arbeiten. Nun
waren aber noch zwei Stände unversorgt, die Spielleute und die fahrenden
Fräulein. Die kamen klagend vor Gott, und er bestimmte, daß jene -- die
Spielleute -- von den Edeln, diese -- die fahrenden Fräulein -- von den
Geistlichen ernährt werden sollten." (Vgl. Hertz, Spielmannsbuch, S. 31.)
Boshaft fügt der Dichter hinzu, die Geistlichen hätten Gottes Gebot getreulich
erfüllt, die Edeln aber hätten es nicht selten an der nötigen Freigebigkeit
fehlen lassen.

Das, was jedenfalls den Minnesang im engern Sinne heraufführte, war
das durch die Spielleute geweckte und beständig rege erhaltne Interesse der
großen Herren an der lyrischen Dichtung, ein Interesse, das sich schließlich,
als die Zeit der fröhlichen Fehden zu entschwinden drohte, in eignen dichterischen
Versuchen betätigte. Den Zusammenhang mit dem Spielmannsliede verleugnete
man zunächst nicht. Als sich die Ritter an der Literatur zu beteiligen be¬
gannen, da waren es die Spielleute, von denen sie die Vers- und Sanges¬
kunst erlernten. Häufig mischten sich gerade in der Provence arme junge und
verarmte alte Edelleute unter das fahrende Volk. Den Zorn der eifernden
Kirche, die den lockern Sangesbrüdern eine ewige Verdammnis prophezeite,
ließ man geduldig über sich ergehn, glaubte man doch gerade in der Hölle
die amüsanteste Gesellschaft vorzufinden. So sagt der ritterliche Held einer
Spielmannsdichtung sich zitiere nach Hertz a. a. O., S. 282):


"Was habe ich im Paradies zu tun? --

Ins Paradies kommen nur solche Leute, wie ich euch sagen will. Dahin
kommen die alten Pfaffen und die alten Krüppel und Lahmen, die Tag und
Nacht vor den Altären und in den alten Grüften hocken, die mit den alten
abgeschabten Kapuzen und den alten Lumpen angetan, die nackt sind und bar¬
fuß und ohne Hosen, und vor Hunger und Durst, Frost und Elend sterben.
Die kommen ins Paradies; mit denen habe ich nichts zu tun. Aber in die
Hölle will ich zehn! Denn in die Hölle kommen die weisen Meister und die
schönen Ritter, die in Turnieren und in gewaltigen Kriegen gefallen sind, die
guten Knappen und die freien Männer. Mit diesen will ich gehn! Auch
kommen dahin die schönen höfischen Damen, die neben ihrem Herrn zwei oder
drei Freunde hatten. Auch kommt dahin das Gold und das Silber, Pelz und
Grauwerk und Harfner und Spielleute und die Könige der Welt."

Wir haben schon gesehen, wie in Poitou und Limousin gerade die Frauen
es waren, die ihren Gefühlen in Liedern Ausdruck gaben; an der proben-


Minnesangs Frühling in Frankreich

leuchteten Halle dem einsamen Burgherrn auch der feurigste Wein der Pro¬
vence nicht recht schmeckte. Da war der Spielmann ein gern gesehener Gast,
der mit neuen Liedern von Lenz und Liebe auch allerlei Kunde mitbrachte von
dem, was draußen in der Welt vorging. So konnte er gastfreundlicher Auf¬
nahme gewiß sein. Auf die Unterstützung der vornehmen Herren waren die
Spielleute ja angewiesen.

„Als Gott die Erde verteilte, so erzählt ein altfranzösisches Fablel, da
erhielten die Edeln den Grund und Boden, die Geistlichen die Zehnten und
Stiftungen, und die Bauern wurden verpflichtet, für beide zu arbeiten. Nun
waren aber noch zwei Stände unversorgt, die Spielleute und die fahrenden
Fräulein. Die kamen klagend vor Gott, und er bestimmte, daß jene — die
Spielleute — von den Edeln, diese — die fahrenden Fräulein — von den
Geistlichen ernährt werden sollten." (Vgl. Hertz, Spielmannsbuch, S. 31.)
Boshaft fügt der Dichter hinzu, die Geistlichen hätten Gottes Gebot getreulich
erfüllt, die Edeln aber hätten es nicht selten an der nötigen Freigebigkeit
fehlen lassen.

Das, was jedenfalls den Minnesang im engern Sinne heraufführte, war
das durch die Spielleute geweckte und beständig rege erhaltne Interesse der
großen Herren an der lyrischen Dichtung, ein Interesse, das sich schließlich,
als die Zeit der fröhlichen Fehden zu entschwinden drohte, in eignen dichterischen
Versuchen betätigte. Den Zusammenhang mit dem Spielmannsliede verleugnete
man zunächst nicht. Als sich die Ritter an der Literatur zu beteiligen be¬
gannen, da waren es die Spielleute, von denen sie die Vers- und Sanges¬
kunst erlernten. Häufig mischten sich gerade in der Provence arme junge und
verarmte alte Edelleute unter das fahrende Volk. Den Zorn der eifernden
Kirche, die den lockern Sangesbrüdern eine ewige Verdammnis prophezeite,
ließ man geduldig über sich ergehn, glaubte man doch gerade in der Hölle
die amüsanteste Gesellschaft vorzufinden. So sagt der ritterliche Held einer
Spielmannsdichtung sich zitiere nach Hertz a. a. O., S. 282):


„Was habe ich im Paradies zu tun? —

Ins Paradies kommen nur solche Leute, wie ich euch sagen will. Dahin
kommen die alten Pfaffen und die alten Krüppel und Lahmen, die Tag und
Nacht vor den Altären und in den alten Grüften hocken, die mit den alten
abgeschabten Kapuzen und den alten Lumpen angetan, die nackt sind und bar¬
fuß und ohne Hosen, und vor Hunger und Durst, Frost und Elend sterben.
Die kommen ins Paradies; mit denen habe ich nichts zu tun. Aber in die
Hölle will ich zehn! Denn in die Hölle kommen die weisen Meister und die
schönen Ritter, die in Turnieren und in gewaltigen Kriegen gefallen sind, die
guten Knappen und die freien Männer. Mit diesen will ich gehn! Auch
kommen dahin die schönen höfischen Damen, die neben ihrem Herrn zwei oder
drei Freunde hatten. Auch kommt dahin das Gold und das Silber, Pelz und
Grauwerk und Harfner und Spielleute und die Könige der Welt."

Wir haben schon gesehen, wie in Poitou und Limousin gerade die Frauen
es waren, die ihren Gefühlen in Liedern Ausdruck gaben; an der proben-


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[0212] Minnesangs Frühling in Frankreich leuchteten Halle dem einsamen Burgherrn auch der feurigste Wein der Pro¬ vence nicht recht schmeckte. Da war der Spielmann ein gern gesehener Gast, der mit neuen Liedern von Lenz und Liebe auch allerlei Kunde mitbrachte von dem, was draußen in der Welt vorging. So konnte er gastfreundlicher Auf¬ nahme gewiß sein. Auf die Unterstützung der vornehmen Herren waren die Spielleute ja angewiesen. „Als Gott die Erde verteilte, so erzählt ein altfranzösisches Fablel, da erhielten die Edeln den Grund und Boden, die Geistlichen die Zehnten und Stiftungen, und die Bauern wurden verpflichtet, für beide zu arbeiten. Nun waren aber noch zwei Stände unversorgt, die Spielleute und die fahrenden Fräulein. Die kamen klagend vor Gott, und er bestimmte, daß jene — die Spielleute — von den Edeln, diese — die fahrenden Fräulein — von den Geistlichen ernährt werden sollten." (Vgl. Hertz, Spielmannsbuch, S. 31.) Boshaft fügt der Dichter hinzu, die Geistlichen hätten Gottes Gebot getreulich erfüllt, die Edeln aber hätten es nicht selten an der nötigen Freigebigkeit fehlen lassen. Das, was jedenfalls den Minnesang im engern Sinne heraufführte, war das durch die Spielleute geweckte und beständig rege erhaltne Interesse der großen Herren an der lyrischen Dichtung, ein Interesse, das sich schließlich, als die Zeit der fröhlichen Fehden zu entschwinden drohte, in eignen dichterischen Versuchen betätigte. Den Zusammenhang mit dem Spielmannsliede verleugnete man zunächst nicht. Als sich die Ritter an der Literatur zu beteiligen be¬ gannen, da waren es die Spielleute, von denen sie die Vers- und Sanges¬ kunst erlernten. Häufig mischten sich gerade in der Provence arme junge und verarmte alte Edelleute unter das fahrende Volk. Den Zorn der eifernden Kirche, die den lockern Sangesbrüdern eine ewige Verdammnis prophezeite, ließ man geduldig über sich ergehn, glaubte man doch gerade in der Hölle die amüsanteste Gesellschaft vorzufinden. So sagt der ritterliche Held einer Spielmannsdichtung sich zitiere nach Hertz a. a. O., S. 282): „Was habe ich im Paradies zu tun? — Ins Paradies kommen nur solche Leute, wie ich euch sagen will. Dahin kommen die alten Pfaffen und die alten Krüppel und Lahmen, die Tag und Nacht vor den Altären und in den alten Grüften hocken, die mit den alten abgeschabten Kapuzen und den alten Lumpen angetan, die nackt sind und bar¬ fuß und ohne Hosen, und vor Hunger und Durst, Frost und Elend sterben. Die kommen ins Paradies; mit denen habe ich nichts zu tun. Aber in die Hölle will ich zehn! Denn in die Hölle kommen die weisen Meister und die schönen Ritter, die in Turnieren und in gewaltigen Kriegen gefallen sind, die guten Knappen und die freien Männer. Mit diesen will ich gehn! Auch kommen dahin die schönen höfischen Damen, die neben ihrem Herrn zwei oder drei Freunde hatten. Auch kommt dahin das Gold und das Silber, Pelz und Grauwerk und Harfner und Spielleute und die Könige der Welt." Wir haben schon gesehen, wie in Poitou und Limousin gerade die Frauen es waren, die ihren Gefühlen in Liedern Ausdruck gaben; an der proben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/212>, abgerufen am 22.12.2024.