Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Ein Dresdner Don Juan vorgehenden Fanatismus kommt ihnen kein andres Volk gleich; an feiner Von dem Moliereschen Don Juan meinen sie, es sei eine Entstellung Man wird wohl kaum fehlgehn, wenn man annimmt, Mozart, falls er Die Frage, ob der Sänger aus dem Helden der Oper einen Italiener machen Ein Dresdner Don Juan vorgehenden Fanatismus kommt ihnen kein andres Volk gleich; an feiner Von dem Moliereschen Don Juan meinen sie, es sei eine Entstellung Man wird wohl kaum fehlgehn, wenn man annimmt, Mozart, falls er Die Frage, ob der Sänger aus dem Helden der Oper einen Italiener machen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0665" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297044"/> <fw type="header" place="top"> Ein Dresdner Don Juan</fw><lb/> <p xml:id="ID_3031" prev="#ID_3030"> vorgehenden Fanatismus kommt ihnen kein andres Volk gleich; an feiner<lb/> Lebensart, Höflichkeitsfloskeln, Starrheit der Formen und Begriffe übertreffen<lb/> sie uns alle.</p><lb/> <p xml:id="ID_3032"> Von dem Moliereschen Don Juan meinen sie, es sei eine Entstellung<lb/> (als las manos ä«l Araii oowioo tranvvs Mio von ^nau ÄösÜAuraäo), und<lb/> deren Grund suchen sie in dem Umstände, daß Tirso ein Frommglüubigcr<lb/> (reliAioso), Moliere ein Freidenker (ässprsoeuMo) gewesen sei. Pi y Margall<lb/> findet, von allen Don Juans komme der Lord Byrons dem Tirsoschen Urbild<lb/> am nächsten: die fast übermenschliche Auflehnung gegen jeden Zwang und<lb/> gegen jede Autorität, die den Byronschen Don Juan charakterisiert und sich<lb/> — man möchte fast sagen als Karikatur — in unserm Nietzsche wiederfindet,<lb/> ist in der Tat auch dem Tirsoschen Tenorio eigen. Freilich ist das Wort,<lb/> das er bei jeder Gelegenheit im Munde führt: pah, es ist noch lange Zeit<lb/> (tan ig.i'0'o me 1o tuis?) mehr ein Beweis seines Leichtsinns als eines satanischen<lb/> Stolzes.</p><lb/> <p xml:id="ID_3033"> Man wird wohl kaum fehlgehn, wenn man annimmt, Mozart, falls er<lb/> den Text für seine Oper dem Tirsoschen Stücke selbst entnommen Hütte, statt<lb/> dafür einen Andern sorgen zu lassen, würde dem nicht wegzuleugnenden gro߬<lb/> artigen Zuge des spanischen Originals mit der seinen« Genie angebornen Treff¬<lb/> sicherheit weit mehr gerecht geworden sein als der vor allem im Theaterwesen<lb/> und dessen Anforderungen erfahrne Abbate da Ponte; was auch in musikalischer<lb/> Beziehung die Folge einer solchen eingehender» Bekanntschaft Mozarts mit<lb/> dem spanischen Original Hütte sein können, ist schwer zu sagen. Vielleicht wäre<lb/> aus dem ärammg. ssiovoso eine Oper von ganz tragischer Bedeutung in der<lb/> Art des Vampyrs oder des Fliegenden Holländers geworden. Man hat deshalb<lb/> alle Ursache, dem Abbate dankbar zu sein, daß er das harmlos heitere Element<lb/> so in den Vordergrund zu stellen gewußt hat. denn der von ihm gelieferte Text<lb/> hat Mozart als Basis für ein Meisterwerk gedient, dessen Reiz zum Teil<lb/> — unbeschadet der einigen hochtragischen Szenen gebührenden Bewunderung —<lb/> in der heitern Naivität Leporellos, Zerlinas und Masettos liegt, und dem<lb/> auch in allen Szenen, mit Ausnahme der letzten, die etwas unverschämte<lb/> Jovialität des Helden nicht fremd gegenübersteht.</p><lb/> <p xml:id="ID_3034" next="#ID_3035"> Die Frage, ob der Sänger aus dem Helden der Oper einen Italiener machen<lb/> dürfe, wie es viele — unter ihnen auch Tamburini — unwillkürlich oder mit<lb/> Absicht getan haben, oder ob er nicht vielmehr, um die rechte Wirkung zu<lb/> erzielen, den spanischen Charakter möglichst betonen solle, ist eine Frage, die<lb/> vor fünf bis sechs Jahrzehnten, als das Interesse an den Mozartschen Meister¬<lb/> werken noch nicht durch die inzwischen erwachte Vorliebe für andre Kunst¬<lb/> ideale geschwächt war, vielfach erörtert wurde. Eine der Großfürstinnen — die<lb/> Petersburger italienische Oper konnte sich bekanntlich um so unbedenklicher mit<lb/> London und Paris messen, als die dörrenden Preise der Plätze dem Impresario<lb/> die Gewinnung der ersten Kräfte erlaubten — hatte gemeint, es komme auf<lb/> die Art, wie man diese Frage beantworte, nicht viel an, denn die erste Gesell¬<lb/> schaft sei in der ganzen Welt dieselbe, los vrais Aianäs-ssiMkuis soM los<lb/> «röiuös partout, aber so hübsch die Bemerkung an sich ist, den Nagel trifft</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0665]
Ein Dresdner Don Juan
vorgehenden Fanatismus kommt ihnen kein andres Volk gleich; an feiner
Lebensart, Höflichkeitsfloskeln, Starrheit der Formen und Begriffe übertreffen
sie uns alle.
Von dem Moliereschen Don Juan meinen sie, es sei eine Entstellung
(als las manos ä«l Araii oowioo tranvvs Mio von ^nau ÄösÜAuraäo), und
deren Grund suchen sie in dem Umstände, daß Tirso ein Frommglüubigcr
(reliAioso), Moliere ein Freidenker (ässprsoeuMo) gewesen sei. Pi y Margall
findet, von allen Don Juans komme der Lord Byrons dem Tirsoschen Urbild
am nächsten: die fast übermenschliche Auflehnung gegen jeden Zwang und
gegen jede Autorität, die den Byronschen Don Juan charakterisiert und sich
— man möchte fast sagen als Karikatur — in unserm Nietzsche wiederfindet,
ist in der Tat auch dem Tirsoschen Tenorio eigen. Freilich ist das Wort,
das er bei jeder Gelegenheit im Munde führt: pah, es ist noch lange Zeit
(tan ig.i'0'o me 1o tuis?) mehr ein Beweis seines Leichtsinns als eines satanischen
Stolzes.
Man wird wohl kaum fehlgehn, wenn man annimmt, Mozart, falls er
den Text für seine Oper dem Tirsoschen Stücke selbst entnommen Hütte, statt
dafür einen Andern sorgen zu lassen, würde dem nicht wegzuleugnenden gro߬
artigen Zuge des spanischen Originals mit der seinen« Genie angebornen Treff¬
sicherheit weit mehr gerecht geworden sein als der vor allem im Theaterwesen
und dessen Anforderungen erfahrne Abbate da Ponte; was auch in musikalischer
Beziehung die Folge einer solchen eingehender» Bekanntschaft Mozarts mit
dem spanischen Original Hütte sein können, ist schwer zu sagen. Vielleicht wäre
aus dem ärammg. ssiovoso eine Oper von ganz tragischer Bedeutung in der
Art des Vampyrs oder des Fliegenden Holländers geworden. Man hat deshalb
alle Ursache, dem Abbate dankbar zu sein, daß er das harmlos heitere Element
so in den Vordergrund zu stellen gewußt hat. denn der von ihm gelieferte Text
hat Mozart als Basis für ein Meisterwerk gedient, dessen Reiz zum Teil
— unbeschadet der einigen hochtragischen Szenen gebührenden Bewunderung —
in der heitern Naivität Leporellos, Zerlinas und Masettos liegt, und dem
auch in allen Szenen, mit Ausnahme der letzten, die etwas unverschämte
Jovialität des Helden nicht fremd gegenübersteht.
Die Frage, ob der Sänger aus dem Helden der Oper einen Italiener machen
dürfe, wie es viele — unter ihnen auch Tamburini — unwillkürlich oder mit
Absicht getan haben, oder ob er nicht vielmehr, um die rechte Wirkung zu
erzielen, den spanischen Charakter möglichst betonen solle, ist eine Frage, die
vor fünf bis sechs Jahrzehnten, als das Interesse an den Mozartschen Meister¬
werken noch nicht durch die inzwischen erwachte Vorliebe für andre Kunst¬
ideale geschwächt war, vielfach erörtert wurde. Eine der Großfürstinnen — die
Petersburger italienische Oper konnte sich bekanntlich um so unbedenklicher mit
London und Paris messen, als die dörrenden Preise der Plätze dem Impresario
die Gewinnung der ersten Kräfte erlaubten — hatte gemeint, es komme auf
die Art, wie man diese Frage beantworte, nicht viel an, denn die erste Gesell¬
schaft sei in der ganzen Welt dieselbe, los vrais Aianäs-ssiMkuis soM los
«röiuös partout, aber so hübsch die Bemerkung an sich ist, den Nagel trifft
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |