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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Eine Negerin, die "schwarze Mary," die eine "Briefmaschine" hatte und mich schon
seit vielen Jahren kannte, fragte mich, ob ich bei ihr eintreten wolle, wozu ich
auch sofort bereit war. Die Briefmaschiue bestand aus einem Gestell, in dessen
Mitte ein langes zylinderförmiges, mit Wasser gefülltes Glas auf einem Sockel
stand. Rechts und links von diesem Glase war je eine kleine Säule angebracht,
die einen Kasten trugen, dessen Mitte gerade über dem Glase lag. Dieses selbst
enthielt eine kleine Tenfelsfigur aus Glas und war durch eine dünne Guttapercha¬
haut verschlossen. Zog man einen hinter einer der Säulen verborgnen Faden, so
drückte eine Hebelvorrichtung auf den Guttaperchaverschluß, und das Glasteufelchen
stieg im Wasser empor, bis es scheinbar im Kasten verschwand. In diesen Kasten
wurden Briefe gelegt, auf die zuvor mit Bleiessig irgendein verheißungsvolles
Motto geschrieben war, wie zum Beispiel: "Du hast dem Glück gefunden." "Du
bist dem Ziele deiner Wünsche nahe" oder "Lieb, so lang du lieben kannst" usw.
In dem Kasten kamen die Briefe mit einer Säure in Berührung, auf die der
Bleiessig reagierte, worauf dann die Aufschriften deutlich sichtbar wurden. Der
Inhalt der Briefe war ein "gedruckter Planet," d. h. eine Prophezeiung auf Grund
astrologischer Regeln, die sich vermutlich nur in dieser Form aus dem grauen
Mittelalter bis auf unsre Tage erhalten haben, und ferner eine Photographie -- in
den Briefen, die für Damen bestimmt waren, natürlich eine Herrenphotographie,
in den Briefen für Herren ein Damenbildnis.

Ich half schon am Sonnabend Nachmittag beim Verkaufen der Briefe, die
wir mit zehn Pfennigen bezahlt bekamen, während sie uns selbst etwa drei Pfennige
kosteten. Am Sonntag Morgen mußte ich in der Kammer der schwarzen Mary
mit Bleiessig nach einer besondern Tabelle die Aufschriften schreiben, während meine
Prinzipalin die Photographien und die Planeten in die Kuverte steckte, und am
Nachmittag fehlen wir den Verkauf fort. Gegen acht Uhr Abends hatten wir
schon zwölfhundert Stück verkauft, und meine Prinzipalin ging zu einer Kollegin,
die ihr noch ein paar Hundert überließ. So machten wir an einem Nachmittag
einen Reingewinn von ungefähr fünfundneunzig Mark, was für ein solches Geschäft
keine schlechte Einnahme ist. Ich erhielt außer meinem Lohn von sechs Mark für
den Tag freies Abendbrot und Bier.

Während der Messe blieb ich bei der schwarzen Mary und fuhr dann in einer
größern Gesellschaft zum Schützenfest nach Straßburg. Wir hatten uns, da wir zu
dreißig Personen waren, ein Gesellschaftsbillett genommen und machten dadurch die
Reise weit billiger. Das Schützenfest wurde in der Nähe von Kehl gefeiert, aber
da sich für mich dort keine Arbeitsgelegenheit fand, ging ich nach Straßburg
hinein und besuchte meine alten Bekannten am Metzgertor. Der Photograph Leh-
mann sowie der Wirt aus dem Straßburger Tanzsalon sagten mir, daß ich mich
zwei Tage gedulden solle, da dann Wittgers Panoptikum käme, bei dem ich vielleicht
Arbeit finden könnte. Als das Panoptikum ankam, legte der Photograph ein
empfehlendes Wort für mich ein, und ich wurde dann auch von dem Besitzer,
Heinrich Wittger aus Kessenich bei Bonn, engagiert.

Seine Frau war viel älter als er selbst und überdies vollständig blind, was
sie aber nicht hinderte, während der Geschäftszeit an der Kasse zu sitzen und das
Entree selbst zu erheben. Von Angestellten war ein Rekommandeur vorhanden,
ferner ein Katalogverkäufer und ein vierschrötiges Dienstmädchen, dem die Ver¬
waltung des Extrakabinetts oblag. Meine Tätigkeit beschränkte sich in der Haupt¬
sache auf das Orgeldrehen; unser Lieblingsstück war der Fehrbelliner Reitermarsch>
Die Bude hatte eine Länge von dreißig und eine Tiefe von sieben Metern. Zum
Geschäfte gehörten ein Wohn- und zwei Packwagen. An der Kasse standen als
sogenannte "Kassenstücke" lebensgroße Wachsfiguren, darunter die Königin Luise
in einem Glaskasten, "der Lachmichel," der eine große Trommel schlug und den
Kopf bewegte, die "tanzende Alte" und der Asrikareisende Casati in seiner Ge¬
fangenschaft, an einen Baum gebunden und von zwei Negern mit Schild und


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Eine Negerin, die „schwarze Mary," die eine „Briefmaschine" hatte und mich schon
seit vielen Jahren kannte, fragte mich, ob ich bei ihr eintreten wolle, wozu ich
auch sofort bereit war. Die Briefmaschiue bestand aus einem Gestell, in dessen
Mitte ein langes zylinderförmiges, mit Wasser gefülltes Glas auf einem Sockel
stand. Rechts und links von diesem Glase war je eine kleine Säule angebracht,
die einen Kasten trugen, dessen Mitte gerade über dem Glase lag. Dieses selbst
enthielt eine kleine Tenfelsfigur aus Glas und war durch eine dünne Guttapercha¬
haut verschlossen. Zog man einen hinter einer der Säulen verborgnen Faden, so
drückte eine Hebelvorrichtung auf den Guttaperchaverschluß, und das Glasteufelchen
stieg im Wasser empor, bis es scheinbar im Kasten verschwand. In diesen Kasten
wurden Briefe gelegt, auf die zuvor mit Bleiessig irgendein verheißungsvolles
Motto geschrieben war, wie zum Beispiel: „Du hast dem Glück gefunden." „Du
bist dem Ziele deiner Wünsche nahe" oder „Lieb, so lang du lieben kannst" usw.
In dem Kasten kamen die Briefe mit einer Säure in Berührung, auf die der
Bleiessig reagierte, worauf dann die Aufschriften deutlich sichtbar wurden. Der
Inhalt der Briefe war ein „gedruckter Planet," d. h. eine Prophezeiung auf Grund
astrologischer Regeln, die sich vermutlich nur in dieser Form aus dem grauen
Mittelalter bis auf unsre Tage erhalten haben, und ferner eine Photographie — in
den Briefen, die für Damen bestimmt waren, natürlich eine Herrenphotographie,
in den Briefen für Herren ein Damenbildnis.

Ich half schon am Sonnabend Nachmittag beim Verkaufen der Briefe, die
wir mit zehn Pfennigen bezahlt bekamen, während sie uns selbst etwa drei Pfennige
kosteten. Am Sonntag Morgen mußte ich in der Kammer der schwarzen Mary
mit Bleiessig nach einer besondern Tabelle die Aufschriften schreiben, während meine
Prinzipalin die Photographien und die Planeten in die Kuverte steckte, und am
Nachmittag fehlen wir den Verkauf fort. Gegen acht Uhr Abends hatten wir
schon zwölfhundert Stück verkauft, und meine Prinzipalin ging zu einer Kollegin,
die ihr noch ein paar Hundert überließ. So machten wir an einem Nachmittag
einen Reingewinn von ungefähr fünfundneunzig Mark, was für ein solches Geschäft
keine schlechte Einnahme ist. Ich erhielt außer meinem Lohn von sechs Mark für
den Tag freies Abendbrot und Bier.

Während der Messe blieb ich bei der schwarzen Mary und fuhr dann in einer
größern Gesellschaft zum Schützenfest nach Straßburg. Wir hatten uns, da wir zu
dreißig Personen waren, ein Gesellschaftsbillett genommen und machten dadurch die
Reise weit billiger. Das Schützenfest wurde in der Nähe von Kehl gefeiert, aber
da sich für mich dort keine Arbeitsgelegenheit fand, ging ich nach Straßburg
hinein und besuchte meine alten Bekannten am Metzgertor. Der Photograph Leh-
mann sowie der Wirt aus dem Straßburger Tanzsalon sagten mir, daß ich mich
zwei Tage gedulden solle, da dann Wittgers Panoptikum käme, bei dem ich vielleicht
Arbeit finden könnte. Als das Panoptikum ankam, legte der Photograph ein
empfehlendes Wort für mich ein, und ich wurde dann auch von dem Besitzer,
Heinrich Wittger aus Kessenich bei Bonn, engagiert.

Seine Frau war viel älter als er selbst und überdies vollständig blind, was
sie aber nicht hinderte, während der Geschäftszeit an der Kasse zu sitzen und das
Entree selbst zu erheben. Von Angestellten war ein Rekommandeur vorhanden,
ferner ein Katalogverkäufer und ein vierschrötiges Dienstmädchen, dem die Ver¬
waltung des Extrakabinetts oblag. Meine Tätigkeit beschränkte sich in der Haupt¬
sache auf das Orgeldrehen; unser Lieblingsstück war der Fehrbelliner Reitermarsch>
Die Bude hatte eine Länge von dreißig und eine Tiefe von sieben Metern. Zum
Geschäfte gehörten ein Wohn- und zwei Packwagen. An der Kasse standen als
sogenannte „Kassenstücke" lebensgroße Wachsfiguren, darunter die Königin Luise
in einem Glaskasten, „der Lachmichel," der eine große Trommel schlug und den
Kopf bewegte, die „tanzende Alte" und der Asrikareisende Casati in seiner Ge¬
fangenschaft, an einen Baum gebunden und von zwei Negern mit Schild und


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[0726] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren Eine Negerin, die „schwarze Mary," die eine „Briefmaschine" hatte und mich schon seit vielen Jahren kannte, fragte mich, ob ich bei ihr eintreten wolle, wozu ich auch sofort bereit war. Die Briefmaschiue bestand aus einem Gestell, in dessen Mitte ein langes zylinderförmiges, mit Wasser gefülltes Glas auf einem Sockel stand. Rechts und links von diesem Glase war je eine kleine Säule angebracht, die einen Kasten trugen, dessen Mitte gerade über dem Glase lag. Dieses selbst enthielt eine kleine Tenfelsfigur aus Glas und war durch eine dünne Guttapercha¬ haut verschlossen. Zog man einen hinter einer der Säulen verborgnen Faden, so drückte eine Hebelvorrichtung auf den Guttaperchaverschluß, und das Glasteufelchen stieg im Wasser empor, bis es scheinbar im Kasten verschwand. In diesen Kasten wurden Briefe gelegt, auf die zuvor mit Bleiessig irgendein verheißungsvolles Motto geschrieben war, wie zum Beispiel: „Du hast dem Glück gefunden." „Du bist dem Ziele deiner Wünsche nahe" oder „Lieb, so lang du lieben kannst" usw. In dem Kasten kamen die Briefe mit einer Säure in Berührung, auf die der Bleiessig reagierte, worauf dann die Aufschriften deutlich sichtbar wurden. Der Inhalt der Briefe war ein „gedruckter Planet," d. h. eine Prophezeiung auf Grund astrologischer Regeln, die sich vermutlich nur in dieser Form aus dem grauen Mittelalter bis auf unsre Tage erhalten haben, und ferner eine Photographie — in den Briefen, die für Damen bestimmt waren, natürlich eine Herrenphotographie, in den Briefen für Herren ein Damenbildnis. Ich half schon am Sonnabend Nachmittag beim Verkaufen der Briefe, die wir mit zehn Pfennigen bezahlt bekamen, während sie uns selbst etwa drei Pfennige kosteten. Am Sonntag Morgen mußte ich in der Kammer der schwarzen Mary mit Bleiessig nach einer besondern Tabelle die Aufschriften schreiben, während meine Prinzipalin die Photographien und die Planeten in die Kuverte steckte, und am Nachmittag fehlen wir den Verkauf fort. Gegen acht Uhr Abends hatten wir schon zwölfhundert Stück verkauft, und meine Prinzipalin ging zu einer Kollegin, die ihr noch ein paar Hundert überließ. So machten wir an einem Nachmittag einen Reingewinn von ungefähr fünfundneunzig Mark, was für ein solches Geschäft keine schlechte Einnahme ist. Ich erhielt außer meinem Lohn von sechs Mark für den Tag freies Abendbrot und Bier. Während der Messe blieb ich bei der schwarzen Mary und fuhr dann in einer größern Gesellschaft zum Schützenfest nach Straßburg. Wir hatten uns, da wir zu dreißig Personen waren, ein Gesellschaftsbillett genommen und machten dadurch die Reise weit billiger. Das Schützenfest wurde in der Nähe von Kehl gefeiert, aber da sich für mich dort keine Arbeitsgelegenheit fand, ging ich nach Straßburg hinein und besuchte meine alten Bekannten am Metzgertor. Der Photograph Leh- mann sowie der Wirt aus dem Straßburger Tanzsalon sagten mir, daß ich mich zwei Tage gedulden solle, da dann Wittgers Panoptikum käme, bei dem ich vielleicht Arbeit finden könnte. Als das Panoptikum ankam, legte der Photograph ein empfehlendes Wort für mich ein, und ich wurde dann auch von dem Besitzer, Heinrich Wittger aus Kessenich bei Bonn, engagiert. Seine Frau war viel älter als er selbst und überdies vollständig blind, was sie aber nicht hinderte, während der Geschäftszeit an der Kasse zu sitzen und das Entree selbst zu erheben. Von Angestellten war ein Rekommandeur vorhanden, ferner ein Katalogverkäufer und ein vierschrötiges Dienstmädchen, dem die Ver¬ waltung des Extrakabinetts oblag. Meine Tätigkeit beschränkte sich in der Haupt¬ sache auf das Orgeldrehen; unser Lieblingsstück war der Fehrbelliner Reitermarsch> Die Bude hatte eine Länge von dreißig und eine Tiefe von sieben Metern. Zum Geschäfte gehörten ein Wohn- und zwei Packwagen. An der Kasse standen als sogenannte „Kassenstücke" lebensgroße Wachsfiguren, darunter die Königin Luise in einem Glaskasten, „der Lachmichel," der eine große Trommel schlug und den Kopf bewegte, die „tanzende Alte" und der Asrikareisende Casati in seiner Ge¬ fangenschaft, an einen Baum gebunden und von zwei Negern mit Schild und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/726>, abgerufen am 20.10.2024.