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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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von der Reichshauptstadt nach dein Riesengebirge durch die Tust

ihn. Alle diese Seen zeigen eine schöne blaue Farbe, nur selten erscheint
einer, wie zum Beispiel der vorhin gesehene "Hinterste See," lehmfarbig
graubraun.

Fern im Westen hören wir dumpfes Rollen und Grollen. Gewitter bei
diesem klaren Himmel, an dem sich nnr vereinzelte Wölkchen zeigen? Das
ist kaum möglich. Heilige Barbara, dort im Westen liegt ja Kunersdorf, von
dort her muß es kommen, vom Artillerieschießplatze. Oder sollte es gar von
Jüterbog herüberdröhnen? Wie Musik klingt es im Ohr unsers Hauptmanns.
Unser Flug geht dicht an Wendisch-Buchholz vorbei. Die großen Wälder
reichen bis nahe heran, während nach der andern Seite ausgedehnte Felder
liegen. Noch eine kurze Strecke, und wir überschauen den ganzen sechzig
Kilometer langen Spreewald. In seinem untern Teile ist er das, was sein
Name sagt, ein ansehnlicher dichter Wald, von Spreearmen durchzogen, südlich
davon das langgestreckte Dorf Schiepzig. Dann verengt er sich bei Lübben,
der einzigen Stadt, dem Mittelpunkt der ganzen Landschaft, mit schönem Park.
Weiter oberhalb bietet er uns einen ganz einzigen Anblick, wenn wir diesen
Teil auch nur aus größerer Entfernung und mehrmals von leichten Wolken
überschattet sehen. Kein Wald mehr, sondern nur Busch und Felder und
Wiesen meilenweit, dazwischen verstreute Blockhäuschen, selten einmal zu ganz
kleinen Dörfchen vereinigt, und das alles in einem Netz von Wasserlünfen.
Wie mag das zu Hochwasserzeiten von unten herausleuchten, wenn das ganze
Gebiet überflutet ist! Jetzt herrscht auch hier sogar Trockenheit. Schade, daß
wir so hoch stehn, wir möchten so gern die Einzelheiten dieser interessanten
Sumpf- und Waldlandschaft näher in Augenschein nehmen, am liebsten
auch die Spreewäldlerinncn mit ihrer malerischen Tracht. Doch aus einer
Höhe vou mehr als 15V0 Metern kann man Menschen überhaupt nicht mehr
erkennen.

Dafür liegt aber wieder zu unfern Füßen ein ganz entzückendes Bild
ausgebreitet: das stattliche Dorf Straupitz mit zweitürmigcr Kirche, von ihr
führt durch Gärten ein Weg nach dem schmucken Schlosse und Rittergut des
Grafen Houwald. Die Wirtschaftsgebäude, wie aus einer Spielzeugschachtel
aufgebaut, sind um mehrere Höfe gruppiert, ein prächtiger Park bildet den
Hintergrund. Da gibt es viel zu knipsen für den Hauptmann, und im Eifer
des Gefechts passiert es ihm wohl auch, daß er ein und dieselbe Platte zwei¬
mal belichtet! So sind uns die Bilder von Lübbenau und Vetschau, die
Orte, die wir jetzt am südwestlichen und westlichen Rande des Sprcewalds
sehen, verloren gegangen. Einige andre Platten hat vorhin bei dem großen
Sturz der Sand verdorben.

"Jsts Ihnen nicht, als würde da irgendwo zu Tische geläutet? Nein?
Nun, da wir einmal von? Essen reden, wie wärs, wenn wir jetzt unser
Mittagmahl einnahmen?" Auch wir andern beiden müssen gesteh", daß wir
dem Vorschlage gar nicht abgeneigt sind. Übrigens ist es gerade ein Uhr,
die Sonne steht hoch am Himmel, der Ballon schützt uns einigermaßen vor
ihren Strahlen. Durst hatte sich schon von der ersten Stunde an eingestellt,
Harzer Sauerbrunnen und von Zeit zu Zeit ein Schluck Rheinwein hatten


von der Reichshauptstadt nach dein Riesengebirge durch die Tust

ihn. Alle diese Seen zeigen eine schöne blaue Farbe, nur selten erscheint
einer, wie zum Beispiel der vorhin gesehene „Hinterste See," lehmfarbig
graubraun.

Fern im Westen hören wir dumpfes Rollen und Grollen. Gewitter bei
diesem klaren Himmel, an dem sich nnr vereinzelte Wölkchen zeigen? Das
ist kaum möglich. Heilige Barbara, dort im Westen liegt ja Kunersdorf, von
dort her muß es kommen, vom Artillerieschießplatze. Oder sollte es gar von
Jüterbog herüberdröhnen? Wie Musik klingt es im Ohr unsers Hauptmanns.
Unser Flug geht dicht an Wendisch-Buchholz vorbei. Die großen Wälder
reichen bis nahe heran, während nach der andern Seite ausgedehnte Felder
liegen. Noch eine kurze Strecke, und wir überschauen den ganzen sechzig
Kilometer langen Spreewald. In seinem untern Teile ist er das, was sein
Name sagt, ein ansehnlicher dichter Wald, von Spreearmen durchzogen, südlich
davon das langgestreckte Dorf Schiepzig. Dann verengt er sich bei Lübben,
der einzigen Stadt, dem Mittelpunkt der ganzen Landschaft, mit schönem Park.
Weiter oberhalb bietet er uns einen ganz einzigen Anblick, wenn wir diesen
Teil auch nur aus größerer Entfernung und mehrmals von leichten Wolken
überschattet sehen. Kein Wald mehr, sondern nur Busch und Felder und
Wiesen meilenweit, dazwischen verstreute Blockhäuschen, selten einmal zu ganz
kleinen Dörfchen vereinigt, und das alles in einem Netz von Wasserlünfen.
Wie mag das zu Hochwasserzeiten von unten herausleuchten, wenn das ganze
Gebiet überflutet ist! Jetzt herrscht auch hier sogar Trockenheit. Schade, daß
wir so hoch stehn, wir möchten so gern die Einzelheiten dieser interessanten
Sumpf- und Waldlandschaft näher in Augenschein nehmen, am liebsten
auch die Spreewäldlerinncn mit ihrer malerischen Tracht. Doch aus einer
Höhe vou mehr als 15V0 Metern kann man Menschen überhaupt nicht mehr
erkennen.

Dafür liegt aber wieder zu unfern Füßen ein ganz entzückendes Bild
ausgebreitet: das stattliche Dorf Straupitz mit zweitürmigcr Kirche, von ihr
führt durch Gärten ein Weg nach dem schmucken Schlosse und Rittergut des
Grafen Houwald. Die Wirtschaftsgebäude, wie aus einer Spielzeugschachtel
aufgebaut, sind um mehrere Höfe gruppiert, ein prächtiger Park bildet den
Hintergrund. Da gibt es viel zu knipsen für den Hauptmann, und im Eifer
des Gefechts passiert es ihm wohl auch, daß er ein und dieselbe Platte zwei¬
mal belichtet! So sind uns die Bilder von Lübbenau und Vetschau, die
Orte, die wir jetzt am südwestlichen und westlichen Rande des Sprcewalds
sehen, verloren gegangen. Einige andre Platten hat vorhin bei dem großen
Sturz der Sand verdorben.

„Jsts Ihnen nicht, als würde da irgendwo zu Tische geläutet? Nein?
Nun, da wir einmal von? Essen reden, wie wärs, wenn wir jetzt unser
Mittagmahl einnahmen?" Auch wir andern beiden müssen gesteh», daß wir
dem Vorschlage gar nicht abgeneigt sind. Übrigens ist es gerade ein Uhr,
die Sonne steht hoch am Himmel, der Ballon schützt uns einigermaßen vor
ihren Strahlen. Durst hatte sich schon von der ersten Stunde an eingestellt,
Harzer Sauerbrunnen und von Zeit zu Zeit ein Schluck Rheinwein hatten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/158>, abgerufen am 22.12.2024.