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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Andenken erhalten, aber trauern würde sie auch nicht. Warum sollte sie auch? --
Da gestaltete sich vor seinen sinnenden Augen der feurige Schein zu einem gold¬
blonden Mädchenkopfe, und ein paar helle Angen strahlten ihn an wie an einem
bewußten Abend. Und da stand sie vor ihm, lachend, ein Bild der Jugend und
Kraft, eine Walküre, so wie sie ihm zuerst entgegengetreten war. -- Ramborn
fühlte, daß er weich wurde, daß ihm diese Erinnerung das Sterben bitter schwer
machte, und daß ihm Tränen in die Augen traten. -- Eva! rief es in ihm, mein
Herrenkind, ja du würdest um mich trauern. Und mit dir hätte ich noch ein paar
Jahre leben mögen. Um deinetwillen könnte ich für mein Leben bitten. Um deinet¬
willen könnte ich jede Hilfe anrufen, könnte ich meine Überzeugung verleugnen und
beten. -- Er faltete die Hände, er suchte nach Worten und Gedanken, aber es war
alles in ihm angefüllt mit Finsternis. Er erinnerte sich, daß er einmal bei einer
Kommersrede entgleist war. Er hatte rettungslos festgesessen, alle Gedanken waren
wie weggeblasen gewesen. Er hatte es kommen sehen, daß der Faden der Rede zu
Ende ging, und dann war er' ihm entschlüpft, und alle seine sonst bewährte Rede¬
kunst war nicht imstande gewesen, ihn wieder aufzufinden. So wie damals wars
ihm jetzt zumute. Nur fühlte er den vollen tragischen Ernst der Lage, ohne die
Beimengung des Lächerlichen, das ihn damals um meisten gekränkt hatte. -- So
muß es zur Zeit der Sintflut gewesen sein, eine Geschichte, die ihm jetzt durchaus
nicht lächerlich vorkam, Wasser unter den Füßen, und Nacht über dem Haupte, und
der Taubenschlng leer. Kein Bote, den man hätte aussenden können.

Was war das? Waren das nicht Flintenschüsse überm Wasser? Die Fischer
erhoben ein gemeinsames Geschrei. Keine Antwort.

Nach langer Pause ertönte wieder ein Schuß, aber aus weiterer Entfernung.
Die Fischer stimmten von Zeit zu Zeit ein Geschrei im Chor an -- keine Antwort
war zu hören.

Laßt nur das Schreien, sagte Peter Struntz, eines Hundes Stimme dringt
nicht gen Himmel.

Aber das Gebet hat die Verheißung, sagte Arte Beit.

Bald darauf fühlte man einen Stoß und hörte das Knirschen des Eises. Die
Scholle war in ein Eisgeschiebe geraten. Jetzt konnte sie nicht mehr lange halten.

Da stand der Mann, diesesmal zusammen mit Arte Beit, wieder vor ihm und
sagte: Herr Doktor, jetzt müssen Sie beten. Das Lied geht zu Ende.

Der Doktor erhob sich und trat in den Kreis der Männer. Alle nahmen
die Hüte ab, und der Doktor tat desgleichen. Jetzt sollte er reden. Als er einst
Kondrvt die Bibel zuschob, geschah es mit bösem Gewissen, in dem Gefühl eines,
der seine Sache verriet; da er jetzt beten sollte, was hätte er darum gegeben,
wenn er hätte beten können. Aber es fiel ihm nichts ein als das Gebet: Ich
bin klein, mein Herz ist rein, niemand soll darin wohnen als Jesus allein. So
hatte er einst gesprochen, wenn seine Mutter an sein, des Kindes Bett gekommen
war und ihm die Hände gefaltet hatte. Aber dieses Gebet war doch hier nicht
zu brauchen.

Wir wollen ein Vaterunser miteinander beten, sagte der Doktor.

Sie traten im Kreise zusammen, und Arte Beit faltete dem kranken Jurgeitis
die Hände, und so sprachen sie das Gebet der Gebete, laut und andächtig, der eine
Deutsch und der andre Litauisch.

Auf dieses Gebet geschah nichts, weder am Himmel noch auf der Erde.

Nach einiger Zeit sagte einer der Männer: Wir wollen noch ein Vaterunser
beten. Und dies geschah. Aber nichts änderte sich. Der Wind blies seine Melodie,
der Kranke atmete schwer, und das Feuer brannte nieder.

Nach einer Weile schien es, als wenn der Nebel sich zusammenballen und
höchsteigen wollte, und als Wenn ein Heller Schein zur linken Hand aufleuchtete
und verschwand, je nachdem der Nebel sich öffnete und schloß. Ging dort der
Mond auf? Nein, dort im Westen geht kein Mond auf. Es war Wohl das


Grenzboton II 1905 94
Herrenmenschen

Andenken erhalten, aber trauern würde sie auch nicht. Warum sollte sie auch? —
Da gestaltete sich vor seinen sinnenden Augen der feurige Schein zu einem gold¬
blonden Mädchenkopfe, und ein paar helle Angen strahlten ihn an wie an einem
bewußten Abend. Und da stand sie vor ihm, lachend, ein Bild der Jugend und
Kraft, eine Walküre, so wie sie ihm zuerst entgegengetreten war. — Ramborn
fühlte, daß er weich wurde, daß ihm diese Erinnerung das Sterben bitter schwer
machte, und daß ihm Tränen in die Augen traten. — Eva! rief es in ihm, mein
Herrenkind, ja du würdest um mich trauern. Und mit dir hätte ich noch ein paar
Jahre leben mögen. Um deinetwillen könnte ich für mein Leben bitten. Um deinet¬
willen könnte ich jede Hilfe anrufen, könnte ich meine Überzeugung verleugnen und
beten. — Er faltete die Hände, er suchte nach Worten und Gedanken, aber es war
alles in ihm angefüllt mit Finsternis. Er erinnerte sich, daß er einmal bei einer
Kommersrede entgleist war. Er hatte rettungslos festgesessen, alle Gedanken waren
wie weggeblasen gewesen. Er hatte es kommen sehen, daß der Faden der Rede zu
Ende ging, und dann war er' ihm entschlüpft, und alle seine sonst bewährte Rede¬
kunst war nicht imstande gewesen, ihn wieder aufzufinden. So wie damals wars
ihm jetzt zumute. Nur fühlte er den vollen tragischen Ernst der Lage, ohne die
Beimengung des Lächerlichen, das ihn damals um meisten gekränkt hatte. — So
muß es zur Zeit der Sintflut gewesen sein, eine Geschichte, die ihm jetzt durchaus
nicht lächerlich vorkam, Wasser unter den Füßen, und Nacht über dem Haupte, und
der Taubenschlng leer. Kein Bote, den man hätte aussenden können.

Was war das? Waren das nicht Flintenschüsse überm Wasser? Die Fischer
erhoben ein gemeinsames Geschrei. Keine Antwort.

Nach langer Pause ertönte wieder ein Schuß, aber aus weiterer Entfernung.
Die Fischer stimmten von Zeit zu Zeit ein Geschrei im Chor an — keine Antwort
war zu hören.

Laßt nur das Schreien, sagte Peter Struntz, eines Hundes Stimme dringt
nicht gen Himmel.

Aber das Gebet hat die Verheißung, sagte Arte Beit.

Bald darauf fühlte man einen Stoß und hörte das Knirschen des Eises. Die
Scholle war in ein Eisgeschiebe geraten. Jetzt konnte sie nicht mehr lange halten.

Da stand der Mann, diesesmal zusammen mit Arte Beit, wieder vor ihm und
sagte: Herr Doktor, jetzt müssen Sie beten. Das Lied geht zu Ende.

Der Doktor erhob sich und trat in den Kreis der Männer. Alle nahmen
die Hüte ab, und der Doktor tat desgleichen. Jetzt sollte er reden. Als er einst
Kondrvt die Bibel zuschob, geschah es mit bösem Gewissen, in dem Gefühl eines,
der seine Sache verriet; da er jetzt beten sollte, was hätte er darum gegeben,
wenn er hätte beten können. Aber es fiel ihm nichts ein als das Gebet: Ich
bin klein, mein Herz ist rein, niemand soll darin wohnen als Jesus allein. So
hatte er einst gesprochen, wenn seine Mutter an sein, des Kindes Bett gekommen
war und ihm die Hände gefaltet hatte. Aber dieses Gebet war doch hier nicht
zu brauchen.

Wir wollen ein Vaterunser miteinander beten, sagte der Doktor.

Sie traten im Kreise zusammen, und Arte Beit faltete dem kranken Jurgeitis
die Hände, und so sprachen sie das Gebet der Gebete, laut und andächtig, der eine
Deutsch und der andre Litauisch.

Auf dieses Gebet geschah nichts, weder am Himmel noch auf der Erde.

Nach einiger Zeit sagte einer der Männer: Wir wollen noch ein Vaterunser
beten. Und dies geschah. Aber nichts änderte sich. Der Wind blies seine Melodie,
der Kranke atmete schwer, und das Feuer brannte nieder.

Nach einer Weile schien es, als wenn der Nebel sich zusammenballen und
höchsteigen wollte, und als Wenn ein Heller Schein zur linken Hand aufleuchtete
und verschwand, je nachdem der Nebel sich öffnete und schloß. Ging dort der
Mond auf? Nein, dort im Westen geht kein Mond auf. Es war Wohl das


Grenzboton II 1905 94
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[0741] Herrenmenschen Andenken erhalten, aber trauern würde sie auch nicht. Warum sollte sie auch? — Da gestaltete sich vor seinen sinnenden Augen der feurige Schein zu einem gold¬ blonden Mädchenkopfe, und ein paar helle Angen strahlten ihn an wie an einem bewußten Abend. Und da stand sie vor ihm, lachend, ein Bild der Jugend und Kraft, eine Walküre, so wie sie ihm zuerst entgegengetreten war. — Ramborn fühlte, daß er weich wurde, daß ihm diese Erinnerung das Sterben bitter schwer machte, und daß ihm Tränen in die Augen traten. — Eva! rief es in ihm, mein Herrenkind, ja du würdest um mich trauern. Und mit dir hätte ich noch ein paar Jahre leben mögen. Um deinetwillen könnte ich für mein Leben bitten. Um deinet¬ willen könnte ich jede Hilfe anrufen, könnte ich meine Überzeugung verleugnen und beten. — Er faltete die Hände, er suchte nach Worten und Gedanken, aber es war alles in ihm angefüllt mit Finsternis. Er erinnerte sich, daß er einmal bei einer Kommersrede entgleist war. Er hatte rettungslos festgesessen, alle Gedanken waren wie weggeblasen gewesen. Er hatte es kommen sehen, daß der Faden der Rede zu Ende ging, und dann war er' ihm entschlüpft, und alle seine sonst bewährte Rede¬ kunst war nicht imstande gewesen, ihn wieder aufzufinden. So wie damals wars ihm jetzt zumute. Nur fühlte er den vollen tragischen Ernst der Lage, ohne die Beimengung des Lächerlichen, das ihn damals um meisten gekränkt hatte. — So muß es zur Zeit der Sintflut gewesen sein, eine Geschichte, die ihm jetzt durchaus nicht lächerlich vorkam, Wasser unter den Füßen, und Nacht über dem Haupte, und der Taubenschlng leer. Kein Bote, den man hätte aussenden können. Was war das? Waren das nicht Flintenschüsse überm Wasser? Die Fischer erhoben ein gemeinsames Geschrei. Keine Antwort. Nach langer Pause ertönte wieder ein Schuß, aber aus weiterer Entfernung. Die Fischer stimmten von Zeit zu Zeit ein Geschrei im Chor an — keine Antwort war zu hören. Laßt nur das Schreien, sagte Peter Struntz, eines Hundes Stimme dringt nicht gen Himmel. Aber das Gebet hat die Verheißung, sagte Arte Beit. Bald darauf fühlte man einen Stoß und hörte das Knirschen des Eises. Die Scholle war in ein Eisgeschiebe geraten. Jetzt konnte sie nicht mehr lange halten. Da stand der Mann, diesesmal zusammen mit Arte Beit, wieder vor ihm und sagte: Herr Doktor, jetzt müssen Sie beten. Das Lied geht zu Ende. Der Doktor erhob sich und trat in den Kreis der Männer. Alle nahmen die Hüte ab, und der Doktor tat desgleichen. Jetzt sollte er reden. Als er einst Kondrvt die Bibel zuschob, geschah es mit bösem Gewissen, in dem Gefühl eines, der seine Sache verriet; da er jetzt beten sollte, was hätte er darum gegeben, wenn er hätte beten können. Aber es fiel ihm nichts ein als das Gebet: Ich bin klein, mein Herz ist rein, niemand soll darin wohnen als Jesus allein. So hatte er einst gesprochen, wenn seine Mutter an sein, des Kindes Bett gekommen war und ihm die Hände gefaltet hatte. Aber dieses Gebet war doch hier nicht zu brauchen. Wir wollen ein Vaterunser miteinander beten, sagte der Doktor. Sie traten im Kreise zusammen, und Arte Beit faltete dem kranken Jurgeitis die Hände, und so sprachen sie das Gebet der Gebete, laut und andächtig, der eine Deutsch und der andre Litauisch. Auf dieses Gebet geschah nichts, weder am Himmel noch auf der Erde. Nach einiger Zeit sagte einer der Männer: Wir wollen noch ein Vaterunser beten. Und dies geschah. Aber nichts änderte sich. Der Wind blies seine Melodie, der Kranke atmete schwer, und das Feuer brannte nieder. Nach einer Weile schien es, als wenn der Nebel sich zusammenballen und höchsteigen wollte, und als Wenn ein Heller Schein zur linken Hand aufleuchtete und verschwand, je nachdem der Nebel sich öffnete und schloß. Ging dort der Mond auf? Nein, dort im Westen geht kein Mond auf. Es war Wohl das Grenzboton II 1905 94

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/741>, abgerufen am 05.02.2025.