Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Ist das Reichwerden leichter geworden? Ein weiterer, sehr wesentlicher Vorteil gegenüber der Vergangenheit ent¬ Mit diesen flüchtigen Darlegungen, die leicht durch die Geschichte jeder In¬ Das Zeitalter des Schlaraffenlandes ist noch nicht angebrochen und wird Ist das Reichwerden leichter geworden? Ein weiterer, sehr wesentlicher Vorteil gegenüber der Vergangenheit ent¬ Mit diesen flüchtigen Darlegungen, die leicht durch die Geschichte jeder In¬ Das Zeitalter des Schlaraffenlandes ist noch nicht angebrochen und wird <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0599" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296978"/> <fw type="header" place="top"> Ist das Reichwerden leichter geworden?</fw><lb/> <p xml:id="ID_2760"> Ein weiterer, sehr wesentlicher Vorteil gegenüber der Vergangenheit ent¬<lb/> springt aus der „Freizügigkeit." So bedauerlich auch gewisse Erscheinungen<lb/> sind, die sie mit sich gebracht hat, so hat sie sich doch auf manche» Gebieten<lb/> als ein sehr starker Hebel der wirtschaftlichen Tätigkeit erwiesen. Die Gro߬<lb/> industrie hätte, wenn es ihr nicht ermöglicht worden wäre, große Arbeitermassen<lb/> von überall her heranzuziehen, gar nicht die Grundlage für ihre Entwicklung<lb/> gehabt. Dem Arbeiter selbst wäre ebenso der Weg zum Reichtum verschlossen<lb/> geblieben, während er jetzt seine Arbeitskraft dort verwerten kann, wo er sie am<lb/> höchsten bezahlt erhält. Der Unternehmer wiederum Hütte ohne Freizügigkeit<lb/> und Gewerbefreiheit nicht die Möglichkeit, seine Waren überall, wo er Lust hat,<lb/> anzubieten usw. Das Terrain, innerhalb dessen jemand seine auf Gelderwerb<lb/> gerichtete Tätigkeit ausüben konnte, war viel beschränkter, und Hunderte von<lb/> Schranken stellten sich seiner Goldgräbern entgegen, die heute alle vom Winde<lb/> der neuen Zeit niedergerissen worden sind, damit jeder Licht genug habe, Aus¬<lb/> schau rings auf allen Wegen halten zu können nach seinem Glück!</p><lb/> <p xml:id="ID_2761"> Mit diesen flüchtigen Darlegungen, die leicht durch die Geschichte jeder In¬<lb/> dustrie ergänzt und belegt werden können, wollen wir uns begnügen. Sie<lb/> zeigen, daß die Gegenwart in Schnelligkeit und Wohlfeilheit von der Produktion<lb/> und dem Absatz jedem frühern Zeitalter bei weitem überlegen ist; sie beweisen<lb/> also, daß für die, die reich werden wollen, die Chancen ganz gewaltig gestiegen<lb/> sind. Die schlechtem alten Zeiten sind den bessern neuen gewichen, und überall<lb/> ist die Bahn frei zu neuem Schaffen, zu neuem Erwerb. Freilich, „es fordert<lb/> Gott, verlangt ihr seinen Segen, die Hände, die er euch verliehen, zu regen."</p><lb/> <p xml:id="ID_2762" next="#ID_2763"> Das Zeitalter des Schlaraffenlandes ist noch nicht angebrochen und wird<lb/> uns nie und würde uns auch nie beglücken. Es genügt nicht nur, daß man<lb/> fleißig auf seinem Posten steht, nicht, daß man den alten, von andern ausge¬<lb/> tretenen Pfaden nachläuft, sondern es gilt, selbständig aus Entdeckungs- und<lb/> Eroberungszüge auszugehn und Pfadfinder zu sein. Das mag nicht ganz<lb/> leicht sein, aber es ist auch nicht so sehr schwer. Wenn man die Strnßenhändler<lb/> auf der Friedrichsstraße in Berlin beobachtet, wie einige von ihnen eine außer¬<lb/> ordentliche Geschicklichkeit entfalten, immer mit neuen auf die Kaufluft der<lb/> Passanten berechneten Waren hervorzutreten, staunt man über den genialen<lb/> Unternehmungsgeist. Mau kann von diesen äußerst geschickten und rührigen<lb/> Leuten, die zum Teil zweifellos guten Erfolg haben, so paradox das klingen<lb/> mag, mancherlei über das Aufspüren neuer Erwerbsquellen lernen. Strenge<lb/> deinen Kopf dazu an, daß du billiger produzierst als die andern; prüfe, wo<lb/> die Rohprodukte für das Fabrikat, das du herstellen willst, am besten zu haben<lb/> sind, wo die Kräfte, die deine Maschinen treiben, nicht so viel kosten wie die<lb/> der Konkurrenz, und die Arbeitslöhne niedriger sind, und dort gründe dein neues<lb/> Unternehmen. Forsche, wo du die Ware, die du zu verkaufen gedenkst, am<lb/> schnellsten und wohlfeilsten erhältst, sodaß du billiger sein kannst als die Kon¬<lb/> kurrenz; entdecke als moderner Kolumbus Absatzgebiete, die deiner Konkurrenz<lb/> noch unerschlossen sind, schau um dich mit offnem Auge nach allen Seiten, wie<lb/> und wo du einen Vorsprung gewinnen und die Rolle des Pioniers für deutsche<lb/> Arbeit und deutsche Tatkraft übernehmen kannst! Rasse dich auf und mache</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0599]
Ist das Reichwerden leichter geworden?
Ein weiterer, sehr wesentlicher Vorteil gegenüber der Vergangenheit ent¬
springt aus der „Freizügigkeit." So bedauerlich auch gewisse Erscheinungen
sind, die sie mit sich gebracht hat, so hat sie sich doch auf manche» Gebieten
als ein sehr starker Hebel der wirtschaftlichen Tätigkeit erwiesen. Die Gro߬
industrie hätte, wenn es ihr nicht ermöglicht worden wäre, große Arbeitermassen
von überall her heranzuziehen, gar nicht die Grundlage für ihre Entwicklung
gehabt. Dem Arbeiter selbst wäre ebenso der Weg zum Reichtum verschlossen
geblieben, während er jetzt seine Arbeitskraft dort verwerten kann, wo er sie am
höchsten bezahlt erhält. Der Unternehmer wiederum Hütte ohne Freizügigkeit
und Gewerbefreiheit nicht die Möglichkeit, seine Waren überall, wo er Lust hat,
anzubieten usw. Das Terrain, innerhalb dessen jemand seine auf Gelderwerb
gerichtete Tätigkeit ausüben konnte, war viel beschränkter, und Hunderte von
Schranken stellten sich seiner Goldgräbern entgegen, die heute alle vom Winde
der neuen Zeit niedergerissen worden sind, damit jeder Licht genug habe, Aus¬
schau rings auf allen Wegen halten zu können nach seinem Glück!
Mit diesen flüchtigen Darlegungen, die leicht durch die Geschichte jeder In¬
dustrie ergänzt und belegt werden können, wollen wir uns begnügen. Sie
zeigen, daß die Gegenwart in Schnelligkeit und Wohlfeilheit von der Produktion
und dem Absatz jedem frühern Zeitalter bei weitem überlegen ist; sie beweisen
also, daß für die, die reich werden wollen, die Chancen ganz gewaltig gestiegen
sind. Die schlechtem alten Zeiten sind den bessern neuen gewichen, und überall
ist die Bahn frei zu neuem Schaffen, zu neuem Erwerb. Freilich, „es fordert
Gott, verlangt ihr seinen Segen, die Hände, die er euch verliehen, zu regen."
Das Zeitalter des Schlaraffenlandes ist noch nicht angebrochen und wird
uns nie und würde uns auch nie beglücken. Es genügt nicht nur, daß man
fleißig auf seinem Posten steht, nicht, daß man den alten, von andern ausge¬
tretenen Pfaden nachläuft, sondern es gilt, selbständig aus Entdeckungs- und
Eroberungszüge auszugehn und Pfadfinder zu sein. Das mag nicht ganz
leicht sein, aber es ist auch nicht so sehr schwer. Wenn man die Strnßenhändler
auf der Friedrichsstraße in Berlin beobachtet, wie einige von ihnen eine außer¬
ordentliche Geschicklichkeit entfalten, immer mit neuen auf die Kaufluft der
Passanten berechneten Waren hervorzutreten, staunt man über den genialen
Unternehmungsgeist. Mau kann von diesen äußerst geschickten und rührigen
Leuten, die zum Teil zweifellos guten Erfolg haben, so paradox das klingen
mag, mancherlei über das Aufspüren neuer Erwerbsquellen lernen. Strenge
deinen Kopf dazu an, daß du billiger produzierst als die andern; prüfe, wo
die Rohprodukte für das Fabrikat, das du herstellen willst, am besten zu haben
sind, wo die Kräfte, die deine Maschinen treiben, nicht so viel kosten wie die
der Konkurrenz, und die Arbeitslöhne niedriger sind, und dort gründe dein neues
Unternehmen. Forsche, wo du die Ware, die du zu verkaufen gedenkst, am
schnellsten und wohlfeilsten erhältst, sodaß du billiger sein kannst als die Kon¬
kurrenz; entdecke als moderner Kolumbus Absatzgebiete, die deiner Konkurrenz
noch unerschlossen sind, schau um dich mit offnem Auge nach allen Seiten, wie
und wo du einen Vorsprung gewinnen und die Rolle des Pioniers für deutsche
Arbeit und deutsche Tatkraft übernehmen kannst! Rasse dich auf und mache
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