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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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dessen heimliches Wohlgefallen an solchen Gemeinheiten solche Sumpfpflanzen gar
nicht existieren konnten, sind auch einzelne in der Wolle gefärbte liberale Blätter
nach der alten, dem Durchschnittsdeutschen so sympathischen Ansicht, daß sich
Patriotismus und Mannesmut vor allem in der Bekämpfung der Regierung
zeigen, der Reichsregierung gegenüber Oppositionsblätter sens xw-aso, denen
jedes Gefühl der Verantwortlichkeit für das, was sie damit anrichten, abhanden
gekommen zu sein scheint. Jede Woche mindestens einmal muß der Reichs¬
kanzler vom Nedaktionstisch aus ernsthaft verwarnt werden, damit er nicht
dummes Zeug macht, und der Kaiser darf keine eigne Meinung haben oder
gar äußern (nicht einmal über die Kunst), die von der in Schöppenstedt oder in
Schilda gebilligten abweicht, ohne daß der "monarchische Gedanke" geschädigt
wird, den doch niemand mehr schädigt als diese Art von Presse, die sich national
und sogar monarchisch nennt, und die ganz partikularistisch auch für jede klein-
staatliche Empfindlichkeit die zarteste Rücksicht hat, namentlich dann, wenn sie
sich gegen den Kaiser verwenden läßt. Niemals ist ein begabter und pflicht¬
treuer Herrscher so hämisch und gehässig behandelt worden wie unser Kaiser
von "nationalen" Blättern. Dazu das fortwährende Zedern über die Geführ¬
dung der deutschen Geistesfreiheit, weil die Reichsregierung, wie die Dinge sich
durch die Schuld der Liberalen seit fünfundzwanzig Jahren leider entwickelt
haben, das Zentrum als die stärkste Partei des Reichstags behandelt, also
auch berücksichtigt. Der Mtramontanismus schränkt doch höchstens die Geistes¬
freiheit der Katholiken ein, auf die protestantische Wissenschaft, Schule und
Kirche hat er gar keinen Einfluß, und es ist Sache der Katholiken, ob und
wie weit sie sich die Freiheit des Denkens und des Forschens verkürzen lassen
wollen. Lassen sie sich das gefallen, nun, so ist das ihr eigner Schaden, ihre
Wissenschaft wird dann eben niemals aus ihrer so oft peinlich empfundnen
"Inferiorität" herauskommen, dabei kann ihnen weder der Protestantismus noch
der Staat helfen. Daß aber die Prinzipien des Ultramontnnismus mit dem
modernen Staatsbegriff unvereinbar sind, das braucht nicht immer wieder be¬
wiesen zu werden, das weiß jeder, der über solche Dinge ein Urteil hat, und
wer das hat, der weiß auch, daß hier nur ein moäus vivsnäi möglich ist, den
man stört, wenn man fortwährend, was freilich echt deutsche Art und Unart
ist, die prinzipiellen Gegensätze hervorkehrt. Wie könnten sich in Italien trotz
viel schärfern Gegensätzen Kirche und Staat praktisch vertragen, wenn die
Italiener nicht eben kluge Leute wären! Wären wir Deutschen in ihrer Lage,
säße der Papst etwa in Fulda, und wir hätten ihm sein geistliches Fürstentum
weggenommen, wir hätten deshalb schon längst wieder einen Dreißigjährigen
Krieg angefangen. Ist doch schon der Gedanke aufgetaucht, den Evangelischen
Bund zu einer politischen Partei, zu einem protestantischen Zentrum zu machen.
Davor bewahre uns der Himmel, das wäre die Zerreißung des deutscheu Volks
aus kirchlichen Rücksichten. Gewisse Leute scheinen eben aus der Geschichte gar
nichts zu lernen.

Was unsrer nationalen Presse und unfern "bürgerlichen," "nationalen" Par¬
teien fehlt, das sind neue große politische Ideale, und deshalb kommen sie
hinter dem Zentrum und den Sozialdemokraten, die noch Ideale haben, mehr


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dessen heimliches Wohlgefallen an solchen Gemeinheiten solche Sumpfpflanzen gar
nicht existieren konnten, sind auch einzelne in der Wolle gefärbte liberale Blätter
nach der alten, dem Durchschnittsdeutschen so sympathischen Ansicht, daß sich
Patriotismus und Mannesmut vor allem in der Bekämpfung der Regierung
zeigen, der Reichsregierung gegenüber Oppositionsblätter sens xw-aso, denen
jedes Gefühl der Verantwortlichkeit für das, was sie damit anrichten, abhanden
gekommen zu sein scheint. Jede Woche mindestens einmal muß der Reichs¬
kanzler vom Nedaktionstisch aus ernsthaft verwarnt werden, damit er nicht
dummes Zeug macht, und der Kaiser darf keine eigne Meinung haben oder
gar äußern (nicht einmal über die Kunst), die von der in Schöppenstedt oder in
Schilda gebilligten abweicht, ohne daß der „monarchische Gedanke" geschädigt
wird, den doch niemand mehr schädigt als diese Art von Presse, die sich national
und sogar monarchisch nennt, und die ganz partikularistisch auch für jede klein-
staatliche Empfindlichkeit die zarteste Rücksicht hat, namentlich dann, wenn sie
sich gegen den Kaiser verwenden läßt. Niemals ist ein begabter und pflicht¬
treuer Herrscher so hämisch und gehässig behandelt worden wie unser Kaiser
von „nationalen" Blättern. Dazu das fortwährende Zedern über die Geführ¬
dung der deutschen Geistesfreiheit, weil die Reichsregierung, wie die Dinge sich
durch die Schuld der Liberalen seit fünfundzwanzig Jahren leider entwickelt
haben, das Zentrum als die stärkste Partei des Reichstags behandelt, also
auch berücksichtigt. Der Mtramontanismus schränkt doch höchstens die Geistes¬
freiheit der Katholiken ein, auf die protestantische Wissenschaft, Schule und
Kirche hat er gar keinen Einfluß, und es ist Sache der Katholiken, ob und
wie weit sie sich die Freiheit des Denkens und des Forschens verkürzen lassen
wollen. Lassen sie sich das gefallen, nun, so ist das ihr eigner Schaden, ihre
Wissenschaft wird dann eben niemals aus ihrer so oft peinlich empfundnen
„Inferiorität" herauskommen, dabei kann ihnen weder der Protestantismus noch
der Staat helfen. Daß aber die Prinzipien des Ultramontnnismus mit dem
modernen Staatsbegriff unvereinbar sind, das braucht nicht immer wieder be¬
wiesen zu werden, das weiß jeder, der über solche Dinge ein Urteil hat, und
wer das hat, der weiß auch, daß hier nur ein moäus vivsnäi möglich ist, den
man stört, wenn man fortwährend, was freilich echt deutsche Art und Unart
ist, die prinzipiellen Gegensätze hervorkehrt. Wie könnten sich in Italien trotz
viel schärfern Gegensätzen Kirche und Staat praktisch vertragen, wenn die
Italiener nicht eben kluge Leute wären! Wären wir Deutschen in ihrer Lage,
säße der Papst etwa in Fulda, und wir hätten ihm sein geistliches Fürstentum
weggenommen, wir hätten deshalb schon längst wieder einen Dreißigjährigen
Krieg angefangen. Ist doch schon der Gedanke aufgetaucht, den Evangelischen
Bund zu einer politischen Partei, zu einem protestantischen Zentrum zu machen.
Davor bewahre uns der Himmel, das wäre die Zerreißung des deutscheu Volks
aus kirchlichen Rücksichten. Gewisse Leute scheinen eben aus der Geschichte gar
nichts zu lernen.

Was unsrer nationalen Presse und unfern „bürgerlichen," „nationalen" Par¬
teien fehlt, das sind neue große politische Ideale, und deshalb kommen sie
hinter dem Zentrum und den Sozialdemokraten, die noch Ideale haben, mehr


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[0019] Line Silvesterbetrachtung dessen heimliches Wohlgefallen an solchen Gemeinheiten solche Sumpfpflanzen gar nicht existieren konnten, sind auch einzelne in der Wolle gefärbte liberale Blätter nach der alten, dem Durchschnittsdeutschen so sympathischen Ansicht, daß sich Patriotismus und Mannesmut vor allem in der Bekämpfung der Regierung zeigen, der Reichsregierung gegenüber Oppositionsblätter sens xw-aso, denen jedes Gefühl der Verantwortlichkeit für das, was sie damit anrichten, abhanden gekommen zu sein scheint. Jede Woche mindestens einmal muß der Reichs¬ kanzler vom Nedaktionstisch aus ernsthaft verwarnt werden, damit er nicht dummes Zeug macht, und der Kaiser darf keine eigne Meinung haben oder gar äußern (nicht einmal über die Kunst), die von der in Schöppenstedt oder in Schilda gebilligten abweicht, ohne daß der „monarchische Gedanke" geschädigt wird, den doch niemand mehr schädigt als diese Art von Presse, die sich national und sogar monarchisch nennt, und die ganz partikularistisch auch für jede klein- staatliche Empfindlichkeit die zarteste Rücksicht hat, namentlich dann, wenn sie sich gegen den Kaiser verwenden läßt. Niemals ist ein begabter und pflicht¬ treuer Herrscher so hämisch und gehässig behandelt worden wie unser Kaiser von „nationalen" Blättern. Dazu das fortwährende Zedern über die Geführ¬ dung der deutschen Geistesfreiheit, weil die Reichsregierung, wie die Dinge sich durch die Schuld der Liberalen seit fünfundzwanzig Jahren leider entwickelt haben, das Zentrum als die stärkste Partei des Reichstags behandelt, also auch berücksichtigt. Der Mtramontanismus schränkt doch höchstens die Geistes¬ freiheit der Katholiken ein, auf die protestantische Wissenschaft, Schule und Kirche hat er gar keinen Einfluß, und es ist Sache der Katholiken, ob und wie weit sie sich die Freiheit des Denkens und des Forschens verkürzen lassen wollen. Lassen sie sich das gefallen, nun, so ist das ihr eigner Schaden, ihre Wissenschaft wird dann eben niemals aus ihrer so oft peinlich empfundnen „Inferiorität" herauskommen, dabei kann ihnen weder der Protestantismus noch der Staat helfen. Daß aber die Prinzipien des Ultramontnnismus mit dem modernen Staatsbegriff unvereinbar sind, das braucht nicht immer wieder be¬ wiesen zu werden, das weiß jeder, der über solche Dinge ein Urteil hat, und wer das hat, der weiß auch, daß hier nur ein moäus vivsnäi möglich ist, den man stört, wenn man fortwährend, was freilich echt deutsche Art und Unart ist, die prinzipiellen Gegensätze hervorkehrt. Wie könnten sich in Italien trotz viel schärfern Gegensätzen Kirche und Staat praktisch vertragen, wenn die Italiener nicht eben kluge Leute wären! Wären wir Deutschen in ihrer Lage, säße der Papst etwa in Fulda, und wir hätten ihm sein geistliches Fürstentum weggenommen, wir hätten deshalb schon längst wieder einen Dreißigjährigen Krieg angefangen. Ist doch schon der Gedanke aufgetaucht, den Evangelischen Bund zu einer politischen Partei, zu einem protestantischen Zentrum zu machen. Davor bewahre uns der Himmel, das wäre die Zerreißung des deutscheu Volks aus kirchlichen Rücksichten. Gewisse Leute scheinen eben aus der Geschichte gar nichts zu lernen. Was unsrer nationalen Presse und unfern „bürgerlichen," „nationalen" Par¬ teien fehlt, das sind neue große politische Ideale, und deshalb kommen sie hinter dem Zentrum und den Sozialdemokraten, die noch Ideale haben, mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/19>, abgerufen am 22.12.2024.