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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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von der Reichshauptstadt nach dein Riesengebirge durch die Luft

seinen Alleen und Villen bleiben hinter uns. Wir folgen der Richtung des
Landwehrkanals über das scharf sich abzeichnende Hippodrom und die Hoch¬
schulen daneben, den Zoologischen Garten, die Hochbahn und die Kaiser-
Wilhelms-Gedächtniskirche hinweg. Da ist der Tiergarten mit seinem großen
Stern, die schnurgerade verlaufende Straßenfolge, die wir schon von Char¬
lottenburg her beobachten können, sind die Bismarck- und die Berlinerstraße,
die Charlottenburger Chaussee, dann durch ein niedliches Gebäude mit fünf
Öffnungen -- das Brandenburger Tor! -- hindurchgehend wird sie breiter,
links und rechts grüne Tüpfchen, das sind die Linden: wie kurz sie von hier
aus erscheinen! Dahinter das weite Häusermeer der Weltstadt, von der Spree
und ihren Armen, von zahllosen Straßen durchschnitten, deren längste an¬
nähernd strahlenförmig, vom Ende der Linden, von Dom und Schloß aus-
gehn. Wie wir in die einzelnen Häuserwinkel hineinsehen können! Manche
von ihnen verengen sich schlotartig. Daß es früh so tüchtig geregnet hat, ist
ein Glück für uns, selten wird man einen so ungetrübten Blick auf Berlin
haben wie heute. Nur über dem Potsdamer Bahnhof lagert eine leichte
Dunstwolke, während der Anhalter Bahnhof deutlich zu sehen ist, und nicht
weit davon der kreisrunde Belle-Alliance-Platz mit der Friedenssäule. Schon
wollen wir den Blick nach einer andern Seite wenden, da leuchtet am öst¬
lichen Saume des Tiergartens eine goldne Kuppel auf, das Reichstagsgebäude,
und dicht dabei, auch goldglänzend, eine zierliche geflügelte Gestalt auf einer
Säule, die Viktoria. Von hier aus Hütte niemand auf den bekannten Ber¬
liner Witz über sie verfallen können.

Unmittelbar unter uns wird jetzt ein Trapez sichtbar mit Bäumen und
Anlagen, an den Rändern einige Gebäude, teils höhere, teils langgestreckte
flache, von denen nur die Dächer zu sehen sind, der Botanische Garten.
Nahe dabei erblickt unser liebenswürdiger Führer seine Wohnung. Bald
darauf folgt eine große tennenartige, graue Flache, das Tempels'oser Feld,
es liegt ganz verlassen da im Sonnenschein, nur auf einer kreisrunden Spur,
einer Galoppierbahn, bewegt ein Reiter sein Pferd. In wohltuendem Gegen¬
satz zu dieser Einöde stehn der Kreuzberg mit dem Viktoriapark und das Grün
der Hasenheide. Nach Westen schweift der Blick über Steglitz und Groß-
Lichterfelde nach dem Zehlendorfer Forst und dem Grünewald.

Auch die Felder und Wiesen, über die wir dahinschweben, teils parallel
zueinander, teils seltsam gekreuzt, gewähren einen ganz eignen Anblick, wie
Kokosteppiche mit den verschiedensten Mustern, je nachdem das Getreide noch
umgenäht, in Schwaden ausgebreitet oder in Puppen aufgestellt ist. Vielfach,
namentlich bei Stoppelfeldern, sind sie von fein geschwungnen bunten Linien
durchzogen. Sind es mineralische Adern in der Erdoberfläche? Darüber
huscht wie spielend der scharfbegrenzte kleine Schatten unsers Ballons hinweg
und gibt uns einen Begriff von der Schnelligkeit, mit der wir fliegen, etwa
35 Kilometer in der Stunde. Denn von Ballon und Korb selber haben wir
ja das Gefühl, als bewegten sie sich nicht. Dort jagen zwei Radfahrer auf
der Landstraße dahin, ganz in unsrer Fahrtrichtung. Werden sie mit uns
Schritt halten? Unser Ballonschatten läßt sie bald weit hinter sich.


von der Reichshauptstadt nach dein Riesengebirge durch die Luft

seinen Alleen und Villen bleiben hinter uns. Wir folgen der Richtung des
Landwehrkanals über das scharf sich abzeichnende Hippodrom und die Hoch¬
schulen daneben, den Zoologischen Garten, die Hochbahn und die Kaiser-
Wilhelms-Gedächtniskirche hinweg. Da ist der Tiergarten mit seinem großen
Stern, die schnurgerade verlaufende Straßenfolge, die wir schon von Char¬
lottenburg her beobachten können, sind die Bismarck- und die Berlinerstraße,
die Charlottenburger Chaussee, dann durch ein niedliches Gebäude mit fünf
Öffnungen — das Brandenburger Tor! — hindurchgehend wird sie breiter,
links und rechts grüne Tüpfchen, das sind die Linden: wie kurz sie von hier
aus erscheinen! Dahinter das weite Häusermeer der Weltstadt, von der Spree
und ihren Armen, von zahllosen Straßen durchschnitten, deren längste an¬
nähernd strahlenförmig, vom Ende der Linden, von Dom und Schloß aus-
gehn. Wie wir in die einzelnen Häuserwinkel hineinsehen können! Manche
von ihnen verengen sich schlotartig. Daß es früh so tüchtig geregnet hat, ist
ein Glück für uns, selten wird man einen so ungetrübten Blick auf Berlin
haben wie heute. Nur über dem Potsdamer Bahnhof lagert eine leichte
Dunstwolke, während der Anhalter Bahnhof deutlich zu sehen ist, und nicht
weit davon der kreisrunde Belle-Alliance-Platz mit der Friedenssäule. Schon
wollen wir den Blick nach einer andern Seite wenden, da leuchtet am öst¬
lichen Saume des Tiergartens eine goldne Kuppel auf, das Reichstagsgebäude,
und dicht dabei, auch goldglänzend, eine zierliche geflügelte Gestalt auf einer
Säule, die Viktoria. Von hier aus Hütte niemand auf den bekannten Ber¬
liner Witz über sie verfallen können.

Unmittelbar unter uns wird jetzt ein Trapez sichtbar mit Bäumen und
Anlagen, an den Rändern einige Gebäude, teils höhere, teils langgestreckte
flache, von denen nur die Dächer zu sehen sind, der Botanische Garten.
Nahe dabei erblickt unser liebenswürdiger Führer seine Wohnung. Bald
darauf folgt eine große tennenartige, graue Flache, das Tempels'oser Feld,
es liegt ganz verlassen da im Sonnenschein, nur auf einer kreisrunden Spur,
einer Galoppierbahn, bewegt ein Reiter sein Pferd. In wohltuendem Gegen¬
satz zu dieser Einöde stehn der Kreuzberg mit dem Viktoriapark und das Grün
der Hasenheide. Nach Westen schweift der Blick über Steglitz und Groß-
Lichterfelde nach dem Zehlendorfer Forst und dem Grünewald.

Auch die Felder und Wiesen, über die wir dahinschweben, teils parallel
zueinander, teils seltsam gekreuzt, gewähren einen ganz eignen Anblick, wie
Kokosteppiche mit den verschiedensten Mustern, je nachdem das Getreide noch
umgenäht, in Schwaden ausgebreitet oder in Puppen aufgestellt ist. Vielfach,
namentlich bei Stoppelfeldern, sind sie von fein geschwungnen bunten Linien
durchzogen. Sind es mineralische Adern in der Erdoberfläche? Darüber
huscht wie spielend der scharfbegrenzte kleine Schatten unsers Ballons hinweg
und gibt uns einen Begriff von der Schnelligkeit, mit der wir fliegen, etwa
35 Kilometer in der Stunde. Denn von Ballon und Korb selber haben wir
ja das Gefühl, als bewegten sie sich nicht. Dort jagen zwei Radfahrer auf
der Landstraße dahin, ganz in unsrer Fahrtrichtung. Werden sie mit uns
Schritt halten? Unser Ballonschatten läßt sie bald weit hinter sich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/105>, abgerufen am 22.12.2024.