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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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pmschen Mächten der Anmaßung Frankreichs abringen; Kaiser Wilhelm der
Zweite hat die Aufgabe, Deutschland als die jüngste Weltmacht unter den
übrigen Weltmächten zu behaupten, wills Gott, ohne Krieg.

So steht das Deutsche Reich ganz anders in der Welt als seine beiden
Genossen im Dreibunde. Dieser ist erneuert worden und zu einer festen
Institution des europäischen Völkerrechts geworden; aber die Verhältnisse, unter
denen und für die er vor zwanzig Jahren geschaffen worden ist, haben sich ver¬
schoben, denn die Gefahren, gegen die er ein Bollwerk sein sollte, bestehn in
der damaligen Weise nicht mehr, und für die Gefahren, die sich aus der deutschen
Weltpolitik ergeben können, ist er nicht bestimmt. Soviel ist sicher, vor allein
Österreich braucht uns mehr als wir Österreich, wirtschaftlich und politisch, den"
dort macht die innere Zersetzung mit dem offenbaren Bankerott des Parla¬
mentarismus Fortschritte. Mit parlamentarischen Majoritäten und Ministerien
lassen sich die zwiespältigen Völker der "Königreiche und Länder" -- im amt-
lichen Sprachgebrauch gibt es gar kein "Österreich" mehr -- nicht regieren;
diese Tatsache ist ebenso unumstößlich wie erklärlich. Die Parteien des öster¬
reichischen Reichsrath sind eben gar keine Parteien, sondern Nationalitäten, die
sich in dem, was sie für Lebensfragen halten, Mehrheitsbeschlüssen nicht unter¬
werfen können und deshalb gelegentlich alle Obstruktion treiben, also das Par¬
lament lähmen und den Parlamentarismus s,ä ^bsuräum, führen. Daran tragen
alle Nationalitüten die Schuld, auch die Deutschen. Was für unfähige Politiker
diese siud, haben sie soeben wieder bei den Innsbrucker Krawatten bewiesen.
Die italienischen Studenten sind gewiß provokatorisch aufgetreten; aber wenn
zwei Kulturvölker ersten Ranges, die beiden einzigen wirklichen Kulturvölker
Österreichs, in demselben Lande nebeneinander leben, so läßt es sich eben doch
nicht hindern, daß die Leute beider ihren Verdienst dort suchen, wo sie ihn am
besten finden, daß also die Italiener als Arbeiter und Gewerbtrcibende ins
deutsche Tirol einwandern, genau so wie die Tschechen in die deutschen Rand¬
landschaften Böhmens, oder unsre Polen nach Westfalen, und so lange Innsbruck
die Hauptstadt ganz Tirols ist, so lange haben die italienischen Tiroler das¬
selbe Recht auf sie wie die Deutschen. Oder kann man etwa die Tschechen von
Wien ausschließen? Die paar hundert oder tausend italienischen Arbeiter,
Gewerbtreibenden und Studenten köunen doch dem deutschen Charakter Inns¬
brucks keinen Abbruch tuu, und wenn es ein deutsches Ghmuasium in dem ganz
italienischen Trient gibt, warum sollte es keine italienische Nechtsfakultät in
Innsbruck geben, die zugleich den wissenschaftlichen Vorteil des Anschlusses an
eine vollständige Universität genösse, wie es weder in Roveredo noch in Trieft
der Fall sein würde? Es gehört die ganze "völkische" Blindheit der Deutschen
Innsbrucks dazu, diese offenbaren Wahrheiten nicht zu sehen; wir Reichsdeutschen
machen das nicht mit. Denn was ist erreicht worden? Wie es scheint, die
Verlegung der isolierten italienischen Fakultät nach dem kleinen Roveredo, wenn
die Negierung in der Schwäche, die seit vierzig Jahren der Fluch Österreichs
ist, vor Straßenskandalen zurückweicht, aber auch die Erbitterung der Italiener,
des einzigen Volksstammes, der parlamentarisch bisher mit den Deutschen
zusammenging, weil mich er in Dalmatien und im Küstenlands von der slawischen


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pmschen Mächten der Anmaßung Frankreichs abringen; Kaiser Wilhelm der
Zweite hat die Aufgabe, Deutschland als die jüngste Weltmacht unter den
übrigen Weltmächten zu behaupten, wills Gott, ohne Krieg.

So steht das Deutsche Reich ganz anders in der Welt als seine beiden
Genossen im Dreibunde. Dieser ist erneuert worden und zu einer festen
Institution des europäischen Völkerrechts geworden; aber die Verhältnisse, unter
denen und für die er vor zwanzig Jahren geschaffen worden ist, haben sich ver¬
schoben, denn die Gefahren, gegen die er ein Bollwerk sein sollte, bestehn in
der damaligen Weise nicht mehr, und für die Gefahren, die sich aus der deutschen
Weltpolitik ergeben können, ist er nicht bestimmt. Soviel ist sicher, vor allein
Österreich braucht uns mehr als wir Österreich, wirtschaftlich und politisch, den»
dort macht die innere Zersetzung mit dem offenbaren Bankerott des Parla¬
mentarismus Fortschritte. Mit parlamentarischen Majoritäten und Ministerien
lassen sich die zwiespältigen Völker der „Königreiche und Länder" — im amt-
lichen Sprachgebrauch gibt es gar kein „Österreich" mehr — nicht regieren;
diese Tatsache ist ebenso unumstößlich wie erklärlich. Die Parteien des öster¬
reichischen Reichsrath sind eben gar keine Parteien, sondern Nationalitäten, die
sich in dem, was sie für Lebensfragen halten, Mehrheitsbeschlüssen nicht unter¬
werfen können und deshalb gelegentlich alle Obstruktion treiben, also das Par¬
lament lähmen und den Parlamentarismus s,ä ^bsuräum, führen. Daran tragen
alle Nationalitüten die Schuld, auch die Deutschen. Was für unfähige Politiker
diese siud, haben sie soeben wieder bei den Innsbrucker Krawatten bewiesen.
Die italienischen Studenten sind gewiß provokatorisch aufgetreten; aber wenn
zwei Kulturvölker ersten Ranges, die beiden einzigen wirklichen Kulturvölker
Österreichs, in demselben Lande nebeneinander leben, so läßt es sich eben doch
nicht hindern, daß die Leute beider ihren Verdienst dort suchen, wo sie ihn am
besten finden, daß also die Italiener als Arbeiter und Gewerbtrcibende ins
deutsche Tirol einwandern, genau so wie die Tschechen in die deutschen Rand¬
landschaften Böhmens, oder unsre Polen nach Westfalen, und so lange Innsbruck
die Hauptstadt ganz Tirols ist, so lange haben die italienischen Tiroler das¬
selbe Recht auf sie wie die Deutschen. Oder kann man etwa die Tschechen von
Wien ausschließen? Die paar hundert oder tausend italienischen Arbeiter,
Gewerbtreibenden und Studenten köunen doch dem deutschen Charakter Inns¬
brucks keinen Abbruch tuu, und wenn es ein deutsches Ghmuasium in dem ganz
italienischen Trient gibt, warum sollte es keine italienische Nechtsfakultät in
Innsbruck geben, die zugleich den wissenschaftlichen Vorteil des Anschlusses an
eine vollständige Universität genösse, wie es weder in Roveredo noch in Trieft
der Fall sein würde? Es gehört die ganze „völkische" Blindheit der Deutschen
Innsbrucks dazu, diese offenbaren Wahrheiten nicht zu sehen; wir Reichsdeutschen
machen das nicht mit. Denn was ist erreicht worden? Wie es scheint, die
Verlegung der isolierten italienischen Fakultät nach dem kleinen Roveredo, wenn
die Negierung in der Schwäche, die seit vierzig Jahren der Fluch Österreichs
ist, vor Straßenskandalen zurückweicht, aber auch die Erbitterung der Italiener,
des einzigen Volksstammes, der parlamentarisch bisher mit den Deutschen
zusammenging, weil mich er in Dalmatien und im Küstenlands von der slawischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/15>, abgerufen am 22.12.2024.