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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Meißen

Haus der niedergehenden Renaissance. Dieses Haus mit seinen Wendeltreppen,
Kreuzgewölben, eisernen Türen, Winkeln und vergitterten Fenstern hat auf mich
einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen." Aus derselben Periode Meißens
stammen auch der Genremaler Hugo Oehmichen (geb. 1843), der Radierer Bern¬
hard Mannfeld (geb. 1848 in Dresden, aber erzogen im Hause seines Großvaters,
des bekannten Glasmalers und Malervorstehers Scheinert in Meißen), die Land¬
schafter Friedrich Paul Baum (geb. 1859) und Bernhard Schröter (geb. 1848),
die Historienmaler Sigismund Kirchbach (1831 bis 1876), Anton Dietrich (geb.
1833), Otto Grundmann (geb. 1844, Begründer der Kunstakademie in Boston),
die Bildhauer Friedrich August Wittig (geb. 1823; Bronzeabgüsse selner Haupt¬
werke stehn im Sitzungssaale des Rathauses), Otto König (geb. 1833). Sascha
Schneider hatte mehrere Jahre lang sein Atelier am Fürstenberge aufgeschlagen,
auch Oskar Zwintscher wohnte bis vor kurzem in Meißen und entlehnte die Motive
seiner schönsten Bilder der Meißner Landschaft.

Von den Dichtern dieser Periode haben namentlich Otto Roquette und Otto
Ludwig Beziehungen zu Meißen gehabt. Otto Ludwig wohnte zwischen 1844 und
1852 bald in der Schleifmühle des Dorfes Garsebach, bald in Meißen selbst. Er
hatte bei einem Ausfluge nach dem damals vielbesuchten, jetzt in eine Fabrik um¬
gewandelten Buschbad im Triebischtal etwas weiter bachaufwärts "den stillen Winkel
aufgefunden, der zu seinen Sinnen und zu seiner Seele sprach." Als er dann
nach Garsebach übergesiedelt war, schreibt er begeistert an einen Freund: ".. in
welcher Richtung ich den Triebischgrund durchzieh" mag, so wirds immer schöner.
Meine Werkstatt schlag ich bald hier, bald dort auf, einmal zwischen den Fels¬
blöcken an der Triebisch nahebei -- ein alter Erlenstrunk hält mir das Tinten¬
faß, die Mappe auf meinen Knien ist mein Tisch --, bald über der Klausmühle,
dem romantischsten Punkt, den ich auf der Welt kenne. Wenn mirs gefällt, geh
ich mit Göttern und Könige" um; in einem Anfall von Herablassung dagegen kann
ich mit Bauern kegeln, die übrigens hier meist sehr reich und so gebildet sind, wie
bei uns draußen (in Meiningen) angesehenere Bürger."

Garsebach hat sich bis auf den heutigen Tag etwas von dem Idyll der Zeit
Otto Ludwigs bewahrt. Wenn man aber mit der Triebisch näher an die Stadt
Meißen herankommt, da siehts mit dem Idyllischen böse aus. Wenn schon Ludwig
Richter, der seine Selbstbiographie zwischen 1869 und 1879 niederschrieb, von
Meißen sagt: "Die moderne Kultur hat allerdings manche grelle, häßlich störende
Dissonanzen in dies harmonische Gebilde getragen, die für das Künstlerauge eine
Wirkung hervorbringen wie der gellende Ton einer Dampfpfeife in einem Mozartschen
Hymnus," so würde er von der neuesten Umwandlung der nähern Umgebung
Meißens geradezu entsetzt sein. Sie hängt damit zusammen, daß Meißen in den
letzten dreißig Jahren in immer steigendem Maße ein Zentrum der sächsischen
Industrie geworden ist. Die damit verbundnen Wandlungen hätten schon viel
früher begonnen, wenn der ursprüngliche Plan des großen Nationalökonomen
Friedrich List, die erste Eisenbahn von Dresden nach Leipzig über Meißen zu
leiten, ausgeführt worden wäre. Aber man scheute vor technischen Schwierigkeiten
zurück. So wurde die Bahn auf dem rechten Elbufer angelegt und überschritt
bei Riesa den Strom, sodaß dieser bis dahin ganz unbedeutende Ort die Rolle
übernahm, die Meißen zufallen sollte. Meißen wurde erst 1869 der Dresden-
Döbeln-Leipziger Bahn angegliedert und hat infolgedessen noch heute eine wenig
befriedigende Verkehrslage. Trotzdem liegt Meißen inmitten einer sehr kaufkräftigen
Umgebung und ist, durch die billigere Wasserfahrt begünstigt, neuerdings zu einer
sehr wichtigen Fabrikstadt geworden. Der ältern Porzellanindustrie trat seit 1857
eine vom Erfinder der Weißen Kachel, Karl Teichert, begonnene Ofenfabrikation
zur Seite, von der sich neuerdings wieder die Majolika-, Steingut-, Fliesen- und
Kunstziegelfabrikation abgezweigt hat. Dazu kommt eine vielseitige und ausgedehnte
Maschinenindustrie, die große Jutefabrik, Herstellung von Blechemballagen, Spazier-


Meißen

Haus der niedergehenden Renaissance. Dieses Haus mit seinen Wendeltreppen,
Kreuzgewölben, eisernen Türen, Winkeln und vergitterten Fenstern hat auf mich
einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen." Aus derselben Periode Meißens
stammen auch der Genremaler Hugo Oehmichen (geb. 1843), der Radierer Bern¬
hard Mannfeld (geb. 1848 in Dresden, aber erzogen im Hause seines Großvaters,
des bekannten Glasmalers und Malervorstehers Scheinert in Meißen), die Land¬
schafter Friedrich Paul Baum (geb. 1859) und Bernhard Schröter (geb. 1848),
die Historienmaler Sigismund Kirchbach (1831 bis 1876), Anton Dietrich (geb.
1833), Otto Grundmann (geb. 1844, Begründer der Kunstakademie in Boston),
die Bildhauer Friedrich August Wittig (geb. 1823; Bronzeabgüsse selner Haupt¬
werke stehn im Sitzungssaale des Rathauses), Otto König (geb. 1833). Sascha
Schneider hatte mehrere Jahre lang sein Atelier am Fürstenberge aufgeschlagen,
auch Oskar Zwintscher wohnte bis vor kurzem in Meißen und entlehnte die Motive
seiner schönsten Bilder der Meißner Landschaft.

Von den Dichtern dieser Periode haben namentlich Otto Roquette und Otto
Ludwig Beziehungen zu Meißen gehabt. Otto Ludwig wohnte zwischen 1844 und
1852 bald in der Schleifmühle des Dorfes Garsebach, bald in Meißen selbst. Er
hatte bei einem Ausfluge nach dem damals vielbesuchten, jetzt in eine Fabrik um¬
gewandelten Buschbad im Triebischtal etwas weiter bachaufwärts „den stillen Winkel
aufgefunden, der zu seinen Sinnen und zu seiner Seele sprach." Als er dann
nach Garsebach übergesiedelt war, schreibt er begeistert an einen Freund: „.. in
welcher Richtung ich den Triebischgrund durchzieh« mag, so wirds immer schöner.
Meine Werkstatt schlag ich bald hier, bald dort auf, einmal zwischen den Fels¬
blöcken an der Triebisch nahebei — ein alter Erlenstrunk hält mir das Tinten¬
faß, die Mappe auf meinen Knien ist mein Tisch —, bald über der Klausmühle,
dem romantischsten Punkt, den ich auf der Welt kenne. Wenn mirs gefällt, geh
ich mit Göttern und Könige» um; in einem Anfall von Herablassung dagegen kann
ich mit Bauern kegeln, die übrigens hier meist sehr reich und so gebildet sind, wie
bei uns draußen (in Meiningen) angesehenere Bürger."

Garsebach hat sich bis auf den heutigen Tag etwas von dem Idyll der Zeit
Otto Ludwigs bewahrt. Wenn man aber mit der Triebisch näher an die Stadt
Meißen herankommt, da siehts mit dem Idyllischen böse aus. Wenn schon Ludwig
Richter, der seine Selbstbiographie zwischen 1869 und 1879 niederschrieb, von
Meißen sagt: „Die moderne Kultur hat allerdings manche grelle, häßlich störende
Dissonanzen in dies harmonische Gebilde getragen, die für das Künstlerauge eine
Wirkung hervorbringen wie der gellende Ton einer Dampfpfeife in einem Mozartschen
Hymnus," so würde er von der neuesten Umwandlung der nähern Umgebung
Meißens geradezu entsetzt sein. Sie hängt damit zusammen, daß Meißen in den
letzten dreißig Jahren in immer steigendem Maße ein Zentrum der sächsischen
Industrie geworden ist. Die damit verbundnen Wandlungen hätten schon viel
früher begonnen, wenn der ursprüngliche Plan des großen Nationalökonomen
Friedrich List, die erste Eisenbahn von Dresden nach Leipzig über Meißen zu
leiten, ausgeführt worden wäre. Aber man scheute vor technischen Schwierigkeiten
zurück. So wurde die Bahn auf dem rechten Elbufer angelegt und überschritt
bei Riesa den Strom, sodaß dieser bis dahin ganz unbedeutende Ort die Rolle
übernahm, die Meißen zufallen sollte. Meißen wurde erst 1869 der Dresden-
Döbeln-Leipziger Bahn angegliedert und hat infolgedessen noch heute eine wenig
befriedigende Verkehrslage. Trotzdem liegt Meißen inmitten einer sehr kaufkräftigen
Umgebung und ist, durch die billigere Wasserfahrt begünstigt, neuerdings zu einer
sehr wichtigen Fabrikstadt geworden. Der ältern Porzellanindustrie trat seit 1857
eine vom Erfinder der Weißen Kachel, Karl Teichert, begonnene Ofenfabrikation
zur Seite, von der sich neuerdings wieder die Majolika-, Steingut-, Fliesen- und
Kunstziegelfabrikation abgezweigt hat. Dazu kommt eine vielseitige und ausgedehnte
Maschinenindustrie, die große Jutefabrik, Herstellung von Blechemballagen, Spazier-


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[0728] Meißen Haus der niedergehenden Renaissance. Dieses Haus mit seinen Wendeltreppen, Kreuzgewölben, eisernen Türen, Winkeln und vergitterten Fenstern hat auf mich einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen." Aus derselben Periode Meißens stammen auch der Genremaler Hugo Oehmichen (geb. 1843), der Radierer Bern¬ hard Mannfeld (geb. 1848 in Dresden, aber erzogen im Hause seines Großvaters, des bekannten Glasmalers und Malervorstehers Scheinert in Meißen), die Land¬ schafter Friedrich Paul Baum (geb. 1859) und Bernhard Schröter (geb. 1848), die Historienmaler Sigismund Kirchbach (1831 bis 1876), Anton Dietrich (geb. 1833), Otto Grundmann (geb. 1844, Begründer der Kunstakademie in Boston), die Bildhauer Friedrich August Wittig (geb. 1823; Bronzeabgüsse selner Haupt¬ werke stehn im Sitzungssaale des Rathauses), Otto König (geb. 1833). Sascha Schneider hatte mehrere Jahre lang sein Atelier am Fürstenberge aufgeschlagen, auch Oskar Zwintscher wohnte bis vor kurzem in Meißen und entlehnte die Motive seiner schönsten Bilder der Meißner Landschaft. Von den Dichtern dieser Periode haben namentlich Otto Roquette und Otto Ludwig Beziehungen zu Meißen gehabt. Otto Ludwig wohnte zwischen 1844 und 1852 bald in der Schleifmühle des Dorfes Garsebach, bald in Meißen selbst. Er hatte bei einem Ausfluge nach dem damals vielbesuchten, jetzt in eine Fabrik um¬ gewandelten Buschbad im Triebischtal etwas weiter bachaufwärts „den stillen Winkel aufgefunden, der zu seinen Sinnen und zu seiner Seele sprach." Als er dann nach Garsebach übergesiedelt war, schreibt er begeistert an einen Freund: „.. in welcher Richtung ich den Triebischgrund durchzieh« mag, so wirds immer schöner. Meine Werkstatt schlag ich bald hier, bald dort auf, einmal zwischen den Fels¬ blöcken an der Triebisch nahebei — ein alter Erlenstrunk hält mir das Tinten¬ faß, die Mappe auf meinen Knien ist mein Tisch —, bald über der Klausmühle, dem romantischsten Punkt, den ich auf der Welt kenne. Wenn mirs gefällt, geh ich mit Göttern und Könige» um; in einem Anfall von Herablassung dagegen kann ich mit Bauern kegeln, die übrigens hier meist sehr reich und so gebildet sind, wie bei uns draußen (in Meiningen) angesehenere Bürger." Garsebach hat sich bis auf den heutigen Tag etwas von dem Idyll der Zeit Otto Ludwigs bewahrt. Wenn man aber mit der Triebisch näher an die Stadt Meißen herankommt, da siehts mit dem Idyllischen böse aus. Wenn schon Ludwig Richter, der seine Selbstbiographie zwischen 1869 und 1879 niederschrieb, von Meißen sagt: „Die moderne Kultur hat allerdings manche grelle, häßlich störende Dissonanzen in dies harmonische Gebilde getragen, die für das Künstlerauge eine Wirkung hervorbringen wie der gellende Ton einer Dampfpfeife in einem Mozartschen Hymnus," so würde er von der neuesten Umwandlung der nähern Umgebung Meißens geradezu entsetzt sein. Sie hängt damit zusammen, daß Meißen in den letzten dreißig Jahren in immer steigendem Maße ein Zentrum der sächsischen Industrie geworden ist. Die damit verbundnen Wandlungen hätten schon viel früher begonnen, wenn der ursprüngliche Plan des großen Nationalökonomen Friedrich List, die erste Eisenbahn von Dresden nach Leipzig über Meißen zu leiten, ausgeführt worden wäre. Aber man scheute vor technischen Schwierigkeiten zurück. So wurde die Bahn auf dem rechten Elbufer angelegt und überschritt bei Riesa den Strom, sodaß dieser bis dahin ganz unbedeutende Ort die Rolle übernahm, die Meißen zufallen sollte. Meißen wurde erst 1869 der Dresden- Döbeln-Leipziger Bahn angegliedert und hat infolgedessen noch heute eine wenig befriedigende Verkehrslage. Trotzdem liegt Meißen inmitten einer sehr kaufkräftigen Umgebung und ist, durch die billigere Wasserfahrt begünstigt, neuerdings zu einer sehr wichtigen Fabrikstadt geworden. Der ältern Porzellanindustrie trat seit 1857 eine vom Erfinder der Weißen Kachel, Karl Teichert, begonnene Ofenfabrikation zur Seite, von der sich neuerdings wieder die Majolika-, Steingut-, Fliesen- und Kunstziegelfabrikation abgezweigt hat. Dazu kommt eine vielseitige und ausgedehnte Maschinenindustrie, die große Jutefabrik, Herstellung von Blechemballagen, Spazier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/728>, abgerufen am 05.02.2025.