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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Line Gesandtschaft Peters des Großen

genügend Proviant und Furage finden. Ferner sei der Durchmarsch nur
unter bestimmten Bedingungen gemacht worden: die Truppen marschierten unter
hannoverscher Aufsicht, müßten in Bremen friedlich im Winterquartier bleiben
und dürften niemand angreifen. Endlich erfolge durch Gewährung des Durch¬
marsches eine Teilung des Korps Krasfau, wodurch dieses geschwächt würde.
Eine Nückschaffung der Schweden aus Bremen nach Pommern geschehe nicht;
davon sei zwischen Schweden und Hannover nicht die Rede gewesen. Wenn
die Schweden Dänemark angreifen wollten, würden sie aus Bremen nicht
hinausgelassen werden. Hannover habe also den Zaren durch Gewährung des
Durchmarsches in keiner Weise geschädigt.

Diese Antwort Bernsdorffs befriedigte Kurakin nur zum Teil. Am
15. Januar bat er den Minister wiederum, die Zahl der nach Bremen durch¬
zulassenden Truppen zu beschränken, und erhielt zur Erwiderung, mehr als
fünf- bis sechstausend würden nicht durchgelasfen werden. Dann verhandelte
man weiter über das Bündnis. Bernsdorff glaubte, die Frage der garantierten
Neutralität des Reichs läge eher im Interesse Schwedens als Rußlands. Denn
falls die Garantien gegeben würden, könnten die nordischen Mächte keinen An¬
griff mehr gegen Schweden unternehmen; die Garantiestaaten müßten ihren
Vorteil wahren, und wenn der Spanische Erbfolgekrieg beendet wäre, würde
nicht nur Hannover, sondern auch die übrigen deutschen Fürsten nicht imstande
sein, etwas zugunsten Rußlands zu tun, denn die Garantien banden ihnen die
Hände.

Fürst Kurakin legte diese Bemerkungen Bernsdorffs dahin aus, daß
Hannover in Zukunft einem Bündnis mit Rußland nicht abgeneigt sei. Aber
trotz den beruhigenden Worten drang der Fürst in den weitern Konferenzen
darauf, daß man ihm die definitive Antwort des Kurfürsten über die Garantien
mitteile, damit der Zar und seine Verbündeten für alle Fälle ihre Entscheidung
treffen könnten. Für Peter war vor allem eine Aufklärung der Dinge in
Deutschland, ein effektiver Schutz des polnischen und des dünischen Verbündeten
vor Krassaus Truppen erwünscht. Kurakin erhielt zur Antwort, Hannover
wolle die Garantie übernehmen, aber nur unter der Bedingung, daß die übrigen
Alliierten damit einverstanden wären; allein könne es die Verantwortung in
einer so wichtigen Sache nicht übernehmen. In Übereinstimmung hiermit schrieb
der Kurfürst dem Vertreter Hannovers im Haag, Boehmer, er solle gemeinsam
mit den andern Mächten für das Zustandekommen des Abkommens über die
Garantie sorgen.

Obgleich also Hannover in Übereinstimmung mit Kurakins Vorschlägen
handelte, zog es doch die Sache in die Länge und war inzwischen auch nicht
abgeneigt, Schweden zu helfen. So bat unter anderm der schwedische Hof den
Kurfürsten um Geld. Das wurde ihm allerdings abgeschlagen; aber Hannover
willigte in eine Unterstützung Schwedens durch Kauf einiger Bremer Landes¬
teile nicht weit von Hamburg, die der schwedischen Regierung jährlich sechs¬
tausend Speziestaler einbrachten. Kurakin konnte den Kurfürsten hieran nicht
hindern. In einem Brief an Golowkin vom 5. Januar schreibt er offen, es
sei schwer, von der gegenwärtigen Lage genaue Mitteilung zu machen. "Ich


Line Gesandtschaft Peters des Großen

genügend Proviant und Furage finden. Ferner sei der Durchmarsch nur
unter bestimmten Bedingungen gemacht worden: die Truppen marschierten unter
hannoverscher Aufsicht, müßten in Bremen friedlich im Winterquartier bleiben
und dürften niemand angreifen. Endlich erfolge durch Gewährung des Durch¬
marsches eine Teilung des Korps Krasfau, wodurch dieses geschwächt würde.
Eine Nückschaffung der Schweden aus Bremen nach Pommern geschehe nicht;
davon sei zwischen Schweden und Hannover nicht die Rede gewesen. Wenn
die Schweden Dänemark angreifen wollten, würden sie aus Bremen nicht
hinausgelassen werden. Hannover habe also den Zaren durch Gewährung des
Durchmarsches in keiner Weise geschädigt.

Diese Antwort Bernsdorffs befriedigte Kurakin nur zum Teil. Am
15. Januar bat er den Minister wiederum, die Zahl der nach Bremen durch¬
zulassenden Truppen zu beschränken, und erhielt zur Erwiderung, mehr als
fünf- bis sechstausend würden nicht durchgelasfen werden. Dann verhandelte
man weiter über das Bündnis. Bernsdorff glaubte, die Frage der garantierten
Neutralität des Reichs läge eher im Interesse Schwedens als Rußlands. Denn
falls die Garantien gegeben würden, könnten die nordischen Mächte keinen An¬
griff mehr gegen Schweden unternehmen; die Garantiestaaten müßten ihren
Vorteil wahren, und wenn der Spanische Erbfolgekrieg beendet wäre, würde
nicht nur Hannover, sondern auch die übrigen deutschen Fürsten nicht imstande
sein, etwas zugunsten Rußlands zu tun, denn die Garantien banden ihnen die
Hände.

Fürst Kurakin legte diese Bemerkungen Bernsdorffs dahin aus, daß
Hannover in Zukunft einem Bündnis mit Rußland nicht abgeneigt sei. Aber
trotz den beruhigenden Worten drang der Fürst in den weitern Konferenzen
darauf, daß man ihm die definitive Antwort des Kurfürsten über die Garantien
mitteile, damit der Zar und seine Verbündeten für alle Fälle ihre Entscheidung
treffen könnten. Für Peter war vor allem eine Aufklärung der Dinge in
Deutschland, ein effektiver Schutz des polnischen und des dünischen Verbündeten
vor Krassaus Truppen erwünscht. Kurakin erhielt zur Antwort, Hannover
wolle die Garantie übernehmen, aber nur unter der Bedingung, daß die übrigen
Alliierten damit einverstanden wären; allein könne es die Verantwortung in
einer so wichtigen Sache nicht übernehmen. In Übereinstimmung hiermit schrieb
der Kurfürst dem Vertreter Hannovers im Haag, Boehmer, er solle gemeinsam
mit den andern Mächten für das Zustandekommen des Abkommens über die
Garantie sorgen.

Obgleich also Hannover in Übereinstimmung mit Kurakins Vorschlägen
handelte, zog es doch die Sache in die Länge und war inzwischen auch nicht
abgeneigt, Schweden zu helfen. So bat unter anderm der schwedische Hof den
Kurfürsten um Geld. Das wurde ihm allerdings abgeschlagen; aber Hannover
willigte in eine Unterstützung Schwedens durch Kauf einiger Bremer Landes¬
teile nicht weit von Hamburg, die der schwedischen Regierung jährlich sechs¬
tausend Speziestaler einbrachten. Kurakin konnte den Kurfürsten hieran nicht
hindern. In einem Brief an Golowkin vom 5. Januar schreibt er offen, es
sei schwer, von der gegenwärtigen Lage genaue Mitteilung zu machen. „Ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/131>, abgerufen am 21.10.2024.