Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Ägypten usw. müßte folgerichtig wieder aufleben. Ohne seinem Standpunkt etwas Soeben sehen wir uns in die Notwendigkeit verseht, in größerm Umfange, als Maßgebliches und Unmaßgebliches Ägypten usw. müßte folgerichtig wieder aufleben. Ohne seinem Standpunkt etwas Soeben sehen wir uns in die Notwendigkeit verseht, in größerm Umfange, als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0689" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297068"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3189" prev="#ID_3188"> Ägypten usw. müßte folgerichtig wieder aufleben. Ohne seinem Standpunkt etwas<lb/> zu vergeben, kann England erklären, daß es zur Beschickung der Konferenz keinen<lb/> Anlaß mehr hat, aber im voraus alle Ergebnisse der Konferenz anerkennt, denen<lb/> sich Frankreich unterwirft. Die Konferenz würde somit nicht an England, sondern<lb/> nur an Frankreich scheitern können, das vor der Alternative steht, die Beschickung<lb/> abzulehnen und damit in der Delcasftschen Sackgasse zu bleiben, oder — den Ver¬<lb/> such zu machen, sich der Konferenz zur Bestätigung der französischen Wünsche zu<lb/> bedienen, wozu freilich eine vorherige Verständigung mit Deutschland gehören<lb/> würde. Wie es scheint, wird Frankreich die Konferenz nicht ablehnen. Der Sultan<lb/> hat den sehr korrekten Standpunkt eingenommen, daß er bei aller Anerkennung<lb/> der Notwendigkeit von Reformen solche doch nur in dem Umfang und mit den<lb/> Modalitäten zulassen kann, die die Signatarmächte von 1880 gutheißen. Ver¬<lb/> zichten diese in der Mehrzahl auf die Geltendmachung ihrer Rechte, indem sie die<lb/> Konferenz nicht beschicken, so haben es der Sultan und die französische Regierung<lb/> nur noch mit den Mächten zu tun, die ihre durch die Madrider Konvention oder<lb/> durch besondre Verträge mit Marokko erworbnen Rechte und Interessen nicht ohne<lb/> weiteres preisgeben wollen. In der englischen Presse ist nun die Ansicht geäußert<lb/> worden, daß sich Frankreich den deutschen Einspruch leicht durch Abtretung eines<lb/> Hafens im Süden von Marokko vom Halse schaffen könnte. Nach deutscher Auf¬<lb/> fassung hat Frankreich in und von Marokko nichts zu verschenken, das kann höchstens<lb/> der souveräne Sultan. Sollte dieser uns die Abtretung oder die Pachtung eines<lb/> Hafengebicts vorschlagen, so hätte Deutschland zu erwägen, ob es sich ein zweites<lb/> Kiautschou zulegen will, durch das es dauernd in neue Berührungen mit Frank¬<lb/> reich und und der muhnmmedcmischen Welt gelangen würde. In der weitern Ent¬<lb/> wicklung der Dinge werden Schwierigkeiten und Kämpfe zwischen Frankreich und<lb/> Marokko, oder doch den Marokkanern, unvermeidlich sein, und Deutschland würde<lb/> dann leicht Gefahr laufen, in Mitleidenschaft gezogen zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3190" next="#ID_3191"> Soeben sehen wir uns in die Notwendigkeit verseht, in größerm Umfange, als<lb/> ursprünglich beabsichtigt war, an die Befestigung des Hafens von Tsingtau zu gehn,<lb/> um ihn wenigstens gegen einen Handstreich zu schützen — haben wir einmal den<lb/> Fuß auf marokkanisches Gebiet gesetzt, so ist damit der Anfang eines Wegs be¬<lb/> treten, dessen Ende nicht abgesehen werden kann. Ein Hafen an der südmarokkanischen<lb/> Küste würde allenfalls die Bedeutung einer Kohlenstation für unsre nach Westafrika<lb/> und Südwestafrika gehenden Schiffe haben, aber diese Kohlen waren bisher in<lb/> Teneriffa usw. ohne Schwierigkeit zu erlangen. Nehmen wir einen Hafen oder ein<lb/> Stück Küste von Marokko, so fällt uns auch die Erschließung des Hinterlandes<lb/> zu, es müßten also die deutsche und die französische Interessensphäre gleich sehr<lb/> genau abgegrenzt werden, zumal bei deu Bestrebungen Frankreichs, ein großes fran¬<lb/> zösisches Afrika im Westen dieses Weltteils zu schaffen, wie England im Osten.<lb/> Ohne eine weit nach Süden und Osten gesicherte Interessensphäre im Hinterkante<lb/> hätte ein Hafen zunächst kaum den Wert einer Einfuhrstation, wir würden im<lb/> Gegenteil in einen schwierigen Wettbewerb mit Frankreich treten und mit dessen<lb/> begreiflichen Interesse, mit großer Kapitalkraft in Marokko zu arbeiten. Der ge¬<lb/> heime Vertrag, den der Sultan vor Jahresfrist mit der Lamp.us as ?rimcs se<lb/> as« das abgeschlossen hat, sichert dieser ohnehin wirtschaftlich einen großen<lb/> Einfluß. Zudem hätte die gesamte deutsche Einfuhr nach Marokko mit der viel<lb/> längern Reise von Bremen, Antwerpen oder Rotterdam aus und den entsprechend<lb/> höhern Frachtsätzen zu rechnen. Kurzum, es handelte sich für Deutschland um ein<lb/> neues Wirtschaftsgebiet, zu dessen nutzbringender Eröffnung große Kapitalien nötig<lb/> wären. sind wir uun aber auch reich genug, an solche Unternehmungen zugleich<lb/> in China und in Marokko, in der Südsee, in West-, Ost- und Südwestafrika zu<lb/> gehn? Reich genug an Menschen jedenfalls, und bei einer bald vierzigjährigen<lb/> Friedensperiode wird auch die Frage nach dem vorhandnen Kapital nicht verneint<lb/> zu werden brauchen. Den Fuß nach Marokko setzen, heißt für Deutschland die<lb/> Saat einer fernen Zukunft ausstreuen und kommenden Geschlechtern neue Ziele</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0689]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ägypten usw. müßte folgerichtig wieder aufleben. Ohne seinem Standpunkt etwas
zu vergeben, kann England erklären, daß es zur Beschickung der Konferenz keinen
Anlaß mehr hat, aber im voraus alle Ergebnisse der Konferenz anerkennt, denen
sich Frankreich unterwirft. Die Konferenz würde somit nicht an England, sondern
nur an Frankreich scheitern können, das vor der Alternative steht, die Beschickung
abzulehnen und damit in der Delcasftschen Sackgasse zu bleiben, oder — den Ver¬
such zu machen, sich der Konferenz zur Bestätigung der französischen Wünsche zu
bedienen, wozu freilich eine vorherige Verständigung mit Deutschland gehören
würde. Wie es scheint, wird Frankreich die Konferenz nicht ablehnen. Der Sultan
hat den sehr korrekten Standpunkt eingenommen, daß er bei aller Anerkennung
der Notwendigkeit von Reformen solche doch nur in dem Umfang und mit den
Modalitäten zulassen kann, die die Signatarmächte von 1880 gutheißen. Ver¬
zichten diese in der Mehrzahl auf die Geltendmachung ihrer Rechte, indem sie die
Konferenz nicht beschicken, so haben es der Sultan und die französische Regierung
nur noch mit den Mächten zu tun, die ihre durch die Madrider Konvention oder
durch besondre Verträge mit Marokko erworbnen Rechte und Interessen nicht ohne
weiteres preisgeben wollen. In der englischen Presse ist nun die Ansicht geäußert
worden, daß sich Frankreich den deutschen Einspruch leicht durch Abtretung eines
Hafens im Süden von Marokko vom Halse schaffen könnte. Nach deutscher Auf¬
fassung hat Frankreich in und von Marokko nichts zu verschenken, das kann höchstens
der souveräne Sultan. Sollte dieser uns die Abtretung oder die Pachtung eines
Hafengebicts vorschlagen, so hätte Deutschland zu erwägen, ob es sich ein zweites
Kiautschou zulegen will, durch das es dauernd in neue Berührungen mit Frank¬
reich und und der muhnmmedcmischen Welt gelangen würde. In der weitern Ent¬
wicklung der Dinge werden Schwierigkeiten und Kämpfe zwischen Frankreich und
Marokko, oder doch den Marokkanern, unvermeidlich sein, und Deutschland würde
dann leicht Gefahr laufen, in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Soeben sehen wir uns in die Notwendigkeit verseht, in größerm Umfange, als
ursprünglich beabsichtigt war, an die Befestigung des Hafens von Tsingtau zu gehn,
um ihn wenigstens gegen einen Handstreich zu schützen — haben wir einmal den
Fuß auf marokkanisches Gebiet gesetzt, so ist damit der Anfang eines Wegs be¬
treten, dessen Ende nicht abgesehen werden kann. Ein Hafen an der südmarokkanischen
Küste würde allenfalls die Bedeutung einer Kohlenstation für unsre nach Westafrika
und Südwestafrika gehenden Schiffe haben, aber diese Kohlen waren bisher in
Teneriffa usw. ohne Schwierigkeit zu erlangen. Nehmen wir einen Hafen oder ein
Stück Küste von Marokko, so fällt uns auch die Erschließung des Hinterlandes
zu, es müßten also die deutsche und die französische Interessensphäre gleich sehr
genau abgegrenzt werden, zumal bei deu Bestrebungen Frankreichs, ein großes fran¬
zösisches Afrika im Westen dieses Weltteils zu schaffen, wie England im Osten.
Ohne eine weit nach Süden und Osten gesicherte Interessensphäre im Hinterkante
hätte ein Hafen zunächst kaum den Wert einer Einfuhrstation, wir würden im
Gegenteil in einen schwierigen Wettbewerb mit Frankreich treten und mit dessen
begreiflichen Interesse, mit großer Kapitalkraft in Marokko zu arbeiten. Der ge¬
heime Vertrag, den der Sultan vor Jahresfrist mit der Lamp.us as ?rimcs se
as« das abgeschlossen hat, sichert dieser ohnehin wirtschaftlich einen großen
Einfluß. Zudem hätte die gesamte deutsche Einfuhr nach Marokko mit der viel
längern Reise von Bremen, Antwerpen oder Rotterdam aus und den entsprechend
höhern Frachtsätzen zu rechnen. Kurzum, es handelte sich für Deutschland um ein
neues Wirtschaftsgebiet, zu dessen nutzbringender Eröffnung große Kapitalien nötig
wären. sind wir uun aber auch reich genug, an solche Unternehmungen zugleich
in China und in Marokko, in der Südsee, in West-, Ost- und Südwestafrika zu
gehn? Reich genug an Menschen jedenfalls, und bei einer bald vierzigjährigen
Friedensperiode wird auch die Frage nach dem vorhandnen Kapital nicht verneint
zu werden brauchen. Den Fuß nach Marokko setzen, heißt für Deutschland die
Saat einer fernen Zukunft ausstreuen und kommenden Geschlechtern neue Ziele
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |