Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.Heimatklänge beeinträchtigten Nahrungszweige huldigen, meines Wissens nicht, und sie würden Unsre Zeit, die jede Eigentümlichkeit wegzutilgen und alles gleichzumachen Heimatklänge beeinträchtigten Nahrungszweige huldigen, meines Wissens nicht, und sie würden Unsre Zeit, die jede Eigentümlichkeit wegzutilgen und alles gleichzumachen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297547"/> <fw type="header" place="top"> Heimatklänge</fw><lb/> <p xml:id="ID_47" prev="#ID_46"> beeinträchtigten Nahrungszweige huldigen, meines Wissens nicht, und sie würden<lb/> sicherlich auch die Erklärung des nach seiner Ableitung dunkeln Zeitwortes<lb/> „paschen" in dem „Etymologischen Wörterbuche" Friedrich Kluges, der es als<lb/> ein „Gaunerwort" bezeichnet, ohne tiefere Gemütsbewegung lesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_48" next="#ID_49"> Unsre Zeit, die jede Eigentümlichkeit wegzutilgen und alles gleichzumachen<lb/> strebt, erfüllt den Freund von des Volkes Art und Sitte mit schmerzlichem Be¬<lb/> dauern über das unaufhaltsame Dahinschwinden der letzten Reste der Volks¬<lb/> altertümer und Volksüberlieferungen. Noch gilt das Dorf als eine Heimstätte<lb/> der „guten alten Zeit," aber auf wie lange noch? Täglich sehen wir auch hier<lb/> die alte Herrlichkeit mehr und mehr zusammenschrumpfen, und bald wird „mit<lb/> dem letzten echten Bauernrock auch das letzte echte Bauernhaus verschwunden<lb/> sein." Die alten malerischen Höfe mit ihrer Schindel- oder Strohdachung werdeu<lb/> immer mehr in kahle, zweistöckige Steinbauten mit Schieferdach umgewandelt;<lb/> schlimme Feinde des alten Bauernhauses sind die Brandversicherung mit ihren<lb/> architekturverwüstenden Vorschriften und die Überredungsgabe städtischer, das<lb/> platte Land bereisender Baumeister. Auch die prächtigen alten Truhen und<lb/> Schränke mit ihrer unverwüstlichen bunten Malerei werden meist nicht mehr ge¬<lb/> schätzt, man überstreicht oder zerschlüge sie; „mir is a fetter Schöfhämel lieber<lb/> wie sedes alls Zeig!" sagte mir ein Fleischer und Gastwirt in einem bayrischen<lb/> Dorfe an der Grenze. Burschen und Mädchen tragen jetzt auch in meiner Heimat<lb/> städtische Kleider, und die Jugend arbeitet in den Fabriken der benachbarten<lb/> Städte. In meinen jungen Jahren habe ich noch Flachs und Hanf brechen<lb/> und Frauen und Mädchen in ihren derben „vierschkftigen" Röcken, in den mit<lb/> bunten Fransen geschmückten Kopftüchern die selbstgesponnene Leinwand bleichen<lb/> sehen. Aber der alte Spruch: „Selbstgespvunen, selbstgemacht ist die beste<lb/> Bauerntracht" hat keine unbestrittne Geltung mehr, die modischen städtischen<lb/> Fähnchen und Hüte von wunderlichem Geschmack dringen immer siegreicher vor.<lb/> Auch mancher Brauch aus den Tagen der Väter ist dahingeschwunden. An den<lb/> langen Herbst- und Winterabenden ging man oft zum Nachbar „dutzen"; die jungen<lb/> Leute beiderlei Geschlechts, die Mädchen mit dem Spinnrad oder dem Strick¬<lb/> strumpf, kamen zur Rockenstube zusammen: die trübe Beleuchtung, die die Nüböl-<lb/> lampe oder wohl auch hier und da noch der qualmende Lühhut spendete — eine<lb/> mit Schleißen oder Kienspäneu gefüllte eiserne Pfanne mit einem trichterförmigen,<lb/> den Rauch aufsaugenden Hute darüber —, wurde keineswegs schmerzlich empfunden.<lb/> In der Rockenstube wurden die alten Volkslieder gesungen, je schwermütiger<lb/> desto lieber; in ihnen war nach meiner Erinnerung viel von Scheiden und Meiden,<lb/> Sterben und Verderben die Rede. In einer räuchrigen und nach dem Grund¬<lb/> satz: „Besser derstickt wie derfrörn" wohl kaum jemals aus sanitären Gründen<lb/> ernsthaft gelüfteten Bauernstube habe ich als Junge solchen zwanglosen Zu¬<lb/> sammenkünften einigemal unter andachtsvollen Schauern beigewohnt. Der<lb/> freundliche Lühhut — meines Wissens schou damals, vor vierzig Jahren, einer<lb/> der letzten seines Stammes in meinem Heimatdorfe — liegt jetzt, gerettet aus<lb/> dem Brande, der das malerische hölzerne alte Bauernhaus mit mehreren andern<lb/> verzehrt hat, unter altem Gerümpel und wird hoffentlich demnächst in dem<lb/> Museum für sächsische Volkskunde in Dresden seine Auferstehung feiern. In</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Heimatklänge
beeinträchtigten Nahrungszweige huldigen, meines Wissens nicht, und sie würden
sicherlich auch die Erklärung des nach seiner Ableitung dunkeln Zeitwortes
„paschen" in dem „Etymologischen Wörterbuche" Friedrich Kluges, der es als
ein „Gaunerwort" bezeichnet, ohne tiefere Gemütsbewegung lesen.
Unsre Zeit, die jede Eigentümlichkeit wegzutilgen und alles gleichzumachen
strebt, erfüllt den Freund von des Volkes Art und Sitte mit schmerzlichem Be¬
dauern über das unaufhaltsame Dahinschwinden der letzten Reste der Volks¬
altertümer und Volksüberlieferungen. Noch gilt das Dorf als eine Heimstätte
der „guten alten Zeit," aber auf wie lange noch? Täglich sehen wir auch hier
die alte Herrlichkeit mehr und mehr zusammenschrumpfen, und bald wird „mit
dem letzten echten Bauernrock auch das letzte echte Bauernhaus verschwunden
sein." Die alten malerischen Höfe mit ihrer Schindel- oder Strohdachung werdeu
immer mehr in kahle, zweistöckige Steinbauten mit Schieferdach umgewandelt;
schlimme Feinde des alten Bauernhauses sind die Brandversicherung mit ihren
architekturverwüstenden Vorschriften und die Überredungsgabe städtischer, das
platte Land bereisender Baumeister. Auch die prächtigen alten Truhen und
Schränke mit ihrer unverwüstlichen bunten Malerei werden meist nicht mehr ge¬
schätzt, man überstreicht oder zerschlüge sie; „mir is a fetter Schöfhämel lieber
wie sedes alls Zeig!" sagte mir ein Fleischer und Gastwirt in einem bayrischen
Dorfe an der Grenze. Burschen und Mädchen tragen jetzt auch in meiner Heimat
städtische Kleider, und die Jugend arbeitet in den Fabriken der benachbarten
Städte. In meinen jungen Jahren habe ich noch Flachs und Hanf brechen
und Frauen und Mädchen in ihren derben „vierschkftigen" Röcken, in den mit
bunten Fransen geschmückten Kopftüchern die selbstgesponnene Leinwand bleichen
sehen. Aber der alte Spruch: „Selbstgespvunen, selbstgemacht ist die beste
Bauerntracht" hat keine unbestrittne Geltung mehr, die modischen städtischen
Fähnchen und Hüte von wunderlichem Geschmack dringen immer siegreicher vor.
Auch mancher Brauch aus den Tagen der Väter ist dahingeschwunden. An den
langen Herbst- und Winterabenden ging man oft zum Nachbar „dutzen"; die jungen
Leute beiderlei Geschlechts, die Mädchen mit dem Spinnrad oder dem Strick¬
strumpf, kamen zur Rockenstube zusammen: die trübe Beleuchtung, die die Nüböl-
lampe oder wohl auch hier und da noch der qualmende Lühhut spendete — eine
mit Schleißen oder Kienspäneu gefüllte eiserne Pfanne mit einem trichterförmigen,
den Rauch aufsaugenden Hute darüber —, wurde keineswegs schmerzlich empfunden.
In der Rockenstube wurden die alten Volkslieder gesungen, je schwermütiger
desto lieber; in ihnen war nach meiner Erinnerung viel von Scheiden und Meiden,
Sterben und Verderben die Rede. In einer räuchrigen und nach dem Grund¬
satz: „Besser derstickt wie derfrörn" wohl kaum jemals aus sanitären Gründen
ernsthaft gelüfteten Bauernstube habe ich als Junge solchen zwanglosen Zu¬
sammenkünften einigemal unter andachtsvollen Schauern beigewohnt. Der
freundliche Lühhut — meines Wissens schou damals, vor vierzig Jahren, einer
der letzten seines Stammes in meinem Heimatdorfe — liegt jetzt, gerettet aus
dem Brande, der das malerische hölzerne alte Bauernhaus mit mehreren andern
verzehrt hat, unter altem Gerümpel und wird hoffentlich demnächst in dem
Museum für sächsische Volkskunde in Dresden seine Auferstehung feiern. In
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