Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

zuführende skandinavische Föderation zu erreichen und habe sich deshalb für die
Einsetzung eines schwedischen Prinzen als König von Norwegen bemüht, um so eine
Aussöhnung zwischen Schweden und Norwegen herbeizuführen. Von einer "Be¬
mühung" Deutschlands in diesem Sinne ist selbstverständlich gar keine Rede, wohl
aber hätte Deutschland eine solche Lösung der skandinavischen Differenz, nachdem die
Auflösung der Union zur Tatsache geworden ist, als die dem bisherigen Verhältnis
am nächsten kommende angesehen und willkommen geheißen. Ob diese Kombination,
die bekanntlich von den Norwegern ausgegangen ist, überhaupt noch möglich ist, ist
schwer zu entscheiden, bisher ist sie nicht an den Norwegern, die eine solche Lösung
des Konflikts wünschten, sondern an der Abneigung des Königs Oskar gescheitert, der
sich durch das Verhalten der Norweger schwer verletzt fühlt. Herr Melnikow sieht
schließlich das Bündnis der skandinavischen Reiche unter Rußlands Führung als eine
Notwendigkeit zum Schutze ihrer Unabhängigkeit und als eine Notwendigkeit für
Rußland zur Sicherung der Freiheit des Meeres an. Diese "Identität der Interessen"
ist ihm viel wichtiger als die vorher von ihm für Deutschland wie für Nußland in
demselben Maße als bestehend anerkannte Notwendigkeit, sich in der Ostsee gegen
England zu sichern. Es kann nicht wundernehmen, daß dem russischen Werben
in Kopenhagen ein englisches und dem englischen ein russisches gegenübertritt.

Deutschland hat sich im Gegenteil zu dem, was Engländer und Russen voraus¬
setzen und ihm unterstellen, Dänemark gegenüber mit politischen Zumutungen sehr
zurückgehalten. Die deutsche Regierung und die deutsche Presse fast aller Schat¬
tierungen haben Dänemark gegenüber eine aufrichtig sympathische, wohlwollende Ge¬
sinnung bekundet, in unsern Zeitungen ist dabei auch der Wunsch ausgesprochen
worden, daß Dänemark seinen festen Ankergrund im Anschluß nach Süden finden
möge. Aber es ist keinerlei Versuch gemacht worden, in dieser Richtung auf Hof
und Regierung in Kopenhagen einzuwirken. Als Dänemark im Juli 1870 noch
schwankte, ob es nicht den Lockungen der französischen Diplomatie Folge leisten sollte,
erging von Petersburg her die sehr ernste und bestimmte Warnung nach Kopenhagen,
Jütland nicht einer dritten Invasion auszusetzen, sondern vielmehr die Zukunft
Dänemarks im engen Anschluß an Deutschland, namentlich an das deutsche Zoll¬
system zu suchen. Dieses Zollsystem hat sich seitdem freilich sehr geändert, und
die Änderung ist in Dänemark wie in Holland mit wenig Sympathie aufgenommen
worden. Aber das kann für große politische Zukunftsfragen nicht ausschlaggebend sein.

Auch hat nicht Deutschland allein sich dieser Änderung unterzogen, Frankreich
zum Beispiel in noch viel höherm Maße, und es ist bekannt, welche Bemühungen
in England in derselben Richtung vorhanden sind. Rußland hatte zu seiner Warnung
freilich noch einen andern Grund. Die Idee einer skandinavischen Union unter franzö¬
sischem Einfluß gehörte zu den politischen Spielereien Napoleons des Dritten. Gelang
es, Dänemark an Frankreich zu fesseln, so war bei den starken französischen Sympathien
des damaligen schwedischen Hofes im Falle eines Sieges der französischen Waffen
die Union fertig, und Rußland sah sich damit einem starken Druck in der Ostsee
ausgesetzt. Die Kopenhagner Politik war damals weise genug, Dänemark nicht an
das Schicksal Frankreichs zu ketten. Die mangelhafte Verfassung der französischen
Flotte, die ihre Kriegsrüstuug tatsächlich erst in Kopenhagen in der notdürftigsten Weise
beendete, hat Dänemarks Entschließung sehr erleichtet, der 4. und der 6. August
taten dann das übrige. Noch weniger gleichgiltig könnte für Rußland eine skandi¬
navische Föderation unter englischem Protektorat sein. Die nahen Beziehungen des
Kopenhagner Hofes zu dein englischen und die norwegische Thronkandidatur eines
dänischen Prinzen, der zugleich Schwiegersohn des Königs Eduard ist, fallen für
politische Kombinationen dieser Art sehr in das Gewicht, und es ist begreiflich,
daß Rußland lieber einen schwedischen Prinzen als den dänischen Prinzen Karl
auf dem Thron von Norwegen sieht, während Deutschland an der norwegischen
Thronfrage nur indirekt interessiert ist. Für uns kommt nur in Betracht, wie weit
es der unermüdlichen Geschäftigkeit der englischen Diplomatie, Deutschland einzu¬
kreisen und in Schach zu halten, gelingen wird, in Kopenhagen festen Fuß zu
fassen. Die Aufnahme, die ein gegen Deutschland gerichtetes Untertauchen Däne-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

zuführende skandinavische Föderation zu erreichen und habe sich deshalb für die
Einsetzung eines schwedischen Prinzen als König von Norwegen bemüht, um so eine
Aussöhnung zwischen Schweden und Norwegen herbeizuführen. Von einer „Be¬
mühung" Deutschlands in diesem Sinne ist selbstverständlich gar keine Rede, wohl
aber hätte Deutschland eine solche Lösung der skandinavischen Differenz, nachdem die
Auflösung der Union zur Tatsache geworden ist, als die dem bisherigen Verhältnis
am nächsten kommende angesehen und willkommen geheißen. Ob diese Kombination,
die bekanntlich von den Norwegern ausgegangen ist, überhaupt noch möglich ist, ist
schwer zu entscheiden, bisher ist sie nicht an den Norwegern, die eine solche Lösung
des Konflikts wünschten, sondern an der Abneigung des Königs Oskar gescheitert, der
sich durch das Verhalten der Norweger schwer verletzt fühlt. Herr Melnikow sieht
schließlich das Bündnis der skandinavischen Reiche unter Rußlands Führung als eine
Notwendigkeit zum Schutze ihrer Unabhängigkeit und als eine Notwendigkeit für
Rußland zur Sicherung der Freiheit des Meeres an. Diese „Identität der Interessen"
ist ihm viel wichtiger als die vorher von ihm für Deutschland wie für Nußland in
demselben Maße als bestehend anerkannte Notwendigkeit, sich in der Ostsee gegen
England zu sichern. Es kann nicht wundernehmen, daß dem russischen Werben
in Kopenhagen ein englisches und dem englischen ein russisches gegenübertritt.

Deutschland hat sich im Gegenteil zu dem, was Engländer und Russen voraus¬
setzen und ihm unterstellen, Dänemark gegenüber mit politischen Zumutungen sehr
zurückgehalten. Die deutsche Regierung und die deutsche Presse fast aller Schat¬
tierungen haben Dänemark gegenüber eine aufrichtig sympathische, wohlwollende Ge¬
sinnung bekundet, in unsern Zeitungen ist dabei auch der Wunsch ausgesprochen
worden, daß Dänemark seinen festen Ankergrund im Anschluß nach Süden finden
möge. Aber es ist keinerlei Versuch gemacht worden, in dieser Richtung auf Hof
und Regierung in Kopenhagen einzuwirken. Als Dänemark im Juli 1870 noch
schwankte, ob es nicht den Lockungen der französischen Diplomatie Folge leisten sollte,
erging von Petersburg her die sehr ernste und bestimmte Warnung nach Kopenhagen,
Jütland nicht einer dritten Invasion auszusetzen, sondern vielmehr die Zukunft
Dänemarks im engen Anschluß an Deutschland, namentlich an das deutsche Zoll¬
system zu suchen. Dieses Zollsystem hat sich seitdem freilich sehr geändert, und
die Änderung ist in Dänemark wie in Holland mit wenig Sympathie aufgenommen
worden. Aber das kann für große politische Zukunftsfragen nicht ausschlaggebend sein.

Auch hat nicht Deutschland allein sich dieser Änderung unterzogen, Frankreich
zum Beispiel in noch viel höherm Maße, und es ist bekannt, welche Bemühungen
in England in derselben Richtung vorhanden sind. Rußland hatte zu seiner Warnung
freilich noch einen andern Grund. Die Idee einer skandinavischen Union unter franzö¬
sischem Einfluß gehörte zu den politischen Spielereien Napoleons des Dritten. Gelang
es, Dänemark an Frankreich zu fesseln, so war bei den starken französischen Sympathien
des damaligen schwedischen Hofes im Falle eines Sieges der französischen Waffen
die Union fertig, und Rußland sah sich damit einem starken Druck in der Ostsee
ausgesetzt. Die Kopenhagner Politik war damals weise genug, Dänemark nicht an
das Schicksal Frankreichs zu ketten. Die mangelhafte Verfassung der französischen
Flotte, die ihre Kriegsrüstuug tatsächlich erst in Kopenhagen in der notdürftigsten Weise
beendete, hat Dänemarks Entschließung sehr erleichtet, der 4. und der 6. August
taten dann das übrige. Noch weniger gleichgiltig könnte für Rußland eine skandi¬
navische Föderation unter englischem Protektorat sein. Die nahen Beziehungen des
Kopenhagner Hofes zu dein englischen und die norwegische Thronkandidatur eines
dänischen Prinzen, der zugleich Schwiegersohn des Königs Eduard ist, fallen für
politische Kombinationen dieser Art sehr in das Gewicht, und es ist begreiflich,
daß Rußland lieber einen schwedischen Prinzen als den dänischen Prinzen Karl
auf dem Thron von Norwegen sieht, während Deutschland an der norwegischen
Thronfrage nur indirekt interessiert ist. Für uns kommt nur in Betracht, wie weit
es der unermüdlichen Geschäftigkeit der englischen Diplomatie, Deutschland einzu¬
kreisen und in Schach zu halten, gelingen wird, in Kopenhagen festen Fuß zu
fassen. Die Aufnahme, die ein gegen Deutschland gerichtetes Untertauchen Däne-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0631" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/298150"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_3326" prev="#ID_3325"> zuführende skandinavische Föderation zu erreichen und habe sich deshalb für die<lb/>
Einsetzung eines schwedischen Prinzen als König von Norwegen bemüht, um so eine<lb/>
Aussöhnung zwischen Schweden und Norwegen herbeizuführen. Von einer &#x201E;Be¬<lb/>
mühung" Deutschlands in diesem Sinne ist selbstverständlich gar keine Rede, wohl<lb/>
aber hätte Deutschland eine solche Lösung der skandinavischen Differenz, nachdem die<lb/>
Auflösung der Union zur Tatsache geworden ist, als die dem bisherigen Verhältnis<lb/>
am nächsten kommende angesehen und willkommen geheißen. Ob diese Kombination,<lb/>
die bekanntlich von den Norwegern ausgegangen ist, überhaupt noch möglich ist, ist<lb/>
schwer zu entscheiden, bisher ist sie nicht an den Norwegern, die eine solche Lösung<lb/>
des Konflikts wünschten, sondern an der Abneigung des Königs Oskar gescheitert, der<lb/>
sich durch das Verhalten der Norweger schwer verletzt fühlt. Herr Melnikow sieht<lb/>
schließlich das Bündnis der skandinavischen Reiche unter Rußlands Führung als eine<lb/>
Notwendigkeit zum Schutze ihrer Unabhängigkeit und als eine Notwendigkeit für<lb/>
Rußland zur Sicherung der Freiheit des Meeres an. Diese &#x201E;Identität der Interessen"<lb/>
ist ihm viel wichtiger als die vorher von ihm für Deutschland wie für Nußland in<lb/>
demselben Maße als bestehend anerkannte Notwendigkeit, sich in der Ostsee gegen<lb/>
England zu sichern. Es kann nicht wundernehmen, daß dem russischen Werben<lb/>
in Kopenhagen ein englisches und dem englischen ein russisches gegenübertritt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3327"> Deutschland hat sich im Gegenteil zu dem, was Engländer und Russen voraus¬<lb/>
setzen und ihm unterstellen, Dänemark gegenüber mit politischen Zumutungen sehr<lb/>
zurückgehalten. Die deutsche Regierung und die deutsche Presse fast aller Schat¬<lb/>
tierungen haben Dänemark gegenüber eine aufrichtig sympathische, wohlwollende Ge¬<lb/>
sinnung bekundet, in unsern Zeitungen ist dabei auch der Wunsch ausgesprochen<lb/>
worden, daß Dänemark seinen festen Ankergrund im Anschluß nach Süden finden<lb/>
möge. Aber es ist keinerlei Versuch gemacht worden, in dieser Richtung auf Hof<lb/>
und Regierung in Kopenhagen einzuwirken. Als Dänemark im Juli 1870 noch<lb/>
schwankte, ob es nicht den Lockungen der französischen Diplomatie Folge leisten sollte,<lb/>
erging von Petersburg her die sehr ernste und bestimmte Warnung nach Kopenhagen,<lb/>
Jütland nicht einer dritten Invasion auszusetzen, sondern vielmehr die Zukunft<lb/>
Dänemarks im engen Anschluß an Deutschland, namentlich an das deutsche Zoll¬<lb/>
system zu suchen. Dieses Zollsystem hat sich seitdem freilich sehr geändert, und<lb/>
die Änderung ist in Dänemark wie in Holland mit wenig Sympathie aufgenommen<lb/>
worden. Aber das kann für große politische Zukunftsfragen nicht ausschlaggebend sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3328" next="#ID_3329"> Auch hat nicht Deutschland allein sich dieser Änderung unterzogen, Frankreich<lb/>
zum Beispiel in noch viel höherm Maße, und es ist bekannt, welche Bemühungen<lb/>
in England in derselben Richtung vorhanden sind. Rußland hatte zu seiner Warnung<lb/>
freilich noch einen andern Grund. Die Idee einer skandinavischen Union unter franzö¬<lb/>
sischem Einfluß gehörte zu den politischen Spielereien Napoleons des Dritten. Gelang<lb/>
es, Dänemark an Frankreich zu fesseln, so war bei den starken französischen Sympathien<lb/>
des damaligen schwedischen Hofes im Falle eines Sieges der französischen Waffen<lb/>
die Union fertig, und Rußland sah sich damit einem starken Druck in der Ostsee<lb/>
ausgesetzt. Die Kopenhagner Politik war damals weise genug, Dänemark nicht an<lb/>
das Schicksal Frankreichs zu ketten. Die mangelhafte Verfassung der französischen<lb/>
Flotte, die ihre Kriegsrüstuug tatsächlich erst in Kopenhagen in der notdürftigsten Weise<lb/>
beendete, hat Dänemarks Entschließung sehr erleichtet, der 4. und der 6. August<lb/>
taten dann das übrige. Noch weniger gleichgiltig könnte für Rußland eine skandi¬<lb/>
navische Föderation unter englischem Protektorat sein. Die nahen Beziehungen des<lb/>
Kopenhagner Hofes zu dein englischen und die norwegische Thronkandidatur eines<lb/>
dänischen Prinzen, der zugleich Schwiegersohn des Königs Eduard ist, fallen für<lb/>
politische Kombinationen dieser Art sehr in das Gewicht, und es ist begreiflich,<lb/>
daß Rußland lieber einen schwedischen Prinzen als den dänischen Prinzen Karl<lb/>
auf dem Thron von Norwegen sieht, während Deutschland an der norwegischen<lb/>
Thronfrage nur indirekt interessiert ist. Für uns kommt nur in Betracht, wie weit<lb/>
es der unermüdlichen Geschäftigkeit der englischen Diplomatie, Deutschland einzu¬<lb/>
kreisen und in Schach zu halten, gelingen wird, in Kopenhagen festen Fuß zu<lb/>
fassen.  Die Aufnahme, die ein gegen Deutschland gerichtetes Untertauchen Däne-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0631] Maßgebliches und Unmaßgebliches zuführende skandinavische Föderation zu erreichen und habe sich deshalb für die Einsetzung eines schwedischen Prinzen als König von Norwegen bemüht, um so eine Aussöhnung zwischen Schweden und Norwegen herbeizuführen. Von einer „Be¬ mühung" Deutschlands in diesem Sinne ist selbstverständlich gar keine Rede, wohl aber hätte Deutschland eine solche Lösung der skandinavischen Differenz, nachdem die Auflösung der Union zur Tatsache geworden ist, als die dem bisherigen Verhältnis am nächsten kommende angesehen und willkommen geheißen. Ob diese Kombination, die bekanntlich von den Norwegern ausgegangen ist, überhaupt noch möglich ist, ist schwer zu entscheiden, bisher ist sie nicht an den Norwegern, die eine solche Lösung des Konflikts wünschten, sondern an der Abneigung des Königs Oskar gescheitert, der sich durch das Verhalten der Norweger schwer verletzt fühlt. Herr Melnikow sieht schließlich das Bündnis der skandinavischen Reiche unter Rußlands Führung als eine Notwendigkeit zum Schutze ihrer Unabhängigkeit und als eine Notwendigkeit für Rußland zur Sicherung der Freiheit des Meeres an. Diese „Identität der Interessen" ist ihm viel wichtiger als die vorher von ihm für Deutschland wie für Nußland in demselben Maße als bestehend anerkannte Notwendigkeit, sich in der Ostsee gegen England zu sichern. Es kann nicht wundernehmen, daß dem russischen Werben in Kopenhagen ein englisches und dem englischen ein russisches gegenübertritt. Deutschland hat sich im Gegenteil zu dem, was Engländer und Russen voraus¬ setzen und ihm unterstellen, Dänemark gegenüber mit politischen Zumutungen sehr zurückgehalten. Die deutsche Regierung und die deutsche Presse fast aller Schat¬ tierungen haben Dänemark gegenüber eine aufrichtig sympathische, wohlwollende Ge¬ sinnung bekundet, in unsern Zeitungen ist dabei auch der Wunsch ausgesprochen worden, daß Dänemark seinen festen Ankergrund im Anschluß nach Süden finden möge. Aber es ist keinerlei Versuch gemacht worden, in dieser Richtung auf Hof und Regierung in Kopenhagen einzuwirken. Als Dänemark im Juli 1870 noch schwankte, ob es nicht den Lockungen der französischen Diplomatie Folge leisten sollte, erging von Petersburg her die sehr ernste und bestimmte Warnung nach Kopenhagen, Jütland nicht einer dritten Invasion auszusetzen, sondern vielmehr die Zukunft Dänemarks im engen Anschluß an Deutschland, namentlich an das deutsche Zoll¬ system zu suchen. Dieses Zollsystem hat sich seitdem freilich sehr geändert, und die Änderung ist in Dänemark wie in Holland mit wenig Sympathie aufgenommen worden. Aber das kann für große politische Zukunftsfragen nicht ausschlaggebend sein. Auch hat nicht Deutschland allein sich dieser Änderung unterzogen, Frankreich zum Beispiel in noch viel höherm Maße, und es ist bekannt, welche Bemühungen in England in derselben Richtung vorhanden sind. Rußland hatte zu seiner Warnung freilich noch einen andern Grund. Die Idee einer skandinavischen Union unter franzö¬ sischem Einfluß gehörte zu den politischen Spielereien Napoleons des Dritten. Gelang es, Dänemark an Frankreich zu fesseln, so war bei den starken französischen Sympathien des damaligen schwedischen Hofes im Falle eines Sieges der französischen Waffen die Union fertig, und Rußland sah sich damit einem starken Druck in der Ostsee ausgesetzt. Die Kopenhagner Politik war damals weise genug, Dänemark nicht an das Schicksal Frankreichs zu ketten. Die mangelhafte Verfassung der französischen Flotte, die ihre Kriegsrüstuug tatsächlich erst in Kopenhagen in der notdürftigsten Weise beendete, hat Dänemarks Entschließung sehr erleichtet, der 4. und der 6. August taten dann das übrige. Noch weniger gleichgiltig könnte für Rußland eine skandi¬ navische Föderation unter englischem Protektorat sein. Die nahen Beziehungen des Kopenhagner Hofes zu dein englischen und die norwegische Thronkandidatur eines dänischen Prinzen, der zugleich Schwiegersohn des Königs Eduard ist, fallen für politische Kombinationen dieser Art sehr in das Gewicht, und es ist begreiflich, daß Rußland lieber einen schwedischen Prinzen als den dänischen Prinzen Karl auf dem Thron von Norwegen sieht, während Deutschland an der norwegischen Thronfrage nur indirekt interessiert ist. Für uns kommt nur in Betracht, wie weit es der unermüdlichen Geschäftigkeit der englischen Diplomatie, Deutschland einzu¬ kreisen und in Schach zu halten, gelingen wird, in Kopenhagen festen Fuß zu fassen. Die Aufnahme, die ein gegen Deutschland gerichtetes Untertauchen Däne-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/631
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/631>, abgerufen am 19.10.2024.