Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Oden oder im Gespräch über N, Wagners Opern etwas von Odin, Walhalla usw. Zweitens ist die Kenntnis der altgermanischen Götterlehre deshalb so über¬ Drittens aber ist ganz besonders zu erwähnen, daß die Götterlehre unsrer Oft schwer zu deuten, aber, wenn dies gelungen ist, höchst eindrucksvoll sind Maßgebliches und Unmaßgebliches Oden oder im Gespräch über N, Wagners Opern etwas von Odin, Walhalla usw. Zweitens ist die Kenntnis der altgermanischen Götterlehre deshalb so über¬ Drittens aber ist ganz besonders zu erwähnen, daß die Götterlehre unsrer Oft schwer zu deuten, aber, wenn dies gelungen ist, höchst eindrucksvoll sind <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297196"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_223" prev="#ID_222"> Oden oder im Gespräch über N, Wagners Opern etwas von Odin, Walhalla usw.<lb/> erfahre.</p><lb/> <p xml:id="ID_224"> Zweitens ist die Kenntnis der altgermanischen Götterlehre deshalb so über¬<lb/> aus notwendig und wichtig, weil nur durch sie eine große Menge im Volksleben<lb/> noch heute bestehender Gebräuche und noch heute vielfach angewandter Wörter und<lb/> Wendungen erklärt werden können. Der Christbaum, der mit dein Christentum<lb/> in keiner ursächlichen Verbindung steht, der Sommersonntag, die Johannisfeuer<lb/> und andre Festgebräuche, das Entsteh» des Kegelschiebens und der Polterabend¬<lb/> feier, die Herkunft des Martiuihorns, des Brezel benannten Gebäcks und andres kann<lb/> man ebenso wie viele Redensarten, zum Beispiel den Daumen drücken, jemand etwas<lb/> am Zeuge flicken, Stein und Bein schwören, Donner Wettstock (verdreht in Duuder<lb/> Wachsstock), ins Bockshorn jagen, und einzelne Wörter, zum Beispiel Ungeziefer,<lb/> Wcichselzopf, Wechselbalg, Ölgötze, Pfingstochse, hanebüchen und vieles andre wieder<lb/> nur aus dem Götterglauben und den religiösen Gebräuchen der Männer erklären,<lb/> die die Nömerlegionen bei Noreja und im Teutoburger Walde geschlagen und in<lb/> kühnen Wikingerfahrten die Meere durchfurcht haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_225"> Drittens aber ist ganz besonders zu erwähnen, daß die Götterlehre unsrer<lb/> germanischen Vorfahren Gedanken enthält, so schön und tief, so erhaben und von<lb/> so veredelnder Wirkung wie wohl kaum eine andre. Die griechische Mythologie,<lb/> die die Gestalten von Zeus und von Apollo, von Athene und von Aphrodite ge¬<lb/> schaffen, die durch Dryaden, Orcaden, Hören und andre Gottheiten die ganze<lb/> Schöpfung belebt hat und durch die Verehrung der Grazien und der Parzen, des<lb/> Bacchus und des Hades den heitern und den ernsten Seiten des Lebens gerecht<lb/> geworden ist, bietet uns ueben vielem Schönen und zur Verherrlichung durch die<lb/> Kunst Geeigneten des Eingreifenden und des Erhabnen doch nnr wenig, sie wendet<lb/> sich an die Phantasie, weniger schon an den Verstand, noch weniger, ja fast gar<lb/> nicht an Herz und Gemüt des Menschen. Etwas übertrieben und hart, aber in<lb/> dem, was es sagen will, doch wahr ist das Wort eines Gelehrten, der in der<lb/> Einleitung seiner Ausgabe des Aristophanes sagt, daß der Hauptinhalt dessen, was<lb/> uns über die griechischen Götter erzählt werde, fast nur in ihren „verliebten<lb/> Ferienreisen zu den Menschen" bestehe. Wie reich ist im Gegensatz hierzu die alt¬<lb/> germanische Götterlehre an tiefen, das Nachdenken anregenden, erhabnen und sittlich<lb/> hohen Gedanken! Von diesen mögen einige hier erwähnt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_226" next="#ID_227"> Oft schwer zu deuten, aber, wenn dies gelungen ist, höchst eindrucksvoll sind<lb/> die Sagen, die den Kampf der Elemente in der Natur, besonders den zwischen<lb/> dem grausig dargestellten Winter und dem wonnigen Frühling zum Inhalt haben,<lb/> zum Beispiel die von Swadilfari (Eisführer). Dieser erbot sich, den Göttern eine<lb/> feste Burg zu erbauen unter der Bedingung, daß ihm dafür Sonne, Mond und<lb/> die Göttin Freia geschenkt würden, d. h. die ganze Schöpfung in ihrer Größe<lb/> und Lieblichkeit dem starren Winter für immer anheimfiele. Lott vereitelte die<lb/> Vollendung des Baues und damit die Auslieferung der Preise, Thor erschlug deu<lb/> Riesen mit seinem Hammer, d. h. des erste Gewitter zersprengt die Eisdecke,<lb/> Sonne, Mond und die liebliche Frühlingszeit werden von dem Banne des Frühlings<lb/> befreit. Noch tiefer ist der Mythus, der die Fortsetzung von Baldurs Tod ist<lb/> und folgende Deutung hat. Der Lichtgott Baldur erstirbt in der Sommersonnen¬<lb/> wende, von dem blinden Hödur, d. h. dem lichtlosen Wintergott, tödlich mit der<lb/> Mistel getroffen, der Pflanze, die im Winter wächst und reift, des Sonnenlichtes<lb/> also nicht bedarf. Mit dieser Erwähnung der Mistel verbinden sich aber noch<lb/> andre, tiefe Gedanken. Ihr als dem einzigen Wesen war, weil sie unbedeutend<lb/> erschien, kein Eid abgenommen worden, den Baldur zu schonen. Wenn er nnn<lb/> durch sie stirbt, so heißt das: auch das scheinbar Unbedeutendste kann im Dienste<lb/> der Bösen furchtbar werden, und ferner: dem von allen Wesen geliebten Baldur<lb/> kann nur etwas ganz Ungewöhnliches schaden, das ist die Mistel, die nicht aus<lb/> Samen gezeugt ist und nicht in der Erde wurzelt. Wenn seine Gattin Rammel</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Oden oder im Gespräch über N, Wagners Opern etwas von Odin, Walhalla usw.
erfahre.
Zweitens ist die Kenntnis der altgermanischen Götterlehre deshalb so über¬
aus notwendig und wichtig, weil nur durch sie eine große Menge im Volksleben
noch heute bestehender Gebräuche und noch heute vielfach angewandter Wörter und
Wendungen erklärt werden können. Der Christbaum, der mit dein Christentum
in keiner ursächlichen Verbindung steht, der Sommersonntag, die Johannisfeuer
und andre Festgebräuche, das Entsteh» des Kegelschiebens und der Polterabend¬
feier, die Herkunft des Martiuihorns, des Brezel benannten Gebäcks und andres kann
man ebenso wie viele Redensarten, zum Beispiel den Daumen drücken, jemand etwas
am Zeuge flicken, Stein und Bein schwören, Donner Wettstock (verdreht in Duuder
Wachsstock), ins Bockshorn jagen, und einzelne Wörter, zum Beispiel Ungeziefer,
Wcichselzopf, Wechselbalg, Ölgötze, Pfingstochse, hanebüchen und vieles andre wieder
nur aus dem Götterglauben und den religiösen Gebräuchen der Männer erklären,
die die Nömerlegionen bei Noreja und im Teutoburger Walde geschlagen und in
kühnen Wikingerfahrten die Meere durchfurcht haben.
Drittens aber ist ganz besonders zu erwähnen, daß die Götterlehre unsrer
germanischen Vorfahren Gedanken enthält, so schön und tief, so erhaben und von
so veredelnder Wirkung wie wohl kaum eine andre. Die griechische Mythologie,
die die Gestalten von Zeus und von Apollo, von Athene und von Aphrodite ge¬
schaffen, die durch Dryaden, Orcaden, Hören und andre Gottheiten die ganze
Schöpfung belebt hat und durch die Verehrung der Grazien und der Parzen, des
Bacchus und des Hades den heitern und den ernsten Seiten des Lebens gerecht
geworden ist, bietet uns ueben vielem Schönen und zur Verherrlichung durch die
Kunst Geeigneten des Eingreifenden und des Erhabnen doch nnr wenig, sie wendet
sich an die Phantasie, weniger schon an den Verstand, noch weniger, ja fast gar
nicht an Herz und Gemüt des Menschen. Etwas übertrieben und hart, aber in
dem, was es sagen will, doch wahr ist das Wort eines Gelehrten, der in der
Einleitung seiner Ausgabe des Aristophanes sagt, daß der Hauptinhalt dessen, was
uns über die griechischen Götter erzählt werde, fast nur in ihren „verliebten
Ferienreisen zu den Menschen" bestehe. Wie reich ist im Gegensatz hierzu die alt¬
germanische Götterlehre an tiefen, das Nachdenken anregenden, erhabnen und sittlich
hohen Gedanken! Von diesen mögen einige hier erwähnt werden.
Oft schwer zu deuten, aber, wenn dies gelungen ist, höchst eindrucksvoll sind
die Sagen, die den Kampf der Elemente in der Natur, besonders den zwischen
dem grausig dargestellten Winter und dem wonnigen Frühling zum Inhalt haben,
zum Beispiel die von Swadilfari (Eisführer). Dieser erbot sich, den Göttern eine
feste Burg zu erbauen unter der Bedingung, daß ihm dafür Sonne, Mond und
die Göttin Freia geschenkt würden, d. h. die ganze Schöpfung in ihrer Größe
und Lieblichkeit dem starren Winter für immer anheimfiele. Lott vereitelte die
Vollendung des Baues und damit die Auslieferung der Preise, Thor erschlug deu
Riesen mit seinem Hammer, d. h. des erste Gewitter zersprengt die Eisdecke,
Sonne, Mond und die liebliche Frühlingszeit werden von dem Banne des Frühlings
befreit. Noch tiefer ist der Mythus, der die Fortsetzung von Baldurs Tod ist
und folgende Deutung hat. Der Lichtgott Baldur erstirbt in der Sommersonnen¬
wende, von dem blinden Hödur, d. h. dem lichtlosen Wintergott, tödlich mit der
Mistel getroffen, der Pflanze, die im Winter wächst und reift, des Sonnenlichtes
also nicht bedarf. Mit dieser Erwähnung der Mistel verbinden sich aber noch
andre, tiefe Gedanken. Ihr als dem einzigen Wesen war, weil sie unbedeutend
erschien, kein Eid abgenommen worden, den Baldur zu schonen. Wenn er nnn
durch sie stirbt, so heißt das: auch das scheinbar Unbedeutendste kann im Dienste
der Bösen furchtbar werden, und ferner: dem von allen Wesen geliebten Baldur
kann nur etwas ganz Ungewöhnliches schaden, das ist die Mistel, die nicht aus
Samen gezeugt ist und nicht in der Erde wurzelt. Wenn seine Gattin Rammel
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