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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

denn ich wollte bis ans andre Ende von Brüssel, um mir dort einen Dienst oder
eine Anstellung in einer Fabrik zu suchen. Die Kleinen waren das Gehn nicht
gewöhnt, ich mußte eins ums andre tragen und schleppen.

Ich habe eine Stelle gefunden und habe die Kinder zu einer Frau in Kost
und Logis gegeben. Viel konnte ich der nicht zahlen, aber gerade genug, daß sie
nicht zu hungern brauchten. Sie haben es nicht allzu schlecht gehabt, die Kleinen.
Des Sonntags habe ich sie gewaschen und spazieren geführt auf der Verte Allele,
sie waren beide schöne Kinder, ich war mächtig stolz auf sie. In unser Viertel
habe ich sie nie gehn lassen des Vaters wegen, sie hätten ihm begegnen können.
Erst nachdem wir erfahren hatten, daß er tot sei, sind wir dahin zurück gezogen.
Vater war in der Trunkenheit einem Bierwagen in den Weg gelaufen und über¬
fahren worden. Nun waren wir frei.

Die Hexe hielt inne. Sie saß da und starrte in eine Ecke der Stube, als
lese sie dort ihre tragischen Geschichten ab, und rang wie gepeinigt die knöchernen
Finger ineinander.

Großmutter -- wie gings weiter mit den kleinen Schwestern?

Wies weiter ging? Wies den Mädchen allen geht! Groß wurden sie, und
die Männer sahen nach ihnen, und sie nach den Männern. Die eine hat sich einen
Mann vor dem Standesamt verschrieben. Er hat getrunken, wie Vater trank, sie
und die Kinder geknechtet und ihren sauer erworbnen Verdienst verbraucht, wie
es ihm nach dem Gesetz zukam, als Herrn. Ihr Ältester war ein Krüppel, die
drei Jüngern schwachsinnig. Zum Glück starben sie alle vier früh. Und sie starb
auch, so wie unsre Mutter gestorben war, bescheiden in der Nacht, ohne Klage.

Die Andre aber hat einem Manne geglaubt, der ihr von Liebe vorschwatzte,
und hat ihm zu Willen getan, was er immer von ihr verlangte. Bald ist er
ihrer überdrüssig geworden, denn sie war sanftmütig und ohne Falsch. Als sie ihr
Kind zur Welt brachte, war kein Vater da, der das Geld für seine Ernährung
geschafft hätte. Sie selbst war zu schwach, daß sie für sich und das Kind hätte
genug verdienen können. Ich lag krank zu der Zeit. Sie wollte es nicht ver¬
hungern sehen, so trug sie es vor die Tür reicher Leute. Die würden es nicht
auf ihrer Hausschwelle verderben lassen, meinte sie. Aber sie hatte den Schutzmann
nicht gesehen, der hinter ihr stand und ihr zusah, wie sie das Kind auf die Stein¬
stufen bettete. Er hat sie und das Kind mitgenommen aufs nächste Polizeibureau.
Dort ist sie verhört worden, ob sie ihr Kind habe aussetzen wollen? Ja, weil
sie die Kraft nicht habe, es zu ernähren, und der Vater sich nicht um sein Kleines
kümmern wolle, sagte sie. Seid ihr vor dem Standesamt getraut worden? haben
die vom Gericht da gefragt. Nein, das war sie nicht, das hatte sie nicht für nötig
erachtet: da war ja die Liebe gewesen!

Dann geht uns der Vater des Kindes nichts an, und Ihr allein seid ver¬
antwortlich für des Kindes Leben und Gedeihen. Ihr habt Euer Kind aussetzen
wollen, das verlangt Strafe.

Ich Habs nicht wollen verhungern sehen, hat sie noch einmal zu ihrer Ent¬
schuldigung vorgebracht, aber sie haben sie eingesteckt. Ihr Kind durste sie bei
sich behalten, und nach ein paar Tagen waren sie beide tot.

So ists den zwei kleinen Schwestern gegangen, die ich vor dem Vater ge¬
rettet hatte. Sie waren schöne Kinder, und ich war mächtig stolz auf sie.

Scheu schielten die jungen Zuhörer nach der Alten hinüber. Was hatte sie
nur? Wem drohte sie?

Den hagern Arm reckte sie aus und schüttelte die Faust. Und sie lachte
dazu. Ein schauerliches Lachen, das ihnen Angst machte, wenngleich sie nicht ver¬
standen, warum.

Herrgott, ist das deine Gerechtigkeit? Wo steckst du in deinem Himmel?
Bist du taub und blind? Oder gehn wir dich nichts an? Sind wir nicht deine
Kinder? Weißt du nichts von uns? Da beten sie alle zu dir und beten und
beten, aber was schert es dich in deinem Himmel? Wenn du nur wolltest! Ich


Im alten Brüssel

denn ich wollte bis ans andre Ende von Brüssel, um mir dort einen Dienst oder
eine Anstellung in einer Fabrik zu suchen. Die Kleinen waren das Gehn nicht
gewöhnt, ich mußte eins ums andre tragen und schleppen.

Ich habe eine Stelle gefunden und habe die Kinder zu einer Frau in Kost
und Logis gegeben. Viel konnte ich der nicht zahlen, aber gerade genug, daß sie
nicht zu hungern brauchten. Sie haben es nicht allzu schlecht gehabt, die Kleinen.
Des Sonntags habe ich sie gewaschen und spazieren geführt auf der Verte Allele,
sie waren beide schöne Kinder, ich war mächtig stolz auf sie. In unser Viertel
habe ich sie nie gehn lassen des Vaters wegen, sie hätten ihm begegnen können.
Erst nachdem wir erfahren hatten, daß er tot sei, sind wir dahin zurück gezogen.
Vater war in der Trunkenheit einem Bierwagen in den Weg gelaufen und über¬
fahren worden. Nun waren wir frei.

Die Hexe hielt inne. Sie saß da und starrte in eine Ecke der Stube, als
lese sie dort ihre tragischen Geschichten ab, und rang wie gepeinigt die knöchernen
Finger ineinander.

Großmutter — wie gings weiter mit den kleinen Schwestern?

Wies weiter ging? Wies den Mädchen allen geht! Groß wurden sie, und
die Männer sahen nach ihnen, und sie nach den Männern. Die eine hat sich einen
Mann vor dem Standesamt verschrieben. Er hat getrunken, wie Vater trank, sie
und die Kinder geknechtet und ihren sauer erworbnen Verdienst verbraucht, wie
es ihm nach dem Gesetz zukam, als Herrn. Ihr Ältester war ein Krüppel, die
drei Jüngern schwachsinnig. Zum Glück starben sie alle vier früh. Und sie starb
auch, so wie unsre Mutter gestorben war, bescheiden in der Nacht, ohne Klage.

Die Andre aber hat einem Manne geglaubt, der ihr von Liebe vorschwatzte,
und hat ihm zu Willen getan, was er immer von ihr verlangte. Bald ist er
ihrer überdrüssig geworden, denn sie war sanftmütig und ohne Falsch. Als sie ihr
Kind zur Welt brachte, war kein Vater da, der das Geld für seine Ernährung
geschafft hätte. Sie selbst war zu schwach, daß sie für sich und das Kind hätte
genug verdienen können. Ich lag krank zu der Zeit. Sie wollte es nicht ver¬
hungern sehen, so trug sie es vor die Tür reicher Leute. Die würden es nicht
auf ihrer Hausschwelle verderben lassen, meinte sie. Aber sie hatte den Schutzmann
nicht gesehen, der hinter ihr stand und ihr zusah, wie sie das Kind auf die Stein¬
stufen bettete. Er hat sie und das Kind mitgenommen aufs nächste Polizeibureau.
Dort ist sie verhört worden, ob sie ihr Kind habe aussetzen wollen? Ja, weil
sie die Kraft nicht habe, es zu ernähren, und der Vater sich nicht um sein Kleines
kümmern wolle, sagte sie. Seid ihr vor dem Standesamt getraut worden? haben
die vom Gericht da gefragt. Nein, das war sie nicht, das hatte sie nicht für nötig
erachtet: da war ja die Liebe gewesen!

Dann geht uns der Vater des Kindes nichts an, und Ihr allein seid ver¬
antwortlich für des Kindes Leben und Gedeihen. Ihr habt Euer Kind aussetzen
wollen, das verlangt Strafe.

Ich Habs nicht wollen verhungern sehen, hat sie noch einmal zu ihrer Ent¬
schuldigung vorgebracht, aber sie haben sie eingesteckt. Ihr Kind durste sie bei
sich behalten, und nach ein paar Tagen waren sie beide tot.

So ists den zwei kleinen Schwestern gegangen, die ich vor dem Vater ge¬
rettet hatte. Sie waren schöne Kinder, und ich war mächtig stolz auf sie.

Scheu schielten die jungen Zuhörer nach der Alten hinüber. Was hatte sie
nur? Wem drohte sie?

Den hagern Arm reckte sie aus und schüttelte die Faust. Und sie lachte
dazu. Ein schauerliches Lachen, das ihnen Angst machte, wenngleich sie nicht ver¬
standen, warum.

Herrgott, ist das deine Gerechtigkeit? Wo steckst du in deinem Himmel?
Bist du taub und blind? Oder gehn wir dich nichts an? Sind wir nicht deine
Kinder? Weißt du nichts von uns? Da beten sie alle zu dir und beten und
beten, aber was schert es dich in deinem Himmel? Wenn du nur wolltest! Ich


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[0119] Im alten Brüssel denn ich wollte bis ans andre Ende von Brüssel, um mir dort einen Dienst oder eine Anstellung in einer Fabrik zu suchen. Die Kleinen waren das Gehn nicht gewöhnt, ich mußte eins ums andre tragen und schleppen. Ich habe eine Stelle gefunden und habe die Kinder zu einer Frau in Kost und Logis gegeben. Viel konnte ich der nicht zahlen, aber gerade genug, daß sie nicht zu hungern brauchten. Sie haben es nicht allzu schlecht gehabt, die Kleinen. Des Sonntags habe ich sie gewaschen und spazieren geführt auf der Verte Allele, sie waren beide schöne Kinder, ich war mächtig stolz auf sie. In unser Viertel habe ich sie nie gehn lassen des Vaters wegen, sie hätten ihm begegnen können. Erst nachdem wir erfahren hatten, daß er tot sei, sind wir dahin zurück gezogen. Vater war in der Trunkenheit einem Bierwagen in den Weg gelaufen und über¬ fahren worden. Nun waren wir frei. Die Hexe hielt inne. Sie saß da und starrte in eine Ecke der Stube, als lese sie dort ihre tragischen Geschichten ab, und rang wie gepeinigt die knöchernen Finger ineinander. Großmutter — wie gings weiter mit den kleinen Schwestern? Wies weiter ging? Wies den Mädchen allen geht! Groß wurden sie, und die Männer sahen nach ihnen, und sie nach den Männern. Die eine hat sich einen Mann vor dem Standesamt verschrieben. Er hat getrunken, wie Vater trank, sie und die Kinder geknechtet und ihren sauer erworbnen Verdienst verbraucht, wie es ihm nach dem Gesetz zukam, als Herrn. Ihr Ältester war ein Krüppel, die drei Jüngern schwachsinnig. Zum Glück starben sie alle vier früh. Und sie starb auch, so wie unsre Mutter gestorben war, bescheiden in der Nacht, ohne Klage. Die Andre aber hat einem Manne geglaubt, der ihr von Liebe vorschwatzte, und hat ihm zu Willen getan, was er immer von ihr verlangte. Bald ist er ihrer überdrüssig geworden, denn sie war sanftmütig und ohne Falsch. Als sie ihr Kind zur Welt brachte, war kein Vater da, der das Geld für seine Ernährung geschafft hätte. Sie selbst war zu schwach, daß sie für sich und das Kind hätte genug verdienen können. Ich lag krank zu der Zeit. Sie wollte es nicht ver¬ hungern sehen, so trug sie es vor die Tür reicher Leute. Die würden es nicht auf ihrer Hausschwelle verderben lassen, meinte sie. Aber sie hatte den Schutzmann nicht gesehen, der hinter ihr stand und ihr zusah, wie sie das Kind auf die Stein¬ stufen bettete. Er hat sie und das Kind mitgenommen aufs nächste Polizeibureau. Dort ist sie verhört worden, ob sie ihr Kind habe aussetzen wollen? Ja, weil sie die Kraft nicht habe, es zu ernähren, und der Vater sich nicht um sein Kleines kümmern wolle, sagte sie. Seid ihr vor dem Standesamt getraut worden? haben die vom Gericht da gefragt. Nein, das war sie nicht, das hatte sie nicht für nötig erachtet: da war ja die Liebe gewesen! Dann geht uns der Vater des Kindes nichts an, und Ihr allein seid ver¬ antwortlich für des Kindes Leben und Gedeihen. Ihr habt Euer Kind aussetzen wollen, das verlangt Strafe. Ich Habs nicht wollen verhungern sehen, hat sie noch einmal zu ihrer Ent¬ schuldigung vorgebracht, aber sie haben sie eingesteckt. Ihr Kind durste sie bei sich behalten, und nach ein paar Tagen waren sie beide tot. So ists den zwei kleinen Schwestern gegangen, die ich vor dem Vater ge¬ rettet hatte. Sie waren schöne Kinder, und ich war mächtig stolz auf sie. Scheu schielten die jungen Zuhörer nach der Alten hinüber. Was hatte sie nur? Wem drohte sie? Den hagern Arm reckte sie aus und schüttelte die Faust. Und sie lachte dazu. Ein schauerliches Lachen, das ihnen Angst machte, wenngleich sie nicht ver¬ standen, warum. Herrgott, ist das deine Gerechtigkeit? Wo steckst du in deinem Himmel? Bist du taub und blind? Oder gehn wir dich nichts an? Sind wir nicht deine Kinder? Weißt du nichts von uns? Da beten sie alle zu dir und beten und beten, aber was schert es dich in deinem Himmel? Wenn du nur wolltest! Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/119>, abgerufen am 23.07.2024.