Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen Hause wie außer dem Hause. Er hatte sich daran gewöhnt, die Menschen zu ver¬ Groppoff, sagte Baron Bordeaux, nachdem er ein paar Gläser Wein mit der So, sagte Groppoff kalt, seit wann? Seit acht Tagen. Wollen Sie glauben, daß ich in dieser Zeit keinen Tropfen Und wie lange denken Sie Ihr Ehrenwort zu halten? fragte Groppoff kühl. Fragen Sie nicht so boshaft, erwiderte der Baron. Mir ist es mit meinem Groppoff nahm seine Pfeife aus dem Munde, und sein Gesicht verlängerte Aber von mir. Groppoff zog seine Augenbrauen in die Höhe, strich seinen Kinnbart und Ich will Ihnen nichts vormachen, fuhr Baron Bordeaux fort, Sie würden mirs Aber das müßte im voraus festgemacht sein, sagte Groppoff. Natürlich! entgegnete der Baron, und er hielt seine Hand hin. Aber Groppoff schlug nicht ein, sondern stand auf und ging unruhig im Herrenmenschen Hause wie außer dem Hause. Er hatte sich daran gewöhnt, die Menschen zu ver¬ Groppoff, sagte Baron Bordeaux, nachdem er ein paar Gläser Wein mit der So, sagte Groppoff kalt, seit wann? Seit acht Tagen. Wollen Sie glauben, daß ich in dieser Zeit keinen Tropfen Und wie lange denken Sie Ihr Ehrenwort zu halten? fragte Groppoff kühl. Fragen Sie nicht so boshaft, erwiderte der Baron. Mir ist es mit meinem Groppoff nahm seine Pfeife aus dem Munde, und sein Gesicht verlängerte Aber von mir. Groppoff zog seine Augenbrauen in die Höhe, strich seinen Kinnbart und Ich will Ihnen nichts vormachen, fuhr Baron Bordeaux fort, Sie würden mirs Aber das müßte im voraus festgemacht sein, sagte Groppoff. Natürlich! entgegnete der Baron, und er hielt seine Hand hin. Aber Groppoff schlug nicht ein, sondern stand auf und ging unruhig im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0627" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297006"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2888" prev="#ID_2887"> Hause wie außer dem Hause. Er hatte sich daran gewöhnt, die Menschen zu ver¬<lb/> achten, und hatte nicht daran gedacht, daß ihm gleiches mit gleichem vergolten<lb/> werden könnte. Nun begann er zu fühlen, daß er bei seinen Mitmenschen nicht<lb/> gerade in hoher Gunst stehe, nun machte er die Erfahrung, daß mit dem Alter<lb/> die Epidermis der Seele nicht härter, sondern empfindlicher wird. Er hatte früher<lb/> darüber gelacht, daß sich jemand seinen Freund nannte, der es weder sein konnte<lb/> noch wollte, jetzt fing er an einzusehen, daß ein freundloses Leben auch ein freud¬<lb/> loses Leben sei, und daß es einsam mache. Und seine Eva? Sie war sein Kind,<lb/> sein echtes Kind, sie hatte denselben hochgemuten Geist wie er, und sie wurde ihm<lb/> von Jahr zu Jahr fremder. Wars darum, daß sich zwei Adler bei ihrem Fluge<lb/> nicht mit den Flügeln berühren und nicht in ihren Kreisen stören dürfen, oder<lb/> wars darum, daß Eva uicht an seine Größe glaubte?</p><lb/> <p xml:id="ID_2889"> Groppoff, sagte Baron Bordeaux, nachdem er ein paar Gläser Wein mit der<lb/> Begierde eines Verdursteten getrunken hatte, ich habe mich entschlossen, das ver¬<lb/> fluchte Saufen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2890"> So, sagte Groppoff kalt, seit wann?</p><lb/> <p xml:id="ID_2891"> Seit acht Tagen. Wollen Sie glauben, daß ich in dieser Zeit keinen Tropfen<lb/> getrunken habe? Das heißt, so gut wie nichts. Höchstens ein paar Flaschen.<lb/> Auf Ehre.</p><lb/> <p xml:id="ID_2892"> Und wie lange denken Sie Ihr Ehrenwort zu halten? fragte Groppoff kühl.</p><lb/> <p xml:id="ID_2893"> Fragen Sie nicht so boshaft, erwiderte der Baron. Mir ist es mit meinem<lb/> Versprechen heiliger Ernst. Nun erlauben Sie mir aber auch, daß ich Sie an<lb/> Ihr Versprechen erinnere. Geben Sie mir Ihre Eva.</p><lb/> <p xml:id="ID_2894"> Groppoff nahm seine Pfeife aus dem Munde, und sein Gesicht verlängerte<lb/> sich beträchtlich. Er war völlig überrascht. Dummes Zeug, sagte er zugleich ver¬<lb/> ächtlich und verlegen, das war doch von mir nicht ernst gemeint.</p><lb/> <p xml:id="ID_2895"> Aber von mir.</p><lb/> <p xml:id="ID_2896"> Groppoff zog seine Augenbrauen in die Höhe, strich seinen Kinnbart und<lb/> konnte zu keiner Autwort kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2897"> Ich will Ihnen nichts vormachen, fuhr Baron Bordeaux fort, Sie würden mirs<lb/> übrigens auch nicht glauben. Ich habe von meiner werten Person beim Rotwein<lb/> schon eine ganze Menge zugesetzt. Fahre ich so fort, wie ichs bis jetzt getrieben<lb/> habe, holt mich binnen kurzem der Teufel. Der Jüngste bin ich auch nicht mehr.<lb/> Und der Klügste bin ich nie gewesen. Aber an klugen Männern soll ja Frauen<lb/> gar nichts liegen. Und, Groppoff, ich bin ein guter Kerl. Und wenn ich mich<lb/> doch uoch einmal tot saufen sollte, dann bleibt die Herrschaft Bernauken übrig,<lb/> und das ist dann doch immerhin etwas.</p><lb/> <p xml:id="ID_2898"> Aber das müßte im voraus festgemacht sein, sagte Groppoff.</p><lb/> <p xml:id="ID_2899"> Natürlich! entgegnete der Baron, und er hielt seine Hand hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_2900" next="#ID_2901"> Aber Groppoff schlug nicht ein, sondern stand auf und ging unruhig im<lb/> Zimmer auf und ab. Seine Eva, sein stolzes, blankes Mädchen war ihm für dieses<lb/> Weinfaß viel zu gut. Wenn man Bernauken ohne seinen Besitzer hätte haben können!<lb/> Hin! Zum mindesten wäre es ein Unterkommen für das Mädchen. Alles kann man,<lb/> nicht zugleich haben in der Welt, einen jungen feinen Mann und eine große Herrschaft.<lb/> Und wenn einem armen Mädchen ein Glück geboten wird, soll sie zugreifen und<lb/> nicht nach einem noch größern Glück ausschauen. Und wenn seine Eva, die<lb/> ihrer Mutter Tochter war, durch diese Heirat in die höhern Kreise zurückkehren<lb/> und in den Besitz einer Herrschaft wie Bernauken kommen konnte, warum sollte<lb/> sie es nicht tun? — Aber diese Erwägungen würden doch nicht das Hindernis,,<lb/> das in der Person des Barons Bordeaux bestand, überwunden haben, wenn nicht<lb/> ein scheinbar fern liegender Gedanke dazwischen gefahren wäre und das ganze<lb/> Innere Groppoffs in Aufruhr gebracht hätte. Er fühlte den Schlag Marys auf<lb/> seinem Gesichte, wie er ihn seit Jahren bei Tag und bei Nacht oft genug gefühlt<lb/> hatte, und sein Haß flammte von neuem auf, sei» Haß, der nur dann erstickt werdeu</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0627]
Herrenmenschen
Hause wie außer dem Hause. Er hatte sich daran gewöhnt, die Menschen zu ver¬
achten, und hatte nicht daran gedacht, daß ihm gleiches mit gleichem vergolten
werden könnte. Nun begann er zu fühlen, daß er bei seinen Mitmenschen nicht
gerade in hoher Gunst stehe, nun machte er die Erfahrung, daß mit dem Alter
die Epidermis der Seele nicht härter, sondern empfindlicher wird. Er hatte früher
darüber gelacht, daß sich jemand seinen Freund nannte, der es weder sein konnte
noch wollte, jetzt fing er an einzusehen, daß ein freundloses Leben auch ein freud¬
loses Leben sei, und daß es einsam mache. Und seine Eva? Sie war sein Kind,
sein echtes Kind, sie hatte denselben hochgemuten Geist wie er, und sie wurde ihm
von Jahr zu Jahr fremder. Wars darum, daß sich zwei Adler bei ihrem Fluge
nicht mit den Flügeln berühren und nicht in ihren Kreisen stören dürfen, oder
wars darum, daß Eva uicht an seine Größe glaubte?
Groppoff, sagte Baron Bordeaux, nachdem er ein paar Gläser Wein mit der
Begierde eines Verdursteten getrunken hatte, ich habe mich entschlossen, das ver¬
fluchte Saufen zu lassen.
So, sagte Groppoff kalt, seit wann?
Seit acht Tagen. Wollen Sie glauben, daß ich in dieser Zeit keinen Tropfen
getrunken habe? Das heißt, so gut wie nichts. Höchstens ein paar Flaschen.
Auf Ehre.
Und wie lange denken Sie Ihr Ehrenwort zu halten? fragte Groppoff kühl.
Fragen Sie nicht so boshaft, erwiderte der Baron. Mir ist es mit meinem
Versprechen heiliger Ernst. Nun erlauben Sie mir aber auch, daß ich Sie an
Ihr Versprechen erinnere. Geben Sie mir Ihre Eva.
Groppoff nahm seine Pfeife aus dem Munde, und sein Gesicht verlängerte
sich beträchtlich. Er war völlig überrascht. Dummes Zeug, sagte er zugleich ver¬
ächtlich und verlegen, das war doch von mir nicht ernst gemeint.
Aber von mir.
Groppoff zog seine Augenbrauen in die Höhe, strich seinen Kinnbart und
konnte zu keiner Autwort kommen.
Ich will Ihnen nichts vormachen, fuhr Baron Bordeaux fort, Sie würden mirs
übrigens auch nicht glauben. Ich habe von meiner werten Person beim Rotwein
schon eine ganze Menge zugesetzt. Fahre ich so fort, wie ichs bis jetzt getrieben
habe, holt mich binnen kurzem der Teufel. Der Jüngste bin ich auch nicht mehr.
Und der Klügste bin ich nie gewesen. Aber an klugen Männern soll ja Frauen
gar nichts liegen. Und, Groppoff, ich bin ein guter Kerl. Und wenn ich mich
doch uoch einmal tot saufen sollte, dann bleibt die Herrschaft Bernauken übrig,
und das ist dann doch immerhin etwas.
Aber das müßte im voraus festgemacht sein, sagte Groppoff.
Natürlich! entgegnete der Baron, und er hielt seine Hand hin.
Aber Groppoff schlug nicht ein, sondern stand auf und ging unruhig im
Zimmer auf und ab. Seine Eva, sein stolzes, blankes Mädchen war ihm für dieses
Weinfaß viel zu gut. Wenn man Bernauken ohne seinen Besitzer hätte haben können!
Hin! Zum mindesten wäre es ein Unterkommen für das Mädchen. Alles kann man,
nicht zugleich haben in der Welt, einen jungen feinen Mann und eine große Herrschaft.
Und wenn einem armen Mädchen ein Glück geboten wird, soll sie zugreifen und
nicht nach einem noch größern Glück ausschauen. Und wenn seine Eva, die
ihrer Mutter Tochter war, durch diese Heirat in die höhern Kreise zurückkehren
und in den Besitz einer Herrschaft wie Bernauken kommen konnte, warum sollte
sie es nicht tun? — Aber diese Erwägungen würden doch nicht das Hindernis,,
das in der Person des Barons Bordeaux bestand, überwunden haben, wenn nicht
ein scheinbar fern liegender Gedanke dazwischen gefahren wäre und das ganze
Innere Groppoffs in Aufruhr gebracht hätte. Er fühlte den Schlag Marys auf
seinem Gesichte, wie er ihn seit Jahren bei Tag und bei Nacht oft genug gefühlt
hatte, und sein Haß flammte von neuem auf, sei» Haß, der nur dann erstickt werdeu
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