Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Gin Dresdner Don Juan Leporello und die uns durch ihren Applomb verblüffende, jedem Hindernis Die Dresdner Kapelle ist bekanntlich, wenn sie ihren guten Tag und den Aber so wenig ich die Enttäuschung des Abends der Leistung der Kapelle Gin Dresdner Don Juan Leporello und die uns durch ihren Applomb verblüffende, jedem Hindernis Die Dresdner Kapelle ist bekanntlich, wenn sie ihren guten Tag und den Aber so wenig ich die Enttäuschung des Abends der Leistung der Kapelle <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0660" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297039"/> <fw type="header" place="top"> Gin Dresdner Don Juan</fw><lb/> <p xml:id="ID_3017" prev="#ID_3016"> Leporello und die uns durch ihren Applomb verblüffende, jedem Hindernis<lb/> standhaltende, dabei aber doch eines gewissen äußern Schliffes und einer<lb/> Art Ritterlichkeit nicht entbehrende Rücksichtslosigkeit des schönen Tenorio so<lb/> zu verkörpern, daß einem neben dem musikalischen Genuß auch noch der eines<lb/> feinen Charakterlustspiels zuteil wird, wie ja Mozart selbst sein Stück als<lb/> ärklmmÄ Aiovoso bezeichnet hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_3018"> Die Dresdner Kapelle ist bekanntlich, wenn sie ihren guten Tag und den<lb/> rechten Dirigenten hat, über jedes Lob erhaben. Den Dirigenten, den ich<lb/> am Pulte zu sehen gewünscht hätte, hatte an jenem Abend eine berühmte<lb/> Traumtänzerin nach dem Neustädter Schauspielhause entführt, und sei es, daß<lb/> mir die etwas tiefere Stimmung der Instrumente im Vergleich zur Pariser<lb/> Oper unwillkürlich auffiel, sei es, daß der Dirigent eine besonders diskrete<lb/> Wiedergabe der Oper einer farbenfreudigern vorzog, sei es, daß mein Parkettsitz<lb/> ungünstig lag, sei es endlich, daß mir, ohne daß ich etwas davon wußte,<lb/> die rechte Aufnahmefähigkeit fehlte, auch die an sich schöne Leistung der<lb/> Kapelle machte mir den Eindruck, als wenn sie mehr Leben, mehr trio hätte<lb/> haben können. Nur die Mandolinenbegleitung der Canzonettcn v«d vieni!,<lb/> der Serenade, wie sie gewöhnlich genannt wird, glaube ich noch nie so<lb/> vollendet und von so reizender Klangwirkung gehört zu haben. Wenn ich<lb/> nicht irre, waren wir obendrein diesen Genuß nicht einem Saiteninstrument-<lb/> spezialisten, sondern einem der in den Reihen der Holzinstrumentvirtuosen<lb/> sitzenden Herrn schuldig, der sich mit der letzten Note der zum doppelt ge-<lb/> strichnen Ä aufsteigenden D-Dur-Skala, als wäre nichts geschehen, und als<lb/> hatte er keine Kunstleistung ersten Ranges so ganz nebenbei absolviert, wiederum<lb/> der Klarinette zuwandte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3019" next="#ID_3020"> Aber so wenig ich die Enttäuschung des Abends der Leistung der Kapelle<lb/> zuschreiben konnte, ebenso wenig war daran die Inszenierung schuld, die,<lb/> namentlich was die Dekorationen anlangt, außerordentlich schön und geschmack¬<lb/> voll war. Ich ziehe sie dem, was man in München mit Hilfe der leidigen<lb/> Drehbühne zu sehen bekommt, in jeder Beziehung, namentlich aber darum vor,<lb/> weil der durch die Drehbühne veranlaßte keilförmige und viel zu enge Schau¬<lb/> platz — man mag sagen, was man will — einen pnppentheaterartigen Ein¬<lb/> druck macht. Wenn man der früher in Dresden üblichen Sitte, den in Stein<lb/> gehauenen Commendatore beritten darzustellen, inzwischen untreu geworden ist,<lb/> um dem Beispiel Münchens zu folgen, das sich mit einem aufrecht stehenden<lb/> Grabstein begnügt, obgleich uns das Textbuch verschiedne Reiterstatuen in<lb/> einer geschlossenen Kirchhofshallc verspricht, so ist das nur zu beklagen. Denn<lb/> abgesehen davon, daß die Einladung Leporellos an die stawit AentilisÄmg,<lb/> beim Wegfall der Reiterstatue nicht mehr mit den uns allen von frühester<lb/> Jugend auf bekannten Worten: „Herr Kommandeur zu Pferde, ich neige mich<lb/> zur Erde" beginnen kann, so läßt man sich dadurch, daß man den würdigen<lb/> alten Herrn seines Rosses beraubt, den wirkungsvollsten Effekt entgehn, den<lb/> das Theater überhaupt kennt. Wenn sich Leporello des unwillkommnem Auf¬<lb/> trags, den steinernen Gast zu laden, mit tausend Ängsten entledigt hat und<lb/> diesen, als Zeichen, daß er die Einladung annimmt, sein Haupt neigen sieht,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0660]
Gin Dresdner Don Juan
Leporello und die uns durch ihren Applomb verblüffende, jedem Hindernis
standhaltende, dabei aber doch eines gewissen äußern Schliffes und einer
Art Ritterlichkeit nicht entbehrende Rücksichtslosigkeit des schönen Tenorio so
zu verkörpern, daß einem neben dem musikalischen Genuß auch noch der eines
feinen Charakterlustspiels zuteil wird, wie ja Mozart selbst sein Stück als
ärklmmÄ Aiovoso bezeichnet hat.
Die Dresdner Kapelle ist bekanntlich, wenn sie ihren guten Tag und den
rechten Dirigenten hat, über jedes Lob erhaben. Den Dirigenten, den ich
am Pulte zu sehen gewünscht hätte, hatte an jenem Abend eine berühmte
Traumtänzerin nach dem Neustädter Schauspielhause entführt, und sei es, daß
mir die etwas tiefere Stimmung der Instrumente im Vergleich zur Pariser
Oper unwillkürlich auffiel, sei es, daß der Dirigent eine besonders diskrete
Wiedergabe der Oper einer farbenfreudigern vorzog, sei es, daß mein Parkettsitz
ungünstig lag, sei es endlich, daß mir, ohne daß ich etwas davon wußte,
die rechte Aufnahmefähigkeit fehlte, auch die an sich schöne Leistung der
Kapelle machte mir den Eindruck, als wenn sie mehr Leben, mehr trio hätte
haben können. Nur die Mandolinenbegleitung der Canzonettcn v«d vieni!,
der Serenade, wie sie gewöhnlich genannt wird, glaube ich noch nie so
vollendet und von so reizender Klangwirkung gehört zu haben. Wenn ich
nicht irre, waren wir obendrein diesen Genuß nicht einem Saiteninstrument-
spezialisten, sondern einem der in den Reihen der Holzinstrumentvirtuosen
sitzenden Herrn schuldig, der sich mit der letzten Note der zum doppelt ge-
strichnen Ä aufsteigenden D-Dur-Skala, als wäre nichts geschehen, und als
hatte er keine Kunstleistung ersten Ranges so ganz nebenbei absolviert, wiederum
der Klarinette zuwandte.
Aber so wenig ich die Enttäuschung des Abends der Leistung der Kapelle
zuschreiben konnte, ebenso wenig war daran die Inszenierung schuld, die,
namentlich was die Dekorationen anlangt, außerordentlich schön und geschmack¬
voll war. Ich ziehe sie dem, was man in München mit Hilfe der leidigen
Drehbühne zu sehen bekommt, in jeder Beziehung, namentlich aber darum vor,
weil der durch die Drehbühne veranlaßte keilförmige und viel zu enge Schau¬
platz — man mag sagen, was man will — einen pnppentheaterartigen Ein¬
druck macht. Wenn man der früher in Dresden üblichen Sitte, den in Stein
gehauenen Commendatore beritten darzustellen, inzwischen untreu geworden ist,
um dem Beispiel Münchens zu folgen, das sich mit einem aufrecht stehenden
Grabstein begnügt, obgleich uns das Textbuch verschiedne Reiterstatuen in
einer geschlossenen Kirchhofshallc verspricht, so ist das nur zu beklagen. Denn
abgesehen davon, daß die Einladung Leporellos an die stawit AentilisÄmg,
beim Wegfall der Reiterstatue nicht mehr mit den uns allen von frühester
Jugend auf bekannten Worten: „Herr Kommandeur zu Pferde, ich neige mich
zur Erde" beginnen kann, so läßt man sich dadurch, daß man den würdigen
alten Herrn seines Rosses beraubt, den wirkungsvollsten Effekt entgehn, den
das Theater überhaupt kennt. Wenn sich Leporello des unwillkommnem Auf¬
trags, den steinernen Gast zu laden, mit tausend Ängsten entledigt hat und
diesen, als Zeichen, daß er die Einladung annimmt, sein Haupt neigen sieht,
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