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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ebensowenig wie dies in Frankreich zu irgendeiner Zeit wegen eines Ausstands
in Algier der Fall gewesen ist. Bekämpfung von Aufruhr ist eine Pflicht der
Verwaltung, dazu ist sie da, und es genügt verfassungsrechtlich durchaus, daß sie
die dabei entstandnen Kosten nachträglich vom Parlament genehmigen läßt. Ist
aber die Einberufung des Reichstags in solchen Fällen verfassungsrechtlich nicht
geboten, so hat die Regierung auch keine Verpflichtung, eine Indemnität nach¬
zusuchen für Ausgaben, die durchaus innerhalb ihrer Pflichten und ihrer Zuständig¬
keit nötig waren und ohne Aufschub geleistet werden mußten. Die Annahme,,
daß sich der Reichstag, zumal in diesen Tagen, wo sich der Ausbruch des wesent¬
lich durch ihn angerichteten afrikanischen Unheils zum erstenmal jährt, auf das hohe
Roß der Indemnität setzen würde, ist vorher wohl schwerlich irgend jemand ge¬
kommen. Als der Reichstag vertagt wurde, war es für jeden denkenden Deutschen
klar, daß die Niederwerfung des Aufstands noch großen Aufwand von Menschen
und Geld fordern werde und noch einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen
werde. Um so mehr darf man sich wundern, daß damals keine Partei eine
Initiative ergriffen hat, um eine Verständigung über die Mittel durch Bewilligung
einer Minimalsumme herbeizuführen. Das Spielen mit dem Feuer des Konflikts
durch Aufwerfen der Jndemnitätssrage in einem Augenblick, wo der Brand in.
Südwestafrika noch hell lodert, ist geradezu unverständlich und kann durch keinen
sachlichen Grund erklärt werden. Der Bundesrat hat sich dieser Forderung gefügt
oder ist ihr in gewissem Sinne sogar zuvorgekommen, weil er den Augenblick
nicht für geeignet und den Fall nicht für bedeutend genug hielt, die Situation
mit einem innern Konflikt zu belasten; aber als Präzedenzfall wird er es schwerlich
gelten lassen. Prinzipienfragen soll man im öffentlichen Leben nur diskutieren,
wenn man entschlossen ist, den eignen Standpunkt durchzusetzen. Der Bundesrat
hat wohl daran getan, daß er dem vorliegenden Falle, den die Ungewohntheit
größerer kolonialer Kämpfe entschuldigt, eine solche Bedeutung nicht beimaß. Wären
wir eine ältere Kolonialmacht, so würde die Behandlung solcher Dinge im Par¬
lament ohnehin anders sein. Ebenso wie man heute verwundert den Kopf darüber
schüttelt, daß in Preußen ein fünfjähriger Konflikt, der den Staat in seinen
Grundfesten erschütterte, wegen neun Millionen Talern möglich war -- heute
die Kosten eines einzigen Linienschiffs --, so werden unsre Enkel über die Be¬
handlung der afrikanischen Dinge durch den heutigen Reichstag erstaunt sein. Oder
sollte die heutige Reichsverfassung auf die Dauer wirklich nicht der Sattel sein,
worin Deutschland reiten kann? Aus den ersten Blick hin möchte man die Frage
bejahen, aber gerade die Konfliktszeit in Preußen mit dem aus einer völlig andern
Art von Wahlen hervorgegcmgnen Abgeordnetenhause beweist, daß politische Kurz¬
sichtigkeit unter jedem Wahlrecht möglich und siegreich sein kann.

Allerdings verändert der Charakter des Reichs als Bundesstaat diese Frage
insofern, als der Widerstand in Preußen von einer einheitlich geschlossenen Regierung
geleistet werden konnte, während die Widerstandskraft und Widerstnndsneigung bei
den einzelnen deutschen Regierungen sehr verschieden sein kann, demgemäß auch die
Widerstandsfähigkeit des Bundesrath. Im großen und ganzen hat dieser in den
letzten vierzehn Jahren eine unverkennbare Neigung zur Nachgiebigkeit dem Reichs¬
tage gegenüber entwickelt, ohne dafür Dank oder Anerkennung, vielmehr nur weiter¬
gehende Forderungen zu ernten. So will uns u. a. auch die Einmischung des
Reichstags in die Behandlung der Hererogefaugnen nicht unbedenklich erscheinen.
In einem Ausstandsgebiet, zumal einem wilden und heimtückischen Gegner gegen¬
über, muß das Kriegsrecht herrschen. Selbstverständlich hat die Regierung das
Recht und unter Umständen die Pflicht, dem Oberbefehlshaber hierin gewisse
Grenzen vorzuzeichnen, aber die öffentliche Diskussion darüber kann auf die unter
den schwierigsten Verhältnissen dort ringenden Truppen schwerlich einen guten Ein¬
druck machen. Will der Reichstag auch noch Hofkriegsrat spielen? Und wohin
sind wir mit der bei frühern Anlässen so ausgiebig bewiesneu Milde und Huma¬
nität gekommen? Unsre Truppen denken gewiß nicht daran, einen Ausrottungs-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

ebensowenig wie dies in Frankreich zu irgendeiner Zeit wegen eines Ausstands
in Algier der Fall gewesen ist. Bekämpfung von Aufruhr ist eine Pflicht der
Verwaltung, dazu ist sie da, und es genügt verfassungsrechtlich durchaus, daß sie
die dabei entstandnen Kosten nachträglich vom Parlament genehmigen läßt. Ist
aber die Einberufung des Reichstags in solchen Fällen verfassungsrechtlich nicht
geboten, so hat die Regierung auch keine Verpflichtung, eine Indemnität nach¬
zusuchen für Ausgaben, die durchaus innerhalb ihrer Pflichten und ihrer Zuständig¬
keit nötig waren und ohne Aufschub geleistet werden mußten. Die Annahme,,
daß sich der Reichstag, zumal in diesen Tagen, wo sich der Ausbruch des wesent¬
lich durch ihn angerichteten afrikanischen Unheils zum erstenmal jährt, auf das hohe
Roß der Indemnität setzen würde, ist vorher wohl schwerlich irgend jemand ge¬
kommen. Als der Reichstag vertagt wurde, war es für jeden denkenden Deutschen
klar, daß die Niederwerfung des Aufstands noch großen Aufwand von Menschen
und Geld fordern werde und noch einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen
werde. Um so mehr darf man sich wundern, daß damals keine Partei eine
Initiative ergriffen hat, um eine Verständigung über die Mittel durch Bewilligung
einer Minimalsumme herbeizuführen. Das Spielen mit dem Feuer des Konflikts
durch Aufwerfen der Jndemnitätssrage in einem Augenblick, wo der Brand in.
Südwestafrika noch hell lodert, ist geradezu unverständlich und kann durch keinen
sachlichen Grund erklärt werden. Der Bundesrat hat sich dieser Forderung gefügt
oder ist ihr in gewissem Sinne sogar zuvorgekommen, weil er den Augenblick
nicht für geeignet und den Fall nicht für bedeutend genug hielt, die Situation
mit einem innern Konflikt zu belasten; aber als Präzedenzfall wird er es schwerlich
gelten lassen. Prinzipienfragen soll man im öffentlichen Leben nur diskutieren,
wenn man entschlossen ist, den eignen Standpunkt durchzusetzen. Der Bundesrat
hat wohl daran getan, daß er dem vorliegenden Falle, den die Ungewohntheit
größerer kolonialer Kämpfe entschuldigt, eine solche Bedeutung nicht beimaß. Wären
wir eine ältere Kolonialmacht, so würde die Behandlung solcher Dinge im Par¬
lament ohnehin anders sein. Ebenso wie man heute verwundert den Kopf darüber
schüttelt, daß in Preußen ein fünfjähriger Konflikt, der den Staat in seinen
Grundfesten erschütterte, wegen neun Millionen Talern möglich war — heute
die Kosten eines einzigen Linienschiffs —, so werden unsre Enkel über die Be¬
handlung der afrikanischen Dinge durch den heutigen Reichstag erstaunt sein. Oder
sollte die heutige Reichsverfassung auf die Dauer wirklich nicht der Sattel sein,
worin Deutschland reiten kann? Aus den ersten Blick hin möchte man die Frage
bejahen, aber gerade die Konfliktszeit in Preußen mit dem aus einer völlig andern
Art von Wahlen hervorgegcmgnen Abgeordnetenhause beweist, daß politische Kurz¬
sichtigkeit unter jedem Wahlrecht möglich und siegreich sein kann.

Allerdings verändert der Charakter des Reichs als Bundesstaat diese Frage
insofern, als der Widerstand in Preußen von einer einheitlich geschlossenen Regierung
geleistet werden konnte, während die Widerstandskraft und Widerstnndsneigung bei
den einzelnen deutschen Regierungen sehr verschieden sein kann, demgemäß auch die
Widerstandsfähigkeit des Bundesrath. Im großen und ganzen hat dieser in den
letzten vierzehn Jahren eine unverkennbare Neigung zur Nachgiebigkeit dem Reichs¬
tage gegenüber entwickelt, ohne dafür Dank oder Anerkennung, vielmehr nur weiter¬
gehende Forderungen zu ernten. So will uns u. a. auch die Einmischung des
Reichstags in die Behandlung der Hererogefaugnen nicht unbedenklich erscheinen.
In einem Ausstandsgebiet, zumal einem wilden und heimtückischen Gegner gegen¬
über, muß das Kriegsrecht herrschen. Selbstverständlich hat die Regierung das
Recht und unter Umständen die Pflicht, dem Oberbefehlshaber hierin gewisse
Grenzen vorzuzeichnen, aber die öffentliche Diskussion darüber kann auf die unter
den schwierigsten Verhältnissen dort ringenden Truppen schwerlich einen guten Ein¬
druck machen. Will der Reichstag auch noch Hofkriegsrat spielen? Und wohin
sind wir mit der bei frühern Anlässen so ausgiebig bewiesneu Milde und Huma¬
nität gekommen? Unsre Truppen denken gewiß nicht daran, einen Ausrottungs-


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[0186] Maßgebliches und Unmaßgebliches ebensowenig wie dies in Frankreich zu irgendeiner Zeit wegen eines Ausstands in Algier der Fall gewesen ist. Bekämpfung von Aufruhr ist eine Pflicht der Verwaltung, dazu ist sie da, und es genügt verfassungsrechtlich durchaus, daß sie die dabei entstandnen Kosten nachträglich vom Parlament genehmigen läßt. Ist aber die Einberufung des Reichstags in solchen Fällen verfassungsrechtlich nicht geboten, so hat die Regierung auch keine Verpflichtung, eine Indemnität nach¬ zusuchen für Ausgaben, die durchaus innerhalb ihrer Pflichten und ihrer Zuständig¬ keit nötig waren und ohne Aufschub geleistet werden mußten. Die Annahme,, daß sich der Reichstag, zumal in diesen Tagen, wo sich der Ausbruch des wesent¬ lich durch ihn angerichteten afrikanischen Unheils zum erstenmal jährt, auf das hohe Roß der Indemnität setzen würde, ist vorher wohl schwerlich irgend jemand ge¬ kommen. Als der Reichstag vertagt wurde, war es für jeden denkenden Deutschen klar, daß die Niederwerfung des Aufstands noch großen Aufwand von Menschen und Geld fordern werde und noch einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen werde. Um so mehr darf man sich wundern, daß damals keine Partei eine Initiative ergriffen hat, um eine Verständigung über die Mittel durch Bewilligung einer Minimalsumme herbeizuführen. Das Spielen mit dem Feuer des Konflikts durch Aufwerfen der Jndemnitätssrage in einem Augenblick, wo der Brand in. Südwestafrika noch hell lodert, ist geradezu unverständlich und kann durch keinen sachlichen Grund erklärt werden. Der Bundesrat hat sich dieser Forderung gefügt oder ist ihr in gewissem Sinne sogar zuvorgekommen, weil er den Augenblick nicht für geeignet und den Fall nicht für bedeutend genug hielt, die Situation mit einem innern Konflikt zu belasten; aber als Präzedenzfall wird er es schwerlich gelten lassen. Prinzipienfragen soll man im öffentlichen Leben nur diskutieren, wenn man entschlossen ist, den eignen Standpunkt durchzusetzen. Der Bundesrat hat wohl daran getan, daß er dem vorliegenden Falle, den die Ungewohntheit größerer kolonialer Kämpfe entschuldigt, eine solche Bedeutung nicht beimaß. Wären wir eine ältere Kolonialmacht, so würde die Behandlung solcher Dinge im Par¬ lament ohnehin anders sein. Ebenso wie man heute verwundert den Kopf darüber schüttelt, daß in Preußen ein fünfjähriger Konflikt, der den Staat in seinen Grundfesten erschütterte, wegen neun Millionen Talern möglich war — heute die Kosten eines einzigen Linienschiffs —, so werden unsre Enkel über die Be¬ handlung der afrikanischen Dinge durch den heutigen Reichstag erstaunt sein. Oder sollte die heutige Reichsverfassung auf die Dauer wirklich nicht der Sattel sein, worin Deutschland reiten kann? Aus den ersten Blick hin möchte man die Frage bejahen, aber gerade die Konfliktszeit in Preußen mit dem aus einer völlig andern Art von Wahlen hervorgegcmgnen Abgeordnetenhause beweist, daß politische Kurz¬ sichtigkeit unter jedem Wahlrecht möglich und siegreich sein kann. Allerdings verändert der Charakter des Reichs als Bundesstaat diese Frage insofern, als der Widerstand in Preußen von einer einheitlich geschlossenen Regierung geleistet werden konnte, während die Widerstandskraft und Widerstnndsneigung bei den einzelnen deutschen Regierungen sehr verschieden sein kann, demgemäß auch die Widerstandsfähigkeit des Bundesrath. Im großen und ganzen hat dieser in den letzten vierzehn Jahren eine unverkennbare Neigung zur Nachgiebigkeit dem Reichs¬ tage gegenüber entwickelt, ohne dafür Dank oder Anerkennung, vielmehr nur weiter¬ gehende Forderungen zu ernten. So will uns u. a. auch die Einmischung des Reichstags in die Behandlung der Hererogefaugnen nicht unbedenklich erscheinen. In einem Ausstandsgebiet, zumal einem wilden und heimtückischen Gegner gegen¬ über, muß das Kriegsrecht herrschen. Selbstverständlich hat die Regierung das Recht und unter Umständen die Pflicht, dem Oberbefehlshaber hierin gewisse Grenzen vorzuzeichnen, aber die öffentliche Diskussion darüber kann auf die unter den schwierigsten Verhältnissen dort ringenden Truppen schwerlich einen guten Ein¬ druck machen. Will der Reichstag auch noch Hofkriegsrat spielen? Und wohin sind wir mit der bei frühern Anlässen so ausgiebig bewiesneu Milde und Huma¬ nität gekommen? Unsre Truppen denken gewiß nicht daran, einen Ausrottungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/186>, abgerufen am 22.12.2024.