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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Der Doktor kam auf seine zuerst ausgesprochne Idee, für Tapnicken einen
eignen Geistlichen zu schaffen, zurück. Der Herr Pastor hielt den Gedanken für
sehr schön, aber für gänzlich hoffnungslos.

Ich finde doch nicht, sagte Ramborn. Aus sozialen, sittlichen wie religiösen
Gründen ist es überaus wünschenswert, daß die Leute einen Geistlichen haben, der
am Orte wohnt. Die geistliche Behörde hat die Pflicht, solchen Bedürfnissen ab¬
zuhelfen. Man muß ihr die Sache nur ordentlich vorstellen. Wenn Sie mir ge¬
statten, werde ich an das Königliche Konsistorium schreiben.

Tun Sie es nicht, erwiderte der Herr Pastor. Sie werden nur einen Mi߬
erfolg haben.

Aber der Doktor tat es doch. Er schrieb an das Konsistorium, er schrieb
sich in Eifer, er betonte die Notwendigkeit christlicher Beratung und geistlicher
Pflege mit so warmen Worten, er schilderte die Folgen der geistlichen Vereinsamung
bei der Tapnicker Fischereivevölkernng, die Gefahr der Sektenbildung, die sozialen
Aufgaben eines Pfarrers mit so lebhaften Farben, daß er sich über seinen Brief
selbst wunderte. Aber er durfte ja im Interesse des Volkes so schreiben, wenn
auch sein eigner Standpunkt ein andrer war. Dem Volke mußte die Religion er¬
halten bleiben, es braucht Schärfung des Gewissens, Buße und Gottvertrauen, eine
Ethik ihrer Art, die der geistig Höherstehende allerdings umwertet. Und dies
brauchte ganz besonders dieses litauische Volk mit seinen argen Lastern und seinem
lebendigen religiösen Bedürfnis.

Er mußte lange auf Antwort warten. Dann erhielt er ein Schreiben, worin
ihm Worte der Anerkennung für seine echt christliche Fürsorge für die Seelen der
Herde Jesu Christi ausgesprochen wurden, ihm jedoch mit dem Ausdruck des Be¬
dauerns eröffnet werden mußte, daß bei dem gänzlichen Mangel an Fonds und
der Leistungsunfähigkeit der Gemeinde davon Abstand genommen werden müsse,
Tapnicken zu einem selbständigen Parochialbezirk zu erheben. Dagegen wurde dem
Doktor, indem das Konsistorium Bezug aus die Lehre vom allgemeinen Priestertum
nahm, "in das Gewissen geschoben," seinerseits alles das zu tun, was er in seiner
Einga.be als notwendig hingestellt hatte.

Der Doktor sah das Schriftstück mit Verwunderung an. Dann warf er es
unmutig auf den Tisch und rief: Wenn ich selber meine Schultern hätte darbieten
wollen, oder wenn ich geglaubt hätte, daß ich der rechte Mann sei, so hätte ich
das Konsistorium nicht zu fragen brauchen!

Der Herr Pastor hatte versprochen, bald wieder zu kommen, dennoch war es
erst kurz vor dem Ende des Winters, ehe sein Schlitten wieder vor dem preußischen
Schlößchen hielt. Er hatte gar zu viel zu tun gehabt und auch, wenn er in Tap¬
nicken gewesen war, keine halbe Stunde erübrigen können, vorzusprechen. Jetzt kam
er nun an, nachdem er sich einen ganzen Nachmittag frei gemacht hatte, einerseits,
um den Besuch zu erwidern, den ihm der Doktor und Tauenden gemacht hatten,
andrerseits des Herrn Kandidaten wegen.

Der Herr Kandidat, ja der Herr Kandidat! Es war ein Leiden, daß es
nicht gelang, mit ihm in vertraulichere Beziehungen zu kommen. Der Herr Kan¬
didat war unzweifelhaft ein guter Mensch -- hier hören wir die Stimme Tantchens
klingen --, er kam mit Tauenden vortrefflich aus, er war ihr steter Begleiter bei
ihren ärztlichen Gängen durch das Dorf, er war jederzeit hilfbereit, der alten
Lore hat er mehr als einmal das Bett gemacht, und es war kein Wetter so schlecht
gewesen, daß es ihn hätte verhindern können, seine Kaffeeexpedition aufs Eis zu
machen. Aber für den geselligen Verkehr leistete er doch gar zu wenig. Er trank
nicht einmal ein Glas Wein, er rührte keine Karte an, er konnte nicht Schach
spielen, und ebensowenig war er musikalisch. Er interessierte sich für nichts als
für seine Theologie und seinen Unterricht. Meist schwieg er, wenn er aber einmal
redete, so sprach er von Buße und Gnade und dem Sündenelend, worin alle
Menschen liegen sollten. Und man fühlte doch von diesem Elend nichts, nicht


Herrenmenschen

Der Doktor kam auf seine zuerst ausgesprochne Idee, für Tapnicken einen
eignen Geistlichen zu schaffen, zurück. Der Herr Pastor hielt den Gedanken für
sehr schön, aber für gänzlich hoffnungslos.

Ich finde doch nicht, sagte Ramborn. Aus sozialen, sittlichen wie religiösen
Gründen ist es überaus wünschenswert, daß die Leute einen Geistlichen haben, der
am Orte wohnt. Die geistliche Behörde hat die Pflicht, solchen Bedürfnissen ab¬
zuhelfen. Man muß ihr die Sache nur ordentlich vorstellen. Wenn Sie mir ge¬
statten, werde ich an das Königliche Konsistorium schreiben.

Tun Sie es nicht, erwiderte der Herr Pastor. Sie werden nur einen Mi߬
erfolg haben.

Aber der Doktor tat es doch. Er schrieb an das Konsistorium, er schrieb
sich in Eifer, er betonte die Notwendigkeit christlicher Beratung und geistlicher
Pflege mit so warmen Worten, er schilderte die Folgen der geistlichen Vereinsamung
bei der Tapnicker Fischereivevölkernng, die Gefahr der Sektenbildung, die sozialen
Aufgaben eines Pfarrers mit so lebhaften Farben, daß er sich über seinen Brief
selbst wunderte. Aber er durfte ja im Interesse des Volkes so schreiben, wenn
auch sein eigner Standpunkt ein andrer war. Dem Volke mußte die Religion er¬
halten bleiben, es braucht Schärfung des Gewissens, Buße und Gottvertrauen, eine
Ethik ihrer Art, die der geistig Höherstehende allerdings umwertet. Und dies
brauchte ganz besonders dieses litauische Volk mit seinen argen Lastern und seinem
lebendigen religiösen Bedürfnis.

Er mußte lange auf Antwort warten. Dann erhielt er ein Schreiben, worin
ihm Worte der Anerkennung für seine echt christliche Fürsorge für die Seelen der
Herde Jesu Christi ausgesprochen wurden, ihm jedoch mit dem Ausdruck des Be¬
dauerns eröffnet werden mußte, daß bei dem gänzlichen Mangel an Fonds und
der Leistungsunfähigkeit der Gemeinde davon Abstand genommen werden müsse,
Tapnicken zu einem selbständigen Parochialbezirk zu erheben. Dagegen wurde dem
Doktor, indem das Konsistorium Bezug aus die Lehre vom allgemeinen Priestertum
nahm, „in das Gewissen geschoben," seinerseits alles das zu tun, was er in seiner
Einga.be als notwendig hingestellt hatte.

Der Doktor sah das Schriftstück mit Verwunderung an. Dann warf er es
unmutig auf den Tisch und rief: Wenn ich selber meine Schultern hätte darbieten
wollen, oder wenn ich geglaubt hätte, daß ich der rechte Mann sei, so hätte ich
das Konsistorium nicht zu fragen brauchen!

Der Herr Pastor hatte versprochen, bald wieder zu kommen, dennoch war es
erst kurz vor dem Ende des Winters, ehe sein Schlitten wieder vor dem preußischen
Schlößchen hielt. Er hatte gar zu viel zu tun gehabt und auch, wenn er in Tap¬
nicken gewesen war, keine halbe Stunde erübrigen können, vorzusprechen. Jetzt kam
er nun an, nachdem er sich einen ganzen Nachmittag frei gemacht hatte, einerseits,
um den Besuch zu erwidern, den ihm der Doktor und Tauenden gemacht hatten,
andrerseits des Herrn Kandidaten wegen.

Der Herr Kandidat, ja der Herr Kandidat! Es war ein Leiden, daß es
nicht gelang, mit ihm in vertraulichere Beziehungen zu kommen. Der Herr Kan¬
didat war unzweifelhaft ein guter Mensch — hier hören wir die Stimme Tantchens
klingen —, er kam mit Tauenden vortrefflich aus, er war ihr steter Begleiter bei
ihren ärztlichen Gängen durch das Dorf, er war jederzeit hilfbereit, der alten
Lore hat er mehr als einmal das Bett gemacht, und es war kein Wetter so schlecht
gewesen, daß es ihn hätte verhindern können, seine Kaffeeexpedition aufs Eis zu
machen. Aber für den geselligen Verkehr leistete er doch gar zu wenig. Er trank
nicht einmal ein Glas Wein, er rührte keine Karte an, er konnte nicht Schach
spielen, und ebensowenig war er musikalisch. Er interessierte sich für nichts als
für seine Theologie und seinen Unterricht. Meist schwieg er, wenn er aber einmal
redete, so sprach er von Buße und Gnade und dem Sündenelend, worin alle
Menschen liegen sollten. Und man fühlte doch von diesem Elend nichts, nicht


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[0683] Herrenmenschen Der Doktor kam auf seine zuerst ausgesprochne Idee, für Tapnicken einen eignen Geistlichen zu schaffen, zurück. Der Herr Pastor hielt den Gedanken für sehr schön, aber für gänzlich hoffnungslos. Ich finde doch nicht, sagte Ramborn. Aus sozialen, sittlichen wie religiösen Gründen ist es überaus wünschenswert, daß die Leute einen Geistlichen haben, der am Orte wohnt. Die geistliche Behörde hat die Pflicht, solchen Bedürfnissen ab¬ zuhelfen. Man muß ihr die Sache nur ordentlich vorstellen. Wenn Sie mir ge¬ statten, werde ich an das Königliche Konsistorium schreiben. Tun Sie es nicht, erwiderte der Herr Pastor. Sie werden nur einen Mi߬ erfolg haben. Aber der Doktor tat es doch. Er schrieb an das Konsistorium, er schrieb sich in Eifer, er betonte die Notwendigkeit christlicher Beratung und geistlicher Pflege mit so warmen Worten, er schilderte die Folgen der geistlichen Vereinsamung bei der Tapnicker Fischereivevölkernng, die Gefahr der Sektenbildung, die sozialen Aufgaben eines Pfarrers mit so lebhaften Farben, daß er sich über seinen Brief selbst wunderte. Aber er durfte ja im Interesse des Volkes so schreiben, wenn auch sein eigner Standpunkt ein andrer war. Dem Volke mußte die Religion er¬ halten bleiben, es braucht Schärfung des Gewissens, Buße und Gottvertrauen, eine Ethik ihrer Art, die der geistig Höherstehende allerdings umwertet. Und dies brauchte ganz besonders dieses litauische Volk mit seinen argen Lastern und seinem lebendigen religiösen Bedürfnis. Er mußte lange auf Antwort warten. Dann erhielt er ein Schreiben, worin ihm Worte der Anerkennung für seine echt christliche Fürsorge für die Seelen der Herde Jesu Christi ausgesprochen wurden, ihm jedoch mit dem Ausdruck des Be¬ dauerns eröffnet werden mußte, daß bei dem gänzlichen Mangel an Fonds und der Leistungsunfähigkeit der Gemeinde davon Abstand genommen werden müsse, Tapnicken zu einem selbständigen Parochialbezirk zu erheben. Dagegen wurde dem Doktor, indem das Konsistorium Bezug aus die Lehre vom allgemeinen Priestertum nahm, „in das Gewissen geschoben," seinerseits alles das zu tun, was er in seiner Einga.be als notwendig hingestellt hatte. Der Doktor sah das Schriftstück mit Verwunderung an. Dann warf er es unmutig auf den Tisch und rief: Wenn ich selber meine Schultern hätte darbieten wollen, oder wenn ich geglaubt hätte, daß ich der rechte Mann sei, so hätte ich das Konsistorium nicht zu fragen brauchen! Der Herr Pastor hatte versprochen, bald wieder zu kommen, dennoch war es erst kurz vor dem Ende des Winters, ehe sein Schlitten wieder vor dem preußischen Schlößchen hielt. Er hatte gar zu viel zu tun gehabt und auch, wenn er in Tap¬ nicken gewesen war, keine halbe Stunde erübrigen können, vorzusprechen. Jetzt kam er nun an, nachdem er sich einen ganzen Nachmittag frei gemacht hatte, einerseits, um den Besuch zu erwidern, den ihm der Doktor und Tauenden gemacht hatten, andrerseits des Herrn Kandidaten wegen. Der Herr Kandidat, ja der Herr Kandidat! Es war ein Leiden, daß es nicht gelang, mit ihm in vertraulichere Beziehungen zu kommen. Der Herr Kan¬ didat war unzweifelhaft ein guter Mensch — hier hören wir die Stimme Tantchens klingen —, er kam mit Tauenden vortrefflich aus, er war ihr steter Begleiter bei ihren ärztlichen Gängen durch das Dorf, er war jederzeit hilfbereit, der alten Lore hat er mehr als einmal das Bett gemacht, und es war kein Wetter so schlecht gewesen, daß es ihn hätte verhindern können, seine Kaffeeexpedition aufs Eis zu machen. Aber für den geselligen Verkehr leistete er doch gar zu wenig. Er trank nicht einmal ein Glas Wein, er rührte keine Karte an, er konnte nicht Schach spielen, und ebensowenig war er musikalisch. Er interessierte sich für nichts als für seine Theologie und seinen Unterricht. Meist schwieg er, wenn er aber einmal redete, so sprach er von Buße und Gnade und dem Sündenelend, worin alle Menschen liegen sollten. Und man fühlte doch von diesem Elend nichts, nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/683>, abgerufen am 06.02.2025.