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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Ist das Reichwcrden leichter geworden?'

nicht die schlechten Zeiten verantwortlich für die Leere deines Portemonnaies,
sondern dich selbst nach dem alten Grundsatz: Jeder ist seines Glückes Schmied.

Die Klage, daß alle modernen Industrien unter Überproduktion und Über¬
konkurrenz litten, spricht nicht gegen unsre Ansichten, denn es kann nicht ge¬
leugnet werden, daß die Zeit vom Baume unsrer Volkswirtschaft jährlich viele
morsch gewordne Äste abschüttelt, dafür aber viele neue Zweige sprießen, neue
Industrien erstehn läßt, neue Absatzgebiete oder neue Käufermassen für neue
Waren schafft. In den letzten Jahrzehnten haben wir viele Menschen bei diesem
Emporblühn reich werden sehen; ich will nur an die Elektrizitätsindustrie, an
die Fahrrad-, Konserven-, Brikett-, an die Postkarten- und an die photographische
Industrie erinnern, alles Kinder der neuesten Zeit, deren ursprüngliche Vertreter
jetzt wohlgenährte Rentiers geworden sind. Wer hätte vor Jahrzehnten, zum
Teil sogar vor einem einzigen Jahrzehnt an diese Industrien überhaupt ge¬
dacht! Ich bin kein Kaufmann, also nicht in der Lage, die Entwicklungstendenzen
der einzelnen Industrien für die nächste Zukunft zu übersehen, aber die Behaup¬
tung wird zutreffen, daß es auch jetzt eine Reihe von Gewerbezweigen gibt, die
in der nächsten Zukunft große Fortschritte machen werden.

Also: schau um dich, und wenn dein Herz am Golde hängt, nach Golde
drängt, du Armer, dann stürze dich mit Fleiß und Energie hinein in den Kampf
ums goldne Kalb. "Reichhelm" ist eine schöne, erstrebenswerte Sache, wenn man
einen guten Gebrauch von seinem Überfluß zu machen weiß, wie der Amerikaner
Carnegie, der aus Prinzip seine Millionen langsam für öffentliche Stiftungen
verwendet und den reichen Mann beklagt, der als Millionär sterbe. Der
Güter größtes ist aber der Reichtum nicht. Frau von Kügelgen, die Mutter
des wegen seiner "Erinnerungen" bekannten "alten Mannes," betete zu Gott,
keines ihrer Kinder möge reich werden, und der Ausspruch Christi, wie schwer
es für einen Reichen sei, ins Himmelreich zu gelangen, weist uns auf die Ge¬
fahren hin, die der Reichtum für seinen Besitzer in sich birgt. "Reich werden" --
darf nie Selbstzweck sein, wenn auch die Stirner und Nietzsche mit ihren gefähr¬
lichen Ideen vom gesunden Egoismus, Übermenschentum und Sichausleben den
altpreußischen Grundsatz von "Armut und Edelsinn" leider über den Haufen
gerannt haben, und man es mit Hoffmann von Fallersleben beklagen muß:

Und doch wissen "die Reichen" nicht genug davon zu sagen, daß das
Gold nur Schimäre sei, und daß Leberecht Hühnchen recht habe: ... wer das
Glück in sich trägt in still zufriedner Brust, der wandelt sonnigen Herzens
dahin durch die Welt, und der goldne Schimmer verlockt ihn nicht, dem die
andern gierig nachjagen -- denn das Köstlichste nennt er bereits sein eigen.




Ist das Reichwcrden leichter geworden?'

nicht die schlechten Zeiten verantwortlich für die Leere deines Portemonnaies,
sondern dich selbst nach dem alten Grundsatz: Jeder ist seines Glückes Schmied.

Die Klage, daß alle modernen Industrien unter Überproduktion und Über¬
konkurrenz litten, spricht nicht gegen unsre Ansichten, denn es kann nicht ge¬
leugnet werden, daß die Zeit vom Baume unsrer Volkswirtschaft jährlich viele
morsch gewordne Äste abschüttelt, dafür aber viele neue Zweige sprießen, neue
Industrien erstehn läßt, neue Absatzgebiete oder neue Käufermassen für neue
Waren schafft. In den letzten Jahrzehnten haben wir viele Menschen bei diesem
Emporblühn reich werden sehen; ich will nur an die Elektrizitätsindustrie, an
die Fahrrad-, Konserven-, Brikett-, an die Postkarten- und an die photographische
Industrie erinnern, alles Kinder der neuesten Zeit, deren ursprüngliche Vertreter
jetzt wohlgenährte Rentiers geworden sind. Wer hätte vor Jahrzehnten, zum
Teil sogar vor einem einzigen Jahrzehnt an diese Industrien überhaupt ge¬
dacht! Ich bin kein Kaufmann, also nicht in der Lage, die Entwicklungstendenzen
der einzelnen Industrien für die nächste Zukunft zu übersehen, aber die Behaup¬
tung wird zutreffen, daß es auch jetzt eine Reihe von Gewerbezweigen gibt, die
in der nächsten Zukunft große Fortschritte machen werden.

Also: schau um dich, und wenn dein Herz am Golde hängt, nach Golde
drängt, du Armer, dann stürze dich mit Fleiß und Energie hinein in den Kampf
ums goldne Kalb. „Reichhelm" ist eine schöne, erstrebenswerte Sache, wenn man
einen guten Gebrauch von seinem Überfluß zu machen weiß, wie der Amerikaner
Carnegie, der aus Prinzip seine Millionen langsam für öffentliche Stiftungen
verwendet und den reichen Mann beklagt, der als Millionär sterbe. Der
Güter größtes ist aber der Reichtum nicht. Frau von Kügelgen, die Mutter
des wegen seiner „Erinnerungen" bekannten „alten Mannes," betete zu Gott,
keines ihrer Kinder möge reich werden, und der Ausspruch Christi, wie schwer
es für einen Reichen sei, ins Himmelreich zu gelangen, weist uns auf die Ge¬
fahren hin, die der Reichtum für seinen Besitzer in sich birgt. „Reich werden" —
darf nie Selbstzweck sein, wenn auch die Stirner und Nietzsche mit ihren gefähr¬
lichen Ideen vom gesunden Egoismus, Übermenschentum und Sichausleben den
altpreußischen Grundsatz von „Armut und Edelsinn" leider über den Haufen
gerannt haben, und man es mit Hoffmann von Fallersleben beklagen muß:

Und doch wissen „die Reichen" nicht genug davon zu sagen, daß das
Gold nur Schimäre sei, und daß Leberecht Hühnchen recht habe: ... wer das
Glück in sich trägt in still zufriedner Brust, der wandelt sonnigen Herzens
dahin durch die Welt, und der goldne Schimmer verlockt ihn nicht, dem die
andern gierig nachjagen — denn das Köstlichste nennt er bereits sein eigen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/600>, abgerufen am 05.02.2025.