Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Der Reichskanzler Landwirt und durch seinen langen Dienst im Auslande den innern Angelegen¬ Der Reichskanzler Landwirt und durch seinen langen Dienst im Auslande den innern Angelegen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0607" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296986"/> <fw type="header" place="top"> Der Reichskanzler</fw><lb/> <p xml:id="ID_2789" prev="#ID_2788" next="#ID_2790"> Landwirt und durch seinen langen Dienst im Auslande den innern Angelegen¬<lb/> heiten und namentlich den Parteien und ihren Führern fremd war. Eine be¬<lb/> greifliche Delikatesse hatte ihm dabei auch in den Vorbereitungsjahren die<lb/> Notwendigkeit auferlegt, sich außerhalb seines Ressorts als Staatssekretär des<lb/> Auswärtigen am politischen Leben nur mit großer Zurückhaltung zu beteiligen<lb/> und Anknüpfungen nur mit Vorsicht zu wühlen. Als Kaiser Wilhelm ihm<lb/> am 17. Oktober 1901 auf dem Bahnhofe zu Hamburg die Mitteilung machte,<lb/> daß er ihn nunmehr zum Reichskanzler ernannt habe, mag Graf Bülow nicht<lb/> ausgesprochen, aber doch gedacht haben, was Bismnrck im Jahre 1850 dem<lb/> König ans dessen Mitteilung, daß er als Bundestagsgesandter nach Frankfurt<lb/> solle, erwidert hatte: „Wenn Eure Majestät den Mut haben, zu befehlen —<lb/> ich habe den Mut, zu gehorchen." Denn wenn der nunmehrige Fürst Bülow<lb/> auch keine von den Eigenschaften hat, die man an Bismarck als junkerlich zu<lb/> bezeichnen pflegte, eine jedenfalls teilt er mit ihm: an Aufgaben, die gelöst<lb/> werden müssen, gutes Muts und in der Überzeugung heranzutreten, daß sich<lb/> die Lösung auf irgendeine Weise werde erreichen lassen. Sei das Ganze nicht<lb/> erreichbar, so werde man auch mit zwei Dritteln einstweilen zufrieden sein.<lb/> Für Bismarck ist die Äußerung ungemein charakteristisch, die er bei Königgrätz<lb/> zu dem Kommandeur der Brandenburger Kürassiere tat, als das Regiment<lb/> aus dem österreichischen Granatfeuer zurücktritt, und der Führer auf Bismarcks<lb/> Frage nach dem Grunde des Abmarsches bemerkte: „Wir können hier vor den<lb/> Granaten nicht halten bleiben." — „Ich glaubte, Sie würden hinreiten und<lb/> nachsehen, wo sie herkommen," lautete Bismarcks Antwort. Mau darf dieses<lb/> Wort getrost als eine Regel ansehen, nach der er sein politisches Metier hand¬<lb/> habte. Bei vorurteilsloser Prüfung der Bülowschen Amtsführung, vorurteils¬<lb/> los in dem Sinne, daß sie nicht an dem Maßstab einer andern Zeit und<lb/> deren Aufgaben, sondern an ihrer Zeit und ihren Aufgaben gemessen wird,<lb/> wird man vielleicht doch finden, daß der jetzige Reichskanzler nicht anders ver¬<lb/> fahren ist, soweit nicht andre Bedingungen des Handelns für ihn vorhanden<lb/> waren. Er selbst hat es gelegentlich ausgesprochen, daß er, um eine Attacke<lb/> zu reiten, festen Boden unter den Füßen haben müsse, auf schwankendem<lb/> Boden ginge das nicht. Wenn die Bismarckische Politik zum großen Teil<lb/> — wenn auch bei weitem nicht in so großem, als man sich gewöhnlich vor¬<lb/> stellt — im Attackenreitcn, das heißt im Angreifen des Gegners bestand, so<lb/> darf dabei vor allen Dingen nicht übersehen werden, daß ihr von 1862 bis<lb/> 1870 große Ziele gegeben waren, bei deren Verfolgung er der Zustimmung<lb/> eines großen Teiles der Nation sicher sein durfte, und deren Erreichung zum<lb/> großen Teile vom preußischen Heer abhing, dessen Leistungsfähigkeit außer<lb/> jedem Zweifel stand. Darum hat Bismarck mich für dieses Heer als für die<lb/> nie versagende ullius, ratio seiner auswärtigen Politik Alles eingesetzt, die<lb/> Übereinstimmung mit dem Könige gerade in diesem Gedanken hat in den drei<lb/> ersten, den kritischen Jahren seines Ministeriums wohl mit am meisten zu der<lb/> Befestigung seiner Stellung beigetragen. Die Aufgaben, die Bismarck beim<lb/> Amtsantritt als Minister vor sich sah, machten bis zum Jahre 1866 eine<lb/> starke Offensive nach außen und zugleich eine energische Defensive nach innen<lb/> nötig, während von 1866 bis 1870 alles dem einen Gedanken untergeordnet</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0607]
Der Reichskanzler
Landwirt und durch seinen langen Dienst im Auslande den innern Angelegen¬
heiten und namentlich den Parteien und ihren Führern fremd war. Eine be¬
greifliche Delikatesse hatte ihm dabei auch in den Vorbereitungsjahren die
Notwendigkeit auferlegt, sich außerhalb seines Ressorts als Staatssekretär des
Auswärtigen am politischen Leben nur mit großer Zurückhaltung zu beteiligen
und Anknüpfungen nur mit Vorsicht zu wühlen. Als Kaiser Wilhelm ihm
am 17. Oktober 1901 auf dem Bahnhofe zu Hamburg die Mitteilung machte,
daß er ihn nunmehr zum Reichskanzler ernannt habe, mag Graf Bülow nicht
ausgesprochen, aber doch gedacht haben, was Bismnrck im Jahre 1850 dem
König ans dessen Mitteilung, daß er als Bundestagsgesandter nach Frankfurt
solle, erwidert hatte: „Wenn Eure Majestät den Mut haben, zu befehlen —
ich habe den Mut, zu gehorchen." Denn wenn der nunmehrige Fürst Bülow
auch keine von den Eigenschaften hat, die man an Bismarck als junkerlich zu
bezeichnen pflegte, eine jedenfalls teilt er mit ihm: an Aufgaben, die gelöst
werden müssen, gutes Muts und in der Überzeugung heranzutreten, daß sich
die Lösung auf irgendeine Weise werde erreichen lassen. Sei das Ganze nicht
erreichbar, so werde man auch mit zwei Dritteln einstweilen zufrieden sein.
Für Bismarck ist die Äußerung ungemein charakteristisch, die er bei Königgrätz
zu dem Kommandeur der Brandenburger Kürassiere tat, als das Regiment
aus dem österreichischen Granatfeuer zurücktritt, und der Führer auf Bismarcks
Frage nach dem Grunde des Abmarsches bemerkte: „Wir können hier vor den
Granaten nicht halten bleiben." — „Ich glaubte, Sie würden hinreiten und
nachsehen, wo sie herkommen," lautete Bismarcks Antwort. Mau darf dieses
Wort getrost als eine Regel ansehen, nach der er sein politisches Metier hand¬
habte. Bei vorurteilsloser Prüfung der Bülowschen Amtsführung, vorurteils¬
los in dem Sinne, daß sie nicht an dem Maßstab einer andern Zeit und
deren Aufgaben, sondern an ihrer Zeit und ihren Aufgaben gemessen wird,
wird man vielleicht doch finden, daß der jetzige Reichskanzler nicht anders ver¬
fahren ist, soweit nicht andre Bedingungen des Handelns für ihn vorhanden
waren. Er selbst hat es gelegentlich ausgesprochen, daß er, um eine Attacke
zu reiten, festen Boden unter den Füßen haben müsse, auf schwankendem
Boden ginge das nicht. Wenn die Bismarckische Politik zum großen Teil
— wenn auch bei weitem nicht in so großem, als man sich gewöhnlich vor¬
stellt — im Attackenreitcn, das heißt im Angreifen des Gegners bestand, so
darf dabei vor allen Dingen nicht übersehen werden, daß ihr von 1862 bis
1870 große Ziele gegeben waren, bei deren Verfolgung er der Zustimmung
eines großen Teiles der Nation sicher sein durfte, und deren Erreichung zum
großen Teile vom preußischen Heer abhing, dessen Leistungsfähigkeit außer
jedem Zweifel stand. Darum hat Bismarck mich für dieses Heer als für die
nie versagende ullius, ratio seiner auswärtigen Politik Alles eingesetzt, die
Übereinstimmung mit dem Könige gerade in diesem Gedanken hat in den drei
ersten, den kritischen Jahren seines Ministeriums wohl mit am meisten zu der
Befestigung seiner Stellung beigetragen. Die Aufgaben, die Bismarck beim
Amtsantritt als Minister vor sich sah, machten bis zum Jahre 1866 eine
starke Offensive nach außen und zugleich eine energische Defensive nach innen
nötig, während von 1866 bis 1870 alles dem einen Gedanken untergeordnet
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