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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

gesucht werden muß, in denen es wesentlich auf eine Beobachtung des Be¬
stehenden hinauskommt. Ebenso ist die Stärke seines jetzt etwas in Mißkredit
gekommnen aber unerschöpflich liebenswürdigen glaubenswarmen Gegenfüßlers
Beets (Hildebrand) die feine gemütvolle und humoristische Beschreibung in der
Art von Dickens oder Fritz Reuter, nur daß es jener mit einer noch weniger
fruchtbaren Phantasie nicht einmal zu einer novellistischen Ausgestaltung seiner
im übrigen so vollendeten Lebensbilder bringt. Es steht damit gerade wie
mit der holländischen Malerei, wenn man von dem Niesen Rembrandt, der in
der Lichtgebung selber ein Phantast war, absieht. Überall bei den Genremalern,
von Jan Steen bis zu den modernen Landschaftern, die treue gewissenhafte
Wiedergabe des wirklich beobachteten nicht ohne Poesie, aber auch ohne große
Wagnisse, während sich die deutsche Kunst leicht Aufgaben zutraut, denen sie
technisch noch gar nicht gewachsen ist, aber auch beim Unvollendeten einen
großen Reichtum an Ideen verrät.

Das alles zeichnet die zähe Geduld, das Herrschen des Verstandes, wie
sie für die niederdeutschen Rassen, mit Ausnahme der Flamingen, überhaupt
charakteristisch ist. In vielen Dingen gleicht der Holländer dem Engländer,
der ihn ja auch mit seinen ähnlichen, nur noch potenzierter Charaktereigen¬
schaften in der Weltherrschaft zur See abgelöst hat. Er hat auch mit diesem
einen gewissen Mangel an naivem Zutrauen gemein, die den mitteilsamen Fran¬
zosen so auszeichnet. Nur hat jener, vermutlich wegen des historischen Faktums
der Normannenherrschaft, mehr aristokratische Neigungen, auch mehr ebenso wie
der norddeutsche eine zwar nicht immer ganz zweifellos wahrhaftige Prüderie,
während sich in dieser Beziehung der Holländer, vielleicht durch die starke
Beimischung von Kelten, Franken und Flamingen, einer weitgehenden Naivität
erfreut, die von seinem überseeischen Nachbarn häufig snooKinA gefunden wird.
Damit in Beziehung steht auch wohl die verächtliche Bezeichnung des holländischen
Wesens in England als Äodoöläutod. Im übrigen gleichen in Klarheit des
Geistes, Stärke des Willens und Abwesenheit aller das Gewissen überwuchernden
aber auch das Leben verschönernden Phantasie beide seefahrenden Nationen
einander sehr. In Übereinstimmung hiermit fehlt bei diesen beiden Nationen
leicht die künstlerische Ader auch im gewöhnlichen Leben, die Pointe in der
Konversation und in gesellschaftlichen kleinen Leistungen, die bei den Franzosen
und bei den meisten Süddeutschen in viel höherm Grade vorhanden ist. Hierauf
beruht zum großen Teil das viele Ungünstige, das seit Immermann in immer¬
währenden Wiederholungen über die Langweiligkeit des Holländers ausgesagt
wird, von der es aber zumal in den eigentlichen Großstädten, besonders
in bezug auf die Naschheit des Gedankenflugs, viele Ausnahmen gibt, und
das zudem in vielen Fällen durch Herzlichkeit und Gemütstiefe wieder gut¬
gemacht wird.

Auch die große Liebe zur Freiheit ist bei den beiden germanischen Völkern
drüben und hüben von der Nordsee gleich stark entwickelt, während bei den
Franzosen die Liebe zum Ruhm entschieden diese Neigung überwiegt, und
Deutschland im Osten stark mit slawischen, an Knechtschaft gewöhnten Völkern
vermischt ist und much noch übrigens in seiner politischen Entwicklung zu weit


Grenzboten III 1906 74
Holland und die Holländer

gesucht werden muß, in denen es wesentlich auf eine Beobachtung des Be¬
stehenden hinauskommt. Ebenso ist die Stärke seines jetzt etwas in Mißkredit
gekommnen aber unerschöpflich liebenswürdigen glaubenswarmen Gegenfüßlers
Beets (Hildebrand) die feine gemütvolle und humoristische Beschreibung in der
Art von Dickens oder Fritz Reuter, nur daß es jener mit einer noch weniger
fruchtbaren Phantasie nicht einmal zu einer novellistischen Ausgestaltung seiner
im übrigen so vollendeten Lebensbilder bringt. Es steht damit gerade wie
mit der holländischen Malerei, wenn man von dem Niesen Rembrandt, der in
der Lichtgebung selber ein Phantast war, absieht. Überall bei den Genremalern,
von Jan Steen bis zu den modernen Landschaftern, die treue gewissenhafte
Wiedergabe des wirklich beobachteten nicht ohne Poesie, aber auch ohne große
Wagnisse, während sich die deutsche Kunst leicht Aufgaben zutraut, denen sie
technisch noch gar nicht gewachsen ist, aber auch beim Unvollendeten einen
großen Reichtum an Ideen verrät.

Das alles zeichnet die zähe Geduld, das Herrschen des Verstandes, wie
sie für die niederdeutschen Rassen, mit Ausnahme der Flamingen, überhaupt
charakteristisch ist. In vielen Dingen gleicht der Holländer dem Engländer,
der ihn ja auch mit seinen ähnlichen, nur noch potenzierter Charaktereigen¬
schaften in der Weltherrschaft zur See abgelöst hat. Er hat auch mit diesem
einen gewissen Mangel an naivem Zutrauen gemein, die den mitteilsamen Fran¬
zosen so auszeichnet. Nur hat jener, vermutlich wegen des historischen Faktums
der Normannenherrschaft, mehr aristokratische Neigungen, auch mehr ebenso wie
der norddeutsche eine zwar nicht immer ganz zweifellos wahrhaftige Prüderie,
während sich in dieser Beziehung der Holländer, vielleicht durch die starke
Beimischung von Kelten, Franken und Flamingen, einer weitgehenden Naivität
erfreut, die von seinem überseeischen Nachbarn häufig snooKinA gefunden wird.
Damit in Beziehung steht auch wohl die verächtliche Bezeichnung des holländischen
Wesens in England als Äodoöläutod. Im übrigen gleichen in Klarheit des
Geistes, Stärke des Willens und Abwesenheit aller das Gewissen überwuchernden
aber auch das Leben verschönernden Phantasie beide seefahrenden Nationen
einander sehr. In Übereinstimmung hiermit fehlt bei diesen beiden Nationen
leicht die künstlerische Ader auch im gewöhnlichen Leben, die Pointe in der
Konversation und in gesellschaftlichen kleinen Leistungen, die bei den Franzosen
und bei den meisten Süddeutschen in viel höherm Grade vorhanden ist. Hierauf
beruht zum großen Teil das viele Ungünstige, das seit Immermann in immer¬
währenden Wiederholungen über die Langweiligkeit des Holländers ausgesagt
wird, von der es aber zumal in den eigentlichen Großstädten, besonders
in bezug auf die Naschheit des Gedankenflugs, viele Ausnahmen gibt, und
das zudem in vielen Fällen durch Herzlichkeit und Gemütstiefe wieder gut¬
gemacht wird.

Auch die große Liebe zur Freiheit ist bei den beiden germanischen Völkern
drüben und hüben von der Nordsee gleich stark entwickelt, während bei den
Franzosen die Liebe zum Ruhm entschieden diese Neigung überwiegt, und
Deutschland im Osten stark mit slawischen, an Knechtschaft gewöhnten Völkern
vermischt ist und much noch übrigens in seiner politischen Entwicklung zu weit


Grenzboten III 1906 74
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[0593] Holland und die Holländer gesucht werden muß, in denen es wesentlich auf eine Beobachtung des Be¬ stehenden hinauskommt. Ebenso ist die Stärke seines jetzt etwas in Mißkredit gekommnen aber unerschöpflich liebenswürdigen glaubenswarmen Gegenfüßlers Beets (Hildebrand) die feine gemütvolle und humoristische Beschreibung in der Art von Dickens oder Fritz Reuter, nur daß es jener mit einer noch weniger fruchtbaren Phantasie nicht einmal zu einer novellistischen Ausgestaltung seiner im übrigen so vollendeten Lebensbilder bringt. Es steht damit gerade wie mit der holländischen Malerei, wenn man von dem Niesen Rembrandt, der in der Lichtgebung selber ein Phantast war, absieht. Überall bei den Genremalern, von Jan Steen bis zu den modernen Landschaftern, die treue gewissenhafte Wiedergabe des wirklich beobachteten nicht ohne Poesie, aber auch ohne große Wagnisse, während sich die deutsche Kunst leicht Aufgaben zutraut, denen sie technisch noch gar nicht gewachsen ist, aber auch beim Unvollendeten einen großen Reichtum an Ideen verrät. Das alles zeichnet die zähe Geduld, das Herrschen des Verstandes, wie sie für die niederdeutschen Rassen, mit Ausnahme der Flamingen, überhaupt charakteristisch ist. In vielen Dingen gleicht der Holländer dem Engländer, der ihn ja auch mit seinen ähnlichen, nur noch potenzierter Charaktereigen¬ schaften in der Weltherrschaft zur See abgelöst hat. Er hat auch mit diesem einen gewissen Mangel an naivem Zutrauen gemein, die den mitteilsamen Fran¬ zosen so auszeichnet. Nur hat jener, vermutlich wegen des historischen Faktums der Normannenherrschaft, mehr aristokratische Neigungen, auch mehr ebenso wie der norddeutsche eine zwar nicht immer ganz zweifellos wahrhaftige Prüderie, während sich in dieser Beziehung der Holländer, vielleicht durch die starke Beimischung von Kelten, Franken und Flamingen, einer weitgehenden Naivität erfreut, die von seinem überseeischen Nachbarn häufig snooKinA gefunden wird. Damit in Beziehung steht auch wohl die verächtliche Bezeichnung des holländischen Wesens in England als Äodoöläutod. Im übrigen gleichen in Klarheit des Geistes, Stärke des Willens und Abwesenheit aller das Gewissen überwuchernden aber auch das Leben verschönernden Phantasie beide seefahrenden Nationen einander sehr. In Übereinstimmung hiermit fehlt bei diesen beiden Nationen leicht die künstlerische Ader auch im gewöhnlichen Leben, die Pointe in der Konversation und in gesellschaftlichen kleinen Leistungen, die bei den Franzosen und bei den meisten Süddeutschen in viel höherm Grade vorhanden ist. Hierauf beruht zum großen Teil das viele Ungünstige, das seit Immermann in immer¬ währenden Wiederholungen über die Langweiligkeit des Holländers ausgesagt wird, von der es aber zumal in den eigentlichen Großstädten, besonders in bezug auf die Naschheit des Gedankenflugs, viele Ausnahmen gibt, und das zudem in vielen Fällen durch Herzlichkeit und Gemütstiefe wieder gut¬ gemacht wird. Auch die große Liebe zur Freiheit ist bei den beiden germanischen Völkern drüben und hüben von der Nordsee gleich stark entwickelt, während bei den Franzosen die Liebe zum Ruhm entschieden diese Neigung überwiegt, und Deutschland im Osten stark mit slawischen, an Knechtschaft gewöhnten Völkern vermischt ist und much noch übrigens in seiner politischen Entwicklung zu weit Grenzboten III 1906 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/593>, abgerufen am 20.10.2024.