Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen der die Schranken überspringt, wandert ins Loch. Nur nach einer Seite hat glücklicher¬ Onkel Fips, sagte Prinzeßchen, Sie sind ein alter Philister. Onkel Fips zwinkerte mit den Angen und erwiderte: Alter Philister? sagen Wenn ein Mann seiner Frau durchgeht, sagte Eva mit schöner Bestimmtheit, Gucke, gucke! rief Schwechting. Mir würde mein Mann nicht durchgehn, fuhr Eva fort. Sie sagte es Herr von Kügelchen, den das Gespräch interessierte, und der gern selbst sein Donnerkiel! rief Schwechting. Was sagen Sie dazu, Doktor? In der Tat, fügte Herr von Kügelchen hinzu, äuferst -- us. Bald langte man, umschwärmt von der Rotte Korah, an der Giftbude an. Oh, Onkel Fips, rief die Rotte, Sie verstehn ja alles! und machte sich daran, Donnerwetter, sagte Pogge, sich zurücklegend, die Angen zusammenkneifend Grenzboten II l9N5 7
Herrenmenschen der die Schranken überspringt, wandert ins Loch. Nur nach einer Seite hat glücklicher¬ Onkel Fips, sagte Prinzeßchen, Sie sind ein alter Philister. Onkel Fips zwinkerte mit den Angen und erwiderte: Alter Philister? sagen Wenn ein Mann seiner Frau durchgeht, sagte Eva mit schöner Bestimmtheit, Gucke, gucke! rief Schwechting. Mir würde mein Mann nicht durchgehn, fuhr Eva fort. Sie sagte es Herr von Kügelchen, den das Gespräch interessierte, und der gern selbst sein Donnerkiel! rief Schwechting. Was sagen Sie dazu, Doktor? In der Tat, fügte Herr von Kügelchen hinzu, äuferst — us. Bald langte man, umschwärmt von der Rotte Korah, an der Giftbude an. Oh, Onkel Fips, rief die Rotte, Sie verstehn ja alles! und machte sich daran, Donnerwetter, sagte Pogge, sich zurücklegend, die Angen zusammenkneifend Grenzboten II l9N5 7
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297189"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_177" prev="#ID_176"> der die Schranken überspringt, wandert ins Loch. Nur nach einer Seite hat glücklicher¬<lb/> weise die löbliche Obrigkeit Luft gelassen, nach der Seite der — na ja der Lumperei.<lb/> Wenn einer in unserm Kulturstaate den Herrenmenschen spielen will, dann geht es<lb/> im leichtesten so, daß er zu sich Ja sagt, seiner Frau durchgeht und ein Luder¬<lb/> leben führt. Ihr verrückter Glockengießer, Doktor, hatte auch was bessers tun<lb/> können, als Weib und Kind sitzen zu lassen, mit seinem Rautendelein durchzu-<lb/> brennen und das Lied poa großen freien Menschenwillen anzustimmen. Pfui<lb/> Kuckuck!</p><lb/> <p xml:id="ID_178"> Onkel Fips, sagte Prinzeßchen, Sie sind ein alter Philister.</p><lb/> <p xml:id="ID_179"> Onkel Fips zwinkerte mit den Angen und erwiderte: Alter Philister? sagen<lb/> Sie lieber, ein alter Praktikus. Sie möchten durchgehn, Prinzeßchen, und trauen<lb/> sich nicht, weil Sie sich vor dieser Moddergrube fürchten. Sehr löblich von Ihnen,<lb/> Prinzeßchen. Wie aber, wenn Sie so einen Herrenmenschen zum Gemahl erwischt<lb/> hätten, der zu sich Ja sagte und durchginge, was daun?</p><lb/> <p xml:id="ID_180"> Wenn ein Mann seiner Frau durchgeht, sagte Eva mit schöner Bestimmtheit,<lb/> dann ist allemal die Frau daran schuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_181"> Gucke, gucke! rief Schwechting.</p><lb/> <p xml:id="ID_182"> Mir würde mein Mann nicht durchgehn, fuhr Eva fort. Sie sagte es<lb/> lachenden Mundes, aber sie sagte es in der Haltung einer Rachegöttin, und sie<lb/> hielt ihre Reitpeitsche fest in der Hand.</p><lb/> <p xml:id="ID_183"> Herr von Kügelchen, den das Gespräch interessierte, und der gern selbst sein<lb/> Teil dazu gegeben hatte, war mit Evas Pferde neben dem Weg auf einer freien<lb/> Stelle stehn geblieben und hatte die andern herankommen lassen. Eva nahm ihm<lb/> den Zügel aus der Hand, sprang auf einen bequem daliegenden Stein und von<lb/> da in den Sattel und ritt, ehe noch ihr Hofmarschall sich zu einem Entschlüsse<lb/> gesammelt hatte, in flottem Trabe und rückwärts grüßend davon.</p><lb/> <p xml:id="ID_184"> Donnerkiel! rief Schwechting. Was sagen Sie dazu, Doktor?</p><lb/> <p xml:id="ID_185"> In der Tat, fügte Herr von Kügelchen hinzu, äuferst — us.</p><lb/> <p xml:id="ID_186"> Bald langte man, umschwärmt von der Rotte Korah, an der Giftbude an.<lb/> Hier waren, wie um diese Zeit gewöhnlich, die Badegäste versammelt. Auch Pogge<lb/> war da. Das Abenteuer vom Elch war bald erzählt und wurde mit gebührender<lb/> Aufregung besprochen. Nun aber fiel die Rotte über Schwechtings Malkasten her.<lb/> Onkel Fips, zeigen, zeigen! erklang es von allen Seiten. Aber Onkel Fips, der<lb/> sonst immer bereit war, seine Skizzen vorzulegen, hatte diesesmal keine Lust. Fort,<lb/> Gesinde!, sagte er, das versteht ihr nicht, das versteh ich kaum.</p><lb/> <p xml:id="ID_187"> Oh, Onkel Fips, rief die Rotte, Sie verstehn ja alles! und machte sich daran,<lb/> ohne Erlaubnis den Kasten aufzuschnüren. Da half es denn nichts, das Bild mußte<lb/> herausgenommen und aufgestellt werden. Die Rotte belagerte es in dichtem Kreise,<lb/> wurde aber in den zweiten Rang zurück verwiesen. Dagegen setzte sich Pogge<lb/> davor und studierte das Bild, indem er seinen Hut aus der Stirn rückte, sein<lb/> Kinn auf beide Fäuste stützte und seine Stirnlocke ins Gesicht hängen ließ. Der<lb/> Doktor, Schwechting und Herr von Kügelchen standen dahinter und warteten auf<lb/> die Kritik.</p><lb/> <p xml:id="ID_188" next="#ID_189"> Donnerwetter, sagte Pogge, sich zurücklegend, die Angen zusammenkneifend<lb/> und mit dem Daumen die bewußten Modellierbewegungen machend, gemacht wie von'n<lb/> zi'nftjen Maurcrjesellen. Hätte ich dir ja' nicht zujctrant, Ranke! Immer schwapp!<lb/> ^ne Farbe bei die andre gesetzt. Na ja! Wenn der Mensch nur will. Nun bitte<lb/> us mir aber aus, Hannes, daß du keinen Strich mehr daran tust, sonst verdirbst<lb/> dn die Sache wieder. Der frische Eindruck muß bleiben. Und dann hier wegschneiden<lb/> und hier handbreit ansetzen. Nicht die Landschaft schonen. Das Ding soll keine<lb/> Landschaft und Staffage werden, sondern ein Porträt. Großartige Häßlichkeit,<lb/> ^ber imposant! Man lacht über die Schunde und sagt sich doch: Aber lieber mit<lb/> dem Kerl nicht anbinden. Wissen Sie, Doktor, wie Philipp der Zweite mit seiner<lb/> Hängelippe und den bösartigen, stahlharten Augen. Man muß eine Empfindung</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II l9N5 7</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Herrenmenschen
der die Schranken überspringt, wandert ins Loch. Nur nach einer Seite hat glücklicher¬
weise die löbliche Obrigkeit Luft gelassen, nach der Seite der — na ja der Lumperei.
Wenn einer in unserm Kulturstaate den Herrenmenschen spielen will, dann geht es
im leichtesten so, daß er zu sich Ja sagt, seiner Frau durchgeht und ein Luder¬
leben führt. Ihr verrückter Glockengießer, Doktor, hatte auch was bessers tun
können, als Weib und Kind sitzen zu lassen, mit seinem Rautendelein durchzu-
brennen und das Lied poa großen freien Menschenwillen anzustimmen. Pfui
Kuckuck!
Onkel Fips, sagte Prinzeßchen, Sie sind ein alter Philister.
Onkel Fips zwinkerte mit den Angen und erwiderte: Alter Philister? sagen
Sie lieber, ein alter Praktikus. Sie möchten durchgehn, Prinzeßchen, und trauen
sich nicht, weil Sie sich vor dieser Moddergrube fürchten. Sehr löblich von Ihnen,
Prinzeßchen. Wie aber, wenn Sie so einen Herrenmenschen zum Gemahl erwischt
hätten, der zu sich Ja sagte und durchginge, was daun?
Wenn ein Mann seiner Frau durchgeht, sagte Eva mit schöner Bestimmtheit,
dann ist allemal die Frau daran schuld.
Gucke, gucke! rief Schwechting.
Mir würde mein Mann nicht durchgehn, fuhr Eva fort. Sie sagte es
lachenden Mundes, aber sie sagte es in der Haltung einer Rachegöttin, und sie
hielt ihre Reitpeitsche fest in der Hand.
Herr von Kügelchen, den das Gespräch interessierte, und der gern selbst sein
Teil dazu gegeben hatte, war mit Evas Pferde neben dem Weg auf einer freien
Stelle stehn geblieben und hatte die andern herankommen lassen. Eva nahm ihm
den Zügel aus der Hand, sprang auf einen bequem daliegenden Stein und von
da in den Sattel und ritt, ehe noch ihr Hofmarschall sich zu einem Entschlüsse
gesammelt hatte, in flottem Trabe und rückwärts grüßend davon.
Donnerkiel! rief Schwechting. Was sagen Sie dazu, Doktor?
In der Tat, fügte Herr von Kügelchen hinzu, äuferst — us.
Bald langte man, umschwärmt von der Rotte Korah, an der Giftbude an.
Hier waren, wie um diese Zeit gewöhnlich, die Badegäste versammelt. Auch Pogge
war da. Das Abenteuer vom Elch war bald erzählt und wurde mit gebührender
Aufregung besprochen. Nun aber fiel die Rotte über Schwechtings Malkasten her.
Onkel Fips, zeigen, zeigen! erklang es von allen Seiten. Aber Onkel Fips, der
sonst immer bereit war, seine Skizzen vorzulegen, hatte diesesmal keine Lust. Fort,
Gesinde!, sagte er, das versteht ihr nicht, das versteh ich kaum.
Oh, Onkel Fips, rief die Rotte, Sie verstehn ja alles! und machte sich daran,
ohne Erlaubnis den Kasten aufzuschnüren. Da half es denn nichts, das Bild mußte
herausgenommen und aufgestellt werden. Die Rotte belagerte es in dichtem Kreise,
wurde aber in den zweiten Rang zurück verwiesen. Dagegen setzte sich Pogge
davor und studierte das Bild, indem er seinen Hut aus der Stirn rückte, sein
Kinn auf beide Fäuste stützte und seine Stirnlocke ins Gesicht hängen ließ. Der
Doktor, Schwechting und Herr von Kügelchen standen dahinter und warteten auf
die Kritik.
Donnerwetter, sagte Pogge, sich zurücklegend, die Angen zusammenkneifend
und mit dem Daumen die bewußten Modellierbewegungen machend, gemacht wie von'n
zi'nftjen Maurcrjesellen. Hätte ich dir ja' nicht zujctrant, Ranke! Immer schwapp!
^ne Farbe bei die andre gesetzt. Na ja! Wenn der Mensch nur will. Nun bitte
us mir aber aus, Hannes, daß du keinen Strich mehr daran tust, sonst verdirbst
dn die Sache wieder. Der frische Eindruck muß bleiben. Und dann hier wegschneiden
und hier handbreit ansetzen. Nicht die Landschaft schonen. Das Ding soll keine
Landschaft und Staffage werden, sondern ein Porträt. Großartige Häßlichkeit,
^ber imposant! Man lacht über die Schunde und sagt sich doch: Aber lieber mit
dem Kerl nicht anbinden. Wissen Sie, Doktor, wie Philipp der Zweite mit seiner
Hängelippe und den bösartigen, stahlharten Augen. Man muß eine Empfindung
Grenzboten II l9N5 7
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