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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Heime Verhandlungen, und das Ende war, daß eines Tags eine Klage auf Zahlung
des Gebirges einlief. Kondrot mußte aufs Gericht. Dort stellte er in aller Demut
seine bedrängte Lage Vor. Er wolle die Alten solange ernähren, als er selbst noch
etwas habe, aber bar Geld könne er nicht schaffen. Der Richter war ein ver¬
ständiger Mann und hielt dem Vertreter des Klägers vor, daß er in Gefahr sei,
gar nichts zu kriegen, denn ein mit so hohem Ausgedinge belastetes Haus werde
niemand kaufen, wenn es Kondrot werde aufgeben müssen. Man möchte sich doch
vergleichen. Aber der Vertreter, der uns wohl bekannte Winkeladvokat, bestand
auf seinem Schein und setzte eiuen Zahlungsbefehl durch. Das einzige, was der
Richter erreichen konnte, war, daß der Zahlungstermin so weit als möglich hinaus¬
gerückt wurde.

Kondrot tat kaum einen Schritt, das Unheil abzuwenden. Er wußte, daß
kein Geld im Orte war, da die Fischer kaum das liebe Leben hatten, er wußte
auch, daß die, die ihm vielleicht hätten helfen können, es nicht tun würden aus
Furcht vor dem Herrn Amtshauptmann. Denn jedermann konnte es ja merken,
wessen Hand die "Anfechtungen" schuf, die über Kondrot kamen. Daß Kondrot
die Forstkasse bestohlen habe, glaubte kein Mensch mehr, denn dann hätte Kondrot
längst hinter Schloß und Riegel sitzen müssen. Für die Unbeteiligten handelte es
sich auch gar nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Machtfrage, nämlich um
den hoffnungslosen Kampf eines Kleinen gegen den Zorn eines allgewaltigen Herrn,
und das Volk hat von jeher die gemieden, die von den hohen Göttern gezeichnet
waren. Kondrot hätte den Doktor um Hilfe bitten können, aber dazu war er zu
stolz und zu schüchtern. Er ergab sich mit christlichem Fatalismus in sein Schicksal
und trug sein Los als seiner Sünden Strafe. Hatte er einst aus Geiz und Genu߬
sucht seine Seele Groppoff verschrieben, so hoffte er, seine Schuld abgetragen zu
haben, wenn er, den Bettelstab in der Hand, aus seinem Hause auswandern mußte.
Nur eins schmerzte ihn, daß er seinen Jurgis nicht mehr auf der Schule erhalten
konnte und ihn heimrufen niußte. Jurgis kam denn auch tief verbittert zurück, um
zuhause zu warten, bis sich für ihn Verdienst und Unterkommen bieten werde.

Einen Trost gewahrten Kondrot die Abende, an denen sich eine kleine Ge¬
meinde in seinem Hause versammelte, um die Schrift zu lesen und auszulegen. Es
war der Schulze, der, als Kondrot das Amt des Verkündigers niedergelegt hatte,
an seine Stelle hatte treten müssen, und etliche verzweifelte Fischer, in Summa
Leute, die mit dem Laufe der Dinge nicht einverstanden waren und das Ende der
Welt erwarteten. Man las die Offenbarung Johannis, ein Buch, das in den
Köpfen von Leuten, die ihrem Verstand mehr zugemutet hatten, als er tragen
konnte, Verwirrung genug angerichtet hat. Zu ihnen kam die Arte Beit und Jurgis.
Alle Sonnabend Abend, wenn der Sabbat angegangen war, versammelte man sich,
nachdem man den Sonntagsrock angezogen, das Gesicht gewaschen und die Haare
glatt gekämmt hatte. Kondrot saß in seinem Lehnstuhle, der Schulze am Tisch
bei einer dürftigen Lampe, während der Schein des schwindenden Tages durch die
Spalte der Tür hereinleuchtete und dennoch nicht gut machen konnte, was die
Lampe versäumte. Und im Kreis herum saßen die Hörer, die Hände gefaltet und
die Blicke ins Weite gerichtet.

Der Schulze hatte vor sich die Bibel, hatte die Fäuste eine auf die andre
gelegt, das Kinn darauf gestützt und las mit dem Tone tiefer Andacht: Und ich
trat an den Sand des Meeres und sahe ein Tier aus dem Meer steigen, das
hatte sieben Häupter und zehn Hörner und ans seinen Hörnern zehn Kronen und
auf seinen Häuptern Namen der Lästerung. Und das Tier, das ich sahe, war
gleich einem Pardel. Der, Schulze seufzte tief.

Gleich einem Pardel, wiederholte einer der Hörer kopfschüttelnd und seufzte
ebenfalls tief.

Der Schulze fuhr fort: Und seine Füße gleich Bärensnszen, und sein Mund
eines Löwen Mund. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und
große Macht. Der Leser seufzte abermals und sagte: Lasset uns den Geist ernst-


Herrenmenschen

Heime Verhandlungen, und das Ende war, daß eines Tags eine Klage auf Zahlung
des Gebirges einlief. Kondrot mußte aufs Gericht. Dort stellte er in aller Demut
seine bedrängte Lage Vor. Er wolle die Alten solange ernähren, als er selbst noch
etwas habe, aber bar Geld könne er nicht schaffen. Der Richter war ein ver¬
ständiger Mann und hielt dem Vertreter des Klägers vor, daß er in Gefahr sei,
gar nichts zu kriegen, denn ein mit so hohem Ausgedinge belastetes Haus werde
niemand kaufen, wenn es Kondrot werde aufgeben müssen. Man möchte sich doch
vergleichen. Aber der Vertreter, der uns wohl bekannte Winkeladvokat, bestand
auf seinem Schein und setzte eiuen Zahlungsbefehl durch. Das einzige, was der
Richter erreichen konnte, war, daß der Zahlungstermin so weit als möglich hinaus¬
gerückt wurde.

Kondrot tat kaum einen Schritt, das Unheil abzuwenden. Er wußte, daß
kein Geld im Orte war, da die Fischer kaum das liebe Leben hatten, er wußte
auch, daß die, die ihm vielleicht hätten helfen können, es nicht tun würden aus
Furcht vor dem Herrn Amtshauptmann. Denn jedermann konnte es ja merken,
wessen Hand die „Anfechtungen" schuf, die über Kondrot kamen. Daß Kondrot
die Forstkasse bestohlen habe, glaubte kein Mensch mehr, denn dann hätte Kondrot
längst hinter Schloß und Riegel sitzen müssen. Für die Unbeteiligten handelte es
sich auch gar nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Machtfrage, nämlich um
den hoffnungslosen Kampf eines Kleinen gegen den Zorn eines allgewaltigen Herrn,
und das Volk hat von jeher die gemieden, die von den hohen Göttern gezeichnet
waren. Kondrot hätte den Doktor um Hilfe bitten können, aber dazu war er zu
stolz und zu schüchtern. Er ergab sich mit christlichem Fatalismus in sein Schicksal
und trug sein Los als seiner Sünden Strafe. Hatte er einst aus Geiz und Genu߬
sucht seine Seele Groppoff verschrieben, so hoffte er, seine Schuld abgetragen zu
haben, wenn er, den Bettelstab in der Hand, aus seinem Hause auswandern mußte.
Nur eins schmerzte ihn, daß er seinen Jurgis nicht mehr auf der Schule erhalten
konnte und ihn heimrufen niußte. Jurgis kam denn auch tief verbittert zurück, um
zuhause zu warten, bis sich für ihn Verdienst und Unterkommen bieten werde.

Einen Trost gewahrten Kondrot die Abende, an denen sich eine kleine Ge¬
meinde in seinem Hause versammelte, um die Schrift zu lesen und auszulegen. Es
war der Schulze, der, als Kondrot das Amt des Verkündigers niedergelegt hatte,
an seine Stelle hatte treten müssen, und etliche verzweifelte Fischer, in Summa
Leute, die mit dem Laufe der Dinge nicht einverstanden waren und das Ende der
Welt erwarteten. Man las die Offenbarung Johannis, ein Buch, das in den
Köpfen von Leuten, die ihrem Verstand mehr zugemutet hatten, als er tragen
konnte, Verwirrung genug angerichtet hat. Zu ihnen kam die Arte Beit und Jurgis.
Alle Sonnabend Abend, wenn der Sabbat angegangen war, versammelte man sich,
nachdem man den Sonntagsrock angezogen, das Gesicht gewaschen und die Haare
glatt gekämmt hatte. Kondrot saß in seinem Lehnstuhle, der Schulze am Tisch
bei einer dürftigen Lampe, während der Schein des schwindenden Tages durch die
Spalte der Tür hereinleuchtete und dennoch nicht gut machen konnte, was die
Lampe versäumte. Und im Kreis herum saßen die Hörer, die Hände gefaltet und
die Blicke ins Weite gerichtet.

Der Schulze hatte vor sich die Bibel, hatte die Fäuste eine auf die andre
gelegt, das Kinn darauf gestützt und las mit dem Tone tiefer Andacht: Und ich
trat an den Sand des Meeres und sahe ein Tier aus dem Meer steigen, das
hatte sieben Häupter und zehn Hörner und ans seinen Hörnern zehn Kronen und
auf seinen Häuptern Namen der Lästerung. Und das Tier, das ich sahe, war
gleich einem Pardel. Der, Schulze seufzte tief.

Gleich einem Pardel, wiederholte einer der Hörer kopfschüttelnd und seufzte
ebenfalls tief.

Der Schulze fuhr fort: Und seine Füße gleich Bärensnszen, und sein Mund
eines Löwen Mund. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und
große Macht. Der Leser seufzte abermals und sagte: Lasset uns den Geist ernst-


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[0053] Herrenmenschen Heime Verhandlungen, und das Ende war, daß eines Tags eine Klage auf Zahlung des Gebirges einlief. Kondrot mußte aufs Gericht. Dort stellte er in aller Demut seine bedrängte Lage Vor. Er wolle die Alten solange ernähren, als er selbst noch etwas habe, aber bar Geld könne er nicht schaffen. Der Richter war ein ver¬ ständiger Mann und hielt dem Vertreter des Klägers vor, daß er in Gefahr sei, gar nichts zu kriegen, denn ein mit so hohem Ausgedinge belastetes Haus werde niemand kaufen, wenn es Kondrot werde aufgeben müssen. Man möchte sich doch vergleichen. Aber der Vertreter, der uns wohl bekannte Winkeladvokat, bestand auf seinem Schein und setzte eiuen Zahlungsbefehl durch. Das einzige, was der Richter erreichen konnte, war, daß der Zahlungstermin so weit als möglich hinaus¬ gerückt wurde. Kondrot tat kaum einen Schritt, das Unheil abzuwenden. Er wußte, daß kein Geld im Orte war, da die Fischer kaum das liebe Leben hatten, er wußte auch, daß die, die ihm vielleicht hätten helfen können, es nicht tun würden aus Furcht vor dem Herrn Amtshauptmann. Denn jedermann konnte es ja merken, wessen Hand die „Anfechtungen" schuf, die über Kondrot kamen. Daß Kondrot die Forstkasse bestohlen habe, glaubte kein Mensch mehr, denn dann hätte Kondrot längst hinter Schloß und Riegel sitzen müssen. Für die Unbeteiligten handelte es sich auch gar nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Machtfrage, nämlich um den hoffnungslosen Kampf eines Kleinen gegen den Zorn eines allgewaltigen Herrn, und das Volk hat von jeher die gemieden, die von den hohen Göttern gezeichnet waren. Kondrot hätte den Doktor um Hilfe bitten können, aber dazu war er zu stolz und zu schüchtern. Er ergab sich mit christlichem Fatalismus in sein Schicksal und trug sein Los als seiner Sünden Strafe. Hatte er einst aus Geiz und Genu߬ sucht seine Seele Groppoff verschrieben, so hoffte er, seine Schuld abgetragen zu haben, wenn er, den Bettelstab in der Hand, aus seinem Hause auswandern mußte. Nur eins schmerzte ihn, daß er seinen Jurgis nicht mehr auf der Schule erhalten konnte und ihn heimrufen niußte. Jurgis kam denn auch tief verbittert zurück, um zuhause zu warten, bis sich für ihn Verdienst und Unterkommen bieten werde. Einen Trost gewahrten Kondrot die Abende, an denen sich eine kleine Ge¬ meinde in seinem Hause versammelte, um die Schrift zu lesen und auszulegen. Es war der Schulze, der, als Kondrot das Amt des Verkündigers niedergelegt hatte, an seine Stelle hatte treten müssen, und etliche verzweifelte Fischer, in Summa Leute, die mit dem Laufe der Dinge nicht einverstanden waren und das Ende der Welt erwarteten. Man las die Offenbarung Johannis, ein Buch, das in den Köpfen von Leuten, die ihrem Verstand mehr zugemutet hatten, als er tragen konnte, Verwirrung genug angerichtet hat. Zu ihnen kam die Arte Beit und Jurgis. Alle Sonnabend Abend, wenn der Sabbat angegangen war, versammelte man sich, nachdem man den Sonntagsrock angezogen, das Gesicht gewaschen und die Haare glatt gekämmt hatte. Kondrot saß in seinem Lehnstuhle, der Schulze am Tisch bei einer dürftigen Lampe, während der Schein des schwindenden Tages durch die Spalte der Tür hereinleuchtete und dennoch nicht gut machen konnte, was die Lampe versäumte. Und im Kreis herum saßen die Hörer, die Hände gefaltet und die Blicke ins Weite gerichtet. Der Schulze hatte vor sich die Bibel, hatte die Fäuste eine auf die andre gelegt, das Kinn darauf gestützt und las mit dem Tone tiefer Andacht: Und ich trat an den Sand des Meeres und sahe ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte sieben Häupter und zehn Hörner und ans seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern Namen der Lästerung. Und das Tier, das ich sahe, war gleich einem Pardel. Der, Schulze seufzte tief. Gleich einem Pardel, wiederholte einer der Hörer kopfschüttelnd und seufzte ebenfalls tief. Der Schulze fuhr fort: Und seine Füße gleich Bärensnszen, und sein Mund eines Löwen Mund. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht. Der Leser seufzte abermals und sagte: Lasset uns den Geist ernst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/53>, abgerufen am 19.10.2024.