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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Die deutsche Presse und die britische Frage

närrischen Grundsätzen eingerichtet hat als die britische Nation. Von diesem
Standpunkt aus ist auch wieder der neue Schritt der britischen Negierung zu
verstehn. Der Brite weiß, welche Macht die Presse ist, und als Kaufmann
fühlt er, welche gewaltige Gefahr in ihrer Indiskretion liegt.

Diese Indiskretion, dieser Mangel an Reserve und kaufmännischen Takt
hängt ja mit unserm ganzen modernen Parlamentsleben, das sich in der
breitesten Öffentlichkeit abspielt, innig zusammen. Ich verkenne den großen
moralischen Wert dieser Öffentlichkeit durchaus nicht, doch sie birgt immer die
Gefahr in sich, daß Dinge öffentlich ausgesprochen werden, die am besten ver¬
schwiegen worden wären.

Wenn ich als kaufmännischer Konkurrent eines andern noch nicht so stark
bin wie dieser, aber so stark zu werden trachte, wäre es doch eine Dummheit
ersten Ranges, dies mit meinen Geschäftsteilhabern und Geschäftsfreunden
öffentlich laut zu verhandeln, damit der Konkurrent auch genau jedes Wort
erfahre, was von meinen Freunden und mir beabsichtigt wird. Im kauf¬
männischen Leben gilt hierbei die absoluteste Diskretion als selbstverständlich
und als die wichtigste Bedingung jedweden Erfolgs. Und wenn ich im Kampf
ums Dasein einen tüchtigen Konkurrenten aus dem Felde schlage, so geschieht
es wohl ausnahmlos dadurch, daß ich mich in aller Stille, ohne daß er es
ahnt, so gut vorbereitet und so stark gemacht habe, daß ich ihm erfolgreich
die Spitze bieten kann. Man wird mir -- bis zu einem gewissen Grade auch
mit Recht -- entgegenhalten, daß man nach solchen Grundsätzen Politik heut¬
zutage nicht mehr treiben kann. Ich möchte dem aber doch widersprechen.
Die großen Erfolge von 1866 und 1870 sind doch vorwiegend dem Umstände
zu verdanken, daß die Österreicher und die Franzosen die wahre Stärke
Preußens gar nicht kannten und sich deshalb ihrer eignen Schwäche nicht
bewußt waren. Und warum wußte man nichts davon? Weil die große
Armcereorgcmisation in Preußen in aller Stille und Ruhe erfolgt war, und
weil man ihre Tragweite, ihre innere gewaltige Stärke gar nicht ahnte. Der
heutige Erfolg der Japaner beruht ebenfalls darauf, daß sie sich als bisher
schwache Konkurrenten des gewaltigen russischen Reichs in der größten Stille
und Ruhe, ohne daß die Welt und vor allem Rußland auch nur die leiseste
Ahnung erhalten hatte, vorbereitet und gerüstet haben zu dem großen Ent¬
scheidungskampf um die Hegemonie in Ostasien.

Ganz abgesehen davon, daß der Gedanke an sich schon töricht und albern
ist, daß wir unsre Seemacht gleich oder annähernd so umfangreich machen
könnten wie die Briten, ist es unklug und unpolitisch, es öffentlich immer
und immer wieder zu wiederholen, wie stark wir unsre Marine machen wollen,
und wie stark sie noch werden muß. Der mißgünstige Konkurrent sieht in
dieser Absicht, auch wenn sie sich in noch so mäßigen und berechtigten Grenzen
hielte, doch nichts weiter als die Sucht, es ihm gleich zu tun und ihn von
seiner bevorzugten Alleinherrscherstellung zu verdrängen. Ist es denn da nicht
klar, daß er beizeiten, wo sein Gegner noch nicht so stark ist, daran denkt,
entweder sich in dem gleichen oder in noch größerm Verhältnis zu verstärken
oder die Konkurrenz ganz aus dem Wege zu räumen? Wenn man die britische


Die deutsche Presse und die britische Frage

närrischen Grundsätzen eingerichtet hat als die britische Nation. Von diesem
Standpunkt aus ist auch wieder der neue Schritt der britischen Negierung zu
verstehn. Der Brite weiß, welche Macht die Presse ist, und als Kaufmann
fühlt er, welche gewaltige Gefahr in ihrer Indiskretion liegt.

Diese Indiskretion, dieser Mangel an Reserve und kaufmännischen Takt
hängt ja mit unserm ganzen modernen Parlamentsleben, das sich in der
breitesten Öffentlichkeit abspielt, innig zusammen. Ich verkenne den großen
moralischen Wert dieser Öffentlichkeit durchaus nicht, doch sie birgt immer die
Gefahr in sich, daß Dinge öffentlich ausgesprochen werden, die am besten ver¬
schwiegen worden wären.

Wenn ich als kaufmännischer Konkurrent eines andern noch nicht so stark
bin wie dieser, aber so stark zu werden trachte, wäre es doch eine Dummheit
ersten Ranges, dies mit meinen Geschäftsteilhabern und Geschäftsfreunden
öffentlich laut zu verhandeln, damit der Konkurrent auch genau jedes Wort
erfahre, was von meinen Freunden und mir beabsichtigt wird. Im kauf¬
männischen Leben gilt hierbei die absoluteste Diskretion als selbstverständlich
und als die wichtigste Bedingung jedweden Erfolgs. Und wenn ich im Kampf
ums Dasein einen tüchtigen Konkurrenten aus dem Felde schlage, so geschieht
es wohl ausnahmlos dadurch, daß ich mich in aller Stille, ohne daß er es
ahnt, so gut vorbereitet und so stark gemacht habe, daß ich ihm erfolgreich
die Spitze bieten kann. Man wird mir — bis zu einem gewissen Grade auch
mit Recht — entgegenhalten, daß man nach solchen Grundsätzen Politik heut¬
zutage nicht mehr treiben kann. Ich möchte dem aber doch widersprechen.
Die großen Erfolge von 1866 und 1870 sind doch vorwiegend dem Umstände
zu verdanken, daß die Österreicher und die Franzosen die wahre Stärke
Preußens gar nicht kannten und sich deshalb ihrer eignen Schwäche nicht
bewußt waren. Und warum wußte man nichts davon? Weil die große
Armcereorgcmisation in Preußen in aller Stille und Ruhe erfolgt war, und
weil man ihre Tragweite, ihre innere gewaltige Stärke gar nicht ahnte. Der
heutige Erfolg der Japaner beruht ebenfalls darauf, daß sie sich als bisher
schwache Konkurrenten des gewaltigen russischen Reichs in der größten Stille
und Ruhe, ohne daß die Welt und vor allem Rußland auch nur die leiseste
Ahnung erhalten hatte, vorbereitet und gerüstet haben zu dem großen Ent¬
scheidungskampf um die Hegemonie in Ostasien.

Ganz abgesehen davon, daß der Gedanke an sich schon töricht und albern
ist, daß wir unsre Seemacht gleich oder annähernd so umfangreich machen
könnten wie die Briten, ist es unklug und unpolitisch, es öffentlich immer
und immer wieder zu wiederholen, wie stark wir unsre Marine machen wollen,
und wie stark sie noch werden muß. Der mißgünstige Konkurrent sieht in
dieser Absicht, auch wenn sie sich in noch so mäßigen und berechtigten Grenzen
hielte, doch nichts weiter als die Sucht, es ihm gleich zu tun und ihn von
seiner bevorzugten Alleinherrscherstellung zu verdrängen. Ist es denn da nicht
klar, daß er beizeiten, wo sein Gegner noch nicht so stark ist, daran denkt,
entweder sich in dem gleichen oder in noch größerm Verhältnis zu verstärken
oder die Konkurrenz ganz aus dem Wege zu räumen? Wenn man die britische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/578>, abgerufen am 19.10.2024.