Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Meißen stocken, Sicherheitszündern, Pianoforten, Papierwaren und Postkarten im größten Aber schon warten der erhaltenden Tätigkeit der Meißner Altertumsfreunde Meißen stocken, Sicherheitszündern, Pianoforten, Papierwaren und Postkarten im größten Aber schon warten der erhaltenden Tätigkeit der Meißner Altertumsfreunde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0729" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297108"/> <fw type="header" place="top"> Meißen</fw><lb/> <p xml:id="ID_3319" prev="#ID_3318"> stocken, Sicherheitszündern, Pianoforten, Papierwaren und Postkarten im größten<lb/> Maßstabe. Infolgedessen hat sich die Stadt nach allen Seiten hin auszudehnen<lb/> begonnen. Das rechtselbtsche Cöln mit einigen kleinern Vororten ist einverleibt<lb/> worden, sodaß Meißen jetzt mit seinen 32000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt<lb/> Sachsens ist. Bis an das Buschbad hinaus, wo noch vor fünfzig Jahren länd¬<lb/> liche Stille herrschte, erstreckt sich das neue Industrieviertel; auf dem Plvssenberge<lb/> aber, in der stillern Umgebung der Martinskirche, ist eine aussichtsreiche, gesund<lb/> liegende Villenstadt entstanden, gegenüber, auf dem rechten Elbufer, ist der<lb/> städtischen Besiedlung neuerdings der herrliche Ratsweinberg, das Geschenk Albrechts<lb/> des Beherzten, zum Opfer gefallen, und schon klettert sie in geschmacklosen Zeilen,<lb/> die die lange Spitzenreihe der „Hypothekentürme" überragt, die ehedem den lieb¬<lb/> lichen Weinstock tragenden Abhänge des Spargebirges hinan. Es wäre falsch,<lb/> diese Entwicklung, die sich mit zwingender Notwendigkeit aus der wirtschaftlichen<lb/> Lage des ganzen sächsischen Landes ergibt, zu bekämpfen oder in einseitig roman¬<lb/> tischer Gefühlsduselei zu bejammern; aber viele Begleiterscheinungen dieser Entwick¬<lb/> lung, zum Beispiel die entsetzliche Barbarei der Neubauten auf dem Spargebirge u. a.,<lb/> hätten sich vermeiden lassen und sind deshalb tief zu beklagen. Außerdem aber<lb/> ist es unter solchen Umständen, wo das mobilisierte Kapital rücksichtslos den histo¬<lb/> rischen Charakter der Stadt und ihrer Umgebung zerstört, erlaubt, auch die Freunde<lb/> Altmeißens mobil zu machen und aus ihnen eine Schutztruppe zu bilden für das,<lb/> was noch zu retten ist. Vieles ist in dieser Richtung in den letzten Jahrzehnten<lb/> geschehen, teils durch die Fürsorge der Landesregierung, teils durch die Einsicht<lb/> der städtischen Verwaltung, teils durch den 1880 gegründeten Verein für die Ge¬<lb/> schichte Meißens. Das erste Regenerationswerk war die Wiederherstellung und<lb/> die Ausschmückung der Albrechtsburg, die bis 1863 die Porzellanmanufaktur in<lb/> ihren Mauern beherbergt hatte; sie begann im Jahre 1873, nachdem die Stände¬<lb/> kammern 500000 Mark von der französischen Kriegsentschädigung dazu angewiesen<lb/> hatten. Es folgte 1892 durch den Meißner Geschichtsverein die würdige Instand¬<lb/> setzung der Kreuzgänge des Franziskanerklosters, in denen zugleich die wichtigsten<lb/> Grabdenkmäler der alten Friedhöfe geborgen wurden, und 1900 bis 1901 die<lb/> Wiederherstellung des Schiffs der Franziskanerkirche und seine Umwandlung in ein<lb/> Altertumsmuseum des Geschichtsvereins. Gegenwärtig ist das Interesse aller<lb/> Altertumsfreunde auf die Arbeiten zur Erhaltung und Vollendung des Meißner<lb/> Doms gerichtet. Sie sind in ihren ersten Anfängen (1839) dem Königlich Sächsischen<lb/> Altertumsverein zu danken; auch das Domkapitel und der Meißner Geschichtsverein<lb/> haben sie gefördert. Doch erheischte die Größe der Aufgabe eine besondre Organi¬<lb/> sation, die 1895 mit der Gründung des Dombauvereins ins Leben trat. Er hat<lb/> durch Lotterien die Summe von fast anderthalb Millionen zusammengebracht und<lb/> in dem Karlsruher Gotiker, Oberbaurat Karl Schäfer, den Mann an die Spitze<lb/> des Unternehmens gestellt, von dem man die Vollendung des Baues im Sinne<lb/> Arnolds von Westfalen erwarten darf. Seine vielumstrittne zweispitzige Turm¬<lb/> anlage wird sich über einem vierten Geschosse des Westbaues erheben (S. 612).<lb/> Bis jetzt ist die Entwässerung und die Verstärkung der Grundmauern und das<lb/> vierte Geschoß des Westbaues fertiggestellt, der zu diesem Zwecke mit einem riesen¬<lb/> haften weithin sichtbaren Balkengerüst umkleidet ist. Bis zum Jahre 1907 soll der<lb/> ganze Bau vollendet sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_3320" next="#ID_3321"> Aber schon warten der erhaltenden Tätigkeit der Meißner Altertumsfreunde<lb/> und der mit ihnen fast dieselben Ziele verfolgenden Naturfreunde neue wichtige<lb/> Aufgaben. Die aussichtsreiche Südkuppe des Spargebirges, die sogenannte Posel,<lb/> die durch rücksichtslose Steinbrucharbeit schon fast unterhöhlt ist, droht durch weitem<lb/> Steinbruchbetrieb völlig vernichtet zu werden, ebenso der Götterfelsen im Triebisch-<lb/> tal, auf dem das 1843 von alten Afranern errichtete weithin leuchtende Kreuz<lb/> steht: von diesen ehrwürdigen Punkten aus, die zu den durch Geschichte und Kunst<lb/> geweihten Wahrzeichen unsrer Landschaft gehören, muß der Notschrei „Heimatschutz"</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0729]
Meißen
stocken, Sicherheitszündern, Pianoforten, Papierwaren und Postkarten im größten
Maßstabe. Infolgedessen hat sich die Stadt nach allen Seiten hin auszudehnen
begonnen. Das rechtselbtsche Cöln mit einigen kleinern Vororten ist einverleibt
worden, sodaß Meißen jetzt mit seinen 32000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt
Sachsens ist. Bis an das Buschbad hinaus, wo noch vor fünfzig Jahren länd¬
liche Stille herrschte, erstreckt sich das neue Industrieviertel; auf dem Plvssenberge
aber, in der stillern Umgebung der Martinskirche, ist eine aussichtsreiche, gesund
liegende Villenstadt entstanden, gegenüber, auf dem rechten Elbufer, ist der
städtischen Besiedlung neuerdings der herrliche Ratsweinberg, das Geschenk Albrechts
des Beherzten, zum Opfer gefallen, und schon klettert sie in geschmacklosen Zeilen,
die die lange Spitzenreihe der „Hypothekentürme" überragt, die ehedem den lieb¬
lichen Weinstock tragenden Abhänge des Spargebirges hinan. Es wäre falsch,
diese Entwicklung, die sich mit zwingender Notwendigkeit aus der wirtschaftlichen
Lage des ganzen sächsischen Landes ergibt, zu bekämpfen oder in einseitig roman¬
tischer Gefühlsduselei zu bejammern; aber viele Begleiterscheinungen dieser Entwick¬
lung, zum Beispiel die entsetzliche Barbarei der Neubauten auf dem Spargebirge u. a.,
hätten sich vermeiden lassen und sind deshalb tief zu beklagen. Außerdem aber
ist es unter solchen Umständen, wo das mobilisierte Kapital rücksichtslos den histo¬
rischen Charakter der Stadt und ihrer Umgebung zerstört, erlaubt, auch die Freunde
Altmeißens mobil zu machen und aus ihnen eine Schutztruppe zu bilden für das,
was noch zu retten ist. Vieles ist in dieser Richtung in den letzten Jahrzehnten
geschehen, teils durch die Fürsorge der Landesregierung, teils durch die Einsicht
der städtischen Verwaltung, teils durch den 1880 gegründeten Verein für die Ge¬
schichte Meißens. Das erste Regenerationswerk war die Wiederherstellung und
die Ausschmückung der Albrechtsburg, die bis 1863 die Porzellanmanufaktur in
ihren Mauern beherbergt hatte; sie begann im Jahre 1873, nachdem die Stände¬
kammern 500000 Mark von der französischen Kriegsentschädigung dazu angewiesen
hatten. Es folgte 1892 durch den Meißner Geschichtsverein die würdige Instand¬
setzung der Kreuzgänge des Franziskanerklosters, in denen zugleich die wichtigsten
Grabdenkmäler der alten Friedhöfe geborgen wurden, und 1900 bis 1901 die
Wiederherstellung des Schiffs der Franziskanerkirche und seine Umwandlung in ein
Altertumsmuseum des Geschichtsvereins. Gegenwärtig ist das Interesse aller
Altertumsfreunde auf die Arbeiten zur Erhaltung und Vollendung des Meißner
Doms gerichtet. Sie sind in ihren ersten Anfängen (1839) dem Königlich Sächsischen
Altertumsverein zu danken; auch das Domkapitel und der Meißner Geschichtsverein
haben sie gefördert. Doch erheischte die Größe der Aufgabe eine besondre Organi¬
sation, die 1895 mit der Gründung des Dombauvereins ins Leben trat. Er hat
durch Lotterien die Summe von fast anderthalb Millionen zusammengebracht und
in dem Karlsruher Gotiker, Oberbaurat Karl Schäfer, den Mann an die Spitze
des Unternehmens gestellt, von dem man die Vollendung des Baues im Sinne
Arnolds von Westfalen erwarten darf. Seine vielumstrittne zweispitzige Turm¬
anlage wird sich über einem vierten Geschosse des Westbaues erheben (S. 612).
Bis jetzt ist die Entwässerung und die Verstärkung der Grundmauern und das
vierte Geschoß des Westbaues fertiggestellt, der zu diesem Zwecke mit einem riesen¬
haften weithin sichtbaren Balkengerüst umkleidet ist. Bis zum Jahre 1907 soll der
ganze Bau vollendet sein.
Aber schon warten der erhaltenden Tätigkeit der Meißner Altertumsfreunde
und der mit ihnen fast dieselben Ziele verfolgenden Naturfreunde neue wichtige
Aufgaben. Die aussichtsreiche Südkuppe des Spargebirges, die sogenannte Posel,
die durch rücksichtslose Steinbrucharbeit schon fast unterhöhlt ist, droht durch weitem
Steinbruchbetrieb völlig vernichtet zu werden, ebenso der Götterfelsen im Triebisch-
tal, auf dem das 1843 von alten Afranern errichtete weithin leuchtende Kreuz
steht: von diesen ehrwürdigen Punkten aus, die zu den durch Geschichte und Kunst
geweihten Wahrzeichen unsrer Landschaft gehören, muß der Notschrei „Heimatschutz"
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