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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Beim Schützenfest in Apolda machte ich in der freien Mittagszeit ein kleines
Geschäft mit dem Verkaufe von Wollwaren, die mir die fahrenden Leute, mit denen
ich ja gut bekannt war, gern abnahmen. So kaufte mir die Besitzerin des Zirkus
Börno für jede der sechs Damen, die bei ihr Parade machten, je eine Kopfhülle
ab. Als ich zu Neujahr 1890 von Kitzmann noch einmal eine schriftliche Ein¬
ladung erhielt, kündigte ich für Ostern und reiste in Gesellschaft eines Lithographen
namens Richard Schmidt aus Leipzig, dem ich bei Kitzmann ein Engagement ver¬
schaffen wollte, nach Harburg. Der Provisor der Stadtapotheke, die demselben
Besitzer gehörte wie die Löwenapotheke, war in der Anfertigung von schnapsen
sehr bewandert und gab mir zum Abschied eine Literflasche seines selbstgebrauten
Pomeranzenschnnpses. Um diesen kostbaren Besitz gegen unberufne Liebhaber zu
schützen, versah ich die Flasche auf beiden Seiten mit Giftetiketten. In der letzten
Nacht wurde Abschied gefeiert, und früh gegen vier wurde die Reise angetreten.

Am Abend gegen zehn langten wir endlich in Harburg an und wurden am
Bahnhof abgeholt. Es hatte sich doch manches verändert, von den alten Leuten
war gar keiner mehr da, und auch mein Freund Brunner war in seine Heimat
gereist. Da Webelhorst seine Stelle als Geschäftsführer aufgegeben hatte und wieder
bei der Böhmeschcn Menagerie war, wo er die Witwe des von den Löwen zer¬
rissenen Tierbändigers Schlüpfer geheiratet hatte, war Karl Lindig wieder bei uns
als Geschäftsführer eingetreten. Seine Frau, ebenfalls eine der Böhmeschen Töchter,
besorgte für uns die Wirtschaft und saß, wenn das Geschäft gut ging, an der Kasse.

Von unsrer Herrschaft reiste jetzt niemand mit, deshalb waren zur Kontrolle
Zahlbogen eingeführt worden, ans denen sich der Gang des Geschäfts ersehen ließ.
Diese Bogen mußten zusammen mit den Rechnungen für Spesen von jedem Platz aus
nach Harburg eingeschickt werden. Als wir in Stade waren, kam Mutter Kitzmann
sür einen Tag herüber und sah dabei zu, wie Frau Lindig uns das Frühstück zurecht¬
machte. Da sie hierbei allzu sparsam vorging, ließ Mutter Kitzmann ein paar Pfund
Gehacktes holen und zeigte ihr, wie die Leute zu frühstücken gewöhnt seien.

Von Stube ging es nach Lüneburg zum Markt. Dort stand in unsrer Nähe
eine Athletendame, die mit jedem Herrn aus dem Publikum zu ringen bereit war.
Natürlich waren diese Herren "auf die Viole gestempelt," d. h. gekauft und waren
deshalb verpflichtet, sich besiegen zu lassen.

Unser nächster Platz war Gardelegen, ein altertümliches malerisches Städtchen.
Dort erschienen zwei Zeitungen, deren Besitzer sich bei uns um Annoncen bemühten.
Der eine davon sollte auch ein Inserat bekommen, wenn er sich bereit erklärte, auch
die Streifen für unsre Plakate zu drucken. Da er das nicht wollte, wurde die
Annonce in die andre Zeitung eingerückt, was der Besitzer der ersten so übel nahm,
daß er einen Artikel über unser Karussell brachte, worin er dieses schlecht machte.
Wir antworteten mit einem Gegenartikel in der andern Zeitung, und diese literarische
Fehde erregte in dem kleinen Neste so großes Aufsehen, daß sich das Publikum
aus lauter Neugier zu unserm Karussell drängte, und wir dadurch ein Vorzüge
liebes Geschäft machten. Über Stendnl reisten wir nach Stargard in Pommern.
Hier kamen wir zum Pfiugstschießen an. Auf dem Festplatze traf ich meinen frühern
Prinzipal, den ehemaligen Schaukelbesitzer Martin Heinemann, wieder, bei dem ich
im Jahre 1880 in Zwickau tätig gewesen war, und der jetzt ein Panorama und
eine Schießbude hatte. Eines Mittags, als ich im Wagen lag und schlief, träumte
mir, ich wäre nach Apolda gekommen, hätte dort ausgeladen und wäre bei strömendem
Regen nach Hause gegangen. Dabei hätte ich bemerkt, daß die Blumen an den
Fenstern meiner Wohnung verschwunden waren, und hätte, als ich dann das Haus
betrat, das Nest leer gefunden. Ich legte diesem Traume keine Bedeutung bei,
aber er ist mir aus Gründen, deren ich später gedenken werde, bis heute in der
Erinnerung geblieben.

Über Treptow, Demmin und Stralsund reisten wir zum Bnndesschießen nach
Pankow. Dort war der Boden so sandig, daß die Wagen bis an die Achsen ver-


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Beim Schützenfest in Apolda machte ich in der freien Mittagszeit ein kleines
Geschäft mit dem Verkaufe von Wollwaren, die mir die fahrenden Leute, mit denen
ich ja gut bekannt war, gern abnahmen. So kaufte mir die Besitzerin des Zirkus
Börno für jede der sechs Damen, die bei ihr Parade machten, je eine Kopfhülle
ab. Als ich zu Neujahr 1890 von Kitzmann noch einmal eine schriftliche Ein¬
ladung erhielt, kündigte ich für Ostern und reiste in Gesellschaft eines Lithographen
namens Richard Schmidt aus Leipzig, dem ich bei Kitzmann ein Engagement ver¬
schaffen wollte, nach Harburg. Der Provisor der Stadtapotheke, die demselben
Besitzer gehörte wie die Löwenapotheke, war in der Anfertigung von schnapsen
sehr bewandert und gab mir zum Abschied eine Literflasche seines selbstgebrauten
Pomeranzenschnnpses. Um diesen kostbaren Besitz gegen unberufne Liebhaber zu
schützen, versah ich die Flasche auf beiden Seiten mit Giftetiketten. In der letzten
Nacht wurde Abschied gefeiert, und früh gegen vier wurde die Reise angetreten.

Am Abend gegen zehn langten wir endlich in Harburg an und wurden am
Bahnhof abgeholt. Es hatte sich doch manches verändert, von den alten Leuten
war gar keiner mehr da, und auch mein Freund Brunner war in seine Heimat
gereist. Da Webelhorst seine Stelle als Geschäftsführer aufgegeben hatte und wieder
bei der Böhmeschcn Menagerie war, wo er die Witwe des von den Löwen zer¬
rissenen Tierbändigers Schlüpfer geheiratet hatte, war Karl Lindig wieder bei uns
als Geschäftsführer eingetreten. Seine Frau, ebenfalls eine der Böhmeschen Töchter,
besorgte für uns die Wirtschaft und saß, wenn das Geschäft gut ging, an der Kasse.

Von unsrer Herrschaft reiste jetzt niemand mit, deshalb waren zur Kontrolle
Zahlbogen eingeführt worden, ans denen sich der Gang des Geschäfts ersehen ließ.
Diese Bogen mußten zusammen mit den Rechnungen für Spesen von jedem Platz aus
nach Harburg eingeschickt werden. Als wir in Stade waren, kam Mutter Kitzmann
sür einen Tag herüber und sah dabei zu, wie Frau Lindig uns das Frühstück zurecht¬
machte. Da sie hierbei allzu sparsam vorging, ließ Mutter Kitzmann ein paar Pfund
Gehacktes holen und zeigte ihr, wie die Leute zu frühstücken gewöhnt seien.

Von Stube ging es nach Lüneburg zum Markt. Dort stand in unsrer Nähe
eine Athletendame, die mit jedem Herrn aus dem Publikum zu ringen bereit war.
Natürlich waren diese Herren „auf die Viole gestempelt," d. h. gekauft und waren
deshalb verpflichtet, sich besiegen zu lassen.

Unser nächster Platz war Gardelegen, ein altertümliches malerisches Städtchen.
Dort erschienen zwei Zeitungen, deren Besitzer sich bei uns um Annoncen bemühten.
Der eine davon sollte auch ein Inserat bekommen, wenn er sich bereit erklärte, auch
die Streifen für unsre Plakate zu drucken. Da er das nicht wollte, wurde die
Annonce in die andre Zeitung eingerückt, was der Besitzer der ersten so übel nahm,
daß er einen Artikel über unser Karussell brachte, worin er dieses schlecht machte.
Wir antworteten mit einem Gegenartikel in der andern Zeitung, und diese literarische
Fehde erregte in dem kleinen Neste so großes Aufsehen, daß sich das Publikum
aus lauter Neugier zu unserm Karussell drängte, und wir dadurch ein Vorzüge
liebes Geschäft machten. Über Stendnl reisten wir nach Stargard in Pommern.
Hier kamen wir zum Pfiugstschießen an. Auf dem Festplatze traf ich meinen frühern
Prinzipal, den ehemaligen Schaukelbesitzer Martin Heinemann, wieder, bei dem ich
im Jahre 1880 in Zwickau tätig gewesen war, und der jetzt ein Panorama und
eine Schießbude hatte. Eines Mittags, als ich im Wagen lag und schlief, träumte
mir, ich wäre nach Apolda gekommen, hätte dort ausgeladen und wäre bei strömendem
Regen nach Hause gegangen. Dabei hätte ich bemerkt, daß die Blumen an den
Fenstern meiner Wohnung verschwunden waren, und hätte, als ich dann das Haus
betrat, das Nest leer gefunden. Ich legte diesem Traume keine Bedeutung bei,
aber er ist mir aus Gründen, deren ich später gedenken werde, bis heute in der
Erinnerung geblieben.

Über Treptow, Demmin und Stralsund reisten wir zum Bnndesschießen nach
Pankow. Dort war der Boden so sandig, daß die Wagen bis an die Achsen ver-


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[0613] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren Beim Schützenfest in Apolda machte ich in der freien Mittagszeit ein kleines Geschäft mit dem Verkaufe von Wollwaren, die mir die fahrenden Leute, mit denen ich ja gut bekannt war, gern abnahmen. So kaufte mir die Besitzerin des Zirkus Börno für jede der sechs Damen, die bei ihr Parade machten, je eine Kopfhülle ab. Als ich zu Neujahr 1890 von Kitzmann noch einmal eine schriftliche Ein¬ ladung erhielt, kündigte ich für Ostern und reiste in Gesellschaft eines Lithographen namens Richard Schmidt aus Leipzig, dem ich bei Kitzmann ein Engagement ver¬ schaffen wollte, nach Harburg. Der Provisor der Stadtapotheke, die demselben Besitzer gehörte wie die Löwenapotheke, war in der Anfertigung von schnapsen sehr bewandert und gab mir zum Abschied eine Literflasche seines selbstgebrauten Pomeranzenschnnpses. Um diesen kostbaren Besitz gegen unberufne Liebhaber zu schützen, versah ich die Flasche auf beiden Seiten mit Giftetiketten. In der letzten Nacht wurde Abschied gefeiert, und früh gegen vier wurde die Reise angetreten. Am Abend gegen zehn langten wir endlich in Harburg an und wurden am Bahnhof abgeholt. Es hatte sich doch manches verändert, von den alten Leuten war gar keiner mehr da, und auch mein Freund Brunner war in seine Heimat gereist. Da Webelhorst seine Stelle als Geschäftsführer aufgegeben hatte und wieder bei der Böhmeschcn Menagerie war, wo er die Witwe des von den Löwen zer¬ rissenen Tierbändigers Schlüpfer geheiratet hatte, war Karl Lindig wieder bei uns als Geschäftsführer eingetreten. Seine Frau, ebenfalls eine der Böhmeschen Töchter, besorgte für uns die Wirtschaft und saß, wenn das Geschäft gut ging, an der Kasse. Von unsrer Herrschaft reiste jetzt niemand mit, deshalb waren zur Kontrolle Zahlbogen eingeführt worden, ans denen sich der Gang des Geschäfts ersehen ließ. Diese Bogen mußten zusammen mit den Rechnungen für Spesen von jedem Platz aus nach Harburg eingeschickt werden. Als wir in Stade waren, kam Mutter Kitzmann sür einen Tag herüber und sah dabei zu, wie Frau Lindig uns das Frühstück zurecht¬ machte. Da sie hierbei allzu sparsam vorging, ließ Mutter Kitzmann ein paar Pfund Gehacktes holen und zeigte ihr, wie die Leute zu frühstücken gewöhnt seien. Von Stube ging es nach Lüneburg zum Markt. Dort stand in unsrer Nähe eine Athletendame, die mit jedem Herrn aus dem Publikum zu ringen bereit war. Natürlich waren diese Herren „auf die Viole gestempelt," d. h. gekauft und waren deshalb verpflichtet, sich besiegen zu lassen. Unser nächster Platz war Gardelegen, ein altertümliches malerisches Städtchen. Dort erschienen zwei Zeitungen, deren Besitzer sich bei uns um Annoncen bemühten. Der eine davon sollte auch ein Inserat bekommen, wenn er sich bereit erklärte, auch die Streifen für unsre Plakate zu drucken. Da er das nicht wollte, wurde die Annonce in die andre Zeitung eingerückt, was der Besitzer der ersten so übel nahm, daß er einen Artikel über unser Karussell brachte, worin er dieses schlecht machte. Wir antworteten mit einem Gegenartikel in der andern Zeitung, und diese literarische Fehde erregte in dem kleinen Neste so großes Aufsehen, daß sich das Publikum aus lauter Neugier zu unserm Karussell drängte, und wir dadurch ein Vorzüge liebes Geschäft machten. Über Stendnl reisten wir nach Stargard in Pommern. Hier kamen wir zum Pfiugstschießen an. Auf dem Festplatze traf ich meinen frühern Prinzipal, den ehemaligen Schaukelbesitzer Martin Heinemann, wieder, bei dem ich im Jahre 1880 in Zwickau tätig gewesen war, und der jetzt ein Panorama und eine Schießbude hatte. Eines Mittags, als ich im Wagen lag und schlief, träumte mir, ich wäre nach Apolda gekommen, hätte dort ausgeladen und wäre bei strömendem Regen nach Hause gegangen. Dabei hätte ich bemerkt, daß die Blumen an den Fenstern meiner Wohnung verschwunden waren, und hätte, als ich dann das Haus betrat, das Nest leer gefunden. Ich legte diesem Traume keine Bedeutung bei, aber er ist mir aus Gründen, deren ich später gedenken werde, bis heute in der Erinnerung geblieben. Über Treptow, Demmin und Stralsund reisten wir zum Bnndesschießen nach Pankow. Dort war der Boden so sandig, daß die Wagen bis an die Achsen ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/613>, abgerufen am 20.10.2024.