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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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vom alte" deutschen Zunftwesen

Stadt. Ich verzichte darauf, die Folgen, die das für die Politik der Städte
hatte, im einzelnen zu schildern. Es ist doch wohl kein Zufall, daß in diese Zeit
der Zunftherrschaft der unglückliche Ausgang des großen Städtekrieges von 1388
fiel, der den, Territorialfürstentum die Zukunft in Deutschland sicherte. Ich
ziehe nur in Betracht, welchen Einfluß diese Zeit auf das eigentliche Zunft¬
wesen hatte. Die nächste Folge war, daß es sich nach dem Siege der Hand¬
werker weiter ausdehnte, und daß sich, um in politischer Hinsicht ein größeres
Gewicht zu erhalten, mehrere Zünfte zu einer zusammenladen, zugleich aber in
gewerblichen Dingen diese Einheit aufgaben. In der Hauptsache jedoch suchten
sie vor allem für ihre gewerblichen Interessen von ihrer Machtstellung Nutzen
zu ziehn und ihre Autonomie nach Möglichkeit auszudehnen. So ist damals,
mochten auch die Zünfte ihre politische Stellung auf die Dauer nicht behaupten,
und mochte auch gegen 1450 die Bestrebung zum Siege gelangen, selbst ihre
Autonomie zu beschränken, doch der eigentliche Grund gelegt worden zu der
Bedeutung und der genauen Ausbildung des Zunftwesens bis in alle Einzel¬
heiten hinein, die einer der kennzeichnenden Züge der Städte des Mittelalters
ist. In den langen Kämpfen um eine Rolle, der sich die Zünfte am Ende doch
nicht recht gewachsen zeigten, waren neben der Erregung roher Leidenschaften,
die nicht ausblieb, auch die Empfindungen gegenseitiger Hingebung mächtig
gestärkt, und das genossenschaftliche Ehrgefühl geweckt worden, und die Zünfte
hatten an der Spitze der Dinge stehend den Begriff der bürgerlichen Ehre in
sich aufgenommen und einen belehrenden Einblick in den Zusammenhang ihres
städtischen Gemeinwesens getan; sie wurden damit tauglich, das nützliche Glied
eines größern Ganzen zu sein.

So folgt denn auf das stürmische vierzehnte Jahrhundert die Ruhe, in
der sich die aufgeregten Gewässer zum breiten Strome glätten, in der die
Mehrzahl der Znnftrollen entsteht. Von 1400 bis 1550 wird der Zunftzwang
genauer ausgebildet, das Gesellen- und das Lehrlingswesen finden ihre Formen,
kurz, das ganze Zunftrecht wird ausgestaltet. Die Zunft wird zu einer poli¬
tischen, militärischen, religiösen und geselligen Einrichtung der Stadt. Immer
aber und jetzt vielleicht noch mit bessern: Grunde als früher steht sie unter der
obersten Behörde. Der Geist der Obrigkeit macht sich in dem Maße geltend,
wie die Zünfte mächtig oder schwach waren; in der Mischung von Abhängigkeit
und Freiheit überwiegt hier diese, dort jene, wie zum Beispiel in Lübeck die
Zünfte nie eine größere Stellung einnahmen, und darum alle ihre Beschlüsse
erst durch die Bestätigung des Rates giltig wurden. Aber auch im übrigen
war einem vollständigen Zunftstatut die Anerkennung der Behörden unent¬
behrlich, da es nicht nur für die Mitglieder galt, sondern in vielen Bestim¬
mungen von öffentlicher und privater Bedeutung alle Einwohner traf. Nur
in ihren innern Angelegenheiten hatten die Zünfte vielfach das Recht, selbständig
Anordnungen zu treffen, die sogenannten Beliebungen oder Willküren.

(Schluß folgt)




vom alte» deutschen Zunftwesen

Stadt. Ich verzichte darauf, die Folgen, die das für die Politik der Städte
hatte, im einzelnen zu schildern. Es ist doch wohl kein Zufall, daß in diese Zeit
der Zunftherrschaft der unglückliche Ausgang des großen Städtekrieges von 1388
fiel, der den, Territorialfürstentum die Zukunft in Deutschland sicherte. Ich
ziehe nur in Betracht, welchen Einfluß diese Zeit auf das eigentliche Zunft¬
wesen hatte. Die nächste Folge war, daß es sich nach dem Siege der Hand¬
werker weiter ausdehnte, und daß sich, um in politischer Hinsicht ein größeres
Gewicht zu erhalten, mehrere Zünfte zu einer zusammenladen, zugleich aber in
gewerblichen Dingen diese Einheit aufgaben. In der Hauptsache jedoch suchten
sie vor allem für ihre gewerblichen Interessen von ihrer Machtstellung Nutzen
zu ziehn und ihre Autonomie nach Möglichkeit auszudehnen. So ist damals,
mochten auch die Zünfte ihre politische Stellung auf die Dauer nicht behaupten,
und mochte auch gegen 1450 die Bestrebung zum Siege gelangen, selbst ihre
Autonomie zu beschränken, doch der eigentliche Grund gelegt worden zu der
Bedeutung und der genauen Ausbildung des Zunftwesens bis in alle Einzel¬
heiten hinein, die einer der kennzeichnenden Züge der Städte des Mittelalters
ist. In den langen Kämpfen um eine Rolle, der sich die Zünfte am Ende doch
nicht recht gewachsen zeigten, waren neben der Erregung roher Leidenschaften,
die nicht ausblieb, auch die Empfindungen gegenseitiger Hingebung mächtig
gestärkt, und das genossenschaftliche Ehrgefühl geweckt worden, und die Zünfte
hatten an der Spitze der Dinge stehend den Begriff der bürgerlichen Ehre in
sich aufgenommen und einen belehrenden Einblick in den Zusammenhang ihres
städtischen Gemeinwesens getan; sie wurden damit tauglich, das nützliche Glied
eines größern Ganzen zu sein.

So folgt denn auf das stürmische vierzehnte Jahrhundert die Ruhe, in
der sich die aufgeregten Gewässer zum breiten Strome glätten, in der die
Mehrzahl der Znnftrollen entsteht. Von 1400 bis 1550 wird der Zunftzwang
genauer ausgebildet, das Gesellen- und das Lehrlingswesen finden ihre Formen,
kurz, das ganze Zunftrecht wird ausgestaltet. Die Zunft wird zu einer poli¬
tischen, militärischen, religiösen und geselligen Einrichtung der Stadt. Immer
aber und jetzt vielleicht noch mit bessern: Grunde als früher steht sie unter der
obersten Behörde. Der Geist der Obrigkeit macht sich in dem Maße geltend,
wie die Zünfte mächtig oder schwach waren; in der Mischung von Abhängigkeit
und Freiheit überwiegt hier diese, dort jene, wie zum Beispiel in Lübeck die
Zünfte nie eine größere Stellung einnahmen, und darum alle ihre Beschlüsse
erst durch die Bestätigung des Rates giltig wurden. Aber auch im übrigen
war einem vollständigen Zunftstatut die Anerkennung der Behörden unent¬
behrlich, da es nicht nur für die Mitglieder galt, sondern in vielen Bestim¬
mungen von öffentlicher und privater Bedeutung alle Einwohner traf. Nur
in ihren innern Angelegenheiten hatten die Zünfte vielfach das Recht, selbständig
Anordnungen zu treffen, die sogenannten Beliebungen oder Willküren.

(Schluß folgt)




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[0147] vom alte» deutschen Zunftwesen Stadt. Ich verzichte darauf, die Folgen, die das für die Politik der Städte hatte, im einzelnen zu schildern. Es ist doch wohl kein Zufall, daß in diese Zeit der Zunftherrschaft der unglückliche Ausgang des großen Städtekrieges von 1388 fiel, der den, Territorialfürstentum die Zukunft in Deutschland sicherte. Ich ziehe nur in Betracht, welchen Einfluß diese Zeit auf das eigentliche Zunft¬ wesen hatte. Die nächste Folge war, daß es sich nach dem Siege der Hand¬ werker weiter ausdehnte, und daß sich, um in politischer Hinsicht ein größeres Gewicht zu erhalten, mehrere Zünfte zu einer zusammenladen, zugleich aber in gewerblichen Dingen diese Einheit aufgaben. In der Hauptsache jedoch suchten sie vor allem für ihre gewerblichen Interessen von ihrer Machtstellung Nutzen zu ziehn und ihre Autonomie nach Möglichkeit auszudehnen. So ist damals, mochten auch die Zünfte ihre politische Stellung auf die Dauer nicht behaupten, und mochte auch gegen 1450 die Bestrebung zum Siege gelangen, selbst ihre Autonomie zu beschränken, doch der eigentliche Grund gelegt worden zu der Bedeutung und der genauen Ausbildung des Zunftwesens bis in alle Einzel¬ heiten hinein, die einer der kennzeichnenden Züge der Städte des Mittelalters ist. In den langen Kämpfen um eine Rolle, der sich die Zünfte am Ende doch nicht recht gewachsen zeigten, waren neben der Erregung roher Leidenschaften, die nicht ausblieb, auch die Empfindungen gegenseitiger Hingebung mächtig gestärkt, und das genossenschaftliche Ehrgefühl geweckt worden, und die Zünfte hatten an der Spitze der Dinge stehend den Begriff der bürgerlichen Ehre in sich aufgenommen und einen belehrenden Einblick in den Zusammenhang ihres städtischen Gemeinwesens getan; sie wurden damit tauglich, das nützliche Glied eines größern Ganzen zu sein. So folgt denn auf das stürmische vierzehnte Jahrhundert die Ruhe, in der sich die aufgeregten Gewässer zum breiten Strome glätten, in der die Mehrzahl der Znnftrollen entsteht. Von 1400 bis 1550 wird der Zunftzwang genauer ausgebildet, das Gesellen- und das Lehrlingswesen finden ihre Formen, kurz, das ganze Zunftrecht wird ausgestaltet. Die Zunft wird zu einer poli¬ tischen, militärischen, religiösen und geselligen Einrichtung der Stadt. Immer aber und jetzt vielleicht noch mit bessern: Grunde als früher steht sie unter der obersten Behörde. Der Geist der Obrigkeit macht sich in dem Maße geltend, wie die Zünfte mächtig oder schwach waren; in der Mischung von Abhängigkeit und Freiheit überwiegt hier diese, dort jene, wie zum Beispiel in Lübeck die Zünfte nie eine größere Stellung einnahmen, und darum alle ihre Beschlüsse erst durch die Bestätigung des Rates giltig wurden. Aber auch im übrigen war einem vollständigen Zunftstatut die Anerkennung der Behörden unent¬ behrlich, da es nicht nur für die Mitglieder galt, sondern in vielen Bestim¬ mungen von öffentlicher und privater Bedeutung alle Einwohner traf. Nur in ihren innern Angelegenheiten hatten die Zünfte vielfach das Recht, selbständig Anordnungen zu treffen, die sogenannten Beliebungen oder Willküren. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/147>, abgerufen am 23.07.2024.