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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Herremnenschen

ihren weitmaschigen Netzen nicht mehr halb das fangen wie zuvor. Sie hatten
vom Kapital gelebt, und nun wollte das Kapital keine Zinsen mehr bringen. Man
zürnte heftig und warf all seinen Groll auf die Obrigkeit und deren Ungerechtig¬
keit, das heißt auf den Amtshauptmann, der übrigens mit dieser Sache überhaupt
nichts zu tun hatte. Da man aber gewöhnt war, ihn als den Herrn in allen
Dingen anzusehen, so mußte er auch daran schuld sein, daß der Fischereimeister
eine ungewöhnliche Strenge anwandte und alles engmaschige Zeug, das er antraf,
konfiszierte.

In dieser ungünstigen Zeit begann Kondrot seinen Fischhandel. Er hatte all
sein bares Geld und all seinen Kredit daran gewandt, sein Schiff in Stand zu
setzen und zu bemannen. Er fuhr mit ihm hinaus auf See und kaufte den Fischern
ihren Fang ab, um ihn nach Strcmßbeck zu fahren, wo die Eisenbahn nahe an die
See kam, und ihn nach N. oder Berlin zu verfrachten. Aber dieser Fang war
zu klein, als daß er die Spesen hätte tragen können. Wenn man ein Motorboot
gehabt hätte, das in wenig Stunden, und ohne Rücksicht auf den Wind zu nehmen,
die ganze Fischereiflotte besuchen konnte!

Die Herren Kupscheller waren natürlich von der neuen Konkurrenz wenig er¬
baut, sie schimpften in drei Sprachen, drohten mit furchtbarer Rache und rüsteten
gleichfalls Kaufboote aus. Und der Jtzig, von dessen Verwegenheit wir schon zu
berichten Gelegenheit gehabt haben, überwand seine natürliche Abneigung gegen das
Wasser, bestieg sein Boot -- hast du nicht gesehen --, wurde ein Kapitän, setzte
eine Kapitänsmütze auf und verschwor sich, er werde den Kondrot übersegeln, daß er
müßte versaufen wie ne Ratte. Auf See gab es nun zwischen den Käufern harte
Zusammenstöße -- Seeschlachten, sagte der Jtzig --, bei denen Kondrot als der
friedfertigere und schlechter ausgerüstete den kürzern zu ziehn Pflegte. Bei einer
solchen Gelegenheit wurde sein schweres Boot in einer nebligen Nacht so angerannt,
daß der alte morsche Kasten in allen Fugen krachte und nur mit Mühe so lauge
über Wasser gehalten werden konnte, bis man die Nähe der Küste erreicht hatte.
Da löste er sich in seine Bestandteile auf, und Kondrot und seine Leute hatten
Mühe, das Leben zu retten.

Nun stellte der Amtshauptmann eine Untersuchung an, bei der Kondrot die
Stelle des Angeklagten einnahm, und bei der natürlich nichts herauskam. Kondrot
wurde der Vorwurf gemacht, daß er die Schiffahrt nicht verstehe und im ent¬
scheidenden Augenblick falsch gesteuert habe, und es fehlte nicht viel, daß er dem
Jtzig, der der Täter gewesen war, auch noch eine Entschädigung hätte leisten und
dafür Strafe zahlen müssen, daß er mit einem seeuntüchtigen Fahrzeug auf See
gegangen sei. Die Folge dieser durch das Seeamt bestätigten Entscheidung war,
daß die Versicherungsgesellschaft sich weigerte, die Versicherungssumme auszuzahlen.
Kondrot hätte klagen können, aber Kondrot war arm und hatte auch keinen Mut.
Er verdiente also nichts mehr und hatte dabei die für ihn unerfüllbare Verpflichtung
auf den Schultern, den alten Leuten im Altenteile ihr Gedinge pünktlich aus¬
zuzahlen. Und zwar das meiste in barer Münze, die jetzt nirgends zu haben war.

Die alten Leute waren von häßlicher und habgieriger Gesinnung. Sie gönnten
niemand etwas, am wenigsten dem eignen Schwiegersohne. Sie hatten einen
ganzen Strumpf voll Geldstücke, und dieses Geldchen zu bewachen, war neben Essen
und Trinken ihre einzige Lebensaufgabe. Der Strumpf lag im Bett, und eins
der beiden Alten saß immer darauf wie eine Henne auf ihren Eiern. Als nun
Kondrot kein Geld auftreiben konnte und der Zahlungstermin zum erstenmal
vorüberging, ohne daß die Taler auf dem Tische lagen, erhob sich ein großes Ge¬
wimmer, und der Alte, der aus Furcht, sein Geldchen könne ihm genommen werden,
seit Jahren nicht sein Haus verlassen hatte, kroch aus dem Bett, zog eine zweite
Jacke über die erste und stellte sich an die Straße, wo er jeden, der vorüberging,
anrief, um ihm seine Not zu klagen. So kam er auch an den Schneider Quaukies
und damit in die richtigen Hände. Der Schneider versprach, sich der Alten an¬
zunehmen und den Fall dem Amtshauptmcmu zu melden. Dann folgten lange ge-


Herremnenschen

ihren weitmaschigen Netzen nicht mehr halb das fangen wie zuvor. Sie hatten
vom Kapital gelebt, und nun wollte das Kapital keine Zinsen mehr bringen. Man
zürnte heftig und warf all seinen Groll auf die Obrigkeit und deren Ungerechtig¬
keit, das heißt auf den Amtshauptmann, der übrigens mit dieser Sache überhaupt
nichts zu tun hatte. Da man aber gewöhnt war, ihn als den Herrn in allen
Dingen anzusehen, so mußte er auch daran schuld sein, daß der Fischereimeister
eine ungewöhnliche Strenge anwandte und alles engmaschige Zeug, das er antraf,
konfiszierte.

In dieser ungünstigen Zeit begann Kondrot seinen Fischhandel. Er hatte all
sein bares Geld und all seinen Kredit daran gewandt, sein Schiff in Stand zu
setzen und zu bemannen. Er fuhr mit ihm hinaus auf See und kaufte den Fischern
ihren Fang ab, um ihn nach Strcmßbeck zu fahren, wo die Eisenbahn nahe an die
See kam, und ihn nach N. oder Berlin zu verfrachten. Aber dieser Fang war
zu klein, als daß er die Spesen hätte tragen können. Wenn man ein Motorboot
gehabt hätte, das in wenig Stunden, und ohne Rücksicht auf den Wind zu nehmen,
die ganze Fischereiflotte besuchen konnte!

Die Herren Kupscheller waren natürlich von der neuen Konkurrenz wenig er¬
baut, sie schimpften in drei Sprachen, drohten mit furchtbarer Rache und rüsteten
gleichfalls Kaufboote aus. Und der Jtzig, von dessen Verwegenheit wir schon zu
berichten Gelegenheit gehabt haben, überwand seine natürliche Abneigung gegen das
Wasser, bestieg sein Boot — hast du nicht gesehen —, wurde ein Kapitän, setzte
eine Kapitänsmütze auf und verschwor sich, er werde den Kondrot übersegeln, daß er
müßte versaufen wie ne Ratte. Auf See gab es nun zwischen den Käufern harte
Zusammenstöße — Seeschlachten, sagte der Jtzig —, bei denen Kondrot als der
friedfertigere und schlechter ausgerüstete den kürzern zu ziehn Pflegte. Bei einer
solchen Gelegenheit wurde sein schweres Boot in einer nebligen Nacht so angerannt,
daß der alte morsche Kasten in allen Fugen krachte und nur mit Mühe so lauge
über Wasser gehalten werden konnte, bis man die Nähe der Küste erreicht hatte.
Da löste er sich in seine Bestandteile auf, und Kondrot und seine Leute hatten
Mühe, das Leben zu retten.

Nun stellte der Amtshauptmann eine Untersuchung an, bei der Kondrot die
Stelle des Angeklagten einnahm, und bei der natürlich nichts herauskam. Kondrot
wurde der Vorwurf gemacht, daß er die Schiffahrt nicht verstehe und im ent¬
scheidenden Augenblick falsch gesteuert habe, und es fehlte nicht viel, daß er dem
Jtzig, der der Täter gewesen war, auch noch eine Entschädigung hätte leisten und
dafür Strafe zahlen müssen, daß er mit einem seeuntüchtigen Fahrzeug auf See
gegangen sei. Die Folge dieser durch das Seeamt bestätigten Entscheidung war,
daß die Versicherungsgesellschaft sich weigerte, die Versicherungssumme auszuzahlen.
Kondrot hätte klagen können, aber Kondrot war arm und hatte auch keinen Mut.
Er verdiente also nichts mehr und hatte dabei die für ihn unerfüllbare Verpflichtung
auf den Schultern, den alten Leuten im Altenteile ihr Gedinge pünktlich aus¬
zuzahlen. Und zwar das meiste in barer Münze, die jetzt nirgends zu haben war.

Die alten Leute waren von häßlicher und habgieriger Gesinnung. Sie gönnten
niemand etwas, am wenigsten dem eignen Schwiegersohne. Sie hatten einen
ganzen Strumpf voll Geldstücke, und dieses Geldchen zu bewachen, war neben Essen
und Trinken ihre einzige Lebensaufgabe. Der Strumpf lag im Bett, und eins
der beiden Alten saß immer darauf wie eine Henne auf ihren Eiern. Als nun
Kondrot kein Geld auftreiben konnte und der Zahlungstermin zum erstenmal
vorüberging, ohne daß die Taler auf dem Tische lagen, erhob sich ein großes Ge¬
wimmer, und der Alte, der aus Furcht, sein Geldchen könne ihm genommen werden,
seit Jahren nicht sein Haus verlassen hatte, kroch aus dem Bett, zog eine zweite
Jacke über die erste und stellte sich an die Straße, wo er jeden, der vorüberging,
anrief, um ihm seine Not zu klagen. So kam er auch an den Schneider Quaukies
und damit in die richtigen Hände. Der Schneider versprach, sich der Alten an¬
zunehmen und den Fall dem Amtshauptmcmu zu melden. Dann folgten lange ge-


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[0052] Herremnenschen ihren weitmaschigen Netzen nicht mehr halb das fangen wie zuvor. Sie hatten vom Kapital gelebt, und nun wollte das Kapital keine Zinsen mehr bringen. Man zürnte heftig und warf all seinen Groll auf die Obrigkeit und deren Ungerechtig¬ keit, das heißt auf den Amtshauptmann, der übrigens mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun hatte. Da man aber gewöhnt war, ihn als den Herrn in allen Dingen anzusehen, so mußte er auch daran schuld sein, daß der Fischereimeister eine ungewöhnliche Strenge anwandte und alles engmaschige Zeug, das er antraf, konfiszierte. In dieser ungünstigen Zeit begann Kondrot seinen Fischhandel. Er hatte all sein bares Geld und all seinen Kredit daran gewandt, sein Schiff in Stand zu setzen und zu bemannen. Er fuhr mit ihm hinaus auf See und kaufte den Fischern ihren Fang ab, um ihn nach Strcmßbeck zu fahren, wo die Eisenbahn nahe an die See kam, und ihn nach N. oder Berlin zu verfrachten. Aber dieser Fang war zu klein, als daß er die Spesen hätte tragen können. Wenn man ein Motorboot gehabt hätte, das in wenig Stunden, und ohne Rücksicht auf den Wind zu nehmen, die ganze Fischereiflotte besuchen konnte! Die Herren Kupscheller waren natürlich von der neuen Konkurrenz wenig er¬ baut, sie schimpften in drei Sprachen, drohten mit furchtbarer Rache und rüsteten gleichfalls Kaufboote aus. Und der Jtzig, von dessen Verwegenheit wir schon zu berichten Gelegenheit gehabt haben, überwand seine natürliche Abneigung gegen das Wasser, bestieg sein Boot — hast du nicht gesehen —, wurde ein Kapitän, setzte eine Kapitänsmütze auf und verschwor sich, er werde den Kondrot übersegeln, daß er müßte versaufen wie ne Ratte. Auf See gab es nun zwischen den Käufern harte Zusammenstöße — Seeschlachten, sagte der Jtzig —, bei denen Kondrot als der friedfertigere und schlechter ausgerüstete den kürzern zu ziehn Pflegte. Bei einer solchen Gelegenheit wurde sein schweres Boot in einer nebligen Nacht so angerannt, daß der alte morsche Kasten in allen Fugen krachte und nur mit Mühe so lauge über Wasser gehalten werden konnte, bis man die Nähe der Küste erreicht hatte. Da löste er sich in seine Bestandteile auf, und Kondrot und seine Leute hatten Mühe, das Leben zu retten. Nun stellte der Amtshauptmann eine Untersuchung an, bei der Kondrot die Stelle des Angeklagten einnahm, und bei der natürlich nichts herauskam. Kondrot wurde der Vorwurf gemacht, daß er die Schiffahrt nicht verstehe und im ent¬ scheidenden Augenblick falsch gesteuert habe, und es fehlte nicht viel, daß er dem Jtzig, der der Täter gewesen war, auch noch eine Entschädigung hätte leisten und dafür Strafe zahlen müssen, daß er mit einem seeuntüchtigen Fahrzeug auf See gegangen sei. Die Folge dieser durch das Seeamt bestätigten Entscheidung war, daß die Versicherungsgesellschaft sich weigerte, die Versicherungssumme auszuzahlen. Kondrot hätte klagen können, aber Kondrot war arm und hatte auch keinen Mut. Er verdiente also nichts mehr und hatte dabei die für ihn unerfüllbare Verpflichtung auf den Schultern, den alten Leuten im Altenteile ihr Gedinge pünktlich aus¬ zuzahlen. Und zwar das meiste in barer Münze, die jetzt nirgends zu haben war. Die alten Leute waren von häßlicher und habgieriger Gesinnung. Sie gönnten niemand etwas, am wenigsten dem eignen Schwiegersohne. Sie hatten einen ganzen Strumpf voll Geldstücke, und dieses Geldchen zu bewachen, war neben Essen und Trinken ihre einzige Lebensaufgabe. Der Strumpf lag im Bett, und eins der beiden Alten saß immer darauf wie eine Henne auf ihren Eiern. Als nun Kondrot kein Geld auftreiben konnte und der Zahlungstermin zum erstenmal vorüberging, ohne daß die Taler auf dem Tische lagen, erhob sich ein großes Ge¬ wimmer, und der Alte, der aus Furcht, sein Geldchen könne ihm genommen werden, seit Jahren nicht sein Haus verlassen hatte, kroch aus dem Bett, zog eine zweite Jacke über die erste und stellte sich an die Straße, wo er jeden, der vorüberging, anrief, um ihm seine Not zu klagen. So kam er auch an den Schneider Quaukies und damit in die richtigen Hände. Der Schneider versprach, sich der Alten an¬ zunehmen und den Fall dem Amtshauptmcmu zu melden. Dann folgten lange ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/52>, abgerufen am 20.10.2024.