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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frage der großstädtischen Personalsteuer

Personalsteuer befreit sein, und so wäre dieser Umstand eine Prämie für die
weitere Hinausverlegung des Betriebes. Zugleich wäre dies ein Ersatz für
den Gewinn, der andernfalls bei Ansiedlung in der Nähe der Großstadt aus
der Steigerung des dortigen Bodenwertes zu erhoffen gewesen wäre.

In der Umgebung jeder Großstadt bliebe dann gerade die Gebietszone,
die jetzt vorzugsweise vou industriellen Unternehmungen besiedelt wird, frei
von diesen. Dafür würde sich diese Zone, wenn auch etwas langsamer, mit
Gebunden für Wohnzwecke bedecken, da die Großstädte, wie Sombart an dem
angeführten Orte nachweist, trotz dem Auszug der Großindustrie weiterwachsen.
An Stelle der Jndustrievorstädte würden Gartenvorstädte die Großstädte von
allen Seiten umgeben, während die Ansiedlung der neuen industriellen Be¬
triebe in den Ortschaften jenseits dieser Zone erfolgte, deren geschäftliche
Leitung dagegen in der Großstadt auch weiterhin ihren Sitz hätte. Ist diese
Bewegung dann einmal eingeleitet, so wird sich die Industrie immer mehr
auf das Land verbreiten.

Gegen diesen Vorschlag ist eingewandt worden, er erwecke verfassungs¬
rechtliche Bedenken. Solche Bedenken dürften schwerlich ernst genommen werden.
Wir haben schon eine ganze Reihe von Steuern, die nur in Großstädten er¬
hoben werden, die Warenhaussteuer, die Börsensteuer usw. Dagegen sind von
jeher fast alle Maßregeln des Staats darauf berechnet gewesen, das Anwachsen
der Großstädte zu fördern.

In frühern Zeiten wurden zu diesem Zwecke den Städten besondre Privi¬
legien verliehen; sie erhielten das alleinige Stapelrecht, nur in ihnen durften
Märkte abgehalten werden, während diese in den übrigen Landesteilen ver¬
boten wurden, und dergleichen mehr. Auch direkte pekuniäre Unterstützungen
wurden ihnen zuteil. Sogar der sparsame König Friedrich Wilhelm der Erste
zahlte Bauprümien für die Errichtung von Häusern in Berlin, und Friedrich
der Große ließ den Berlinern sogar Hunderte von Häusern auf Staatskosten
erbauen.

In der Gegenwart geschieht die Begünstigung der Großstädte in der
Form, daß von den Staatseinnahmen, die durch Steuern im ganzen Lande
aufgebracht werden, weitaus der größte Teil in den Großstädten ausgegeben
wird, während nur ein geringer Betrag auf indirekten Wege wieder in die
übrigen Landesteile zurückfließt. Von den Staatsbeamten, deren Zahl sich in
neuerer Zeit sehr bedeutend vermehrt hat, wohnen die meisten und höchst be¬
soldeten in den Großstädten. Alle Jahre läßt der Staat neue große Gebäude
in den Großstädten aufführen und neue Institute für wirtschaftliche, wissen¬
schaftliche und künstlerische Zwecke einrichten. Dazu kommt die Verbesserung
der Verkehrsmittel zugunsten der Großstädte und vieles andre. So ist jeder
Vorschlag eines Staatshaushalts ein Ausnahmegesetz zur Beförderung des
Anwachsens der Großstädte. Die Personalsteuer wäre nur ein müßiges Äqui¬
valent, das die Großstädte für alle diese Vergünstigungen zu leisten hätten.

Dieses ständige Eingreifen des Staats in das Wirtschaftsleben zugunsten
der Großstädte würde an sich unbedenklich sein, wenn es nicht weitere Folgen
hätte, die in demselben Sinne wirkten. Die Begünstigung der Großstädte


Zur Frage der großstädtischen Personalsteuer

Personalsteuer befreit sein, und so wäre dieser Umstand eine Prämie für die
weitere Hinausverlegung des Betriebes. Zugleich wäre dies ein Ersatz für
den Gewinn, der andernfalls bei Ansiedlung in der Nähe der Großstadt aus
der Steigerung des dortigen Bodenwertes zu erhoffen gewesen wäre.

In der Umgebung jeder Großstadt bliebe dann gerade die Gebietszone,
die jetzt vorzugsweise vou industriellen Unternehmungen besiedelt wird, frei
von diesen. Dafür würde sich diese Zone, wenn auch etwas langsamer, mit
Gebunden für Wohnzwecke bedecken, da die Großstädte, wie Sombart an dem
angeführten Orte nachweist, trotz dem Auszug der Großindustrie weiterwachsen.
An Stelle der Jndustrievorstädte würden Gartenvorstädte die Großstädte von
allen Seiten umgeben, während die Ansiedlung der neuen industriellen Be¬
triebe in den Ortschaften jenseits dieser Zone erfolgte, deren geschäftliche
Leitung dagegen in der Großstadt auch weiterhin ihren Sitz hätte. Ist diese
Bewegung dann einmal eingeleitet, so wird sich die Industrie immer mehr
auf das Land verbreiten.

Gegen diesen Vorschlag ist eingewandt worden, er erwecke verfassungs¬
rechtliche Bedenken. Solche Bedenken dürften schwerlich ernst genommen werden.
Wir haben schon eine ganze Reihe von Steuern, die nur in Großstädten er¬
hoben werden, die Warenhaussteuer, die Börsensteuer usw. Dagegen sind von
jeher fast alle Maßregeln des Staats darauf berechnet gewesen, das Anwachsen
der Großstädte zu fördern.

In frühern Zeiten wurden zu diesem Zwecke den Städten besondre Privi¬
legien verliehen; sie erhielten das alleinige Stapelrecht, nur in ihnen durften
Märkte abgehalten werden, während diese in den übrigen Landesteilen ver¬
boten wurden, und dergleichen mehr. Auch direkte pekuniäre Unterstützungen
wurden ihnen zuteil. Sogar der sparsame König Friedrich Wilhelm der Erste
zahlte Bauprümien für die Errichtung von Häusern in Berlin, und Friedrich
der Große ließ den Berlinern sogar Hunderte von Häusern auf Staatskosten
erbauen.

In der Gegenwart geschieht die Begünstigung der Großstädte in der
Form, daß von den Staatseinnahmen, die durch Steuern im ganzen Lande
aufgebracht werden, weitaus der größte Teil in den Großstädten ausgegeben
wird, während nur ein geringer Betrag auf indirekten Wege wieder in die
übrigen Landesteile zurückfließt. Von den Staatsbeamten, deren Zahl sich in
neuerer Zeit sehr bedeutend vermehrt hat, wohnen die meisten und höchst be¬
soldeten in den Großstädten. Alle Jahre läßt der Staat neue große Gebäude
in den Großstädten aufführen und neue Institute für wirtschaftliche, wissen¬
schaftliche und künstlerische Zwecke einrichten. Dazu kommt die Verbesserung
der Verkehrsmittel zugunsten der Großstädte und vieles andre. So ist jeder
Vorschlag eines Staatshaushalts ein Ausnahmegesetz zur Beförderung des
Anwachsens der Großstädte. Die Personalsteuer wäre nur ein müßiges Äqui¬
valent, das die Großstädte für alle diese Vergünstigungen zu leisten hätten.

Dieses ständige Eingreifen des Staats in das Wirtschaftsleben zugunsten
der Großstädte würde an sich unbedenklich sein, wenn es nicht weitere Folgen
hätte, die in demselben Sinne wirkten. Die Begünstigung der Großstädte


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[0696] Zur Frage der großstädtischen Personalsteuer Personalsteuer befreit sein, und so wäre dieser Umstand eine Prämie für die weitere Hinausverlegung des Betriebes. Zugleich wäre dies ein Ersatz für den Gewinn, der andernfalls bei Ansiedlung in der Nähe der Großstadt aus der Steigerung des dortigen Bodenwertes zu erhoffen gewesen wäre. In der Umgebung jeder Großstadt bliebe dann gerade die Gebietszone, die jetzt vorzugsweise vou industriellen Unternehmungen besiedelt wird, frei von diesen. Dafür würde sich diese Zone, wenn auch etwas langsamer, mit Gebunden für Wohnzwecke bedecken, da die Großstädte, wie Sombart an dem angeführten Orte nachweist, trotz dem Auszug der Großindustrie weiterwachsen. An Stelle der Jndustrievorstädte würden Gartenvorstädte die Großstädte von allen Seiten umgeben, während die Ansiedlung der neuen industriellen Be¬ triebe in den Ortschaften jenseits dieser Zone erfolgte, deren geschäftliche Leitung dagegen in der Großstadt auch weiterhin ihren Sitz hätte. Ist diese Bewegung dann einmal eingeleitet, so wird sich die Industrie immer mehr auf das Land verbreiten. Gegen diesen Vorschlag ist eingewandt worden, er erwecke verfassungs¬ rechtliche Bedenken. Solche Bedenken dürften schwerlich ernst genommen werden. Wir haben schon eine ganze Reihe von Steuern, die nur in Großstädten er¬ hoben werden, die Warenhaussteuer, die Börsensteuer usw. Dagegen sind von jeher fast alle Maßregeln des Staats darauf berechnet gewesen, das Anwachsen der Großstädte zu fördern. In frühern Zeiten wurden zu diesem Zwecke den Städten besondre Privi¬ legien verliehen; sie erhielten das alleinige Stapelrecht, nur in ihnen durften Märkte abgehalten werden, während diese in den übrigen Landesteilen ver¬ boten wurden, und dergleichen mehr. Auch direkte pekuniäre Unterstützungen wurden ihnen zuteil. Sogar der sparsame König Friedrich Wilhelm der Erste zahlte Bauprümien für die Errichtung von Häusern in Berlin, und Friedrich der Große ließ den Berlinern sogar Hunderte von Häusern auf Staatskosten erbauen. In der Gegenwart geschieht die Begünstigung der Großstädte in der Form, daß von den Staatseinnahmen, die durch Steuern im ganzen Lande aufgebracht werden, weitaus der größte Teil in den Großstädten ausgegeben wird, während nur ein geringer Betrag auf indirekten Wege wieder in die übrigen Landesteile zurückfließt. Von den Staatsbeamten, deren Zahl sich in neuerer Zeit sehr bedeutend vermehrt hat, wohnen die meisten und höchst be¬ soldeten in den Großstädten. Alle Jahre läßt der Staat neue große Gebäude in den Großstädten aufführen und neue Institute für wirtschaftliche, wissen¬ schaftliche und künstlerische Zwecke einrichten. Dazu kommt die Verbesserung der Verkehrsmittel zugunsten der Großstädte und vieles andre. So ist jeder Vorschlag eines Staatshaushalts ein Ausnahmegesetz zur Beförderung des Anwachsens der Großstädte. Die Personalsteuer wäre nur ein müßiges Äqui¬ valent, das die Großstädte für alle diese Vergünstigungen zu leisten hätten. Dieses ständige Eingreifen des Staats in das Wirtschaftsleben zugunsten der Großstädte würde an sich unbedenklich sein, wenn es nicht weitere Folgen hätte, die in demselben Sinne wirkten. Die Begünstigung der Großstädte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/696>, abgerufen am 06.02.2025.