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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Der Reichskanzler

wurde: der Vorbereitung für die unvermeidliche Auseinandersetzung mit
Frankreich.

Von alledem war für den Grafen Bülow nicht die Rede. Seine Kanzler¬
schaft wurzelt in ganz andern Bedingungen und Voraussetzungen als einst
die Ministerschaft Bismarcks. Es ist deshalb auch gar nicht möglich, die
Laufbahnen beider Männer und die ihnen zuteil gewordnen Anerkennungen
miteinander zu vergleichen. Dazu sind die Zeiten und ist alles, was in Be¬
tracht kommt, doch zu verschieden. Bismarck fand bei seinem Amtsantritt eine
Machtfrage vor, die er dahin zusammenfaßte, ob in Preußen der König oder
die Majorität des Abgeordnetenhauses regieren solle. Für die Zukunft des
Landes war ein starkes Heer wichtiger und notwendiger als alles andre. Dieses
Heer mußte mit oder ohne Parlament erhalten werden. Bismarck wußte, daß
man ihn als Retter in der Not gerufen hatte, daß er für den Kampf be¬
stimmt war, wenn keine Verständigung gelang. Er ging in diesen Kampf
mit voller Zuversicht und mit dem festen Glauben an Erfolg, entschlossen, wie
er auch dem König erklärt hatte, im Notfalle auch ohne Budget zu regieren.
Alte Gegensätze aus dem Jahre 1848 flammten neu auf; sie haben Bismarck
zum Teil bis an das Ende seiner Amtsführung begleitet.

War Bismarck so der Minister des Kampfes, so sollte Graf Bülow nach
seinem ganzen Charakter wie nach dem Willen seines Monarchen im Gegenteil
der Minister der Versöhnung sein, und zwar der Versöhnung gerade mit
denen, die für Bismarck in seinen ersten Kämpfen die Hauptstützen gewesen
waren: mit der Landwirtschaft und den Konservativen. Den Gegensatz zwischen
ihnen und der Krone zu überbrücken war um so notwendiger, als gegen die
Konservativen in Preußen wohl in einzelnen Fragen entschieden, aber nicht
dauernd regiert werden kann, wenigstens nicht mehr nach der Einführung des
allgemeinen Stimmrechts im Reiche. Von einen: Frontmachen gegen die Sozial¬
demokratie und die Massenherrschaft kann doch nur mit der nachhaltigen Unter¬
stützung auch jener Kreise die Rede sein, denn dieser Kampf ist nur mit Erfolg
möglich, wenn sich alle bürgerlichen Parteien dazu einmütig um die Negierung
scharen. Aus diesem Grunde konnte Graf Bülow auch nicht daran denken,
eine prinzipielle Frontstellung gegen das Zentrum einzunehmen, das obendrein
eben die beiden Flottengesetze bewilligt hatte, denn die bürgerliche Schlacht-
ordnung gegen die Sozialdemokratie ist so lange nicht vollzählig, als das
starke Zentrumsbataillon darin fehlt. Demgemäß mußte aus der Negierungs-
aktion alles verschwinden, was nach Fortsetzung oder Erneuerung des Kultur¬
kampfes aussah. Das Vertrauen der deutschen Katholiken mußte gewonnen
werden, ohne den Staatsinteressen in ernsten Fragen etwas zu vergeben. Dieses
Problem war um so schwieriger bei den Notwendigkeiten einer energischen und
beharrlichen Ostmarkenpolitik mit festen Zielen. Der Kampf gegen die Sozial¬
demokratie endlich hatte eine umsichtige und wohlwollende Sozialpolitik zur
Voraussetzung, denn nur dadurch gewann die Regierung die Möglichkeit,
wenigstens bei einem Teile der Arbeiterschaft den Glauben an die heutigen
Staatseinrichtungen zu erhalten -- und für die Stunde des ernsten Kampfes
ein gutes Gewissen!


Der Reichskanzler

wurde: der Vorbereitung für die unvermeidliche Auseinandersetzung mit
Frankreich.

Von alledem war für den Grafen Bülow nicht die Rede. Seine Kanzler¬
schaft wurzelt in ganz andern Bedingungen und Voraussetzungen als einst
die Ministerschaft Bismarcks. Es ist deshalb auch gar nicht möglich, die
Laufbahnen beider Männer und die ihnen zuteil gewordnen Anerkennungen
miteinander zu vergleichen. Dazu sind die Zeiten und ist alles, was in Be¬
tracht kommt, doch zu verschieden. Bismarck fand bei seinem Amtsantritt eine
Machtfrage vor, die er dahin zusammenfaßte, ob in Preußen der König oder
die Majorität des Abgeordnetenhauses regieren solle. Für die Zukunft des
Landes war ein starkes Heer wichtiger und notwendiger als alles andre. Dieses
Heer mußte mit oder ohne Parlament erhalten werden. Bismarck wußte, daß
man ihn als Retter in der Not gerufen hatte, daß er für den Kampf be¬
stimmt war, wenn keine Verständigung gelang. Er ging in diesen Kampf
mit voller Zuversicht und mit dem festen Glauben an Erfolg, entschlossen, wie
er auch dem König erklärt hatte, im Notfalle auch ohne Budget zu regieren.
Alte Gegensätze aus dem Jahre 1848 flammten neu auf; sie haben Bismarck
zum Teil bis an das Ende seiner Amtsführung begleitet.

War Bismarck so der Minister des Kampfes, so sollte Graf Bülow nach
seinem ganzen Charakter wie nach dem Willen seines Monarchen im Gegenteil
der Minister der Versöhnung sein, und zwar der Versöhnung gerade mit
denen, die für Bismarck in seinen ersten Kämpfen die Hauptstützen gewesen
waren: mit der Landwirtschaft und den Konservativen. Den Gegensatz zwischen
ihnen und der Krone zu überbrücken war um so notwendiger, als gegen die
Konservativen in Preußen wohl in einzelnen Fragen entschieden, aber nicht
dauernd regiert werden kann, wenigstens nicht mehr nach der Einführung des
allgemeinen Stimmrechts im Reiche. Von einen: Frontmachen gegen die Sozial¬
demokratie und die Massenherrschaft kann doch nur mit der nachhaltigen Unter¬
stützung auch jener Kreise die Rede sein, denn dieser Kampf ist nur mit Erfolg
möglich, wenn sich alle bürgerlichen Parteien dazu einmütig um die Negierung
scharen. Aus diesem Grunde konnte Graf Bülow auch nicht daran denken,
eine prinzipielle Frontstellung gegen das Zentrum einzunehmen, das obendrein
eben die beiden Flottengesetze bewilligt hatte, denn die bürgerliche Schlacht-
ordnung gegen die Sozialdemokratie ist so lange nicht vollzählig, als das
starke Zentrumsbataillon darin fehlt. Demgemäß mußte aus der Negierungs-
aktion alles verschwinden, was nach Fortsetzung oder Erneuerung des Kultur¬
kampfes aussah. Das Vertrauen der deutschen Katholiken mußte gewonnen
werden, ohne den Staatsinteressen in ernsten Fragen etwas zu vergeben. Dieses
Problem war um so schwieriger bei den Notwendigkeiten einer energischen und
beharrlichen Ostmarkenpolitik mit festen Zielen. Der Kampf gegen die Sozial¬
demokratie endlich hatte eine umsichtige und wohlwollende Sozialpolitik zur
Voraussetzung, denn nur dadurch gewann die Regierung die Möglichkeit,
wenigstens bei einem Teile der Arbeiterschaft den Glauben an die heutigen
Staatseinrichtungen zu erhalten — und für die Stunde des ernsten Kampfes
ein gutes Gewissen!


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[0608] Der Reichskanzler wurde: der Vorbereitung für die unvermeidliche Auseinandersetzung mit Frankreich. Von alledem war für den Grafen Bülow nicht die Rede. Seine Kanzler¬ schaft wurzelt in ganz andern Bedingungen und Voraussetzungen als einst die Ministerschaft Bismarcks. Es ist deshalb auch gar nicht möglich, die Laufbahnen beider Männer und die ihnen zuteil gewordnen Anerkennungen miteinander zu vergleichen. Dazu sind die Zeiten und ist alles, was in Be¬ tracht kommt, doch zu verschieden. Bismarck fand bei seinem Amtsantritt eine Machtfrage vor, die er dahin zusammenfaßte, ob in Preußen der König oder die Majorität des Abgeordnetenhauses regieren solle. Für die Zukunft des Landes war ein starkes Heer wichtiger und notwendiger als alles andre. Dieses Heer mußte mit oder ohne Parlament erhalten werden. Bismarck wußte, daß man ihn als Retter in der Not gerufen hatte, daß er für den Kampf be¬ stimmt war, wenn keine Verständigung gelang. Er ging in diesen Kampf mit voller Zuversicht und mit dem festen Glauben an Erfolg, entschlossen, wie er auch dem König erklärt hatte, im Notfalle auch ohne Budget zu regieren. Alte Gegensätze aus dem Jahre 1848 flammten neu auf; sie haben Bismarck zum Teil bis an das Ende seiner Amtsführung begleitet. War Bismarck so der Minister des Kampfes, so sollte Graf Bülow nach seinem ganzen Charakter wie nach dem Willen seines Monarchen im Gegenteil der Minister der Versöhnung sein, und zwar der Versöhnung gerade mit denen, die für Bismarck in seinen ersten Kämpfen die Hauptstützen gewesen waren: mit der Landwirtschaft und den Konservativen. Den Gegensatz zwischen ihnen und der Krone zu überbrücken war um so notwendiger, als gegen die Konservativen in Preußen wohl in einzelnen Fragen entschieden, aber nicht dauernd regiert werden kann, wenigstens nicht mehr nach der Einführung des allgemeinen Stimmrechts im Reiche. Von einen: Frontmachen gegen die Sozial¬ demokratie und die Massenherrschaft kann doch nur mit der nachhaltigen Unter¬ stützung auch jener Kreise die Rede sein, denn dieser Kampf ist nur mit Erfolg möglich, wenn sich alle bürgerlichen Parteien dazu einmütig um die Negierung scharen. Aus diesem Grunde konnte Graf Bülow auch nicht daran denken, eine prinzipielle Frontstellung gegen das Zentrum einzunehmen, das obendrein eben die beiden Flottengesetze bewilligt hatte, denn die bürgerliche Schlacht- ordnung gegen die Sozialdemokratie ist so lange nicht vollzählig, als das starke Zentrumsbataillon darin fehlt. Demgemäß mußte aus der Negierungs- aktion alles verschwinden, was nach Fortsetzung oder Erneuerung des Kultur¬ kampfes aussah. Das Vertrauen der deutschen Katholiken mußte gewonnen werden, ohne den Staatsinteressen in ernsten Fragen etwas zu vergeben. Dieses Problem war um so schwieriger bei den Notwendigkeiten einer energischen und beharrlichen Ostmarkenpolitik mit festen Zielen. Der Kampf gegen die Sozial¬ demokratie endlich hatte eine umsichtige und wohlwollende Sozialpolitik zur Voraussetzung, denn nur dadurch gewann die Regierung die Möglichkeit, wenigstens bei einem Teile der Arbeiterschaft den Glauben an die heutigen Staatseinrichtungen zu erhalten — und für die Stunde des ernsten Kampfes ein gutes Gewissen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/608>, abgerufen am 06.02.2025.