Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches und der Zwerg Lik mit Baldur zugleich dahinhinken, so bedeutet dies, daß das Woher die Welt? Woher das Böse? Diese beiden Fragen sind es, die seit Griechen und Römer haben sich, wie es scheint, mit der hier behandelten Nicht ohne Wissen, auch nicht gegen den Willen der übrigen Asen, auch des Auch andre tiefe Gedanken schöpfen wir aus der Götterlehre der alten Grenzboten >l 1905 6
Maßgebliches und Unmaßgebliches und der Zwerg Lik mit Baldur zugleich dahinhinken, so bedeutet dies, daß das Woher die Welt? Woher das Böse? Diese beiden Fragen sind es, die seit Griechen und Römer haben sich, wie es scheint, mit der hier behandelten Nicht ohne Wissen, auch nicht gegen den Willen der übrigen Asen, auch des Auch andre tiefe Gedanken schöpfen wir aus der Götterlehre der alten Grenzboten >l 1905 6
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297197"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_227" prev="#ID_226"> und der Zwerg Lik mit Baldur zugleich dahinhinken, so bedeutet dies, daß das<lb/> duftende Blumenleben und der schöne Blütenschmelz mit dem schwindenden Lichte<lb/> ebenfalls vergehn. Sehr wichtig ist die Erwähnung, daß der reine, edle Baldur<lb/> erst nach der Götterdämmerung von der Hel zu den Göttern zurückkehren wird,<lb/> weil — und damit betreten wir einen ganz neuen Gedankenkreis — auch die<lb/> Götterwelt schon vom Bösen ergriffen, schon teilweise verderbt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_228"> Woher die Welt? Woher das Böse? Diese beiden Fragen sind es, die seit<lb/> den ältesten Zeiten die Menschen aller Zonen und Religionen bewegt und zu den<lb/> verschiedensten Antworten geführt haben. Da man glaubte, den Ursprung des<lb/> Bösen nicht von dem allmächtigen, guten Schöpfer der Welt und Vater der<lb/> Menschheit herleiten zu dürfen, so kamen viele Volker auf den Dualismus, d. h.<lb/> den Glauben an einen guten und einen bösen Gott, und dem bösen schrieb man<lb/> nun das Eindringen des Bösen in die von dem guten Gott vollkommen geschaffne<lb/> Welt und das Walten des Bösen unter den Meuscheu zu. Dieser Dualismus ist<lb/> durchaus unlogisch, weil die Annahme von zwei nebeneinander bestehenden, sich be¬<lb/> fehdenden allmächtigen Wesen undenkbar ist, das feindliche Nebeneinanderbestehn<lb/> schließt die Allmacht aus, die doch beiden zugeschrieben wird. Der Dualismus ist<lb/> aber auch deshalb entschieden verwerflich, weil er in seinen Konsequenzen (Teufeln,<lb/> Hexen u. a.) zu den schrecklichsten Greuel» geführt hat und noch heute verderb¬<lb/> lich wirkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_229"> Griechen und Römer haben sich, wie es scheint, mit der hier behandelten<lb/> Frage wenig oder gar nicht beschäftigt und sich den Genuß des ewig lächelnden<lb/> Zeus nicht durch die düstern Fragen nach dem Ursprung der Sünde und der<lb/> Notwendigkeit von Buße, Sühne, Vergebung, Erlösung verkümmert. Dem sinnenden<lb/> Volke Israel aber und den ernsten und frommen alten Germanen ist der große<lb/> und allein richtige Gedanke aufgegangen, daß das Eindringen des Bösen in die<lb/> Welt etwas von der Gottheit selbst Zugelassenes, Selbstgewolltes ist, verbunden<lb/> mit den besten Absichten für die Menschen und — bei den Germanen — mit<lb/> einer auch die Götterwelt einschließenden Läuterung und Wiederherstellung des<lb/> ursprünglichen, sündlosen Glückszustandes.</p><lb/> <p xml:id="ID_230"> Nicht ohne Wissen, auch nicht gegen den Willen der übrigen Asen, auch des<lb/> Odin selbst uicht, ist in Loki das Prinzip des Bösen vertreten, dessen Überhand¬<lb/> nähme jene allerdings einzuschränken, dessen Gefahren für das Bestehn der Götter-<lb/> und Menschenwelt sie abzuwenden trachten. Ob Loki direkt mit den Zwergen,<lb/> durch die das Böse in die Welt gebracht wird, ob er mit den Nornen, von denen<lb/> diese angestachelt werden, in Verbindung getreten ist, ergibt sich ans den Sagen<lb/> der Edda nicht; sicher ist, daß am Anfang ein seliges Zeitalter, ein Zustand des<lb/> reinsten Glückes herrschte, bis die Nornen den Zwergen das Gold gaben, um dnrch<lb/> seinen Glanz die Menschen zu betören und zu verderben. Mit diesem Eintritt<lb/> der Nornen Urd, Werdandi und Skuld, den Vertreterinnen von Vergangenheit,<lb/> Gegenwart und Zukunft, beginnt erst die Zeit, die es vorher nicht gab; mit dem<lb/> Eintreten der Zeit beginnt das Böse, das Unglück zu walten, das vorher noch<lb/> nicht vorhanden war — dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Das Böse erzeugt<lb/> Qualen des Gewissens und Furcht vor der Strafe der Götter; deshalb verbirgt<lb/> sich Loki in einer Hütte nahe an einem See, verwandelt sich in einen Lachs<lb/> (Loki — Lachs) und flicht sich ein Netz zum Einfangen von Fischen als Nahrung für<lb/> sich. In diesem Netze aber wird er von den Göttern gefangen und mit den<lb/> Gedärmen seines von jenen getöteten Sohnes gefesselt, d. h. das Böse flicht sich<lb/> selbst sein Netz zum Verderben, und es erzeugt selbst sein Unglück und seine Be¬<lb/> strafung.</p><lb/> <p xml:id="ID_231" next="#ID_232"> Auch andre tiefe Gedanken schöpfen wir aus der Götterlehre der alten<lb/> Germanen. Heilig gehalten wurden von ihnen besonders die Bande der Familie<lb/> und der „Sippe," besonders — im Gegensatz zu fast allen heidnischen Reli¬<lb/> gionen — die Stellung der Mutter. Wenn andre Familienmitglieder sterben, so</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten >l 1905 6</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
und der Zwerg Lik mit Baldur zugleich dahinhinken, so bedeutet dies, daß das
duftende Blumenleben und der schöne Blütenschmelz mit dem schwindenden Lichte
ebenfalls vergehn. Sehr wichtig ist die Erwähnung, daß der reine, edle Baldur
erst nach der Götterdämmerung von der Hel zu den Göttern zurückkehren wird,
weil — und damit betreten wir einen ganz neuen Gedankenkreis — auch die
Götterwelt schon vom Bösen ergriffen, schon teilweise verderbt ist.
Woher die Welt? Woher das Böse? Diese beiden Fragen sind es, die seit
den ältesten Zeiten die Menschen aller Zonen und Religionen bewegt und zu den
verschiedensten Antworten geführt haben. Da man glaubte, den Ursprung des
Bösen nicht von dem allmächtigen, guten Schöpfer der Welt und Vater der
Menschheit herleiten zu dürfen, so kamen viele Volker auf den Dualismus, d. h.
den Glauben an einen guten und einen bösen Gott, und dem bösen schrieb man
nun das Eindringen des Bösen in die von dem guten Gott vollkommen geschaffne
Welt und das Walten des Bösen unter den Meuscheu zu. Dieser Dualismus ist
durchaus unlogisch, weil die Annahme von zwei nebeneinander bestehenden, sich be¬
fehdenden allmächtigen Wesen undenkbar ist, das feindliche Nebeneinanderbestehn
schließt die Allmacht aus, die doch beiden zugeschrieben wird. Der Dualismus ist
aber auch deshalb entschieden verwerflich, weil er in seinen Konsequenzen (Teufeln,
Hexen u. a.) zu den schrecklichsten Greuel» geführt hat und noch heute verderb¬
lich wirkt.
Griechen und Römer haben sich, wie es scheint, mit der hier behandelten
Frage wenig oder gar nicht beschäftigt und sich den Genuß des ewig lächelnden
Zeus nicht durch die düstern Fragen nach dem Ursprung der Sünde und der
Notwendigkeit von Buße, Sühne, Vergebung, Erlösung verkümmert. Dem sinnenden
Volke Israel aber und den ernsten und frommen alten Germanen ist der große
und allein richtige Gedanke aufgegangen, daß das Eindringen des Bösen in die
Welt etwas von der Gottheit selbst Zugelassenes, Selbstgewolltes ist, verbunden
mit den besten Absichten für die Menschen und — bei den Germanen — mit
einer auch die Götterwelt einschließenden Läuterung und Wiederherstellung des
ursprünglichen, sündlosen Glückszustandes.
Nicht ohne Wissen, auch nicht gegen den Willen der übrigen Asen, auch des
Odin selbst uicht, ist in Loki das Prinzip des Bösen vertreten, dessen Überhand¬
nähme jene allerdings einzuschränken, dessen Gefahren für das Bestehn der Götter-
und Menschenwelt sie abzuwenden trachten. Ob Loki direkt mit den Zwergen,
durch die das Böse in die Welt gebracht wird, ob er mit den Nornen, von denen
diese angestachelt werden, in Verbindung getreten ist, ergibt sich ans den Sagen
der Edda nicht; sicher ist, daß am Anfang ein seliges Zeitalter, ein Zustand des
reinsten Glückes herrschte, bis die Nornen den Zwergen das Gold gaben, um dnrch
seinen Glanz die Menschen zu betören und zu verderben. Mit diesem Eintritt
der Nornen Urd, Werdandi und Skuld, den Vertreterinnen von Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft, beginnt erst die Zeit, die es vorher nicht gab; mit dem
Eintreten der Zeit beginnt das Böse, das Unglück zu walten, das vorher noch
nicht vorhanden war — dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Das Böse erzeugt
Qualen des Gewissens und Furcht vor der Strafe der Götter; deshalb verbirgt
sich Loki in einer Hütte nahe an einem See, verwandelt sich in einen Lachs
(Loki — Lachs) und flicht sich ein Netz zum Einfangen von Fischen als Nahrung für
sich. In diesem Netze aber wird er von den Göttern gefangen und mit den
Gedärmen seines von jenen getöteten Sohnes gefesselt, d. h. das Böse flicht sich
selbst sein Netz zum Verderben, und es erzeugt selbst sein Unglück und seine Be¬
strafung.
Auch andre tiefe Gedanken schöpfen wir aus der Götterlehre der alten
Germanen. Heilig gehalten wurden von ihnen besonders die Bande der Familie
und der „Sippe," besonders — im Gegensatz zu fast allen heidnischen Reli¬
gionen — die Stellung der Mutter. Wenn andre Familienmitglieder sterben, so
Grenzboten >l 1905 6
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