Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Unter Kunden, Romödianten und wilden Tieren

deinigen Postgaul, der im Galopp dem Wagen folgte. Am Abend um zehn Uhr
kehrten wir, bis auf die Knochen durchfroren, in einem Dorfgasthof ein, genossen
Abendbrot und Bier und schliefen im Stalle. Am andern Morgen früh ging es
weiter, und so gelangten wir am zweiten Abend nach Abensberg, wo wir die
schmerzliche Entdeckung machten, daß wir mit unserm Reisegeld zu Eude waren.
Von den Böhmischen Leuten hatte einer, ein früherer Unteroffizier, zum Glück eine
Taschenuhr bei sich, die wir schleunigst versetzten, und wofür wir acht Mark er¬
hielten. Wir schliefen auf einem Heuboden und bemerkten am andern Morgen,
daß unser magerer Gaul im Stalle zusammengebrochen war. Wir hatten unend¬
liche Mühe, das Tier wieder auf die Beine zu bringen, zerbrachen dabei noch eine
Leiter, die wir ihm unter den Bauch geschoben hatten, und mußten ihn, als wir
ihn glücklich auf den Beinen hatten, beim Weiterreisen auf beiden Seiten halten,
damit er nicht umfiel. Das blinde Pferd lief unterwegs, ohne angebunden zu sein,
nebenher, sein Instinkt schien ihm das fehlende Augenlicht zu ersetzen, jedenfalls
vermied es, anzustoßen oder vom rechten Wege abzukommen. Inzwischen war der
magere Gaul schon wiederholt gestürzt und blieb schließlich um neun Uhr früh auf
der Landstraße liegen, wo wir ihn an Ort und Stelle kunstgerecht schlachteten.
Von den acht Mark waren nur noch fünfzig Pfennige übrig geblieben, und für
diesen geringen Betrag wollten wir zur Fütterung der Pferde Heu kaufen; es zeigte
sich aber, daß die Bauern nicht gesinnt waren, uns solches für Geld abzulassen,
sondern uns hier und da eine Handvoll umsonst gaben. Ich "talfte" das ganze
Dorf um Heu ab, wobei ich meist als Zigeuner angesehen und entsprechend behandelt
wurde. Für unsre fünfzig Pfennige kauften wir nun Brot und Schnaps, teilten
alles gewissenhaft ein, und so konnte jeder Mann und jedes Pferd zum Frühstück
einen Happen Brot, der mit Schnaps begossen war, erhalten. Gänzlich mittellos
gelangten wir um sieben Uhr Abends in Freising an, stellten unsre Gäule in den
ersten besten Gasthof, nahmen, als wir uns unbeobachtet sahen, von einem Wagen
ein paar Körbe Haferspreu und fütterten damit die Pferde. Nun blieb uns nur
noch übrig, die Frage zu löse", wie wir uns wieder Geld verschaffen sollten, und
da hatte der Kutscher, ein biedrer Schwabe, den glücklichen Einfall, die Haut des
geschlachteten Pferdes zu verkaufen. Er wußte in Freising Bescheid, und so trugen
wir zuzweit unser letztes Wertobjekt zu einem Gerber, der uns elf Mark fünfzig
Pfennige dafür gab und jeden mit einer Zigarre regalierte. Nun waren wir
wieder obenauf, bestellten uns warme Weißwurst und Bier und schliefen feit langer
Zeit zum erstenmal wieder in schönen reinlichen Betten. Am andern Morgen
leisteten wir uns sogar Kaffee und setzten dann unsre Reise fort.

Natürlich waren wir mit unserm baren Gelde ziemlich schnell zu Ende gekommen
und mußten uns deshalb wieder auf irgendeine Art Futter für unsre Pferde zu
beschaffen suchen. Zum Glück passierten wir ein großes Rübenfeld, das zu einem
Bauernhofe gehörte, der auf der andern Seite in der Tiefe lag. Wir hielten an,
zottelten eine Anzahl Rüben und bemerkten dabei, daß der Besitzer des Feldes
gerade mit einer Fuhre Mist seinen Hof verließ und uns bei unsrer Tätigkeit
beobachtete. Als er ans weiter Ferne mit seiner Peitsche drohte, schwang unser
schwäbischer Kutscher drei Rüben in der Luft und rief ihm in seinem Dialekt zu:
"Komm nur rauf, du Herrgottssakrament, ich hau der de Riede um de Schädel!"
Als wir einen genügenden Vorrat in unsern Wagen geladen hatten und die Fahrt
fortsetzten, kam nach einer Weile der Bauer mit seinem Fuhrwerk hinter uns her,
sah auch, wie ich die Rüben putzte und für die Pferde zurechtschnitt, wagte aber
nicht, uns noch einmal anzureden. Gegen elf Uhr an diesem Morgen gesellte sich
ein Kunde zu uns, der uns bat, wir möchten ihn mitfahren lassen. Wir hatten
aber im Wagen keinen Platz mehr und stellten ihm deshalb ein Reitpferd zur Ver¬
fügung. Wir halfen ihm hinauf und gaben ihm die Halfterstricke von zwei andern
Pferden in die Hände. Eine Weile kam er auch ganz gut fort, als aber an einem
Vorderhnf des Pferdes ein Eisen los wurde, stolperte das Pferd, fiel in die Knie


Unter Kunden, Romödianten und wilden Tieren

deinigen Postgaul, der im Galopp dem Wagen folgte. Am Abend um zehn Uhr
kehrten wir, bis auf die Knochen durchfroren, in einem Dorfgasthof ein, genossen
Abendbrot und Bier und schliefen im Stalle. Am andern Morgen früh ging es
weiter, und so gelangten wir am zweiten Abend nach Abensberg, wo wir die
schmerzliche Entdeckung machten, daß wir mit unserm Reisegeld zu Eude waren.
Von den Böhmischen Leuten hatte einer, ein früherer Unteroffizier, zum Glück eine
Taschenuhr bei sich, die wir schleunigst versetzten, und wofür wir acht Mark er¬
hielten. Wir schliefen auf einem Heuboden und bemerkten am andern Morgen,
daß unser magerer Gaul im Stalle zusammengebrochen war. Wir hatten unend¬
liche Mühe, das Tier wieder auf die Beine zu bringen, zerbrachen dabei noch eine
Leiter, die wir ihm unter den Bauch geschoben hatten, und mußten ihn, als wir
ihn glücklich auf den Beinen hatten, beim Weiterreisen auf beiden Seiten halten,
damit er nicht umfiel. Das blinde Pferd lief unterwegs, ohne angebunden zu sein,
nebenher, sein Instinkt schien ihm das fehlende Augenlicht zu ersetzen, jedenfalls
vermied es, anzustoßen oder vom rechten Wege abzukommen. Inzwischen war der
magere Gaul schon wiederholt gestürzt und blieb schließlich um neun Uhr früh auf
der Landstraße liegen, wo wir ihn an Ort und Stelle kunstgerecht schlachteten.
Von den acht Mark waren nur noch fünfzig Pfennige übrig geblieben, und für
diesen geringen Betrag wollten wir zur Fütterung der Pferde Heu kaufen; es zeigte
sich aber, daß die Bauern nicht gesinnt waren, uns solches für Geld abzulassen,
sondern uns hier und da eine Handvoll umsonst gaben. Ich „talfte" das ganze
Dorf um Heu ab, wobei ich meist als Zigeuner angesehen und entsprechend behandelt
wurde. Für unsre fünfzig Pfennige kauften wir nun Brot und Schnaps, teilten
alles gewissenhaft ein, und so konnte jeder Mann und jedes Pferd zum Frühstück
einen Happen Brot, der mit Schnaps begossen war, erhalten. Gänzlich mittellos
gelangten wir um sieben Uhr Abends in Freising an, stellten unsre Gäule in den
ersten besten Gasthof, nahmen, als wir uns unbeobachtet sahen, von einem Wagen
ein paar Körbe Haferspreu und fütterten damit die Pferde. Nun blieb uns nur
noch übrig, die Frage zu löse», wie wir uns wieder Geld verschaffen sollten, und
da hatte der Kutscher, ein biedrer Schwabe, den glücklichen Einfall, die Haut des
geschlachteten Pferdes zu verkaufen. Er wußte in Freising Bescheid, und so trugen
wir zuzweit unser letztes Wertobjekt zu einem Gerber, der uns elf Mark fünfzig
Pfennige dafür gab und jeden mit einer Zigarre regalierte. Nun waren wir
wieder obenauf, bestellten uns warme Weißwurst und Bier und schliefen feit langer
Zeit zum erstenmal wieder in schönen reinlichen Betten. Am andern Morgen
leisteten wir uns sogar Kaffee und setzten dann unsre Reise fort.

Natürlich waren wir mit unserm baren Gelde ziemlich schnell zu Ende gekommen
und mußten uns deshalb wieder auf irgendeine Art Futter für unsre Pferde zu
beschaffen suchen. Zum Glück passierten wir ein großes Rübenfeld, das zu einem
Bauernhofe gehörte, der auf der andern Seite in der Tiefe lag. Wir hielten an,
zottelten eine Anzahl Rüben und bemerkten dabei, daß der Besitzer des Feldes
gerade mit einer Fuhre Mist seinen Hof verließ und uns bei unsrer Tätigkeit
beobachtete. Als er ans weiter Ferne mit seiner Peitsche drohte, schwang unser
schwäbischer Kutscher drei Rüben in der Luft und rief ihm in seinem Dialekt zu:
„Komm nur rauf, du Herrgottssakrament, ich hau der de Riede um de Schädel!"
Als wir einen genügenden Vorrat in unsern Wagen geladen hatten und die Fahrt
fortsetzten, kam nach einer Weile der Bauer mit seinem Fuhrwerk hinter uns her,
sah auch, wie ich die Rüben putzte und für die Pferde zurechtschnitt, wagte aber
nicht, uns noch einmal anzureden. Gegen elf Uhr an diesem Morgen gesellte sich
ein Kunde zu uns, der uns bat, wir möchten ihn mitfahren lassen. Wir hatten
aber im Wagen keinen Platz mehr und stellten ihm deshalb ein Reitpferd zur Ver¬
fügung. Wir halfen ihm hinauf und gaben ihm die Halfterstricke von zwei andern
Pferden in die Hände. Eine Weile kam er auch ganz gut fort, als aber an einem
Vorderhnf des Pferdes ein Eisen los wurde, stolperte das Pferd, fiel in die Knie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297681"/>
            <fw type="header" place="top"> Unter Kunden, Romödianten und wilden Tieren</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_643" prev="#ID_642"> deinigen Postgaul, der im Galopp dem Wagen folgte. Am Abend um zehn Uhr<lb/>
kehrten wir, bis auf die Knochen durchfroren, in einem Dorfgasthof ein, genossen<lb/>
Abendbrot und Bier und schliefen im Stalle. Am andern Morgen früh ging es<lb/>
weiter, und so gelangten wir am zweiten Abend nach Abensberg, wo wir die<lb/>
schmerzliche Entdeckung machten, daß wir mit unserm Reisegeld zu Eude waren.<lb/>
Von den Böhmischen Leuten hatte einer, ein früherer Unteroffizier, zum Glück eine<lb/>
Taschenuhr bei sich, die wir schleunigst versetzten, und wofür wir acht Mark er¬<lb/>
hielten. Wir schliefen auf einem Heuboden und bemerkten am andern Morgen,<lb/>
daß unser magerer Gaul im Stalle zusammengebrochen war. Wir hatten unend¬<lb/>
liche Mühe, das Tier wieder auf die Beine zu bringen, zerbrachen dabei noch eine<lb/>
Leiter, die wir ihm unter den Bauch geschoben hatten, und mußten ihn, als wir<lb/>
ihn glücklich auf den Beinen hatten, beim Weiterreisen auf beiden Seiten halten,<lb/>
damit er nicht umfiel. Das blinde Pferd lief unterwegs, ohne angebunden zu sein,<lb/>
nebenher, sein Instinkt schien ihm das fehlende Augenlicht zu ersetzen, jedenfalls<lb/>
vermied es, anzustoßen oder vom rechten Wege abzukommen. Inzwischen war der<lb/>
magere Gaul schon wiederholt gestürzt und blieb schließlich um neun Uhr früh auf<lb/>
der Landstraße liegen, wo wir ihn an Ort und Stelle kunstgerecht schlachteten.<lb/>
Von den acht Mark waren nur noch fünfzig Pfennige übrig geblieben, und für<lb/>
diesen geringen Betrag wollten wir zur Fütterung der Pferde Heu kaufen; es zeigte<lb/>
sich aber, daß die Bauern nicht gesinnt waren, uns solches für Geld abzulassen,<lb/>
sondern uns hier und da eine Handvoll umsonst gaben. Ich &#x201E;talfte" das ganze<lb/>
Dorf um Heu ab, wobei ich meist als Zigeuner angesehen und entsprechend behandelt<lb/>
wurde. Für unsre fünfzig Pfennige kauften wir nun Brot und Schnaps, teilten<lb/>
alles gewissenhaft ein, und so konnte jeder Mann und jedes Pferd zum Frühstück<lb/>
einen Happen Brot, der mit Schnaps begossen war, erhalten. Gänzlich mittellos<lb/>
gelangten wir um sieben Uhr Abends in Freising an, stellten unsre Gäule in den<lb/>
ersten besten Gasthof, nahmen, als wir uns unbeobachtet sahen, von einem Wagen<lb/>
ein paar Körbe Haferspreu und fütterten damit die Pferde. Nun blieb uns nur<lb/>
noch übrig, die Frage zu löse», wie wir uns wieder Geld verschaffen sollten, und<lb/>
da hatte der Kutscher, ein biedrer Schwabe, den glücklichen Einfall, die Haut des<lb/>
geschlachteten Pferdes zu verkaufen. Er wußte in Freising Bescheid, und so trugen<lb/>
wir zuzweit unser letztes Wertobjekt zu einem Gerber, der uns elf Mark fünfzig<lb/>
Pfennige dafür gab und jeden mit einer Zigarre regalierte. Nun waren wir<lb/>
wieder obenauf, bestellten uns warme Weißwurst und Bier und schliefen feit langer<lb/>
Zeit zum erstenmal wieder in schönen reinlichen Betten. Am andern Morgen<lb/>
leisteten wir uns sogar Kaffee und setzten dann unsre Reise fort.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_644" next="#ID_645"> Natürlich waren wir mit unserm baren Gelde ziemlich schnell zu Ende gekommen<lb/>
und mußten uns deshalb wieder auf irgendeine Art Futter für unsre Pferde zu<lb/>
beschaffen suchen. Zum Glück passierten wir ein großes Rübenfeld, das zu einem<lb/>
Bauernhofe gehörte, der auf der andern Seite in der Tiefe lag. Wir hielten an,<lb/>
zottelten eine Anzahl Rüben und bemerkten dabei, daß der Besitzer des Feldes<lb/>
gerade mit einer Fuhre Mist seinen Hof verließ und uns bei unsrer Tätigkeit<lb/>
beobachtete. Als er ans weiter Ferne mit seiner Peitsche drohte, schwang unser<lb/>
schwäbischer Kutscher drei Rüben in der Luft und rief ihm in seinem Dialekt zu:<lb/>
&#x201E;Komm nur rauf, du Herrgottssakrament, ich hau der de Riede um de Schädel!"<lb/>
Als wir einen genügenden Vorrat in unsern Wagen geladen hatten und die Fahrt<lb/>
fortsetzten, kam nach einer Weile der Bauer mit seinem Fuhrwerk hinter uns her,<lb/>
sah auch, wie ich die Rüben putzte und für die Pferde zurechtschnitt, wagte aber<lb/>
nicht, uns noch einmal anzureden. Gegen elf Uhr an diesem Morgen gesellte sich<lb/>
ein Kunde zu uns, der uns bat, wir möchten ihn mitfahren lassen. Wir hatten<lb/>
aber im Wagen keinen Platz mehr und stellten ihm deshalb ein Reitpferd zur Ver¬<lb/>
fügung. Wir halfen ihm hinauf und gaben ihm die Halfterstricke von zwei andern<lb/>
Pferden in die Hände. Eine Weile kam er auch ganz gut fort, als aber an einem<lb/>
Vorderhnf des Pferdes ein Eisen los wurde, stolperte das Pferd, fiel in die Knie</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0162] Unter Kunden, Romödianten und wilden Tieren deinigen Postgaul, der im Galopp dem Wagen folgte. Am Abend um zehn Uhr kehrten wir, bis auf die Knochen durchfroren, in einem Dorfgasthof ein, genossen Abendbrot und Bier und schliefen im Stalle. Am andern Morgen früh ging es weiter, und so gelangten wir am zweiten Abend nach Abensberg, wo wir die schmerzliche Entdeckung machten, daß wir mit unserm Reisegeld zu Eude waren. Von den Böhmischen Leuten hatte einer, ein früherer Unteroffizier, zum Glück eine Taschenuhr bei sich, die wir schleunigst versetzten, und wofür wir acht Mark er¬ hielten. Wir schliefen auf einem Heuboden und bemerkten am andern Morgen, daß unser magerer Gaul im Stalle zusammengebrochen war. Wir hatten unend¬ liche Mühe, das Tier wieder auf die Beine zu bringen, zerbrachen dabei noch eine Leiter, die wir ihm unter den Bauch geschoben hatten, und mußten ihn, als wir ihn glücklich auf den Beinen hatten, beim Weiterreisen auf beiden Seiten halten, damit er nicht umfiel. Das blinde Pferd lief unterwegs, ohne angebunden zu sein, nebenher, sein Instinkt schien ihm das fehlende Augenlicht zu ersetzen, jedenfalls vermied es, anzustoßen oder vom rechten Wege abzukommen. Inzwischen war der magere Gaul schon wiederholt gestürzt und blieb schließlich um neun Uhr früh auf der Landstraße liegen, wo wir ihn an Ort und Stelle kunstgerecht schlachteten. Von den acht Mark waren nur noch fünfzig Pfennige übrig geblieben, und für diesen geringen Betrag wollten wir zur Fütterung der Pferde Heu kaufen; es zeigte sich aber, daß die Bauern nicht gesinnt waren, uns solches für Geld abzulassen, sondern uns hier und da eine Handvoll umsonst gaben. Ich „talfte" das ganze Dorf um Heu ab, wobei ich meist als Zigeuner angesehen und entsprechend behandelt wurde. Für unsre fünfzig Pfennige kauften wir nun Brot und Schnaps, teilten alles gewissenhaft ein, und so konnte jeder Mann und jedes Pferd zum Frühstück einen Happen Brot, der mit Schnaps begossen war, erhalten. Gänzlich mittellos gelangten wir um sieben Uhr Abends in Freising an, stellten unsre Gäule in den ersten besten Gasthof, nahmen, als wir uns unbeobachtet sahen, von einem Wagen ein paar Körbe Haferspreu und fütterten damit die Pferde. Nun blieb uns nur noch übrig, die Frage zu löse», wie wir uns wieder Geld verschaffen sollten, und da hatte der Kutscher, ein biedrer Schwabe, den glücklichen Einfall, die Haut des geschlachteten Pferdes zu verkaufen. Er wußte in Freising Bescheid, und so trugen wir zuzweit unser letztes Wertobjekt zu einem Gerber, der uns elf Mark fünfzig Pfennige dafür gab und jeden mit einer Zigarre regalierte. Nun waren wir wieder obenauf, bestellten uns warme Weißwurst und Bier und schliefen feit langer Zeit zum erstenmal wieder in schönen reinlichen Betten. Am andern Morgen leisteten wir uns sogar Kaffee und setzten dann unsre Reise fort. Natürlich waren wir mit unserm baren Gelde ziemlich schnell zu Ende gekommen und mußten uns deshalb wieder auf irgendeine Art Futter für unsre Pferde zu beschaffen suchen. Zum Glück passierten wir ein großes Rübenfeld, das zu einem Bauernhofe gehörte, der auf der andern Seite in der Tiefe lag. Wir hielten an, zottelten eine Anzahl Rüben und bemerkten dabei, daß der Besitzer des Feldes gerade mit einer Fuhre Mist seinen Hof verließ und uns bei unsrer Tätigkeit beobachtete. Als er ans weiter Ferne mit seiner Peitsche drohte, schwang unser schwäbischer Kutscher drei Rüben in der Luft und rief ihm in seinem Dialekt zu: „Komm nur rauf, du Herrgottssakrament, ich hau der de Riede um de Schädel!" Als wir einen genügenden Vorrat in unsern Wagen geladen hatten und die Fahrt fortsetzten, kam nach einer Weile der Bauer mit seinem Fuhrwerk hinter uns her, sah auch, wie ich die Rüben putzte und für die Pferde zurechtschnitt, wagte aber nicht, uns noch einmal anzureden. Gegen elf Uhr an diesem Morgen gesellte sich ein Kunde zu uns, der uns bat, wir möchten ihn mitfahren lassen. Wir hatten aber im Wagen keinen Platz mehr und stellten ihm deshalb ein Reitpferd zur Ver¬ fügung. Wir halfen ihm hinauf und gaben ihm die Halfterstricke von zwei andern Pferden in die Hände. Eine Weile kam er auch ganz gut fort, als aber an einem Vorderhnf des Pferdes ein Eisen los wurde, stolperte das Pferd, fiel in die Knie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/162
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/162>, abgerufen am 19.10.2024.